Archiv für Juli 31st, 2004

Päpstlicher als der Papst

Die “Bild”-Zeitung war stolz. Am Freitag meldete sie “exklusiv” unter der Überschrift: “Papst geißelt Feminismus”: “Papst Johannes Paul II. sagt dem weltweiten Feminismus den Kampf an!”

Diesmal war es wirklich eine Exklusiv-Meldung, eine weltweite sogar. Es lag aber nicht an den göttlichen Beziehungen der “Bild”-Reporter. “Bild” hatte nach Angaben der Katholischen Nachrichtenagentur KNA einfach als “einzige ausländische Zeitung in Rom” entgegen der journalistischen Gepflogenheiten “die Sperrfrist für die Berichterstattung über den Text gebrochen”.

Die “Bild”-Meldung war aber auch in anderer Hinsicht “exklusiv”: Ihr Zitat, der Vatikan werfe dem Feminismus vor, “die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau abzuschaffen” kommt im Text nicht vor. Der deutsche Radio-Vatikan-Chef Pater Eberhard von Gemmingen sagte, die Darstellung von “Bild” sei “völlig falsch”. Es gehe nicht um den Feminismus, sondern ausdrücklich um einen “gewissen Feminismus”, der Papst fordere u.a. die gesellschaftliche Aufwertung der Frau. “Ich glaube”, sagte von Gemmingen, “dass es das Gescheiteste wäre, gegen den ‘Spiegel’ und gegen die ‘Bild-Zeitung’ eine Einstweilige Verfügung zu beantragen!” Gegen den “Spiegel” auch? Aber ja. “Spiegel Online” hat die Meldung, wie üblich, erst einmal aus der “Bild”-Zeitung übernommen. Differenzierter wurde die Berichterstattung erst viel später.

Besondere Zurückhaltung

Was hat die 17-jährige Tochter von Uschi Glas getan, um gestern mit einem großen Foto neben den gewaltigen Worten “Drogen-Affäre” auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung zu landen? Sie hat sich möglicherweise eine Marihuana-Zigarette mit zwei Freundinnen geteilt. Möglicherweise, denn laut “Bild”-Text “vermutet” ein Polizist das nur wegen eines “süßlichen Geruchs”. Angeblich ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Soweit der Stand in der “Bild” vom Freitag: Große Schlagzeilen, bisschen dünne Faktenlage.

Am Samstag ist die “Bild” nicht schlauer. Im Gegenteil: Was Julia Glas konkret vorgeworfen wird, wird nicht mehr genannt. Unter der Schlagzeile “Hat Uschi Glas mit ihren Kindern etwas falsch gemacht?” ist die Rede vage von “Schlagzeilen”, von “gegenwärtigem Wirbel”, von “immer neuen Sorgen”. Darunter steht, wie zufällig, ein Artikel darüber, dass “jeder 4. deutsche Jugendliche schon Cannabis geraucht hat”. Jede Zeile, jedes Foto illustriert und wiederholt implizit den Vorwurf gegen die 17-jährige, ohne ihn ausdrücklich zu nennen. Weil er falsch war? Oder weil “Bild” ihn nicht hätte veröffentlichen dürfen? In den Richtlinen des Presserates heißt es:

Bei der Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jugendliche […] soll die Presse mit Rücksicht auf die Zukunft der Betroffenen besondere Zurückhaltung üben.

(Wird fortgesetzt.)

Meine kleine Welt

Nachdem “Bild” die neue Rechtschreibung am 29. Juli in einer Überschrift auf der Titelseite für “so gut wie abgeschafft” erklärte, weil die Kultusministerkonferenz (KMK) sich entschlossen hatte, die Rechtschreibreform im Oktober noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen, und übrigens obwohl KMK-Präsidentin Doris Ahnen glaubt, dass sich an der Reform nichts ändern wird, wie man beispielsweise hier nachlesen kann, ist sich Anne Frey aus Kirchzarten in einem Leserbrief an “Bild” sicher:

Wenn “Bild” sich entschließen könnte, einfach wieder zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, wäre die Reform endgültig gestorben.

Zum Weglaufen

In seiner “Bild”-Kolumne “Mein Tagebuch” erzählt Claus Jacobi ohne ersichtlichen Zusammenhang unter anderem folgende Anekdote:

Vorsicht

Ein Mann mit Koffer hastete durch Berlins Flughafen Tegel. “Wohin so eilig?”, fragte ein Freund. Der Mann setzte seinen Koffer ab und sagte: “Im NS-Reich wurde es verfolgt. Unter Adenauer war es verboten. Unter Kohl wurde es erlaubt. Jetzt werden sie als Pärchen in der Kirche gesegnet.” Er nahm den Koffer wieder: “Ich will weg sein, bevor es Pflicht wird.”

Die Anekdote handelt offensichtlich von Homosexualität. Im Dritten Reich wurden rund 100.000 Menschen wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt und gefoltert, zwei Drittel davon ermordet. Viele weitere wurden zwangskastriert. Bis 1969 stellten die Paragraphen 175 und 175a homosexuelle Handlungen unter Strafe und trieben viele Schwule in die Isolation oder den Selbstmord. Erst 1994 wurde das Sonderstrafrecht für Homosexuelle abgeschafft.

Und Claus Jacobi erzählt einen Witz darüber, dass die Situation nicht 1933, nicht 1945, nicht 1954, nicht 1969 zum Weglaufen war, sondern heute, wo Schwule und Lesben viele Rechte haben und sichtbar in verantwortlichen Positionen sind. Was will er uns damit sagen?