Archiv für Juli 27th, 2004

Fernsehen wird durch “Bild” erst schön

Das Schöne an einer Zeitung, die Dinge früher weiß als andere, ist ja, dass man seltener böse Überraschungen erlebt im Leben.

“Bild” wusste schon am Donnerstag, dass Pro Sieben “Die Alm” verlängert: Senderchef Jocic “verriet” der Zeitung: “Weil der Erfolg so groß ist und so viele Zuschauer bei uns angerufen haben, hängen wir noch eine Woche dran.

Bis ins “Bild”-Fernsehprogramm vom Montag hatte sich das allerdings noch nicht herumgesprochen.

In einem Aufwasch

Lustig, dass FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt die Falle nicht gesehen hat, die “Bild” aufgestellt hatte. Die Zeitung hatte berichtet, dass die zwei Gehalts-Nullrunden des Bundes-Kabinetts durch einen Automatismus im Gesetz bei der nächsten Erhöhung 2005 ausgeglichen werden könnten. Nach einer kurzen Empörungswelle verkündete sie jetzt den Sieg: “Bild stoppt Gehaltserhöung für Politiker”.

All das bezieht sich zwar auf Minister und nicht den normalen Bundestagsabgeordneten, wie “Bild” auch im Text andeutete. Aber an entscheidender Stelle groß in den Schlagzeilen schrieb sie nicht “Minister”, sondern immer “Politiker”, was nicht nur dramatischer klang, sondern die nächste Erregungswelle vorbereitete. Als Gerhardt in einer “Sabine Christiansen”-Sendung über Managergehälter die Diäten von Abgeordneten verteidigte, schnappte die Falle zu: Mit der Schlagzeile “Dieser Politiker fühlt sich unterbezahlt” findet er sich nun im Ministergehälter-Kontext im Blatt. Damit hat sich vermutlich jeder Gedanke an die geplante Diätenerhöhung erledigt.

Hatte Gerhardt eigentlich wirklich unterbezahlt gesagt? “Bild” zitiert ihn mit den Worten, die Diäten seien “eher bescheiden” und “nicht überhöht”. Das ist ja fast das Gleiche. So wie Abgeordneten-Diäten und Kabinetts-Gehälter.

Unbequeme Wahrheit

Katja Burkard ist die Freundin von Hans Mahr. In der “Bild am Sonntag” stand deswegen kürzlich die “ganz besonders heiß diskutierte Frage”:

“Fliegt die lispelnde ‘Punkt-12’-Moderatorin Katja Burkard?”

Zwei Tage später nun macht “Bild” Frau Burkard zum “Gewinner” des Tages. Schließlich sei Burkards Sendung “doppelt so erfolgreich wie das zweiterfolgreichste ‘Mittagsmagazin’ von ARD und ZDF”. Und um die Sache (Marktanteil: “26,6 % bei Zuschauern ab 3 Jahre” usw.) anschaulicher zu machen, schreibt “Bild” dazu:

Fast jeder dritte Deutsche schaltet um 12 Uhr ein, wenn Katja Burkard (39) die RTL-Nachrichtensendung ‘Punkt 12’ moderiert.”

Das klingt gut, stimmt aber nicht: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben in Deutschland rund 82 Millionen Menschen. Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) leben zirka 90 Prozent davon in einem sog. Fernsehhaushalt. Darüber hinaus sieht, so die GfK, mittags um 12 bloß jeder Zehnte fern – und, ja, so ziemlich jeder Dritte dieser 10 Prozent schaut sich dann Katja Burkard an. 2,02 Millionen sind das insgesamt. Kurzum: Unter Zuhilfenahme eines Taschenrechners (und unter grundloser Vernachlässigung der über sieben Millionen in Deutschland lebenden Ausländer) könnte es halbwegs folgerichtig heißen:

Fast jeder fünfunddreißigste Deutsche schaltet um 12 Uhr ein, wenn Katja Burkard (39) …” usw. usf.

Wobei: Klingt sowas überhaupt noch nach “Gewinner”? Egal, denn ganz zum Schluss kann man der “Bild” dann doch noch zustimmen – dann nämlich, wenn sie direkt neben die “Gewinner”-Meldung schreibt: “Man muss auch unbequeme Wahrheiten ertragen.”