Autoren-Archiv

Die Axe des Blöden

Um die Pointe gleich vorwegzunehmen: Die Quelle für die Geschichte, die seit ein paar Tagen um die Welt geht und natürlich auch von deutschen Boulevardzeitungen begeistert aufgenommen wurde, ist eine Seite namens “Faking News”. “Fake” ist englisch und heißt soviel wie “Fälschung”. Und für alle, die zweifeln, ob den Meldungen einer Seite, die schon in ihrem Titel darauf hinweist, dass ihre Nachrichten nur erfunden sind, nicht vielleicht doch zu trauen ist, steht unten auf der Seite noch der Hinweis, dass die Artikel nur fiktiv sind und Leser die “Nachrichten” nicht mit richtigen Nachrichten verwechseln sollten.

Es hat alles nichts geholfen. Die erfundene “Faking News”-Geschichte über den Mann, der die Hersteller von “Axe” verklagte, weil er trotz reichlichen Gebrauchs des Deos keine Frau zu sich niederduften konnte und sich der in der Werbung beschworene “Axe-Effekt” partout nicht einstellen wollte, ging um die Welt.

“Faking News” berichtete, dass der 26-jährige Vaibhav Bedi mit all seinen gebrauchten, ungebrauchten und halb gebrauchten Sprays, Sticks und Rollern, After Shaves, Shampoos und Geltuben ins Gericht getapert sei und von dem Anwalt, der ihn nun vertritt, zuerst für einen Deoverkäufer gehalten wurde. “Faking News” meldete, dass Vaibhav Bedi beteuere, alle Anweisungen auf den Packungen genau befolgt und zum Beispiel mit einem Lineal sichergestellt zu haben, dass der Abstand zwischen Spraydose und Achsel nie weniger als 15 Zentimeter betragen habe. “Faking News” schrieb, dass ein bekannter Anwalt es für riskant halte, wenn Unilever, die Firma hinter der Marke “Axe”, Bedis Misserfolg bei Frauen vor Gericht mit seiner hoffnungslosen Unattraktivität und Dummheit zu erklären versuche, weil gerade die tollsten Frauen oft die grässlichsten Männer heirateten. Und “Faking News” schilderte, dass Bedis versucht habe, die Putzfrau nach Auftrag aller “Axe”-Produkte mit seiner Nacktheit zu beeindrucken, woraufhin sie ihn mit dem Besen attackiert habe.

Nichts davon konnte Journalisten in aller Welt abhalten, diese Geschichte zu glauben und weiter zu verbreiten.

Am vergangenen Sonntag berichteten “Bild am Sonntag”, der “Berliner Kurier” und die “Hamburger Morgenpost”, Vaibhav Bedi habe Unilever wegen irreführender “Axe”-Werbung auf 30 000 Euro Schadensersatz verklagt. Auch Medien wie “dnews”, “Die Krone” und “Österreich” glaubten den Witz. Unter dem entsprechenden Artikel der Online-Ausgabe der “Hamburger Morgenpost”, die sogar mit einem Foto des fiktiven Klägers beeindruckt, stehen schon seit Stunden Leserkommentare, die darauf hinweisen, dass es sich um ein Fake handelt — aber Leser sind bekanntlich keine Journalisten, können also nicht recherchieren und sind insofern natürlich unglaubwürdig.

“Faking News” hat am Montag nun noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man eine Satireseite sei und die Meldung nur erfunden habe. Die Online-Ausgabe des “Express” hat ihre Meldung — natürlich ohne Erklärung oder Berichtigung — gelöscht.

Im Artikel der “Hamburger Morgenpost” findet sich übrigens der schöne Satz:

Anscheinend haben manche Menschen einen unerschütterlichen Glauben an Werbebotschaften.

Ja, das auch.

Mit Dank an Rouven R.!

Nachtrag, 3. November. Die “Hamburger Morgenpost” hat den Artikel online gelöscht. Das Foto von dem fiktiven Kläger, mit dem die “Morgenpost” die Geschichte illustrierte, stammt aus Facebook.

“taz” mahnt Diekmann wegen Penissache ab

Das mit dem Recht ist eine seltsame Sache: Es gilt für alle.

Wenn ein Mann vor Gericht zieht und einer Zeitung verbieten lässt, eine lustige erfundene Geschichte über, sagen wir: eine missglückte Penisverlängerungsoperation in einer Spezialklinik in Miami zu veröffentlichen, weil sie seine “Intimsphäre” und “Ehre” verletze, dann darf er diese Geschichte auch selbst nicht verbreiten.

Aus dem Urteil des Landgerichts Berlin von 2002:

“In der Bild-Zeitung werden – wie der Kammer aus ihrer täglichen Arbeit bekannt ist – häufig persönlichkeitsrechtsverletzende Beiträge veröffentlicht. Oftmals verletzen die Beiträge sogar die Intimsphäre der Betroffenen. (…) Als Chefredakteur hätte [Diekmann] ohne weiteres die Möglichkeit, diese Rechtsverletzungen zu unterbinden (…). In manchen Fällen wird der Kläger sogar Initiator der Rechtsverletzungen sein. Die Kammer hält dafür, dass derjenige, der – wie der Kläger – bewusst seinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung anderer sucht, weniger schwer durch die Verletzung seines eigenen Persönlichkeitsrechtes belastet wird. Denn er hat sich mit Wissen und Wollen in das Geschäft der Persönlichkeitsrechtsverletzungen begeben (…).”

Seit 2002 droht der “taz” eine hohe Geldstrafe, wenn sie den Artikel “Sex-Schock! Penis kaputt?” von Gerhard Henschel verbreitet. “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der damals den Humor noch nicht als Waffe für sich entdeckt hatte, hatte gegen die Satire geklagt. Seine Forderung nach 30.000 Schmerzensgeld lehnte das Landgericht Berlin damals zwar mit einer inzwischen legendären Begründung ab, die heute noch so aktuell ist wie damals, weshalb wir sie gerne hier rechts wieder zitieren. Aber das Gericht verbot den Artikel.

Im Blograusch machte Diekmann das Stück, das er erfolgreich weggeklagt hatte, nun selbst wieder öffentlich: In dem unter seinem Namen geführten Blog der Axel-Springer-AG veröffentlichte er den Artikel ungekürzt und lesbar im Original-Layout.

Johannes Eisenberg, damals und heute Anwalt der “taz”, hat Diekmann und Axel Springer deshalb abgemahnt. Er fordert von Diekmann eine Erklärung, dass er aus den Rechten aus dem damaligen Urteil “keine Ansprüche mehr gegen die taz ableiten und auf das dort ausgesprochene Unterlassungsgebot verzichten und Einwände gegen die künftige Verbreitung dieses Textes durch die Mandantin nicht mehr erheben” werde.

Mit der ungenehmigten Veröffentlichung des “taz”-Artikels scheint Diekmann aber auch wieder einmal gegen das Urheberrecht zu verstoßen — entsprechende Schritte im Namen seiner Mandanten behält Eisenberg sich ausdrücklich vor und fügt hinzu:

Ihr Verhalten zeigt, in welch unerhörtem Maße Sie Rechte Dritter verletzen.

Gegenüber dem Mediendienst turi2 hatte Diekmann am Montag erklärt, Hausjuristen dürften vor der Veröffentlichung keinen Blick auf seine Einträge werfen. Inwiefern das einen Vorteil darstellt, ist nicht ganz klar.

PS: Diekmann sagte zum Start seines Blogs, er habe “viel vom Bildblog gelernt”. Den Eindruck haben wir nicht.

Mit Dank an den “Blogwart” der taz!

Nachtrag, 29. Oktober. Kai Diekmann nennt Eisenberg eine “Spaßbremse” und sein Vorgehen “originell”; die “taz” wiederum verweist auf die “rechtlichen Tatsachen”: “Und die gebieten nun einmal, dass man sich als Autor nicht ungefragt mit fremden Federn schmückt — schon gar nicht, wenn man ihrem Urheber diesen Schmuck zuvor verbieten ließ…”

Anfängerfehler

Kai Diekmann ist seit heute “Bild”-Blogger.

Unter kai-diekmann.de zeigt der Chefredakteur lustige Videos, gibt Einblicke in sein Leben, zitiert Kritiker, verlinkt auf BILDblog, brüstet sich zum ungefähr einundvierzigtausendachthundertachtundneunzigsten Mal damit, der “taz” die höchste Auflage ihrer Geschichte beschert zu haben (Einzelverkauf: 41.898), veröffentlicht ein Gerichtsprotokoll über seinen Intimfeind, den Berliner Rechtsanwalt Jony Eisenberg, sowie einen unfassbar dämlichen Brief der RTL-Moderatorin Inka Bause, in dem sie sich bei ihm entschuldigt, dass sie sich beim Presserat über “Bild” beschwert hat. Diekmann (oder sein Ghostwriter) tritt dabei so grandios großkotzig auf, dass es schon wieder bescheiden wirkt, und erweckt geschickt den Eindruck, er sei vielfacher Landesmeister in den Disziplinien Selbstkritik und Selbstironie.

Das ist gelegentlich unterhaltsam, aber natürlich: Quark.

Da ist zum Beispiel die berühmte Bolzenschneider-Geschichte aus dem Januar 2001. Kai Diekmann war erst vier Wochen zuvor Chefredakteur geworden, als “Bild” ein Foto des Grünen-Politikers Jürgen Trittin veröffentlichte, das auf einer Demonstration in Göttingen 1994 entstanden war und ihn laut “Bild”-Beschriftung inmitten von Bolzenschneider und Schlagstock zeigte.

In Wahrheit handelte es sich, wie die Zeitung zwei Tage später einräumen musste, bei den vermeintlichen Waffen bloß um ein Seil und einen Handschuh, Diekmann musste sich entschuldigen, und “Bild” wurde vom Presserat gerügt.

Obwohl die Geschichte so peinlich ist, erzählt Diekmann sie immer wieder gern, und zwar ungefähr so, wie auch jetzt in seinem ersten Blogeintrag:

An einem Sonntag Ende Januar 2001 waren wir im Vorabexemplar des “Focus” auf ein altes Foto von Jürgen Trittin gestoßen. (…) Die Originalbilder [von der Demonstration] stammten aus dem Fernsehen. Wir konnten sie nicht besorgen, deshalb scannten wir das Foto aus der Zeitschrift ab und druckten es aus. Die Redaktion arbeitete also mit Kopien von Kopien — in entsprechender Qualität. (…)

Jemand hatte die Gegenstände auf den schlechten Fotos als Schlagstock und Bolzenschneider “erkannt” und das mit Fragezeichen auf einem Ausdruck vermerkt. Auf dem Weg durch die Redaktionsinstanzen ging das Fragezeichen irgendwo verschütt — und plötzlich stand die Vermutung als angebliche Tatsache im Blatt. (…)

Mir blieb nur, mich sofort bei [Trittin] zu entschuldigen — was er mir allerdings nicht sehr leicht machte. Er ließ mich drei Tage warten, bevor er meinen Anruf entgegennahm…

PS: Enttäuscht hat mich bei dieser Geschichte vor allem eines: Dass einige Kollegen mir tatsächlich eine Kampagne unterstellten. Liebe Leute — glaubt ihr ernsthaft, ich würde solche Anfängerfehler machen?!

Da möchte man Diekmann natürlich sofort gratulieren, dass er so offen mit seinen Fehlern (oder jedenfalls einem davon) umgeht und die unangenehme Wahrheit scheinbar nicht verschweigt. Doch was Diekmann erzählt, ist höchstens die Hälfte der Geschichte.

Hinzuzufügen wäre zum Beispiel noch, wie die Menschen damals auf den für Diekman so “enttäuschenden” Gedanken gekommen waren, er führe eine Kampagne gegen die rot-grüne Regierung im Allgemeinen und den Umweltminister im Besonderen. Am 23. Januar 2001, nur sechs Tage vor der “Bolzenschneider”-Sache, hatte “Bild” Trittin zum Beispiel mit dem 1977 veröffentlichten “Mescalero-Nachruf” in Verbindung gebracht, in dem “klammheimliche Freude” über die Ermordung von Siegfried Buback geäußert wurde, und geschrieben:

“Trittin gehörte damals zur linken Szene der Universitätsstadt, saß in der Studentenvertretung AStA, deren Zeitschrift den ‘Nachruf’ veröffentlichte.”

Trittin aber war damals nicht Mitglied des Göttinger AStA und hatte mit der Publikation und dem Brief nichts zu tun. Auch für diese falsche Behauptung wurde “Bild” später vom Presserat gerügt.

Auch die bewegende Schilderung, wie der entschuldigungswillige “Bild”-Chef tagelang von Trittin hingehalten wurde, erscheint in einem anderen Licht, wenn man eine andere Version der Abläufe kennt, wie sie die “Berliner Zeitung” damals veröffentlichte:

Am Dienstagmorgen [dem Tag nach der “Bolzenschneider”-Veröffentlichung] rief Jürgen Trittin den “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann persönlich an. Um sich zu beschweren. Diekmann, so stellt es Trittins Sprecher dar, habe zunächst mit Gegenfragen geantwortet. “Warum waren Sie denn überhaupt auf der Demonstration?” Trittin sagte, das beantworte er gerne, aber zunächst wolle er über das Bild reden. Das Gespräch sei von Diekmann mit der Bemerkung beendet worden: “Wenn da etwas falsch ist, werden wir es richtig stellen.” Trittin habe gesagt, dass er darum dann auch sehr bitte.

Und es gibt noch ein Detail, das in Diekmanns Schilderung des damaligen “handwerklichen Fehlers” regelmäßig fehlt: Das Foto in “Bild” unterschied sich nicht nur durch die schlechtere Qualität von dem Foto im “Focus”. Dass das Seil wie ein Schlagstock wirken konnte, lag auch daran, dass das Foto an den Rändern beschnitten wurde. Das “Bild”-Foto war nicht nur eine schlechte Kopie, sondern auch ein kleinerer Ausschnitt aus dem “Focus”-Abdruck des Sat.1-Originals.

Und jetzt kommt das Erstaunliche: Kai Diekmann hat das geleugnet. Im Jahr 2005 forderte er von der “Zeit” eine Gegendarstellung, in der es heißen sollte, “Bild” habe “niemals ein Foto so beschnitten”, dass ein Seil als Schlagstock angesehen werden konnte: Der Fehler von “Bild” habe darauf beruht, “dass allein aufgrund der schlechten Bildqualität eine verfälschende Bildunterschrift zugeordnet wurde”.

Diekmann ging vorübergehend sogar so weit, gegenüber der Pressekammer des Landgerichts Hamburg im August 2005 in einer eidesstattlichen Versicherung über das beschnittene Foto zu behaupten:

“Das Foto (…) ist in keiner Weise ‘beschnitten’ worden.”

Komisch. Die wirklich lustigen Sachen stehen gar nicht in Diekmanns neuem Spaßblog.

PS: Anders als “Kai Diekmann” behauptet (und “Welt Online” unbesehen glaubt, siehe links) ist das hier gezeigte Motiv nicht auf BILDblog zu finden. Diese “Schmähung” stammt nicht von uns, sondern vom Pantoffelpunk.

Nachtrag, 17.20 Uhr. Ist korrigiert.

Bild  

Alles falsch

Als “in so gut wie allen Punkten falsch und frei erfunden” bezeichnet Matthias Arends, der Sprecher der Polizeidirektion Kiel, einen “Bild”-Bericht über ein tödliches Familiendrama, das sich in dieser Woche in Tangstedt bei Hamburg ereignet hat.

“Bild” berichtet:

Polizisten richten ihre Waffen auf einen Passat Kombi. Darin sitzt ein Mann, der gerade seine Frau (40) umgebracht hat.

Die Polizei widerspricht: “Gerade” höchstens im Sinne von “mehrere Stunden zuvor”.

Doch bevor ihn die Polizei stellen kann, richtet er sich selbst.

Die Polizei widerspricht: Der Mann war beim Eintreffen der Kollegen bereits mehrere Stunden tot.

In seinem Auto schluckt er tödliches Gift.

Die Polizei widerspricht: Der Mann sei an einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung gestorben.

Kurz nach 9.40 Uhr geht bei der Polizei ein Notruf ein. Eine junge Frau stammelt mit aufgeregter Stimme: Kommen Sie schnell. Meiner Mutter ist was Schlimmes passiert!

Die Polizei widerspricht: Der Notruf sei völlig anders über die Bühne gegangen.

Bettina K. (40) liegt in einer riesigen Blutlache, erschlagen vom eigenen Ehemann.

Die Polizei widerspricht: Am Tatort habe es kaum Blut gegeben.

Vermutlich gibt der Mann dort den drei Dobermännern mit Gift getränktes Futter. Sie sterben auf dem Rasen.

Die Polizei widerspricht: Die Dobermänner seien im Auto gewesen und ebenfalls an einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung gestorben.

Dann setzt sich Christian K. auf den Fahrersitz, schluckt offenbar selbst eine Gift-Kapsel. Als die Polizisten auf seinen Wagen zustürmen, lebt der Täter noch.

Die Polizei widerspricht: Von “Zustürmen” könne keine Rede sein. Im übrigen habe der Mann, wie gesagt, keine Gift-Kapsel geschluckt und nicht mehr gelebt.

Bild, Stern  etc.

Können Journalisten noch lesen & schreiben?

Die deutsche Ausgabe der Kulturzeitschrift “Lettre International” hatte in den vergangenen Wochen soviel Aufmerksamkeit wie selten — dank eines Interviews mit Thilo Sarrazin, das zum Skandal wurde. Viele Reaktionen der Medien auf die Veröffentlichung legen für Chefredakteur Frank Berberich den Schluss nahe: “Die Alphabetisierung von Journalisten nimmt rapide ab”.

In einem Interview mit dem Online-Medienmagazin “V.i.S.d.P.” klagt er über “Dilettantismus, politisch-korrekte Phrasen, Irreführung, große Parolen” und kritisiert die Verlogenheit von “Bild”:

Die Sensationalisierung und Skandalisierung wurde vor allem von Medien inszeniert, die damit Geld verdienen wollten. (…) BILD hat die Stadt tagelang mit Sarrazin-Titeln zugepflastert und das Thema dramatisiert und hochgeputscht. An einem Tag behauptete die Schlagzeile “Sarrazin beleidigt die Berliner” am anderen “die Türken”, und am dritten wurde gefragt: “Hat Sarrazin doch Recht?” (…)

BILD ONLINE hat das Interview eingescannt und ohne unsere Einwilligung komplett veröffentlicht und erst nach einer einstweiligen Verfügung wieder aus dem Netz genommen. (…)

Wenn BILD ein so großes Interesse am Thema hatte – warum war man nicht originell genug und hat es selbst bearbeitet? Die Möglichkeiten dazu hätte sie doch. Man muss Leuten wie Diekmann auch mal unter die Nase halten: Sie geben sich als Anstandsdamen, wenn es passt, und wenn nicht, gehen sie auf Beutezug in fremden Revieren. Abgesehen davon ist es eine groteske Heuchelei, Sarrazin Rassismus vorzuwerfen und diese üblen “Beleidigungen” gleichzeitig soweit wie möglich zu verbreiten, indem man sie unter Verletzung des Urheberrechts auf die eigene Homepage stellt, um deren “traffic” zu erhöhen.

So wird auch Ihr Ferrari noch edler!

Der Presserat hat also einen Leitfaden veröffentlicht, der anhand konkreter Beispiele anschaulich macht, was Schleichwerbung ist. Leider beschränkt er sich ausschließlich auf gedruckte Medien.

Doch die Leute von Bild.de waren so aufmerksam, in ihrem Angebot ein aktuelles Musterbeispiel für die unzulässige Vermischung von redaktionellen und werblichen Inhalten in Online nachzuliefern: eine 20-teilige Bildergalerie, die zunächst mit Fotos von “Starkickern und ihren Autos” beginnt, um dann unvermittelt…

Aber sehen Sie selbst:





Mit Dank an Angus S.

Bild  

Einmal “Kinderschänder” und zurück

Sitzen Sie?

Halten Sie sich fest: “Bild” hat sich nach einer Presserats-Beschwerde von uns bei seinem Opfer entschuldigt und öffentlich zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben. Und wir hatten gedacht, dass “Bild” uns nach fünfeinhalb Jahren BILDblog nicht mehr schocken könnte.

Es geht um den Fall eines Mannes, den “Bild”-Leipzig im Dezember 2008 kurzerhand zum “Kinderschänder” erklärte. “Wie die Thea (14) aus Leipzig einen Sexstrolch fing” stand über dem Artikel. “Die Thea” war groß abgebildet, der “Sexstrolch” nur notdürftig unkenntlich gemacht. “Bild”-Redakteurin Angela Wittig stellte die Vorwürfe des Mädchens als erwiesen und den Verdächtigten als überführt dar.

Als sich im Prozess herausstellte, dass es Grund gibt, an den Aussagen des vermeintlichen Opfers und weiterer Belastungzeugen zu zweifeln, stand nichts davon in “Bild”. Das Amtsgericht Leipzig schätzte “die Thea” in seinem Urteil schließlich als “völlig unglaubwürdig” ein und sprach den Angeklagten von “allen Vorwürfen” des sexuellen Missbrauchs frei. “Bild” berichtete — nicht.

Am 3. Februar 2009 stellten wir den Fall ausführlich in BILDblog dar.

Im Mai 2009 beschwerten wir uns beim Presserat und baten ihn, “Bild” wegen Verstoßes gegen die Ziffer 13 zu rügen. Richtlinie 13.1 verbietet eine “Vorverurteilung” von Angeklagten; Richtlinie 13.2 stellt fest: “Hat die Presse über eine noch nicht rechtskräftige Verurteilung eines Betroffenen berichtet, soll sie auch über einen rechtskräftig abschließenden Freispruch (…) berichten (…).”

Der Presserat nahm die Sache an und leitete sie, wie üblich, mit der Bitte um eine Stellungnahme an “Bild” weiter. Daraufhin passierte das Unvorstellbare: Die Rechtsabteilung von Springer machte die Redaktion auf das “Problem” des von uns monierten Beitrags aufmerksam. Die habe sich daraufhin umgehend mit dem Betroffenen in Verbindung gesetzt und sich schriftlich für für die Berichterstattung und alle ihm daraus entstandenen Unannehmlichkeiten entschuldigt.

Diese Entschuldigung machte “Bild” auch öffentlich — in Rahmen eines großen Artikels, der am 15. August 2009 in “Bild”-Leipzig erschien und mit Einwilligung und Unterstützung des zu Unrecht Beschuldigten entstanden sein soll:

Der Albtraum meines Lebens

Eine Mädchen-Clique zeigte Frank M[…] (47) als Kinderschänder an. Zwei Jahre lang kämpfte er um seine Ehre. Dann sprach ihn das Gericht endlich frei

Von TH. LIEBENBERG

Leipzig – Am Donnerstag wurde in Eilenburg die vergewaltigte und getötete Corinna (9) zu Grabe getragen. Kommenden Montag beginnt am Leipziger Landgericht der Prozess gegen den Mörder der kleinen Michelle (8); und erst vor einer Woche machte ein Kinderschänder bundesweit Schlagzeilen, der kleine Jungs in seine Wohnung lockte, missbrauchte und widerliche Kinderpornos ins Internet stellte.

Nachrichten, die wütend machen. Frank M[…] (47) kennt diese Wut besser als viele andere. Er hat sie selbst zu spüren bekommen, über zwei Jahre lang. Der 1-Euro-Jobber aus Gohlis wurde von einer Mädchen-Clique denunziert, von der Polizei abgeholt, schließlich vor Gericht gestellt.

“Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Kindern”, stand in der Anklage, “Mädchen überführte Fummler”, schrieb BILD. Zu Unrecht.

AM ENDE WURDE ER FREIGESPROCHEN. UNSCHULDIG IN ALLEN ANKLAGEPUNKTEN.

“Bild” schilderte, wie sich das Leben des Mannes durch die falschen Anschuldigungen der Mädchen verändert hatte, und ließ ihn ausführlich zu Wort kommen. Der Artikel endete so:

Im Dezember 2008 begann endlich der Prozess. im Januar 2009 fiel das Urteil. “Am Morgen meines Geburtstags erfuhr ich, dass ich freigesprochen wurde”, sagt Frank M[…].

Er hat seinen Sieg ganz allein gefeiert. Mit einer Flasche Pfefferminzlikör.

Warum die “Bild”-Zeitung nach diesem Freispruch noch über acht Monate brauchte, um ihre falsche und vorverurteilende Darstellung zu korrigieren, erklärte sie ihren Lesern nicht. Und angesichts der großen Zahl von BILDblog-Lesern in der “Bild”-Redaktion und bei Springer ist die Frage unbeantwortet, warum “Bild” — wenn es sich bei der öffentlichen Vernichtung des Mannes nur um ein Versehen handelte — sich nicht spätestens nach unserem Eintrag im Februar daran machte, seinen Ruf wieder herzustellen.

Aber immerhin hat sie es nach der Intervention des Presserates getan, und insofern ist auch dessen Entscheidung nachvollziehbar, unsere Beschwerde zwar für “begründet” zu halten, aber aufgrund der Reaktion von einer Maßnahme gegen “Bild” abzusehen.

Bild  

Eislinger Mordprozess: Träumen vom Pool

Das Interesse der Medien ist riesig, aber die meisten müssen draußen bleiben. Das Ulmer Landgericht hat nur neun Journalisten erlaubt, im Gerichtssaal dabei zu sein, wenn in diesen Tagen der Vierfachmord von Eislingen verhandelt wird (Verfügung des Vorsitzenden als PDF). Die Entscheidung fiel per Losentscheid: Neben der örtlichen “Südwest-Presse” dürfen unter anderem “Spiegel”, “Stern”, RTL und dpa dabei sein. Einige der Ausgeschlossenen, die “Süddeutsche Zeitung” sowie die Nachrichtenagenturen AP und ddp, legten dagegen Verfassungsbeschwerde ein. Die wurde vom Bundesverfassungsgericht heute jedoch abgewiesen: Dadurch, dass die Presse zu einem eigentlich nicht-öffentlichen Prozess nur begrenzt zugelassen werde, sollten die Persönlichkeitsrechte der beiden 19-jährigen Angeklagten geschützt werden. Die Beschränkung habe erzieherische Gründe, diene aber auch der Wahrheitsfindung und sei zulässig.

Medien wie die “Süddeutsche” und die “Stuttgarter Zeitung” stützen sich in ihren Artikeln über das Geschehen im Gerichtssaal notgedrungen auf die Meldungen von dpa und machen das auch transparent. Für eine große deutsche Boulevardzeitung, die ebenfalls kein Losglück hatte, scheint diese Möglichkeit hingegen nicht ausreichend zu sein: Die “Bild”-Zeitung erwartet von den akkreditierten Pressevertretern, dass sie ihr zuarbeiten, und glaubt, dass die Kollegen dazu juristisch sogar verpflichtet seien.

Der Chefreporter von “Bild”-Stuttgart, Robin Mühlebach, forderte die Medien in einer E-Mail an Reporter und Chefredakteure am Dienstagabend auf, ihm “unverzüglich nach Beendigung der jeweiligen Verhandlung … sämtliche Information über den Verlauf des Verfahrens zur Verfügung zu stellen. Hierzu gehören natürlich auch Hintergrundinformationen sowie kleinere Details und Stimmungsbilder.” Dazu seien sie als “Poolmitglieder” verpflichtet.

Doch von einem sogenannten “Pool”, bei dem etwa nur ein Kamerateam zu einem Termin zugelassen wird und seine Aufnahmen allen anderen zur Verfügung stellen muss, ist in diesem Prozess gar nicht die Rede: Es ist bloß die Anzahl der Plätze für Journalisten beschränkt.

Ein Empfänger der Mail fühlt sich durch Mühlebachs Schreiben an eine “Nötigung” erinnert, ein anderer nennt sie “mehr als unverschämt”. Sehr groß scheint die Bereitschaft der akkreditierten Journalisten jedenfalls nicht zu sein, sich als Hilfs-“Bild”-Autoren zu betätigen.

Das “Bild”-Schreiben im Wortlaut:

Sehr geehrte […],

Durch die Mitteilung des Pressesprechers des Landgerichtes Ulm vom 6.10.2009 haben wir erfahren, dass Sie Mitglied des Pressepools sind, der vor Ort den Strafprozess gegen [falsch geschriebener Name eines Angeklagten] und [Name des anderen Angeklagten] verfolgt und hierüber berichtet. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes sind die Poolmitglieder — wenn es um Fotos oder Filmaufnahmen geht — verpflichtet, diejenigen Medienvertreter, die nicht im Saal anwesend sind, unverzüglich mit den entstandenen Aufnahmen zu versorgen. Nichts anderes gilt dann, wenn es — wie in diesem Fall — um die Weitergabe von Informationen über den Verlauf des Verfahrens geht.

Wir müssen Sie deshalb bitten, uns unverzüglich nach Beendigung der jeweiligen Verhandlung, uns sämtliche Information über den Verlauf des Verfahrens zur Verfügung zu stellen. Hierzu gehören natürlich auch Hintergrundinformationen sowie kleinere Details und Stimmungsbilder. Da wir um 18 Uhr Redaktionsschluss haben, wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns die Informationen bis 16 Uhr zur Verfügung stellten.

Wir bedanken uns für Ihre kollegiale Unterstützung und verbleiben

Mit freundlichen Grüßen

Robin Franz Mühlebach

Chefreporter

BILD-Stuttgart

[…]

Eine Anfrage von BILDblog ließ Mühlebach unbeantwortet.

Castingshowskandale: Sex, Drugs & Interviews

Der Titel ist vielversprechend: “Sex, Drugs und Castingshows” haben Martin Kesici und Markus Grimm ihr Enthüllungsbuch genannt, in dem sie erzählen, was es bedeute, vom Fernsehen zum “Star” gemacht zu werden, und den Verantwortlichen Manipulationen und Verantwortungslosigkeit vorwerfen. Kesici hatte 2003 die Sat.1-Sendung “Star Search” gewonnen, Grimm wurde ein Jahr später bei “Popstars” auf Pro Sieben zum Mitglied der Gruppe Nu Pagadi gemacht.

Das Online-Jugendmagazin der “Süddeutschen Zeitung”, jetzt.de, hat ein Interview mit den beiden geführt, das aufgrund einer Kooperation auch auf “Spiegel Online” zu lesen ist. Die “Spiegel Online”-Version ist allerdings, wie es unter dem Text heißt, “(leicht gekürzt)”. Das stimmt tatsächlich: Es fehlen nur ein paar Sätze, und ein paar Wörter sind anders. Zum Vergleich:

jetzt.de “Spiegel Online”
Markus: Ich glaube nicht, dass den Zuschauern klar ist, wie sie manipuliert werden. Wie bei einem Kartenspielertrick lassen sie sich da hinlenken, wo die Produktionsfirma es will. Die Leute, die dem Sender gefallen, werden in’s rechte Licht gerückt, bekommen Homestorys. Statt die Musik sprechen zu lassen, zählt vor allem das Private. Bei uns hieß es eines Tages, wir dürften alle mit einem Psychologen sprechen. Als wir dann gegangen sind, hab’ ich das Türschild gesehen. Da stand “Heilpraktiker”. Markus: Ich glaube nicht, dass den Zuschauern klar ist, wie sie manipuliert werden. Wie bei einem Kartenspielertrick lassen sie sich da hinlenken, wo die Produktionsfirma es will. Die Leute, die dem Sender gefallen, werden ins rechte Licht gerückt, bekommen Homestorys. Statt die Musik sprechen zu lassen, zählt vor allem das Private.
jetzt.de: Glaubst du, er hat das, was ihr ihm im Vertrauen erzählt habt, weitergegeben?
Markus: Ich hab’ natürlich keine Beweise, aber wir sind danach auf Dinge angesprochen worden, die wir niemand anderem erzählt hatten.
Martin: Bei mir hat die Produktionsfirma offenbar gezielt Informationen an die BILD weitergegeben. Es war mir eh schon unangenehm genug, denen gegenüber zuzugeben, dass ich vorbestraft war. Kurz darauf hat mich dann ein Reporter angerufen und gesagt, wenn ich das Viertelfinale gewinne, würden sie alles bringen. Ich solle mich besser dazu äußern. Martin: Bei mir wurden offenbar gezielt Informationen an Medien weitergegeben. Es war mir eh schon unangenehm genug, denen gegenüber zuzugeben, dass ich vorbestraft war. Kurz darauf hat mich dann ein Reporter angerufen und gesagt, wenn ich das Viertelfinale gewinne, würden sie alles bringen. Ich solle mich besser dazu äußern.

“Spiegel Online” hat das Interview entschärft und die konkreten Vorwürfe gegen die Produktionsfirma (Grundy Light Entertainment) und die “Bild”-Zeitung entfernt. Grund dafür sind, wie Jochen Leffers, Ressortleiter des “UniSpiegel” auf Anfrage erklärt, juristische Bedenken der Rechtsabteilung des “Spiegels”. Kesici sagt zwar im Interview, ihm sei es inzwischen egal, wenn die Autoren “eine rechtliche Backpfeife” für ihre Darstellungen im Buch kriegen. Dem “Spiegel” war das allerdings nicht ganz so egal.

Und die deutsche Rechtsprechung kennt das Prinzip der Verbreiterhaftung: Das heißt, dass Grundy oder Springer im Zweifel nicht nur gegen Kesici und Grimm vorgehen könnten, sondern gegen jeden, der ihre Vorwürfe publiziert, ohne sich eindeutig davon zu distanzieren. Das gilt auch bei Interviews, wie ausgerechnet Helmut Markwort, der “Erste Journalist” der Verlagsgruppe Burda und “Focus”-Herausgeber, mit einer erfolgreichen Klage gegen die “Saarbrücker Zeitung” bewies.

Nach den Worten von Leffers lehrt die Erfahrung, dass das Risiko, dass Kläger gegen “Spiegel Online” vorgehen, “wegen der großen Reichweite deutlich größer” sei “als bei den meisten anderen Online-Medien”. Deshalb habe man sich in Absprache mit der eigenen Rechtsabteilung und der jetzt.de-Redaktion für die Änderungen entschieden — das hätte man auch getan, wenn es nicht konkret um die “Bild”-Zeitung gegangen wäre.

Und wir halten pflichtschuldig fest, dass wir nicht wissen, ob die Vorwürfe von Martin Kesici gegenüber der Produktionsfirma und der “Bild”-Zeitung stimmen, fügen aber hinzu, dass sich unsere Überraschung in Grenzen hielte, wenn es so wäre.

Übrigens erschien am 21. Juli 2003 folgender Artikel in der “Bild”-Zeitung:

Darf so einer Deutschlands neuer Superstar werden? Verurteilt wegen Drogen!

Von Dittmar Jurko

Berlin — Muss ein Superstar nicht auch ein Super-Vorbild sein?
Anlagen-Mechaniker Martin Kesici (30) rührte am Samstag alle in der SAT1-Talentshow “Star Search”, voller Hingabe sang er den Schmusesong “She’s like the wind”. Zuschauer und Jury gaben ihm Höchstnoten.

Wie BILD erfuhr, ging auch ein deutscher Richter bei ihm bis an die Obergrenze! 1998 wurde der Nachwuchssänger aus Berlin wegen Drogenbesitzes verurteilt! Ein Jahr Gefängnis, ausgesetzt auf zwei Jahre Haft auf Bewährung!

Martin Kesici zu BILD: “Ja, es stimmt. Ich bestellte damals oft per Telefon Haschisch bei einem Bekannten.” (…)

Mit Dank an Claus H.!

Blättern:  1 ... 20 21 22 ... 30