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Bild.de zeigt das blutüberströmte Gesicht eines getöteten 9-Jährigen

Inzwischen haben sie das Foto an der entsprechenden Stelle verpixelt. Aber am Samstag war auf der Startseite von Bild.de, an oberster Stelle, das blutüberströmte Gesicht eines zuvor getöteten 9-Jährigen zu sehen:

Screenshot Bild.de - H. tötete im Blutrausch zwei Menschen - Interview mit einem Kindermörder - Der Herne-Killer spricht zum ersten Mal über seine schickierenden Verbrechen

Alle Unkenntlichmachungen in diesem Screenshot stammen von uns: beim Namen des verurteilten Täters, bei dessen Alter, bei dessen Gesicht, bei dessen blutverschmierter Hand. Und auch die Verpixelung am linken Bildrand, wo sonst das Gesicht eines der Opfer, des bereits erwähnten 9-jährigen Kindes, zu erkennen wäre, ist von uns. Bei Bild.de war all das zu sehen. Nach Beschwerden hat die Redaktion zumindest das Gesicht des getöteten Kindes verpixelt.

Im Artikel schreibt “Bild”-Reporter Frank Schneider zu diesem Foto:

Die Morde von Herne schockierten auch deshalb, weil [H.] während und nach seinen Bluttaten Sprachnachrichten postete, sich in Chaträumen mit Fotos brüstete, die ihn an den Tatorten zeigten. Die blutgetränkten Hände, sein diabolisches Grinsen – ein einziger Albtraum.

Das, was der Mann im März 2017 noch selbst erledigen musste, übernahmen am Samstag Schneider und dessen “Bild”-Redaktion: Sie verbreiteten diesen “einzigen Albtraum”, sie zeigten einen Mörder in der von ihm gewählten triumphierenden Pose, sie halfen ihm dabei, sich viereinhalb Jahre später noch einmal mit der Tat zu brüsten.

Auch der Text bietet H. die große Bühne. “Aber wie begegnet man einem Menschen, den wohl kein Mensch je wieder sehen möchte?”, fragt sich “Bild”-Autor Schneider zu Beginn seines Artikels. Die Antwort der “Bild”-Medien lautet offenbar: Indem man diesem Menschen und seinen Gedanken, Rechfertigungen, abstrusen Aussagen möglichst viel Sichtbarkeit verschafft.

Der Doppelmörder bedauert sich selbst:

… schreibt Schneider zum Beispiel. Und lässt den Doppelmörder dann in einem Zitat sich selbst bedauern.

[H.] versucht zu dozieren, seine Sätze elegant zu formulieren – und bemerkt nicht, was für einen kranken Unsinn er redet.

… schreibt Schneider. Und zitiert H. im Anschluss mit krankem Unsinn.

Dann gibt er seinem Opfer eine Mitschuld:

… schreibt Schneider. Und lässt den Täter in einem Zitat dem 9-jährigen Opfer eine Mitschuld geben.

An einer anderen Stelle des langen Artikels darf H. damit angeben, dass er als Kampfsportler viele Messerstriche in einer Minute schaffe. “Offenbar registriert [H.] meine Fassungslosigkeit”, schreibt Frank Schneider dazu, was ihn aber nicht davon abhält, diese unsägliche Prahlerei zu verbreiten. Und so geht es bis zum Schluss weiter:

Die Gesprächszeit geht zu Ende, eine Botschaft will mir der Kindermörder noch mit auf den Weg geben:

… und natürlich verbreiten Schneider, Bild.de und Bild am Sonntag, wo der Artikel ebenfalls erschienen ist, auch noch diese letzte Botschaft.

Eigentlich, so scheint es, sind H. und dessen Opfer aber nur Mittel zum Zweck – für Werbung in eigener “Bild”-Sache. Über weite Strecken stehen gar nicht der “Herne-Killer” oder die zwei von ihm getöteten Menschen im Mittelpunkt, sondern der “Bild”-Reporter:

Es ist ein beklemmendes Gefühl, als ich entlang der hohen Mauer mit Überwachungskameras und Natodraht zum Gefängnis-Eingang gehe. Ein Kindermörder hat mich zum Gespräch gebeten.

… heißt es ganz am Anfang des Textes. Und weiter:

Gleich treffe ich also den Doppelmörder von Herne.

Ich war als Reporter dabei, als SEK-Polizisten den Killer tagelang im Ruhrgebiet jagten. Ich traf die Mütter der Opfer – und die fassungslose Mutter des Täters.

Ich betrete den modernen Gefängnis-Komplex durch eine Panzerglas-Tür, dann muss ich alles abgeben, nur Stift und Schreibblock darf ich behalten.

In einem Info-Kasten etwas weiter hinten im Artikel gibt es die Auflösung – es handelt sich um Reklame für den “Bild”-Fernsehsender:

Sehen Sie die Doku “Mein größter Fall”: “Die Bestie von Herne” am […] bei BILD im TV

Mit Dank an die Hinweisgeber!

Nachtrag, 28. Oktober: In der “Süddeutschen Zeitung” ist heute ein Interview mit dem neuen “Bild”-Chefredakteur Johannes Boie erschienen (online nur mit Abo lesbar). Darin geht es unter anderem auch um die Kritik, die wir in diesem Beitrag geäußert haben (auch wenn das BILDblog nicht explizit erwähnt wird). Auf die Frage …

In der Kritik steht Bild auch immer wieder wegen sensationslüsterner und grenzwertiger Berichterstattung, Rügen des Presserats werden nicht veröffentlicht. Erst diese Woche zeigte Bild das unverpixelte Bild eines ermordeten Neunjährigen. Bleibt das alles so?

… antwortet Boie:

Nein, das war ein schlimmer Fehler. Ich habe am selben Tag intern neue Regeln eingeführt, die die Berichterstattung bei schweren Kriminalfällen und Minderjährigen betrifft, unter anderem ein Sechs-Augen-Prinzip und eine technische Änderung in der Fotodatenbank. Der Fall zeigt allerdings zu einem kleinen bisschen auch, wie wir kritisiert werden: im Netz verbreiten unsere Kritiker nun die Grafik von Bild, auf der sie eine große Fläche gekennzeichnet haben. Da denkt jeder: Bild hat das Mordopfer groß und deutlich erkennbar gezeigt. Tatsächlich ging es um eine winzige schemenhafte Fläche im Hintergrund, die mit bloßem Auge kaum zu sehen war. Trotzdem war es ein schwerer Fehler, deshalb die klaren Maßnahmen.

Das klingt erstmal nicht schlecht.

Zwei Anmerkungen hätten wir allerdings zu Johannes Boies Aussage: Auch sein Vorgänger Julian Reichelt versprach in der Vergangenheit, “neue Kontrollmechanismen dazwischenschalten” zu wollen, nachdem “Bild” kräftig danebengelangt hatte. Man muss aus unserer Sicht also erstmal schauen, inwieweit Boies Maßnahmen wirklich etwas bringen. Und zu Boies Vorwurf der unfairen Kritik: Sowohl hier im Beitrag als auch bei Twitter schreiben wir, dass die von uns verpixelte Fläche nicht nur das 9-jährige Mordopfer verdeckt (dazu schreiben wir extra: “am linken Bildrand”), sondern auch das Gesicht des Täters und dessen blutverschmierte Hand.

Wer nichts zu verbergen hat

Es dürfte sich herumgesprochen haben: Julian Reichelt ist nicht mehr “Bild”-Chefredakteur. Und es dürfte sich auch herumgesprochen haben, warum: “Nach neuen Erkenntnissen” zum Machtmissbrauch durch Reichelt hat der Springer-Verlag ihn von seinen Aufgaben entbunden:

Die Axel Springer SE hat BILD-Chefredakteur Julian Reichelt mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat.

… steht in einer Pressemitteilung, die Springer gestern veröffentlicht hat. Es geht dabei um Affären, die Reichelt mit Mitarbeiterinnen hatte, darunter deutlich jüngere Berufsanfängerinnen. Eine Affäre soll es auch nach Abschluss des im Frühjahr durchgeführten Compliance-Verfahrens gegeben haben. Das ist offenbar die “neue Erkenntnis”, die zu Reichelts Aus geführt hat.

Die “Bild”-Redaktion wirbt mit Slogans wie “Wir zeigen, was ist” und “Wir zeigen die Wahrheit” für ihre eigene Arbeit. Wer sich bei seiner täglichen Informationsbeschaffung auf diese Versprechen verlässt und nur auf “Bild” und/oder Bild.de zurückgreift, hat von den Gründen für Julian Reichelts Ausscheiden keinen blassen Schimmer. Auch mehr als 24 Stunden nach Verkündung des Reichelt-Aus findet man weder in “Bild” noch bei Bild.de eine genaue Angabe dazu. Lediglich zwei wortgleiche Artikel sind erschienen, gestern Abend bei Bild.de und heute in der gedruckten “Bild”:

Ausriss Bild-Zeitung - Wechsel in der Bild-Chefredaktion - Axel Springer hat Julian Reichelt als Folge von Presserecherchen von seinen Aufgaben als Bild-Chefredakteur entbunden. Neuer Vorsitzender der Bild-Chefredaktion ist ab sofort Johannes Boie, bislang Chefredakteur der Welt am Sonntag. Axel Springer Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner Julian Reichelt hat Bild journalistisch hervorragend entwickelt und mit Bild live die Marke zukunftsfähig gemacht. Mit Johannes Boie haben wir einen erstklassigen Nachfolger. Er hat unter Beweis gestellt, dass er journalistische Exzellenz mit modernem Führungsverhalten verbindet. Alexandra Würzbach bleibt Chefredakteurin Bild am Sonntag. Claus Strunz ist als Chefredakteur für das Bewegtbildangebot von BILD verantwortlich.

Das ist alles. Es war sicherlich nicht damit zu rechnen, dass die “Bild”-Redaktion heute im Blatt eine Doppelseite mit einer gnadenlosen Abrechnung in eigener Sache bringt. Aber wirklich nicht mehr als ein vages “als Folge von Presserecherchen”?

Es gibt einen ulkig gemeinten “Bild”-Werbeclip, in dem Julian Reichelt eine Art Stromberg spielt. Er sagt darin in einer Redaktionskonferenz: “Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.” Großes Gelächter in der Runde. Besser wäre vielleicht: Wer nichts zu verbergen hat, sollte die eigene Leserschaft nicht dumm halten.

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“Bild” ist Aktuelle-Äpfel-alte-Birnen-Europameister

“Wir setzen uns für eine freie und soziale Marktwirtschaft ein”, lautet einer der fünf “Grundsätze und Werte” des Axel-Springer-Konzerns. Und auch die “Bild”-Redaktion vertritt in ihrer Berichterstattung überwiegend die Ansicht: Soll der Markt es regeln. Aber wenn es ums Autofahren geht oder genauer: um die Spritpreise, ja, dann

Screenshot Bild.de - Zwei-Euro-Marke teilweise schon geknackt - Wann kommt die Spritpreis-Bremse, Herr Scheuer? Wie der Verkehrsminister sein Versprechen halten will

Zum Zapfsäulen-Aktivismus der “Bild”-Redaktion passt auch diese exklusive “Bild”-Meldung von gestern:

Screenshot Bild.de - Auf diesen Titel hätten wir gerne verzichtet - Deutschland ist Spritpreis-Europameister

Keine Frage: Die Preise für Benzin und Diesel sind in letzter Zeit stark gestiegen. Das stellt viele Menschen, die aufs Autofahren angewiesen sind, vor größere finanzielle Herausforderungen. Aber dass die Spritpreise in Deutschland die höchsten in Europa sind, ist schlicht falsch.

Bei Bild.de steht dazu:

Die Preise an deutschen Tankstellen ziehen weiter an: Diesel und Super E10 erreichen 9-Jahre-Hochs, teilte der ADAC am Mittwoch mit. Und damit gewinnt Deutschland das, was Hansis Jungs zuletzt 1996 packten: Wir sind (Spritpreis-)Europameister! (…)

BILD macht den Check, wie es im europäischen Vergleich an den Zapfsäulen anderer Länder preislich derzeit aussieht.

Die erschütternde Bilanz vorab: Deutschland ist Spitzenreiter! Bei teuerstem Super UND Diesel. Dicht gefolgt von Norwegen.

Die “Bild”-Redaktion präsentiert in ihrem Artikel eine Tabelle mit den Super- und Dieselpreisen aus 15 verschiedenen Ländern: Deutschland, Norwegen, Italien, Dänemark, die Niederlande, Frankreich, Griechenland, Spanien, die Schweiz, Tschechien, Kroatien, Österreich, Polen, die Türkei und Bulgarien. Deutschland steht mit den höchsten Preisen ganz oben. Bild.de beruft sich dabei auf die Seite benzinpreis.de. Die schreibt über sich selbst:

benzinpreis.de ist ein Projekt, in dem Benzin- und Dieselpreise weltweit von Benutzern der Seite eingegeben und vom System statistisch aufbereitet werden.

Die Verlässlichkeit der Zahlen von benzinpreis.de hängt also davon ab, wie oft und wie genau die Nutzer dort Preise eintragen. Und das findet nicht so irre häufig statt: Der aktuellste Eintrag für Norwegen beispielsweise stammt sowohl bei Super als auch bei Diesel vom 20. April 2020. Aus den Niederlanden kam die letzte Super-Meldung am 3. August 2020 rein. Für Italien stammt der neueste Eintrag immerhin vom 15. September 2021 – ist damit aber auch schon einen Monat alt. Die Preise aus Kroatien stammen vom 22. Juni 2020. Die aus der Türkei vom 20. April 2020. Und so weiter. Die Preise für Deutschland stammen laut benzinpreis.de hingegen von der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe des Bundeskartellamts.

Die “Bild”-Redaktion vergleicht also aktuelle Zahlen aus Deutschland mit veralteten aus dem Ausland, teilweise von vor eineinhalb Jahren.

Schaut man sich hingegen aktuellere Zahlen an, beispielsweise auf der Seite GlobalPetrolPrices.com, die bei der Preisermittlung laut eigener Angabe auf mehrere voneinander unabhängige Quellen zurückgreift (PDF), sieht man, dass Deutschland bei weitem nicht “Spritpreis-Europameister” ist: Beim Superbenzin lagen am 11. Oktober die Niederlande, Norwegen, Dänemark, Griechenland und Italien mit höheren Preisen vor Deutschland. Nimmt man noch weitere europäische Staaten in den Vergleich mit auf, die, warum auch immer, in der “Bild”-Liste nicht auftauchen, liegen auch noch Schweden, Finnland, Island, Portugal und Monaco vor Deutschland. Beim Diesel waren die Preise in Schweden, Norwegen, Großbritannien, Island, Dänemark, Belgien, Monaco, Finnland, Kroatien, Italien, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz höher als in Deutschland.

Mit Dank an Marian und Theo für die Hinweise!

Nachtrag, 17. Oktober: Noch ein nachgereichter Gedanke: Was in dem (falschen) “Bild”-Ranking überhaupt keine Rolle spielt, ist die unterschiedliche Kaufkraft in den verschiedenen europäischen Ländern.

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Empörung über Aussagen, die “Bild” aus dem Zusammenhang reißt, ist am billigsten

In den vergangenen Tagen konnte man gut beobachten, wie die “Bild”-Redaktion manipuliert, um an eine Geschichte zu kommen, und wie sehr sie Aussagen aus dem Zusammenhang reißt und verdreht, um skandalisieren zu können.

Es sei ein “DREISTER SPARTIPP VON KATARINA BARLEY”, empörte sich “Bild” am Dienstag. Die Aussage der SPD-Politikerin in der Talkrunde “Hart aber fair” scheine “mehr als weltfremd”, es handele sich um einen “Arroganz-Anfall”:

Screenshot Bild.de - Hammerpreise fürs Heizen - Arroganz-Anfall von SPD-Politikerin Katarina Barley - Kilowattstunde, die ich nicht verbrauche, ist am billigsten

In dem Artikel schreibt das “Bild”-Trio Peter Tiede, Sebastian Ahlefeld und Lou Siebert:

Mit einer dreisten Äußerung überraschte SPD-Politikerin und EU-Vizepräsidentin Katarina Barley (52) bei “Hart aber fair” (ARD). Am Montagabend diskutierte sie mit zum Thema Inflation und Energiepreise.

Tanken, Heizen und Lebensmittel sind deutlich teurer geworden – das stieß auch einem Zuschauer übel auf. Barley hielt ihm einen dreisten Tipp entgegen: “Die Kilowattstunde, die ich nicht verbrauche, ist am billigsten.”

Was die Politikerin damit offenbar sagen wollte: Wir sind selbst schuld, wenn wir zu hohe Rechnungen bekommen! Einfach mal die Heizung abdrehen und Licht ausschalten, um unter dem Strich angeblich noch Geld zu sparen?

Oder zusammengefasst in der Artikel-Überschrift:

Screenshot Bild.de - Dreister Spartipp von Katarina Barley - Strom zu teuer? Einfach weniger Energie verbrauchen

So viel schon mal jetzt: Katarina Barley hat bei “Hart aber fair” nicht derartige Tipps gegeben.

Aber erstmal weiter mit der großen Empörung. Die “Bild”-Redaktion konnte auch einen Politiker einspannen:

Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei (48) zu BILD: “Die Menschen haben begründete Sorge vor steigenden Energiepreisen. Wer diese Sorgen mit einem Aufruf zu mehr Sparsamkeit beantwortet, behandelt die Menschen abfällig und verächtlich. Frau Barley scheint zu glauben, dass die Menschen aus dem Fenster heizen und noch beträchtliche Einsparmöglichkeiten hätten. Wer das annimmt, hat die Bodenhaftung verloren.”

Gestern legte “Bild” nach:

Ausriss Bild-Zeitung - So verhöhnt die Politik den einfachen Bürger

Nikolaus Harbusch, Hans-Jörg Vehlewald und Peter Tiede schrieben dazu:

Deutschland stöhnt unter dramatisch steigenden Strom-, Heiz- und Spritkosten! Rentner, Geringverdiener und Pendler wissen nicht, wie sie über den Winter oder zur Arbeit kommen sollen!

Und was sagt die einstige Arbeiterpartei SPD dazu?

Spitzengenossin Katarina Barley (52) glänzt im WDR-Talk “Hart aber fair” mit Luxus-Ratschlägen: “Die Kilowattstunde, die am billigsten ist, ist die, die man nicht verbraucht.” Wer sich “neue Fenster” einbaut oder “gedämmt hat”, der komme “voll in den Genuss” staatlicher Förderung und könne jubeln: “Hey, jede Stunde, die jetzt teurer ist, habe ich mehr gespart” (…)

Für die Bürger, die sich vor dem teuersten Winter seit Jahrzehnten sorgen, müssen solche Sprüche wie Hohn klingen. Sollen sie sich nach der Corona-Krise noch verschulden für Solartechnik, Heizungssanierung oder Wärmedämmung?

Auch wenn die bis hierher erschienenen Artikel zu dem Thema nicht gerade meinungsschwach waren, veröffentlichte “Bild” zusätzlich auch noch einen Kommentar zu Barleys “Hart-aber-fair”-Auftritt:

Screenshot Bild.de - Der blanke Hohn

Julius Böhm schrieb über die “hochnäsigen Sprüche” der SPD-Politikerin:

Geht’s noch abgehobener? (…)

“Die Kilowattstunde, die am billigsten ist, ist die, die man nicht verbraucht”, empfahl Katarina Barley. Ihre Spar-Tipps: neue Fenster, Wärmedämmung.

Natürlich sparen Modernisierungs-Maßnahmen langfristig Geld. Doch für Millionen Normalverdiener sind solche Tipps der blanke Hohn. Und Rentner kriegen für solche Investitionen ohnehin keinen Kredit von der Bank.

Für alle, die am Monatsende jeden Euro umdrehen müssen und kein Geld für Dämmung, eine neue Heizung oder stromsparende Elektrogeräte haben, heißt Barleys Spar-Tipp übersetzt: Dann heizt weniger und macht das Licht aus!

Und auch bei “Bild TV” regen sie sich über Katarina Barley auf. Moderator Kai Weise sagt mit Blick auf die derzeit steigenden Energiepreise:

Es gibt immer mehr, die sagen: “Ist doch gut so. Ist doch genau das, was wir wollten.” Und auch die SPD-Politikerin, frühere Justizministerin Katarina Barley, heute in Europa unterwegs, hat diesen Satz bei den Kollegen von “Hart aber fair”, bei Frank Plasberg gesagt.

Es folgt eine Szene aus der “Hart-aber-fair”-Sendung. Weise im Anschluss:

Also das ist die Haltung von vielen Politikern aktuell. Die sagen: “Genau das wollten wir doch. Und jetzt, wenn’s euer Problem ist, dass ihr es euch nicht leisten könnt, dann verbraucht doch einfach weniger.”

“Bild”-Parlamentsbüro-Leiter Ralf Schuler, der ebenfalls im “Bild-TV”-Studio steht, ergänzt:

Absolut. Und wenn’s kein Brot gibt, kann man Kuchen essen. Also, die Sozialdemokratie an der Seite zu haben, da hat man aber echt ein Pfund. Ich mein’, da spricht wirklich eine Blinde von der Farbe.

Soweit die große “Bild”-Aufregung. Zwei Dinge haben die Empörten gemeinsam: Sie sind ganz doll aufgebracht. Und sie haben sich die “Hart-aber-fair”-Folge, wenn überhaupt, nicht besonders aufmerksam angeschaut (oder noch schlimmer: Sie haben sie sich aufmerksam angeschaut und behaupten bewusst Falsches).

Für die Einordnung von Barleys Aussage zur Kilowattstunde, die am billigsten ist, ist der Kontext wichtig, den man in der “Bild”-Berichterstattung an keiner Stelle korrekt wiedergegeben findet: “Hart-aber-fair”-“Zuschaueranwältin” Brigitte Büscher liest gerade eine Reaktion eines Zuschauers vor (ab Minute 50:07):

Screenshot Hart aber fair

Das ist noch eine sehr spannende Geschichte von Joop van Zee. Er hat uns nämlich geschrieben: Er hat versucht, alles richtig zu machen. Er hat mehrere Beispiel genannt. Er hat gesagt, er hat ein Haus, da hat er eine neue Gasheizung eingebaut. Dann hat er mehrere hundert Euro sparen können und, bums, jetzt gehen die Preise hoch, und kommt für sich dann zu diesem Schluss. Er sagt: “Kostenexplosionen mit Einsparungen zu begegnen, ist so das dämlichste Argument, was ich kenne.”

Moderator Frank Plasberg übernimmt:

Haben Sie das eigentlich im Auge, Frau Barley oder Herr Ramsauer oder auch Frau Neubaur als aktive Politiker, dass man tatsächlich, wenn Menschen das begriffen haben und auch in die Energiewende wirklich investiert haben, jetzt gucken und sagen: “Schwupp, ist weg durch gestiegene Preise.” Was macht das mit der Bereitschaft für andere, denen dann auch zu folgen?

Erst antwortet CSU-Politiker Peter Ramsauer:

Es hätte deswegen auch “Schwupp” gemacht, ganz genauso hätte es “Schwupp” gemacht. (…) Deswegen, weil es “Schwupp” gemacht hat, kann es ja im Nachhinein nicht unbedingt falsch sein, dass zum Beispiel der Umstieg von alten Ölheizungen auf moderne Wärmepumpen-Anlagen massiv gefördert wird.

Anschließend rechnet der Finanzjournalist Hermann-Josef Tenhagen vor:

Ich hätte 1500 Euro bezahlen müssen, habe eine Energiesparmaßnahme gemacht, jetzt zahle ich nur 1000. Jetzt bezahle ich [durch die Preissteigerrungen] künftig vielleicht 1200. Wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre ich bei 1800 gewesen. Das ist eine Milchmädchenrechnung, wenn man sagt: “Das rechnet sich nicht.” Natürlich rechnet sich das.

Und dann klinkt sich Katarina Barley ein:

Ja, und man muss ja auch sagen: Die Kilowattstunde, die am billigsten ist, ist die, die man nicht verbraucht. Also wenn man zum Beispiel sich neue Fenster hat einbauen lassen. Oder gedämmt hat. Also …

Ramsauer grätscht rein:

Wird auch gefördert.

Wieder Barley:

… wird alles gefördert, genau. Also weniger verbraucht, dann kommt man voll in den Genuss, dann kann man sogar sagen: “Hey, jede Stunde, die jetzt teuerer ist, habe ich mehr gespart.” Klingt jetzt ein bisschen zynisch, ist nicht so gemeint. Aber Investitionen in Energieeinsparen, die sind immer richtig.

Katarina Barley reagiert also auf einen ganz konkreten Fall, in dem ein Mann sagt, dass seine bereits getätigten Energiesparmaßnahmen nichts brächten. Dem entgegenet Barley, dass es sehr wohl etwas gebracht habe, schließlich habe er dadurch Kilowattstunden eingespart, und die kosten nichts und sind dadurch am billigsten. Diese simple Erkenntnis ist eigentlich auch schon alles. Die SPD-Politikerin sagt nicht, dass all jene, denen das Heizen nun zu teuer ist, künftig einfach die Heizung runterdrehen oder groß investieren sollen (sie spricht ja offensichtlich von bereits erfolgten Energiesparmaßnahmen: “… neue Fenster hat einbauen lassen. Oder gedämmt hat.”). “Bild” gibt sie falsch wieder – sowohl im größeren Zusammenhang als auch im Kleinen bei einzelnen wörtlichen Zitaten.

Es gibt aber solche Tipps, die “Bild” Katarina Barley unterzuschieben versucht und die der Redaktion zufolge “weltfremd” und “DREIST” sind, “abgehoben” und “der blanke Hohn” für “Millionen Normalverdiener” – bei “Bild”. Am Dienstag, also am selben Tag wie der “Arroganz-Anfall”-Artikel, veröffentlichte Bild.de diesen Beitrag:

Screenshot Bild.de - Kälte-Knall schon im Oktober - So senken Sie ganz einfach Ihre Heizkosten

Darin steht:

Der Winter kommt – und die Energiekosten explodieren. Stefan Materne (44), Referent Versorgungstechnik von der Energieberatung des Verbraucherzentralen-Bundesverbandes gibt Tipps, wie man beim Heizen Geld sparen kann.

“Zu den größten Fehlern zählen zu hohe Temperaturen in den Innenräumen. Bei 24 Grad im Raum anstatt 20 Grad kommt es zu einem Mehrverbrauch von fast 25 Prozent Heizenergie”, erklärt der Experte.

Also: weniger heizen. Und:

Ein Problem gerade in älteren Häusern: schlechte Dämmung. “Dicke Vorhänge und Zugluftstopper vor Fenstern und Türen können den Kaltlufteinfall zwar nicht verhindern, aber mindern”, sagt Versorgungstechniker Materne. “Am besten hilft jedoch eine intakte Dichtung bei Fenster und Türen. Sind die Bauteile zu alt, sollte über einen Austausch nachgedacht werden. Dafür gibt es bei der KfW-Förderbank umfangreiche Förderungen.”

Also: kräftig investieren.

“Bild”-Poltiktchef Jan Schäfer spricht in diesem ganzen Zusammenhang von einer “großen Heuchelei, die wir da sehen”. Er meint damit allerdings nicht die Berichterstattung seiner eigenen Redaktion.

Mit Dank an Jonas L. für den Hinweis!

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Falscher “HEIZ-KOSTEN”-“WINTER-WAHNSINN” auf der Titelseite

Momentan wird viel über die steigenden Energiepreise gesprochen und berichtet. Das Heizen könnte in diesem Winter deutlich teurer werden als im vergangenen. Und dann kam gestern die “Bild”-Redaktion mit dieser Hammerzahl auf der Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Heiz-Kosten bis zu 650 Euro rauf! Was diesen Winter alles teurer wird und wie Sie trotzdem sparen können

Laut Bild.de herrscht bald der “WINTER-WAHNSINN”:

Screenshot Bild.de - Winter-Wahnsinn - Heiz-Kosten bis zu 650 Euro rauf

Nur leider stimmt das so nicht. Die Kostensteigerung von 650 Euro – oder genauer: 652 Euro – bezieht sich nicht auf die “HEIZ-KOSTEN” eines Musterhaushalts mit drei Personen, sondern auf dessen gesamte Energiekosten. Da gehören die Heizkosten dazu, aber nicht nur, sondern zum Beispiel auch die Kosten fürs Benzin für das Familienauto. Die “Bild”-Autoren Albert Link, Julian Röpcke und Hans-Jörg Vehlewald schreiben das selbst in ihrem Artikel:

Folge für die Verbraucher: Ein Durchschnittshaushalt zahlt (Preisstand August) in diesem Jahr 4063 Euro für Energie (Heizung, Strom, Sprit). 2020 waren es 3411 Euro. Mehrkosten: 652 Euro! Ein Anstieg um satte 19 Prozent, so die Tarifwächter von Verivox!

Auch in der Pressemitteilung des Unternehmens Verivox von Anfang September, auf die sich die “Bild”-Autoren beziehen, wird klar, dass es sich bei der Steigerung um 652 Euro um die allgemeinen Energiekosten handelt:

Die Energiekosten für einen Musterhaushalt lagen im August 2021 bei 4.063 Euro pro Jahr. Im August 2020 kostete die gleiche Menge Energie noch 3.411 Euro. Damit sind die Ausgaben für Energie innerhalb von zwölf Monaten um 19,1 Prozent gestiegen. Die Haushaltskasse eines Drei-Personen-Musterhaushalts wird mit 652 Euro zusätzlich belastet.

Es sind die zwei kraftvollsten Mittel, die der “Bild”-Redaktion zur Verfügung stehen, gesehen von Millionen Menschen: Ein Aufmacher auf der Titelseite der gedruckten “Bild”, eine Top-Story auf der Startseite von Bild.de. Da wäre es doch toll, wenn das, was dort zu lesen ist, auch stimmt.

Mit Dank an Jens für den Hinweis!

Nachtrag, 17:48 Uhr: Die “Bild”-Redaktion hat beim Onlineartikel die Überschrift geändert. Sie lautet nun:

Energie-Kosten bis zu 650 Euro rauf!

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Bild  

“Im Folgenden hören Sie einen Kommentar von Julian Reichelt”

Das war schon praktisch für die selbsternannten “Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes”, kurz: “Pegida”. Sie mussten bei ihren islamfeindlichen Veranstaltungen einfach nur ausgeschnittene Seiten aus der “Bild”-Zeitung aufhängen und konnten sich den Plakatdruck sparen:

Screenshot eines Tweets von Patrick Bahners - Plakatdruck gespart: Pegida München hängt die Bild-Zeitung aus.

Das ist schon praktisch für die selbsternannten “Querdenker”. Sie müssen bei ihren Demonstrationen gar nicht selbst Reden halten, sondern können einfach die “Bild-TV”-Kommentare von Chefredakteur Julian Reichelt abspielen.

Gestern gab es in Dresden einen kleinen “Querdenker”-Aufmarsch. Eine Szene wurde in einem kurzen Video festgehalten: Ein Redner erzählt erst einen, tja, Witz übers Impfen und sagt dann:

Im Folgenden hören Sie einen Kommentar von “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt vom 12.08.2021.

Und dann legt Reichelt los:

Der Staat hat kein Recht mehr, zu regulieren, wie wir leben.

Die Videoaufnahme ist dann leider schon zu Ende. Es klingt aber so, als werde der Reichelt-Kommentar von den “Querdenkern” noch weiter abgespielt – es ist zu hören, wie Reichelt zum nächsten Satz ansetzt. Offenbar handelt es sich dabei um die Tonspur eines Videos, das im “Bild”-Youtube-Kanal zu finden ist, ein Zusammenschnitt eines “Bild-live”-Auftritts von Reichelt und “Bild”-Meinungschef Filipp Piatov.

Julian Reichelt erzählt darin, dass man “uns” “zwingt und gängelt”, dass der Staat mit “uns” “wie mit Verfügungsmasse” umspringe, dass Angela Merkel “das große Projekt Impfen” vor allem für “ihre Rolle in den Geschichtsbüchern” angehe. Filipp Piatov behauptet, dass man “bei der Bundesregierung” den Eindruck habe, “man will gar nicht heraus” aus der Corona-Pandemie. Stattdessen erzähle die Regierung “Märchen”.

Zwischendruch blendet die “Bild”-Redaktion einen Bildtrenner ein: “Wir sagen, was Deutschland denkt”. Zumindest bezogen auf diese “Querdenker”-Demo gestern in Dresden stimmt das.

Dazu auch:

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“Aber Halt!”

Kann das echt alles “Zufall” sein?

… fragte “Bild”-Redakteur Julian Röpcke vor einem Monat und meinte damit ein kurzes Video des öffentlich-rechtlichen Senders rbb zum Thema Fahrradfahren in Berlin. Röpcke schrieb dazu: “Eine typische Straßenumfrage mit zufällig ausgewählten Protagonisten, so scheint es …”. Im rbb-Clip waren nämlich auch zwei Personen zu sehen, die sich zu ihren Erfahrungen im Berliner Straßenverkehr äußerten. Einer davon: Georg Kössler, der zum damaligen Zeitpunkt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus saß, vom rbb aber nicht als Grünen-Politiker gekennzeichnet, sondern als ganz normaler Passant präsentiert wurde. Unter anderem lobte Kössler neu entstandene Pop-up-Radwege in der Stadt, die zum Programm der Grünen gehören. Oder wie Röpcke schrieb:

Ein Radler, der den Grünen in Berlin aus der Seele spricht, so scheint es, und ihre begonnene Verkehrswende in der Stadt als Lichtblick aus der Misere sieht.

Aber Halt! Nutzern im sozialen Netzwerk Twitter fällt auf, dass der Mann kein Unbekannter ist.

Der rbb löschte das Video und bat um Entschuldigung.

Am vergangenen Freitag berichteten “Bild” und Bild.de über ein Foto der neuen SPD-Bundestagsfraktion:

Ausriss Bild-Zeitung - Nach SPD-Gruppen-Foto ohne Mundschutz - Warum dürfen sich Politiker über die Maskenpflicht hinwegsetzen Schüler aber nicht?

Dazu befragte die “Bild”-Redaktion auch eine Schülerin und zwei Schüler. Alle drei finden das Verhalten der SPD-Politikerinnen und -Politiker ziemlich daneben. So sagt Adrian Klant, dass das SPD-Foto “der reine Hohn für Lehrer und Schüler” sei. Jan-Luca Schmid fragt: “Wenn sich SPD-Politiker im Bundestag nicht an Hygiene-Regeln halten müssen, warum sollten es dann Kinder und Jugendliche tun?” Und zu Isabell Biersack schreibt “Bild”: “Über das SPD-Fotoshooting schüttelt sie den Kopf.”

Bei Adrian Klant erwähnt die “Bild”-Redaktion, dass er “Bundesvorsitzender der Schüler Union” ist, ohne weiter zu erklären, was die Schüler Union genau ist. Man erfährt nicht, dass es sich bei ihr nicht einfach um irgendeine Schülerorganisation handelt, sondern um eine CDU- und CSU-nahe. Man muss beim Begriff “Union” schon selbst drauf kommen. Aber immerhin wird die Schüler Union überhaupt erwähnt.

Jan-Luca Schmid und Isabell Biersack werden hingegen als ganz normaler Schüler und ganz normale Schülerin von “Bild” präsentiert. Dass der eine Schriftführer im Vorstand der Jungen Union Neckar-Odenwald-Kreis ist, und die andere stellvertretende Vorsitzende der Jungen Union Trier, erwähnt “Bild” mit keinem Wort.

Drei Schülerinnen und Schüler befragt die Redaktion zu einem SPD-Fauxpas. Und alle drei haben einen CDU/CSU-Hintergrund, der bei zweien nicht mal erwähnt wird. Was würde “Bild”-Redakteur Julian Röpcke in so einem Fall wohl fragen?

Kann das echt alles “Zufall” sein?

Mit Dank an die Hinweisgeber!

Nachtrag, 5. Oktober: Mehrere BILDblog-Leserinnen und -Leser weisen darauf hin, dass bei ihren Kindern im laufenden Schuljahr bereits Klassenfotos aufgenommen wurden. Und dass die Kinder bei diesen Fotos, ähnlich wie beim SPD-Foto, ihre Masken abnehmen durften.

Außerdem schreiben einige, dass es in mehreren Bundesländern inzwischen keine Maskenpflicht an Schulen mehr gibt. In Berlin beispielsweise für die Klassenstufen 1 bis 6, im Saarland für alle Jahrgänge. In Bayern müssen Schülerinnen und Schüler im Schulgebäude zwar weiter eine Maske tragen, im Unterricht dürfen sie sie aber abnehmen. Im “Bild”-Artikel liest man von diesen Lockerungen nichts, obwohl die Landesregierungen den Wegfall der Maskenpflicht teilweise schon einige Tage vor Erscheinen des “Bild”-Beitrags publik gemacht haben.

Nachtrag 2, 5. Oktober: Die “Bild”-Redaktion hat auf unsere Kritik reagiert. Im Onlineartikel steht inzwischen bei Jan-Luca Schmid: “Mitglied der Jungen Union” und bei Isabell Biersack: “ist bei der Jungen Union engagiert”. Außerdem ist am Ende des Beitrags nun dieser Hinweis zu finden:

Anmerkung der Redaktion: Jan-Luca Schmid und Isabell Biersack sind Mitglieder der Jungen Union. Diese Angabe war in der ursprünglichen Fassung des Textes nicht enthalten.

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“Nö, Bild, ihr nicht” – und “Bild” macht es trotzdem

“Sorry, aber mit euch niemals”, antwortet @Zigoooo1. “Nö, Bild, ihr nicht”, schreibt @MarwKiel.

Die zwei Twitter-User reagieren damit jeweils auf Anfragen der “Bild”-Redaktion. Die möchte in ihrer Berichterstattung nämlich Videos verwenden, die @Zigoooo1 beziehungsweise @MarwKiel zuvor bei Twitter hochgeladen haben. Die Aufnahmen zeigen, wie gestern ein Tornado durch Kiel zieht.

Screenshot eines Tweets Bild News - Guten Tag, wir würden das Video gerne für unsere Berichterstattung Online, Social, TV und Print nutzen. Natürlich nennen wir sie auch als Quelle, wenn sie der Urheber sein sollten. Vielen lieben Dank.

Anderen Medien, darunter CNN, CBS News, die dpa, die European Broadcasting Union, Weather.com, erlauben @Zigoooo1 und @MarwKiel auf Nachfrage, das Videomaterial zu verwenden. Dass auch “Bild” es verwendet, wollen sie offenbar nicht.

Die “Bild”-Redaktion benutzt die Videos aber einfach trotzdem.* Gestern Abend veröffentlichte sie bei Bild.de einen Artikel zum Kieler Tornado:

Screenshot Bild.de - Mehrere Menschen ins Wasser gespült - Tornado-Chaos in Kiel - Im Video! Hier schraubt sich der Tornado ans Ufer

Darin zu sehen: ein etwas mehr als eine Minute langer Videozusammenschnitt. Auch die Aufnahmen, die die zwei Twitter-User hochgeladen haben, sind dabei. Beim Video von @MarwKiel steht eine Quelle am rechten Bildrand:

Screenshot Bild.de - Videoaufnahme aus Kiel mit Quellenangabe

Beim Video, das @Zigoooo1 online gestellt hat, nicht mal das:

Screenshot Bild.de - Videoaufnahme aus Kiel ohne Quellenangabe

Bei einem dritten Video schreibt die “Bild”-Redaktion als Quelle “Wetterwarnungen Norddeutschland/Florian S.”, dabei gibt die Facebookseite “Wetterwarnungen Norddeutschland” selbst als Quelle “Alina Nissen” an.

Für “Bild” und den Axel-Springer-Verlag sind Urheberrechte immer ganz wichtig, vor allem dann, wenn es um die eigenen Urheberrechte geht. Geht es um die von anderen, nehmen sie es nicht so genau.

Inzwischen ist bei Bild.de ein längeres Video zum Tornado in Kiel erschienen, nun gut zwei Minuten lang. Die Aufnahmen, die @Zigoooo1 und @MarwKiel bei Twitter gepostet haben, sind darin weiterhin zu sehen.

Mit Dank an @daarin für den Hinweis!

*Nachtrag, 14:39 Uhr: Die “Bild”-Redaktion hat offenbar einen Umweg genommen, um an die Videos zu kommen: Sie hat sich die Aufnahmen bei einer Agentur besorgt. Zumindest bei einem der zwei Videos konnten wir eine vorherige Zustimmung des Urhebers der entsprechenden Agentur gegenüber finden. Über die Agentur ist das Video dann bei Bild.de gelandet, auch wenn die “Bild”-Redaktion wusste, dass der Urheber das nicht möchte.

Und bitte nicht wundern, dass manch ein Link in diesem Beitrag ins Nichts führt – der Twitter-User @Zigoooo1 hat seinen Account inzwischen gelöscht.

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“Bild”, das große gewollte Missverständnis

Wie sehr kann man etwas missverstehen wollen? Und wie stark kann man sich dann auf Grundlage dieses gewollten Missverständnisses empören? Die “Bild”-Redaktion versucht momentan, genau das auszuloten.

CDU-Politikerin Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und Teil von Armin Laschets “Zukunftsteam”, schrieb gestern bei Twitter:

Screenshot eines Tweets von Karin Prien - Handy-Alarm ist die traurige Chiffre für die Totengräber jedweder vertrauensvollen Zusammenarbeit. Ein Anschlag auf unsere Demokratie

Mit dem “Handy-Alarm” greift Prien einen “Bild”-Begriff auf. Seit einigen Tagen blendet die Redaktion im “Bild-TV”-Programm ein großes “Handy-Alarm” ein, wenn auf dem Smartphone des stellvertretenden Chefredakteurs Paul Ronzheimer wieder frische Interna aus den Sitzungen der kürzlich gewählten Bundestagsfraktionen eingetroffen sind:

Screenshot Bild-TV - Handy-Alarm

In den meisten Fällen handelt es sich dabei derzeit um Aussagen aus Priens CDU. Bei diesen Sitzungen ist unter den Teilnehmern eigentlich eine Vertraulichkeit vereinbart. Aber manch einer füttert Ronzheimer (und auch andere Journalisten) mit den internen Infos, die dann umgehend als “Handy-Alarm” bei “Bild TV” landen. Auf nichts ist die “Bild”-Redaktion derzeit stolzer als auf Paul Ronzheimers Handy.

In Karin Priens Tweet stecken zweifelsohne große Worte und schwere Vorwürfe. Aber in welche Richtung zielen sie? Wer sind in Priens Augen die “Totengräber”? Wer verübt einen “Anschlag auf unsere Demokratie”?

Man kann es bereits aus ihrem Tweet recht problemlos herauslesen, wenn man denn will. Schließlich verortet Prien das Problem der durchgestochenen Interna bei den “Totengräbern jedweder vertrauensvollen Zusammenarbeit”. Sie kann damit nur die ursprünglich als vertrauensvoll gedachte Zusammenarbeit in den Gremien der Union meinen und mit den “Totengräbern” die CDU-Maulwürfe, die Ronzheimer die Infos stecken. Sie kann damit nicht die Arbeit von Medien meinen und mit den “Totengräbern” die “Bild”-Redaktion, auch wenn sie den von “Bild” geprägten Begriff “Handy-Alarm” aufgreift. Und damit sieht sie auch nicht in der Berichterstattung einen “Anschlag auf die Demokratie”, sondern im Weiterreichen eigentlich vertraulicher Aussagen.

Deutlich wird das auch durch einen Tweet, den Karin Prien einen Tag zuvor zum selben Thema verfasst hat:

Screenshot eines Tweets von Karin Prien - Journalistischer Jagdinstinkt in allen Ehren. Aber wenn wir es nicht hinkriegen, einige Grundregeln des fairen und solidarischen Miteinanders wieder in unseren Gremien zu etablieren, werden wir aus der Krise nicht heraus kommen.

Und auch nach ihrem “Totengräber”-Tweet machte Prien noch einmal deutlich, dass ihr Vorwurf nicht der “Bild”-Redaktion galt.

Doch die interessiert das alles nicht. Sie will sich hier als Opfer eines “Frontalangriffs” und als notwendige Verteidigerin einer (in diesem Fall gar nicht attackierten) Pressefreiheit sehen:

Screenshot Bild.de - CDU-Frau greift BILD an - Merkwürdiger Frontalangriff von Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien auf BILD. BILD berichtet seit Stunden transparent aus der Fraktionssitzung der Union, veröffentlicht Politiker-Statements live unter dem Titel Handy-Alarm. Prien nennt das auf Twitter einen Anschlag auf unsere Demokratie. Für eine Bildungsministerin ein fragwürdiges Verständnis von Journalismus.

“Bild”-Reporter fordern eine Entschuldigung von Karin Prien:

Screenshot eines Tweets von Mo Rabie - Wenn Pressefreiheit zu Anschlag auf unsere Demokratie erklärt wird, dann ist das mehr als Skandalös! Das ist eine Frechheit Frau Karin Prien entschuldigen Sie sich!

“Bild”-Redakteure erklären Priens Aussage zum “Anschlag auf die Demokratie”:

Screenshot eines Tweets von Willi Haentjes - Ganz liebe Grüße zurück Karin Prien, beruflich Bildungsministerin. Journalismus als Anschlag auf unsere Demokratie zu bezeichnen ist dann wirklich ein Anschlag auf die Demokratie.

Bei “Bild TV”, der Heimat des “Handy-Alarms”, ist die Empörung besonders groß. Paul Ronzheimer spricht von “einem wirklichen Skandal”, Prien habe offenbar ein “höchst zweifelhaftes Verständnis von Pressefreiheit”. “Bild-TV”-Moderator Thomas Kausch sagt, dass Prien sich “dermaßen im Ton vergriffen” habe. “Bild”-“Show-Expertin” Özlem Evans hält das alles für eine “Frechheit”. “Eine absolute Frechheit”, findet auch Ronzheimer. Und auch er will Priens Tweet noch einmal missverstehen:

Ich verstehe das ja, dass man sich als Politikerin ärgert darüber, dass wir darüber informieren.

In einer anderen “Bild-TV”-Sendung regt sich “Bild”-Meinungschef Filipp Piatov goldenehimbeereverdächtig auf: “Also ich bin wirklich fassungslos, wenn ich das lese.” Und: “Wirklich, ich bin sprachlos.”

Den bisherigen Empörungshöhepunkt gab es gestern Abend in der Empörungssendung “Viertel nach Acht”. “Bild-TV”-Programmchef Claus Strunz erklärt Karin Prien zu seiner “absoluten Negativfigur des Tages” – “die hat sich heute nämlich wahnsinnig erregt über den ‘Handy-Alarm’ bei ‘Bild live’.” Man könnte, so Strunz, “fast sagen, sie ist durchgeknallt”:

Screenshot Bild-TV - Man kann fast sagen, sie ist durchgeknallt

“Ein Anschlag auf unsere Demokratie”? Also lassen Sie mich mal kurz nachdenken. Es ist doch Journalismus, es ist Informationsbeschaffung, es ist Pressefreiheit. Wer das als “Anschlag auf die Demokratie” sieht oder wertet, der will Pressefreiheit relativieren, vielleicht sogar abschaffen, das will ich nicht unterstellen. Auf jeden Fall hat der- oder diejenige große Probleme mit der Pressefreiheit.

Einen kurzen Lichtblick gibt es in der Sendung dann aber doch. “Welt”-Redakteur Constantin van Lijnden, der ebenfalls in der “Viertel-nach-Acht”-Runde sitzt, sagt über Karin Priens Aussage:

Die wohlwollendere Lesart ihres Tweets ist ja noch die, dass er sich nicht an die Journalisten richtet, weil das wäre nun wirklich unsinnig, denen irgendwie das Recht abzusprechen, solche Dinge zu veröffentlichen, sondern dass er sich nur in Anführungsstrichen an diejenigen Politiker, Parteikollegen richtet, die Dinge durchstechen.

Claus Strunz und die anderen Mitdiskutanten aus der “Bild”-Redaktion sind an diesem Gedanken aber nicht weiter interessiert.

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Widerlich

Gestern hat eine Jury in New York den Sänger R. Kelly schuldig gesprochen. In der Anklage ging es unter anderem um sexuellen Missbrauch Minderjähriger. Die Verkündung des Strafmaßes soll erst im Mai kommenden Jahr stattfinden.

Auch die “Bild”-Redaktion berichtet über das Urteil gegen den Musiker. Und sie versucht, mit den Geschichten der meist weiblichen Opfer noch ein bisschen Geld zu verdienen:

Screenshot Bild.de - R. Kelly des Missbrauchs schuldig - Die widerlichen Prozess-Details - Wie der Sänger Mädchen jahrelang in die Sex-Falle lockte

Lesen Sie mit BILDplus, welche furchtbaren Details über R. Kellys Missbrauch in den Verhandlungen offengelegt wurde

Für “Bild” ist kein Detail “widerlich” und “furchtbar” genug, um damit nicht doch noch ein paar Abos zu verkaufen.

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