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ze.tt  

Die verze.ttelte HSV-Ente

Unglaublich. Der HSV ist immer wieder für Negativschlagzeilen gut. Hinter den Kulissen tobt seit Jahren das Chaos, sportlich musste der Dino zweimal in Folge bis in der Relegation zittern. Die neuste Anekdote ist aber in der Rangliste der HSV-Pannen weit vorne. In einem Hamburger Park ist Pierre-Michel Lasogga von einer Frau gefunden worden.

„Scheinbar hat sich Lasogga nach dem Pokal-Aus in Jena derart abgeschossen, dass er den Weg nach Hause nicht mehr gefunden hat“, mutmaßte die Frau, die den hilflosen Stürmer in den Abendstunden im Park fand.

So stand es heute Morgen auf fussballmachtspass.de.

Und kurz darauf sofort der nächste Knaller:

Unglaublich. Der HSV ist immer wieder für Negativschlagzeilen gut. Hinter den Kulissen tobt seit Jahren das Chaos, sportlich musste der Dino zweimal in Folge bis in der Relegation zittern. Die neuste Anekdote ist aber in der Rangliste der HSV-Pannen weit vorne. In einem Hamburger Park ist der HSV-Mannschaftsbus von einer Frau gefunden worden.

„Nach dem Pokal-Aus in Jena hat sich der Busfahrer scheinbar verfahren. Als er nicht mehr weiter wusste, ist er einfach stehen geblieben“, so ein Polizeisprecher. Der Bus sei zudem voll besetzt gewesen. Jedoch habe keiner der Spieler oder des Betreuerstabs die ungewöhnliche Situation bemerkt.

Und kurz darauf sofort der nächste Knaller:

Unglaublich. Der HSV ist immer wieder für Negativschlagzeilen gut. Hinter den Kulissen tobt seit Jahren das Chaos, sportlich musste der Dino zweimal in Folge bis in der Relegation zittern. Die neuste Anekdote ist aber in der Rangliste der HSV-Pannen weit vorne. In einem Hamburger Park hat eine Frau einen Millionenbetrag gefunden. Offenbar von HSV-Investor Klaus-Michael Kühne.

„Das Geld lag einfach so dort rum“, wird die Frau zitiert, die die dort einfach so herumliegenden Millionen im Hamburger Park fand.

Also entweder hat der HSV eine wirklich, wirklich abgefahrene Nacht hinter sich – oder fussballmachtspass.de, das “Magazin für Fussball, HSV-Pannen und Humor” (so nennt es sich im Artikel) hat sich hier einen kleinen Spaß erlaubt.

Wir würden ja auf Letzteres tippen (auch weil wir die “Bild”-Titelseite von heute gesehen haben, große Schlagzeile: “HSV-Gehaltsliste im Park gefunden”), andere hatten dagegen weniger Zweifel. Bei “ze.tt” zum Beispiel, dem neuen Portal für coole Kids aus dem “Zeit”-Verlag, erschien heute dieser Artikel:

Pierre-Michel Lasogga, Stürmer des Hamburger Sportvereins, wurde nach dem DFB-Pokal-Aus am Sonntagabend in einem Hamburger Park gefunden.

„Scheinbar hat sich Lasogga nach dem Pokal-Aus in Jena derart abgeschossen, dass er den Weg nach Hause nicht mehr gefunden hat“, sagt die Frau, die den 23-jährigen Stürmer fand, gegenüber FUMS. Der HSV hatte gestern in der ersten Runde des DFB-Pokals eine bittere 2:3-Niederlage gegen den Regionalligisten Carl Zeiss Jena kassiert.

“ze.tt” steckt noch in den Kinderschuhen und weiß selbst noch nicht genau, was es später mal werden will, aber wir können schon mal beruhigen: Wer so zielsicher auf einen Fake hereinfallen kann, wird es in der deutschen Medienlandschaft nicht schwer haben.

Problematisch könnte allerdings ein anderer Punkt werden: Als die “ze.tt”-Redaktion merkte, dass die Geschichte Quatsch ist, hat sie Überschrift und Teaser geändert und unter dem Artikel eine Anmerkung ergänzt, in der sie transparent und charmant auf den eigenen Fehler hinweist. Und das hat mit den branchenüblichen Standards nun wirklich nichts zu tun.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Multipler Drei-Minuten-Journalismus

In drei Minuten schafft man ja so einiges. Fünflinge gebären zum Beispiel. Sich einen lässigen Knoten mit zwei eingeflochtenen Zöpfen in die Haare basteln. Den Verstand verlieren. Oder aber: richtig guten Sex haben.

In der Sex-Kürze liegt die Würze – das ist das Ergebnis einer aktuellen US-Umfrage. Demnach sind drei bis dreizehn Minuten Sex völlig ausreichend und befriedigend.

Tatsächlich sind Forscher der Pennsylvania State University gezielt der Frage nachgegangen, wie lange Sex dauern sollte, damit er gut ist. Dafür befragten sie 50 Mitglieder der “Society for Sex Therapy and Research” – genauer: “psychologists, physicians, social workers, marriage/family therapists and nurses” –, von denen 44 Auskunft gaben. Ergebnis:

The average therapists’ responses defined the ranges of intercourse activity times: “adequate,” from three to seven minutes; “desirable,” from seven to 13 minutes; “too short” from one to two minutes; and “too long” from 10 to 30 minutes.

Sie sehen: Für guten Sex braucht man nur drei Minuten. Na gut, mindestens drei.

Höchstens drei braucht man dagegen, um festzustellen, dass die Aussagekraft dieser “Studie” doch arg zu wünschen übrig lässt. Die Aussagen von 44 Ärzten und Krankenschwestern als Maßstab für die Sex-Vorlieben der Menschheit? Nun ja.

Noch viel weniger als drei Minuten bedarf es allerdings, um herauszufinden, dass diese ganze Sache schon über sieben Jahre alt ist.

Trotzdem taucht sie seit ihrer Veröffentlichung (meist pünktlich zum Sommerlochanfang) immer wieder als Nachricht in den deutschen Medien auf.

Der oben zitierte Bild.de-Artikel stammt aus November 2009. Da war die “aktuelle US-Umfrage”, von der die Rede ist, immerhin schon anderthalb Jahre alt, was im Artikel freilich nicht erwähnt wird.

Noch ein Jahr später, im Juni 2010, entdeckte die “Daily Mail” die Geschichte

… woraufhin auch die deutschsprachigen Medien wieder aufsprangen. Zunächst Ende Juni in Österreich:

(oe24.at)

(krone.at)

Dann, Anfang Juli 2010, bei “T-Online” (obwohl das Portal schon zwei Jahre zuvor über die “neue Studie” berichtet hatte):

Und im Oktober 2010 bei RTL.de:

Auch in diesem Jahr — sieben Jahre nach Erscheinen der Studie — haben die Journalisten sie wieder für sich entdeckt. Im Mai schrieb die „Huffington Post“:

Die Autorin verlinkt sogar auf die Studie, tut aber trotzdem so (oder geht tatsächlich davon aus), als wäre das alles neu.

Die eifrigsten Sexartikelwiederverwurster sind aber selbstverständlich die Medien des Axel-Springer-Verlags.

Als die Studie herauskam, berichtete zunächst welt.de:

2009 folgte der Bild.de-Artikel, den wir oben zitiert haben:

Im Mai 2014 dann die „B.Z.“:

Bild.de im Juni 2014

… sowie im September 2014

… und irgendwann zwischendurch noch mal als Meldung im “Newsticker”:

Vor zwei Wochen dann wieder die „B.Z.“:

Und am vergangenen Sonntag wieder Bild.de:

Dass die Studie nur von sehr bedingter Aussagekraft und noch dazu uralt ist, schreiben sie nicht, aber darauf kann man ja auch nicht kommen, wenn man immer nur stumpf voneinander abschreibt.

Also, liebe Recyclingredakteure: Wenn Ihnen diese Story im nächsten Sommer wieder vor die Flinte läuft (und das wird sie ganz bestimmt), nutzen Sie die Zeit, die Sie fürs Copy-und-Pasten brauchen würden, doch lieber für was Sinnvolles. In drei Minuten schafft man ja so einiges.

Mit Dank an Fred R.

Wie man den Werther-Effekt ignoriert

Bei der Berichterstattung über Suizide sollten Journalisten sehr behutsam vorgehen. Seit Jahrzehnten ist erwiesen, dass die Selbstmordrate steigt, wenn zuvor intensiv über einen Suizid berichtet wurde (“Werther-Effekt”).

Um die Gefahr von Nachahmungstaten zu vermeiden, empfehlen Psychologen den Medien:

  • Sie sollten jede Bewertung von Suiziden als heroisch, romantisch oder tragisch vermeiden, um möglichen Nachahmern keine post-mortalen Gratifikationen in Form von Anerkennung, Verehrung oder Mitleid in Aussicht zu stellen.
  • Sie sollten weder den Namen der Suizidenten noch sein Alter und sein Geschlecht angeben, um eine Zielgruppen-Identifizierung auszuschließen.
  • Sie sollten die Suizidmethode und – besonders bei spektakulären Fällen – den Ort des Suizides nicht erwähnen, um die konkrete Imitation unmöglich zu machen.
  • Sie sollten vor allem keine Informationen über die Motivation, die äußeren und inneren Ursachen des Suizides andeuten, um so jede Identifikations-Möglichkeit und Motivations-Brücke mit den entsprechenden Lebensumständen und Problemen des Suizidenten zu vermeiden.
  • Anders gesagt: Sie sollten nicht so berichten, wie es die „Bild“-Medien in dieser Woche tun.

    In dem Fall geht es geht um einen sogenannten erweiterten Suizid, bei dem ein Mann seine beiden Kinder und sich selbst getötet hat.

    Gestern platzierte “Bild” den Fall prominent auf Seite 3 der Bundesausgabe, zeigte groß den Tatort (darum verzichten wir auf einen Ausriss des Artikels), nannte die Suizidmethode, das Alter des Mannes sowie mögliche Motive und zitierte einen Polizeisprecher mit den Worten, der Fall gehe „selbst bei erfahrenen Ermittlern“ „unter die Haut“.

    Den Spekulationen über die Ursachen widmete Bild.de sogar eigene Artikel, heute zum Beispiel den hier:

    Und weil ein Mensch, der so schlimme Dinge tut, in den “Bild”-Medien automatisch sämtliche Rechte verliert, zeigen sie heute auch ein Foto von seinem Haus — und natürlich sein Gesicht:

    Auch den genauen Tatort erwähnen und zeigen die „Bild“-Medien immer wieder. Eines der Fotos taucht dabei in jedem Online-Artikel auf, die Quelle lautet:

    Das ist glatt gelogen. Es sei denn „BILD FRANKFURT“ hat das gleiche Foto vor neun Jahren unter einem anderen Namen bei Wikipedia hochgeladen.

    Dagegen scheint uns die Quellenangabe unter dem Porträtfoto des Mannes ein wenig ehrlicher:

    Inzwischen hat Bild.de diese Angabe gelöscht.

    Mit Dank an Boris R., Niko, Sebastian R., Robert G., Diana G. und anonym.

    Siehe auch: Wenn Schlagzeilen Menschenleben kosten (Interview mit Prof. Dr. Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Archivlink)

Im “Burger-Talk” mit dem “Bild”-Reporter

Ralf Schuler ist Leiter des Parlamentsbüros der „Bild“-Zeitung.

Und hier sehen wir ihn bei der Recherche:

Der Chef von McDonald's Deutschland Holger Beeck (l.) beim Burger-Talk mit BILD-Reporter Ralf Schuler (r.) [Auf dem Foto sitzen die beiden nebeneinander, schauen in die Kamera und halten einen Burger in der Hand]

Bei der Gelegenheit hätte Schuler den McDonald’s-Mann natürlich gleich mal kritisch ausquetschen können. Er hätte fragen können, warum die Fast-Food-Kette zurzeit massiv Kunden verliert und enorme Umsatzeinbußen verzeichnet. Oder warum McDonald’s hierzulande bei der Digitalisierung dermaßen hinterhinkt. Aber: nö.

Stattdessen fragt er:

Bietet McDonald’s vor allem billiges Essen?

Antwort: “Zu uns können Leute mit jedem Geldbeutel kommen und beste Burger zum besten Preis bekommen.”

Oder:

Was werden wir in zehn Jahren essen? Algen, Insekten oder Bio-Gemüse?

“Wenn es eine nahr- und schmackhafte, vor allem aber akzeptierte Nahrung aus neuen Rohstoffen gibt, werden wir uns dem nicht verschließen.”

Oder:

Sie bieten ab 13. August einen Veggie Burger (mit) Quinoa an. Ist Fleisch ein Auslaufmodell?

“Unsere Salate und Pommes frittes sind schon jetzt sogar vegan. Den neuen Clubhouse Veggie Burger haben wir zusammen mit Vegetariern und Flexitariern entwickelt. Ich bin gespannt, wie er ankommt.”

Und so ist es nicht Ralf Schuler, der die Gelegenheit nutzt, sondern der McDonald’s-Chef. Um schön ein bisschen Werbung zu machen, für sein Unternehmen und den neuen Burger, der bald kommen soll und dem Bild.de sogar noch ein eigenes Video gewidmet hat (“So wird der neue Veggi-Burger gemacht!”). Highlights:

[Der McDonald's-Chef nimmt von einer Mitarbeiterin einen Burger entgegen]
[Er beißt hinein, während die Mitarbeiterin im Hintergrund erwartungsvoll lächelt]
[Er schließt genüsslich die Augen, während er den Burger kaut]
[Er schaut entzückt in die Kamera, weil ihm der Burger natürlich superduper gut schmeckt]
[Das BILD-Logo]

Das kommt McDonald’s in diesen Krisenzeiten natürlich sehr gelegen: Gleich zweimal dicke Werbung auf Bild.de. Einmal im Anzeigenbereich – einmal im redaktionellen.

[Der Artikel bei Bild.de; daneben eine Anzeige von McDonald's]

“Bild” pfeift aufs Gericht – und zeigt das Gesicht

Heute hat vor dem Oberlandesgericht in Celle der Prozess gegen zwei mutmaßliche „IS“-Rückkehrer begonnen. „Mitgliedschaft in terroristischer Vereinigung und Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat“ lautet der Vorwurf, entsprechend groß ist das Interesse der Medien.

In einer Anordnung hatte das Gericht zuvor festgelegt, dass die Angeklagten nur verpixelt gezeigt werden dürfen. Die dpa hat sich daran gehalten und die Fotos nur mit Unkenntlichmachung veröffentlicht.

„Bild“ — n a t ü r l i c h — nicht.

Inzwischen hat Bild.de das Foto ausgetauscht — und zeigt jetzt eins, auf dem der Mann noch besser zu erkennen ist.

(Der Vollständigkeit halber: Unkenntlichmachungen von uns.)

Nun könnte man argumentieren, dass sich der Angeklagte vor etwas mehr als zwei Wochen ja auch von der “Süddeutschen Zeitung” und dem NDR hat fotografieren und filmen lassen. Die Leute von “Bild” aber begründen die Missachtung der gerichtlichen Anordnung so:

Die blutigen Bilder seiner Kämpfer präsentiert ISIS regelmäßig im Internet, prahlt damit, rekrutiert neue Mitglieder. Doch stehen zwei dieser Kämpfer in Deutschland vor Gericht, sollen sie plötzlich unkenntlich gemacht werden? Da macht BILD nicht mit.

Mit Dank auch an Wolfram S., @RamisOrlu, Sebastian R., Bernhard W., Heinz B., Christian M. und Daniel!

Nachtrag, 16.55 Uhr: Inzwischen haben wir auch die sitzungspolizeiliche Anordnung des Gerichts gefunden (PDF). Darin steht:

Bei den Filmaufnahmen ist sicherzustellen, dass das Gesicht der Angeklagten vor der Veröffentlichung und vor einer Weitergabe der Aufzeichnungen an Fernsehveranstalter oder andere Medien durch ein technisches Verfahren anonymisiert wird und nur eine Verwendung in anonymisierter Form möglich ist.

Das habe der Senat aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes entschieden, erklärte uns die Gerichtssprecherin, und dabei sei ihm durchaus bewusst gewesen, dass einer der Angeklagten bereits im Fernsehen zu sehen gewesen sei.

Und was hält das Gericht von der Veröffentlichung? Die Gerichtssprecherin: “Die Anordnung ist seit Wochen für jeden zugänglich. Mit der Veröffentlichung wurden die Auflagen nicht eingehalten.”

Auf die Frage, ob “Bild” nun mit Konsequenzen rechnen muss, verwies die Sprecherin auf einen weiteren Punkt in der Anordnung, in der es heißt:

Kommen akkreditierte Pressemitarbeiter den Aufforderungen nicht nach, so können ihre Presse- und Medienunternehmen die Akkreditierung verlieren. Darüber entscheidet der Vorsitzende.

Nachtrag, 18:40 Uhr. “Bild” ist nun tatsächlich vom Prozess ausgeschlossen worden. Das hat der Vorsitzende Richter entschieden, wie uns die Gerichtssprecherin bestätigte.

Nachtrag, 4. August: In der heutigen Ausgabe nennt “Bild” die Sache einen “Eklat vor Gericht”, und Bild.de-Chef Julian Reichelt beklagt sich erwartungsgemäß über den …

Nun will das Gericht die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten schützen. Die Medien sollen diese Männer, die sich der schlimmsten Terrororganisation der Welt angeschlossen haben, nur gepixelt zeigen.

BILD hat sich dieser Anordnung widersetzt – und wurde deswegen vom Prozess ausgeschlossen. Mit Verlaub, Herr Richter Meier, damit schützen Sie die Falschen.

Wenn ISIS seine blutrünstigen Taten verübt, posieren die Täter mit abgeschlagenen Köpfen, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Wenn die Terroristen sich aber vor einem deutschen Gericht für ihre Taten verantworten sollen, dürfen sie plötzlich nicht mehr erkannt werden? Das ist absurd!

BILD wird sich gegen diese Entscheidung wehren. Sie ist ein Angriff auf die Pressefreiheit!

Bild  

Kann man dem überhaupt trauen? Der ist doch Grieche!

Panagiotis Kolokythas schreibt seit 15 Jahren als Redakteur über die IT-Branche. Sein griechischer Name war dabei nie ein Problem, warum auch. Inzwischen ist er es aber schon. Vor allem dank der “Bild”-Zeitung.

BILDblog: Herr Kolokythas, in einem Facebook-Post haben Sie gestern geschrieben, dass die Reaktionen auf Ihre Artikel seit einer Weile anders aussehen als früher. Was hat sich geändert?

Panagiotis Kolokythas: Ich arbeite hauptsächlich für pcwelt.de und habe gemerkt, dass bei Facebook und Youtube in den Kommentaren zu meinen Beiträgen immer öfter Sätze auftauchen wie: „Kann man diesem Griechen überhaupt glauben?“ Oder: „Stimmt das? Hat schließlich ein Grieche geschrieben!“ Am Anfang habe ich das mehr oder weniger ignoriert, weil ich dachte, es gibt ja immer Spinner, und man kann es nicht allen recht machen, aber in letzter Zeit hat sich das doch sehr gehäuft. Und als gestern bei Facebook und Youtube wieder solche Sprüche kamen, musste ich mal ein bisschen Frust loswerden.

Ihre journalistischen Fähigkeiten werden also infrage gestellt, weil Sie einen griechisch klingenden Namen haben.

Ja. Komplett ohne Argumente. Einfach nur in einem Satz: “Kann man diesem Griechen vertrauen?” Manchmal schreiben sie auch mehr Schmarrn, zum Beispiel bekam ich zum Geburtstag eine Mail, in der stand: “Alles Gute diesem Griechen, der sein Studium abgebrochen hat …” und so weiter halt. Da frage ich mich: Wie kommt jemand auf die Idee, sich die Zeit zu nehmen, mir so eine Mail zu schreiben?

Kommen Sie überhaupt aus Griechenland?

Nein, aus dem Sauerland.

Und Sie schreiben auch keine Artikel über Griechenland, sondern …

… über Software und aktuelle IT-Entwicklungen. Ich bin bei uns der Windows-Experte. Mit Griechenland hat das überhaupt nichts zu tun.

Seit wann häufen sich denn diese Kommentare?

Das begann, als Syriza die Wahl gewann. Als die breite öffentliche Diskussion wieder losging.

… und die Anti-Griechen-Kampagne der “Bild”-Zeitung. Die machen Sie auch verantwortlich dafür, dass einige Leser so auf Ihren Namen reagieren.

Ja, weil das Bild von Griechenland, das diese Leute offenbar im Kopf haben, genau das ist, was die „Bild“-Zeitung vermittelt. Allein schon die Begriffe, die solche Kommentatoren benutzen, “gierige Griechen” zum Beispiel, sind exakt die, die ich aus den „Bild“-Schlagzeilen kenne. Aber dieses Bild ist völlig falsch. Nur ein Beispiel aus meiner Familie: Meine Schwester muss seit drei, vier Jahren länger arbeiten, bekommt aber 40 Prozent weniger Gehalt. Und ich sehe ja auch, wie sich die Straßenzüge verändert haben, ich bin jedes Jahr dort. Die vielen armen Menschen, die Suppenküchen, da kann von Gier nun wirklich keine Rede sein.

Was bekommen Ihre Verwandten in Griechenland eigentlich von der deutschen Berichterstattung mit?

Die “Bild”-Berichterstattung. Oft werden die Schlagzeilen in griechischen Zeitungen abgedruckt, also meistens die “Bild”-Titelseite mit der griechischen Übersetzung. Deswegen denken viele, dass nicht nur “Bild”, sondern alle deutschen Medien so über das Thema schreiben. Ich glaube, dadurch kommt auch dieser Unmut zustande gegenüber Deutschland und der deutschen Presse, und dann kontern griechische Zeitungen mit eigenen Titelseiten …

… die dann wieder in der “Bild”-Zeitung landen und für Unmut gegenüber Griechen sorgen. Oder sagen wir: gegenüber Menschen, die griechisch klingende Namen haben. In Ihrem Post erwähnen Sie noch die eventuelle Notwendigkeit, unter Pseudonym zu schreiben.

Ich hoffe nicht, dass es so schlimm wird. Aber wenn ich mal einen Artikel schreiben sollte, der irgendwas mit Griechenland zu tun hat, würde ich mir schon überlegen, das unter Pseudonym zu tun. Einfach um keine Angriffsfläche zu bieten, bloß aufgrund meines Namens. Damit sich die Leute auf das Wesentliche konzentrieren: den Inhalt meiner Artikel.

taz.de  

Die “taz” bestellt ein ACAB-Eis, das der Polizei nicht schmeckt

Es gibt vermutlich keine Redaktion in Deutschland, die bei Bildunterschriften so viel pubertäre Kreatvität an den Tag legt wie die der “taz”.

Hier zum Beispiel:

Oder bei diesem legendären Exemplar:

(2011, inzwischen offline.)

Wegen einer Bildunterschrift aus jüngster Zeit hat die “taz” jetzt allerdings Ärger mit der Polizei.

Dazu muss man wissen: Wer auf taz.de einen Artikel lesen will, kommt zuerst auf eine Hinweisseite, auf der man gefragt wird, ob man taz.de finanziell unterstützen möchte, dazu ein Foto samt flotter Bildunterschrift. Zum Beispiel so:

Das Portal hat eine Reihe solcher Hinweisseiten mit verschiedenen Fotos und Bildunterschriften im Repertoire, die in zufälliger Reihenfolge erscheinen.

Vor knapp vier Wochen waren auf einem dieser Fotos ein paar Polizisten vor einer Eisdiele zu sehen. Darunter stand:

Welche Kugeln hier bestellt werden? Acht Cookie, Acht Banane.

Acht Cookie, Acht Banane. Kurz: ACAB. Das ist, wie Sie als aufmerksame BILDblog-Leser natürlich wissen, ein türkischer Vorname die Abkürzung für „All cops are bastards“.

Das fand die Polizei Bremen überhaupt nicht lustig und reichte Beschwerde beim Presserat ein. In einem internen Schreiben der Polizei heißt es, dies sei „keine verantwortungsvolle Berichterstattung und kein angemessenes journalistisches Verhalten“. Polizeipräsident Lutz Müller sagte demnach:

Hier werden indirekt und offensichtlich gewollt Polizisten beleidigt und in ihrer Ehre verletzt. Diese Darstellung widerspricht journalistischer Ethik. Das ist für mich nicht akzeptabel und daher wenden wir uns an den Presserat.

Jan Feddersen von der „taz“ hat uns die Geschichte bestätigt. Foto und Bildunterschrift seien Anfang Juli für drei Tage online gewesen. Verantwortlich für den Inhalt sei aber nicht die Redaktion, sondern das „site management“ von taz.de, das mit den „humoristisch gehaltenen“ Bildunterschriften auf den Hinweisseiten „bewusst kleine Irritationen setzen“ wolle, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erregen.

Zur Presserats-Beschwerde sagt Feddersen, die „taz“ warte die weitere Entwicklung „in interessierter Gelassenheit“ ab. Die Bremer Polizei wollte die Sache auf Anfrage „weder bestätigen noch dementieren“.

Mit Dank an den Hinweisgeber!

Nachtrag, 11.15 Uhr: Heute hat die “taz” auf ihrer Titelseite eine Nachricht an die Bremer Polizei untergebracht:

Warum es da nur jeweils sechs sind, wissen wir allerdings nicht.

Nachtrag, 15.25 Uhr: … haben aber die Vermutung, dass es ein Versehen war. Wie uns mehrere Leser geschrieben haben, sind es in einigen Ausgaben nämlich tatsächlich acht. Wahrscheinlich wurde der Fehler zu spät bemerkt und erst in den Zeitungen, die später gedruckt wurden, korrigiert.

Nachtrag, 31. Juli: “taz”-Titelseite heute:

Mit Dank an Dennis und Dominik G.

Nachtrag, 13. Oktober: Nachdem die Polizei Beschwerde beim Presserat eingelegt hatte, durfte die “taz” Stellung zu der Sache nehmen. Sie schrieb:

Für die Nöte der Bremer Polizei, vor allem im heißen Sommer haben wir Verständnis, ebenso wie für die Tatsache, dass sich unsere Ordnungshüter bei Gelegenheit mit einem Eis erfrischen. Über ihre Präferenzen bei der Eisbestellung können wir allerdings nur Mutmaßungen anstellen, was in der inkriminierten Bildunterschrift deutlich durch ein Fragezeichen ausgedrückt wird.

Dass nun die Beschwerdeführer der Bremer Polizei in die Bestellung „Acht Cookie, Acht Banane“ das ehrverletzende Akronym „All Cops Are Bastards“ hineinlesen, war nicht vorauszusehen. Im Vorfeld hatten wir auf einer Konferenz hier im Hause schon einige Bestellkombinationen verworfen. Zum Beispiel „Limone, Mandarine, Amareno, Aprikose“ (Leck Mich Am Arsch). Auch „Walnuss, Tiramisu, Feige, Himbeer“ (What The Fucking Hell) wollten wir nicht durchgehen lassen, und „Sieben Sahne, Acht Heidelbeer“ (SSAH) kam nicht in Frage, da es sich dabei um ein möglicherweise sittenwidriges Kfz-Kennzeichen handelt.

Wir haben uns deshalb für die Lieblingssorten der diensthabenden Redakteurin, Cookie und Banane entschieden. Da es sich auf dem Bild um vier Personen handelt und eine durchschnittliche Eisbestellung im Hochsommer laut Statistischem Bundesamt etwa vier Kugeln beträgt kam es zu den je acht Cookies und Banane. Dass wir nach den den oben genannten Kombinationen und ihrer Akronyme hier nicht auch noch eine sittenwidrige oder ehrverletzende Abkürzung herauslesen konnten, hatte einen nachvollziehbaren Grund: es war einfach zu heiß.

Der Presserat hat sich nun mit dem Fall befasst und entschied: Da es sich nicht um ein journalistisches, sondern ein Werbeelement handele, sei er nicht zuständig.

In ihrem “hausblog” schreibt die “taz”, sie werde nun entspannt abwarten,

ob die von einer Eisbestellung so schwer beleidigte Bremer Polizei die Sache weiter und auch noch vor dem deutschen Werberat verfolgen wird, oder ob sich seit dem Abklingen der Hitzewelle auch die Gemüter mittlerweile abgekühlt haben.

Symbolfoto LVII

In Köln sind am vergangenen Wochenende zwei mutmaßliche Drogendealer festgenommen worden. Polizisten hatten die 19 und 37 Jahre alten Männer zuvor bei der Übergabe von Gegenständen beobachtet und bei der anschließenden Kontrolle Marihuana in deren Hosentaschen gefunden.

Das steht auch alles so in der Pressemitteilung, die die Polizei dazu herausgegeben hat. Was dort nicht steht, ist, wer die Männer genau sind oder woher sie kommen. Oder welche Hautfarbe sie haben.

Dennoch bebilderte der “Express” den Artikel gestern mit folgendem Symbolbild:

Mit Dank an Nicole C.!

“Focus Online” ruft 27 Millionen Ikea-Kommoden zurück

In den vergangenen eineinhalb Jahren sind zwei Kinder in den USA von umfallenden Ikea-Kommoden der Serie „Malm“ getötet worden.

So weit ist der Artikel, den “Focus Online” heute früh veröffentlicht hat, korrekt.

Nun wird Ikea aktiv und ruft 27 Millionen Exemplare der Kommode zurück.

Das ist dann allerdings Quatsch. Und “Focus Online” schreibt sogar selbst, warum:

Genauer gesagt erhalten “Malm”-Kunden ein kostenloses Kit zum Anschrauben der Kommode an ihre Wand.

Noch “genauer gesagt” ist die Rückruf-Aktion überhaupt keine Rückruf-Aktion. Sondern eine Kampagne, mit der die amerikanische Behörde für Produktsicherheit (CPSC) und Ikea vor umkippenden Möbeln im Allgemeinen warnen wollen.

So schreiben es auch die meisten Medien:



Nur “Focus Online” behauptet seit über zehn Stunden, Ikea rufe die 27 Millionen Möbelstücke zurück:

Als Quelle gibt das Portal den US-Sender CNBC an. Dort steht auch tatsächlich:

In einem Update unter dem Artikel heißt es allerdings:

Update: This article has been updated to reflect that the recall does not require owners to return the furniture to the stores.

Aber davon wollen die Leute bei “Focus Online” nichts wissen. Auch auf der Startseite schreiben sie:

Und bei Facebook legen sie und ihre Clickbait-Kumpels von der “Huffington Post” noch eine Schippe Panik drauf:



(Markierung von uns.)

Und es wirkt:


Die Pressestelle von Ikea hat uns heute Abend auf Anfrage bestätigt, dass die Behauptung von “Focus Online” falsch ist. In einem Statement heißt es:

IKEA hat aktuell in den USA die Secure it! Kampagne veröffentlicht, die auf die Gefahr von umkippenden Möbeln im Allgemeinen hinweist, wenn diese nicht an der Wand befestigt sind. Bei der Kampagne handelt es sich nicht um einen Produktrückruf. IKEA möchte mit dieser Kampagne in Zusammenarbeit mit der Consumer Product Safety Commission (CPSC) auf dieses Gefahrenpotential hinweisen und so Unfälle verhindern.

Und das Traurigste ist: “Focus Online” weiß das schon seit Stunden. Ikea teilte uns mit, man habe “bereits heute morgen bei focus.de darum gebeten, dass die [Falschmeldung] korrigiert wird”. Der Artikel ist noch immer online.

Mit Dank an Bastian B.

Siehe auch: Ikea warnt vor umkippenden Möbeln (test.de)

Nachtrag, 21.40 Uhr: Jetzt hat “Focus Online” den Artikel doch noch (unauffällig) geändert. Die Überschrift lautet nun: “Wegen kippender Möbel: Ikea bietet Kunden Sicherheitskits an”. Einen Hinweis auf den eigenen Fehler gibt es (schon aus Traditionsgründen) natürlich nicht.* Dafür aber einen neuen Artikel zum Thema. Auf der Startseite schreibt „Focus Online“:

*Nachtrag, 1.10 Uhr: Inzwischen findet man am Ende des Artikels doch einen Hinweis:

Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels war von einer Rückrufaktion die Rede. Dies ist nicht richtig. Ikea warnt in den USA davor, dass das Möbelstück kippen kann und liefert die Befestigungen nach.

Medien spielen mit Schäubles Rücktritt

Heute große Aufregung in den Politikredaktionen:


(Bild.de)

(rp-online.de)

(t-online.de)

(manager-magazin.de)

(„Focus Online“)

(„Huffington Post“)

Grund ist ein Interview mit Finanzminister Wolfgang Schäuble im aktuellen „Spiegel“, in dem steht:

SPIEGEL: Die Koalition hätte ein Problem, wenn die Kanzlerin und ihr wichtigster Minister in einer so großen Frage wie der Griechenlandhilfe unterschiedlicher Auffassung sind.

Schäuble: Es gehört zur Demokratie, dass man auch einmal unterschiedliche Meinungen hat. Und dann ringt man gemeinsam um Lösungen. Dabei hat jeder seine Rolle. Angela Merkel ist die Bundeskanzlerin, ich bin der Finanzminister. Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern. Zwingen kann sie niemand. Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten.

Der letzte Satz ist es, der den Medien die Idee von Schäubles Rücktrittswünschen in den Kopf gesetzt hat.

Allerdings funktioniert das nur, wenn man ignoriert, wie das Gespräch weitergeht:

Vermutlich haben die oben zitierten Medien aber nicht das ganze Gespräch im „Spiegel“ gelesen (online bisher nur auf Englisch verfügbar), sondern den Artikel auf „Spiegel Online“ oder die fast wortgleiche “Spiegel”-Vorabmeldung. Denn auch dort gibt’s lediglich die halbe Wahrheit.

Das Portal bewirbt das Interview der Print-Kollegen heute so:

Im Streit mit Kanzlerin Angela Merkel über die Griechenlandrettung ist Finanzminister Wolfgang Schäuble im äußersten Fall zum Rücktritt bereit. “Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern”, sagte er dem SPIEGEL. Niemand könne sie zwingen, gegen ihre Überzeugungen zu handeln. “Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten”, sagte Schäuble. (Lesen Sie hier das ganze Gespräch im neuen SPIEGEL.)

(Link im Original.)

Die entscheidende Stelle – dass Schäuble eben nicht über Rücktritt nachdenkt — erwähnt „Spiegel Online“ nicht.

Andere Medien tun das zwar, wollten aber trotzdem unbedingt irgendwie den Rücktritt ins Spiel bringen:

(tagesspiegel.de)

(stern.de)

(welt.de)

(faz.net)

Mit Dank an Konrad A.!

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