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Kevin Kuranyi in Nuss-Nougat-Skandal verwickelt

Neulich hat die “taz” ja bei der “Bild”-Zeitung nachgefragt, wie es eigentlich kommt, dass sie so oft auf die Produkte ihres guten Werbekunden Ferrero hinweist, über Dreharbeiten zu “Nutella”-Werbespots berichtet, Arne Friedrich “Nutella-Arne” nennt, Magdalena Brzeska für “Milchschnitte” werben und dafür als “Gewinnerin des Tages” hochleben lässt. Und die Axel Springer AG hat anstelle einer Antwort gesagt, es sei ja “absurd”, nicht den Namen des Produktes zu nennen, wenn zum Beispiel “eine sehr populäre Sportlerin einen großen Werbevertrag bekommt”.

Mit anderen Worten: An manchen Nachrichten und den damit verbundenen Markennamen kommt eine Zeitung wie “Bild” einfach nicht vorbei, so gerne sie es würde.

Und bestimmt hätte “Bild”-Autor Peter Heinlein seine heutige Medienkolumne auch lieber mit einer anderen Meldung aufgemacht — aber dann kamen ihm halt die Breaking News dazwischen, dass es einen neuen “Nutella”-Werbespot gibt, und dass nicht völlig auszuschließen ist, dass es wegen dem “Ärger” geben könnte. In dem Spot sieht man nämlich, wie Kevin Kuranyi (oder “Nutella-Kevin”, wie “Bild” ihn sicher bald nennen wird) ein Glas mit einer anderen Sorte Nuss-Nougat-Creme einfach hinter sich wirft. Ungegessen, jawohl! Peter Heinlein, der sich auskennt, schreibt:

Nicht nur Eltern reagieren entsetzt auf solche Details. Wo kommen wir denn dahin, wenn Jugendidole anfangen, Nahrung wegzuwerfen?

Ja, wo?

Heinlein verrät es uns nicht. Aber er zeigt auf Bild.de sicherheitshalber den neuen “Nutella”-Werbespot im Original. Alles andere wäre ja vermutlich auch “absurd”.

Mit Dank an Josef D.!

SEO bei Bild.de

Es ist eigentlich nur ein kleiner, harmloser PR-Wettbewerb. Das Online-Magazin “Macnotes”, das über Apple-Produkte berichtet, hat den Begriff “Befreiphone” erfunden, um für das iPhone ohne Vertragsbindung — und sich selbst — zu werben. Blogger und Internetseiten-Betreiber sollen diesen Begriff nun möglichst schnell bekannt machen. Ziel ist es, heute Abend bei der Google-Suche nach “Befreiphone” ganz vorne zu landen.

Es geht um Suchmaschinenoptimierung (Search Engine Optimisation, SEO), also den Versuch, durch geschicktes gegenseitiges Verlinken und diverse Tricks zu erreichen, dass Google einer Seite hohe Relevanz zu einem Thema zuschreibt. Die Resonanz auf den Wettbewerb ist groß. Viele Betreiber von Online-Seiten beteiligen sich, aber kaum einer kämpft mit einem solchen Fanatismus wie eine kleine Internetseite aus dem Hause Axel Springer: Bild.de.

In mindestens drei Artikeln hat Bild.de schon über den Wettbewerb berichtet — und sich selbst beteiligt. Bild.de machte Bloggern außerdem ein Angebot: Wer auf den Bild.de-Artikel zum “Befreiphone” verlinkt, bekommt von Bild.de einen Link zurück. (Aus dem Grad der Verlinkung zieht Google Rückschlüsse auf die Bedeutung einer Seite.)

Teilweise beschrieb Bild.de die eigene Linktausch-Aktion geschickt so ungeschickt, dass es schien, als bestehe der eigentliche Wettbewerb darin, den Bild.de-Artikel zu verlinken:

Aber dabei beließ es Bild.de nicht. Seit einigen Tagen steckt im Fußbereich jeder einzelnen Bild.de-Seite, die im Ressort “Digital” erscheint, ein Link zu dem “Befreiphone”-Artikel”:

Auch in schon vor der Aktion veröffentlichte Artikel baute Bild.de nachträglich Kästen ein, die auf die eigenen “Befreiphone”-Berichte hinwiesen.

Und sogar die Artikeltexte selbst sind dabei offenbar nicht tabu. Um die eigenen Chancen in dem Wettbewerb zu verbessern, hat Bild.de sogar den Inhalt von redaktionellen Berichten über ganz andere Themen verändert und um (inhaltlich sinnlose) Verweise auf das “Befreiphone” ergänzt. In einem über fünf Wochen alten Bild.de-Artikel über die Computerfigur Lara Croft heißt es nun unvermittelt:

"Ich trainiere sechs Tage die Woche. Ich bin sehr abenteuerlustig. Aber ich bin mir noch nicht sicher was mir mehr Angst macht, lernen Waffen abzufeuern oder der Crashkurs in Archäologie", fährt die junge Frau fort. Befreit das Befreiphone.

Und wer einen zwei Wochen alten Bild.de-Text über den “ersten Roboter mit Herz” liest, stößt in der Mitte auf einen Satz, der damit scheinbar und tatsächlich nichts zu tun hat:

Und die Menschen reagieren unweigerlich auf die elektronische Puppe - wie auf ein echtes Kind. Mehr zum Befreiphone Internet Wettbewerb finden Sie hier.

Ausgezahlt hat sich der ganze Aktionismus bisher im “Macnotes”-Wettbewerb nicht: Aktuell taucht Bild.de nicht einmal in den Top-100 Ergebnissen bei der Suche nach “Befreiphone” auf.

Warum Bild.de sich mit solchem Einsatz auf dieses Thema stürzt, ist unklar. Dass die Verantwortlichen dabei nicht einmal davor zurückschrecken, redaktionelle Berichte zu anderen Themen zu manipulieren, ist allerdings in jedem Fall bemerkenswert.

Mit Dank an Jens T.!

Serkan A., “Bild” und der Rechtsstaat

Vermutlich weiß die “Bild”-Zeitung genau, warum sie Meldungen wie diese am vergangenen Freitag als Riesenschlagzeile auf die Seite 1 setzt:

Sie tut es vermutlich, weil sie weiß, dass sie damit bei vielen Lesern eine Reaktion erreicht wie die von Norbert S., dessen Leserbrief sie am folgenden Tag veröffentlichte:

Das klingt nach einer legitimen Meinungsäußerung — so wie auch die Frage von “Bild” legitim scheint, ob der “U-Bahn-Prügler Serkan A. (21)” seine langjährige Freundin, mit der er ein gemeinsames Kind hat, nur heiratet, “um die drohende Abschiebung zu verhindern”.

Nach Ansicht von “Bild” wäre das ein “Trick”. Ein treffenderer Begriff wäre in diesem Fall “sein gutes Recht”. Das ist keine Lappalie. Man nennt die Bundesrepublik Deutschland einen “Rechtsstaat”, weil zu seinen Grundsätzen gehört, dass das Recht für alle gilt. Auch für Menschen wie Serkan A.

Tatsächlich ist es so, wie “Bild” schreibt, dass durch die Heirat eine (von “Bild” dringend herbeigewünschte) Abschiebung von Serkan A. schwieriger würde. Dabei würden, wie uns der Strafverteidiger und Lawblogger Udo Vetter auf Nachfrage erklärte, die verschiedenen Interessen gegeneinander abgewogen werden. “In der Regel wird darauf abgestellt, ob die Ehegatten vorher zusammengelebt haben oder ob zu erwarten ist, dass sie zusammenleben werden. Bei einem gemeinsamen Kind hat der Betroffene gute Karten.” Dass Serkan A. aber eine Beziehung nur vortäuscht, beide gar nicht verlobt sind oder das Kind nicht von ihm ist, behauptet nicht einmal “Bild”.

Vetter kommentiert die Aufregung der “Bild”-Zeitung so:

Ich glaube, die Empörung ist mehr darin begründet, dass Serkan von seinen Rechten Gebrauch macht und sich im Rahmen seiner Möglichkeiten wehrt. Wenn man allerdings anfängt, Rechtsschutz zu kritisieren, sollte daran denken, dass man ihn vielleicht mal selbst braucht. Die Zeitungen sind voll davon, wie Deutsche mitunter im Ausland behandelt werden. Da regt man sich regelmäßig auf, wenn sie ohne fairen Prozess auf Jahre weggesperrt werden. Hier bei uns hätte man dann aber keine Probleme mit etwas mehr Bananenrepublik. Bemerkenswert!

Das ist ein Motiv, das immer wieder in der Berichterstattung der “Bild”-Zeitung durchschimmert: Dass sie es empörend findet, dass auch Kriminelle Rechte haben — und es sogar wagen, sie in Anspruch zu nehmen. (Manchmal findet “Bild” das sogar nicht nur bei Tätern, sondern auch bei Opfern empörend.)

Mit jedem solchen Artikel, in dem die “Bild”-Zeitung den Volkszorn schürt und Leser wie Norbert S. in ihrem Gefühl bestätigt, dass ausländische Straftäter ihr Recht auf das Recht verwirkt haben, nimmt sie in Kauf, den Rechtsstaat zu unterminieren.

Dieter Bohlen bleibt für “Bild” der Froschkönig

Der Fernsehsender RTL hat die 100.000 Euro Bußgeld akzeptiert, die die Jugendmedienschutz-Kommission (KJM) gegen den Sender verhängt hatte, weil er gegen den Jugendschutz bei der Wiederholung von “Deutschland sucht den Superstar” im Nachmittagsprogramm verstoßen hat. Der “Bild”-Zeitung ist diese Meldung einen Artikel auf der ersten Seite wert.

Das Blatt schreibt:

Die Jugendmedienschutz-Kommission "KJM" hatte die Strafe im Juni verhängt. Sätze wie "Du klingst wie Kermit, wenn hinten einer drauftritt", waren den Jugendschützern zu scharf für die Superstar-Wiederholungen am Nachmittag.

Na, da weiß man ja, was man von diesen “Jugendschützern” und ihren Urteilen zu halten hat, wenn denen schon solche harmlosen Sprüche “zu scharf” sind.

Es stimmt bloß nicht. Der einigermaßen berühmte Kermit-Satz fiel bereits vor knapp sechs Jahren, im November 2002 in der ersten Staffel von “DSDS”, und er wurde nicht beanstandet.

Beanstandet wurde unter anderem die Nachmittags-Wiederholung einer Sendung, deren Verlauf “Bild” selbst damals so schilderte:

Über sechs Millionen Zuschauer schalteten am Mittwochabend bei der RTL-Castingshow ein — und waren schockiert, wie rüde Jury-Mitglied Bohlen die Bewerber zum Start der 5. Staffel abfertigte. (…) Raymund bekommt plötzlich Schnappatmung, fängt an zu zittern. (…) Der Teenager bricht weinend in den Armen der Jury-Lady zusammen (…).

Der Kandidat hyperventilierte und kollabierte schließlich fast. Bohlen rief einem Mitarbeiter anschließend zu: “Kannst du noch mal hinterhergehen und sagen: ‘Dreimal nein?'” Die KJM bemängelte grundsätzlich neben dem “herabwertenden Verhalten der Jury”, dass die redaktionelle Gestaltung “die Kandidaten gezielt lächerlich machte und damit dem Spott eines Millionenpublikums aussetzte”. “Beleidigende Äußerungen und antisoziales Verhalten” würden “als Normalität dargestellt”.

Kein Wunder vielleicht, angesichts der besten Freundschaft zwischen “Bild” und Bohlen, dass die Zeitung das Urteil falsch wiedergibt. Aber weil ganze Medien davon leben, das zu glauben und weiterzuverbreiten, was “Bild” schreibt, steht die Falschmeldung nun auch anderswo, zum Beispiel beim Online-Ableger der “Rheinischen Post”:

“Du klingst wie Kermit, wenn hinten einer drauftritt” – die Sprüche dieses Kalibers waren der Kommission für Jugendmedienschutz KJM zu viel, sie verhängte die drastische Strafe gegen den Kölner Sender.

Kurz korrigiert (480)

Peter Heinlein, der “Bild”-Medienkolumnist, der sich mit Medien ungefähr so gut auskennt wie Andreas Englisch mit dem Vatikan, schreibt aktuell nicht nur darüber, was der ehemalige “Spiegel”-Chefredakteur Stefan Aust über seine Nachfolger sagt. Bemerkenswert findet Heinlein vor allem, wo Aust es sagt:

Auch dem öffentlich-rechtlichen Medienmagazin Zapp vom NDR, dem er, wie viele andere auch, Zeit seines Amtslebens beim Spiegel die kalte Schulter gezeigt hatte, stand Aust nun zu Werbezwecken ausführlich Rede und Antwort.

Nö.

Aust hat auch jetzt nicht mit “Zapp” gesprochen und nannte die Sendung in dem Gespräch, auf das sich Heinlein bezieht, “diese merkwürdige Sendung”. “Zapp” zeigte nur Ausschnitte aus dem Interview, das Aust dem NDR-Vorabendmagazin “DAS!” gab, und hatte darauf in der Anmoderation auch unmissverständlich hingewiesen.

Und wer die verpasst hatte, konnte es zur Not an den drei Buchstaben zwischen Aust und der Moderatorin erkennen:

Mit Dank an Thomas P.!

Heiße Spuren für alle!

Heute kochen wir uns eine heiße Spur. Das ist kinderleicht. Man nehme:

  • einen Kriminalfall, der die Menschen gerade bewegt
  • einen Verdächtigen in einem anderen Kriminalfall
  • ein Telefon

Nun rufen wir bei der Polizei an und fragen sie nicht, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Verdächtige in dem einen Kriminalfall etwas mit dem anderen Kriminalfall zu tun hat, sondern nur, ob sie einen Zusammenhang ausschließen kann. Weil es zum Wesen solcher Ermittlungen gehört, möglichst wenig auszuschließen, wird die Antwort vermutlich “Nein” lauten, und, voilà: Wir haben unsere exklusive Spur, heiß gemacht durch eine Formulierung wie: “Die Polizei bestätigte, einen Zusammenhang nicht ausschließen zu können.”

Ein ähnliches Rezept hat “Bild” schon nach dem Mord an der achtjährigen Michelle aus Leipzig angewandt, als sie immer wieder ein Phantomfoto aus einem anderen Fall zeigte und als möglichen Täter und “heiße Spur” präsentierte — was nach den Worten des Polizeipräsidenten die Ermittlungen “erheblich behinderte”.

Gestern kochte sich “Bild” aber schon wieder eine mögliche “heiße Spur” zusammen. In Lyon war im Zusammenhang mit dem Mord an einem elfjährigen Jungen eine Frau festgenommen worden. Deutsche Ermittler im Fall der sogenannten “Phantomkillerin”, die unter anderem im vergangenen Jahr in Heilbronn eine Polizistin tötete, überprüften die DNA der französischen Frau — routinemäßig.

“Wenn Sie mich fragen, ist die Spur noch nicht einmal lauwarm, geschweige denn heiß”, sagte ein Polizeisprecher der “Badischen Zeitung”. Allerdings wäre es fahrlässig, eine solche Spur nicht abzugleichen — das werde bei jedem Gartenhauseinbruch so gemacht.

Das ist aber natürlich keine “Bild”-Geschichte. Eine “Bild”-Geschichte wurde es dadurch, dass sich “Bild”-Redakteur Bernd Strehlau von der Polizei bestätigen ließ, dass sich ein Zusammenhang nicht ausschließen lässt. Dann konnte er das Foto der Frau zeigen, die Worte “Ist SIE die Phantomkillerin?” daneben setzen und exklusiv berichten:

Die Polizei in Heilbronn bestätigte: Ein Zusammenhang mit dem Heilbronner Mord im April 2007 und dem Tod des Elfjährigen nahe Lyon im Juli sei nicht auszuschließen.

An dieser Stelle könnte die Geschichte zuende sein. Man könnte sagen: Mei, so sind sie halt bei “Bild”, das weiß man doch und kann damit umgehen. Die Nachrichtenagentur dpa aber weiß das offenbar nicht. Und so meldete sie gestern vormittag:

Heilbronn (dpa) – Eine Spur im Fall des Polizistinnenmordes in Heilbronn im vergangenen Jahr führt möglicherweise nach Frankreich. Die Polizei in Heilbronn schließe einen Zusammenhang zwischen der kaltblütigen Tat im April 2007 und einem grausamen Mord an einem Elfjährigen Ende Juli in der Nähe von Lyon nicht aus, teilte ein Sprecher am Donnerstag mit und bestätigte damit einen Bericht der “Bild”-Zeitung.

Wohlgemerkt: Er bestätigte, dass er bestätigte, dass er einen Zusammenhang nicht ausschließt. Um 14 Uhr zitierte dpa in einem längeren Text immerhin den Heilbronner Sprecher der Polizei nun plötzlich auch mit den Worten, es handle sich um eine “routinemäßige Überprüfung wie bei hunderten von anderen Fällen auch”.

Nicht einmal zwei Stunden später, um 15:47 Uhr, meldete dpa schließlich, die Spur sei “kalt”: Der Vergleich der DNA-Spuren habe keine Übereinstimmungen ergeben.

Bild.de-Leser wissen davon noch nichts. Und die “Heiße Spur?”-“News” ist aktuell immer noch eine der meistgelesenen auf Bild.de.



Mit Dank an die “Badische Zeitung”!

Von Äpfeln, Birnen, Weintrauben und Kiwi

Anfang der Woche verkündete “Bild” “eine echte TV-Sensation”: Andrea Kiewel, von der sich das ZDF im vergangenen Jahr wegen Schleichwerbevorwürfen getrennt hatte, wird im Oktober als Gast bei einer Gala der Welthungerhilfe auftreten, die das ZDF zeigt. “Bild” glaubt, dass das “eine behutsame Vorbereitung – auf Kiewels Komplett-Rückkehr” sein könnte und fragt:

Kriegt Andrea Kiewel wieder den Fernsehgarten?

Tja, wer weiß. “Bild” offenbar nicht, und das ZDF sagt, es handele sich um “reine Spekulation”, was natürlich nicht bedeutet, dass es nicht am Ende so kommen könnte.

Die Nachrichtenagentur AP und viele Medien berichteten über die mögliche Rückkehr Kiewels zum ZDF, und sie übernahmen nicht nur die (nicht nachprüfbare) Spekulation, sondern auch (leicht nachprüfbare) Tatsachenbehauptungen von “Bild”. AP zum Beispiel meldet unter Bezug auf “Bild”:

[Kiewel] habe als Moderatorin des “Fernsehgartens” im Durchschnitt 2,3 Millionen Zuschauer gehabt, ihr Nachfolger Ernst-Marcus Thomas im August nur 1,3 Millionen.

“Spiegel Online” kürzte aus der Formulierung sogar noch die Zeitangaben und berichtete:

[Kiewel] habe als Moderatorin des “Fernsehgartens” im Durchschnitt 2,3 Millionen Zuschauer gehabt. Ihr Nachfolger Ernst-Marcus Thomas habe dagegen nur 1,3 Millionen erreicht.

Das ist noch falscher als das, was “Bild” geschrieben hatte:

Sieben Jahre lang hatte [Kiewel] tolle Quoten für die TV-Show geholt – im Schnitt 2,3 Millionen Zuschauer. Nach ihrer Kündigung versuchte Kiewels Nachfolger Ernst-Marcus Thomas (35) sehr engagiert sein Glück – vergeblich.

Im August lag die Zuschauerzahl bei nur noch bei [sic] 1,3 Millionen.

Eigentlich muss man nicht einmal recherchieren, um zu erkennen, wie unfair die Rechnung wäre, selbst wenn sie stimmen würde: “Bild” vergleicht die Quoten von sieben Jahren mit den Quoten von einem Monat.

Aber die angegebenen Zahlen stimmen nicht einmal. 1,3 Millionen Zuschauer hatte die schlechte Sendung im August — insgesamt lag die Zahl in dem Monat bei 1,46 Millionen.

In den sieben Jahren, in denen Kiewel moderierte, hatte der “Fernsehgarten” im Schnitt 1,94 Millionen Zuschauer (wie “Bild” auf 2,3 Millionen kommt, ist dem ZDF schleierhaft). Und im Jahr 2008 hatte die Sendung mit Ernst-Marcus Thomas bisher im Schnitt 1,53 Millionen Zuschauer — wodurch der Abstand zu Kiewel nicht, wie “Bild” in der Kiwi-Euphorie seiner Exklusiv-Spekulation behauptet, eine Million Zuschauer beträgt…

… sondern nur rund 400.000.

Die “Bild”-Zeitung vergleicht Äpfel mit als Birnen getarnten Weintrauben. Und AP, “Spiegel Online” und die anderen kaufen ihr die Grütze auch noch ab.

Urbi et Orbi?

Es hat natürlich eine gewisse Tragik, dass die Untersuchung der französischen Wissenschaftler über die Resistenz mancher Menschen gegen das HI-Virus ausgerechnet einen Zusammenhang mit der Ausbreitung des Römischen Reiches herstellte, wodurch das Thema quasi zwangsläufig in den Zuständkeitsbereich des Vatikan-Korrespondenten der “Bild”-Zeitung fiel, obwohl Wissen und -schaft eigentlich nicht dessen Spezialitäten sind.

So aber durfte oder musste Andreas Englisch sich der faszinierenden These annehmen, dass die Römer dafür sorgten, dass in Südeuropa weniger Menschen als in Nordeuropa eine Genvariante haben, die dafür sorgt, dass sie gegen Infektionen mit HIV relativ resistent sind. Die unterschiedliche Verbreitung dieser Genvariante in Europe weist verblüffende Ähnlichkeiten mit der Ausbreitung des Römischen Reiches aus. Eric Faure von der Universität der Provence in Marseille erklärt das laut “New Scientist” damit, dass die Römer in die von ihnen eroberten Regionen Moskitos mit Krankheitserregern brachten, für die besonders die Menschen anfällig waren, die eine Genvariante trugen, die heute gegen das HI-Virus schützt. Diese Menschen seien in den Bereichen, in die die Römer kamen, deshalb teilweise ausgestorben.

Bei Andreas Englisch liest sich das so:

Die Soldaten brachten Tiere mit sich, Lebensmittel und Krankheiten. Diese Krankheiten sorgten dafür, dass die Leute unter römischer Herrschaft andere Gene besitzen als die unabhängiger Regionen.

Die römischen Legionen, die durch das Gebiet des heutigen Deutschlands zogen, nahmen daher unseren Vorfahren die Chance das Schutzschild zu entwickeln.

Das ist, mit ein bisschen Mühe, wenigstens noch viertelrichtig. Grotesk ist aber der erste Satz, den Englisch für seinen Einstieg in das Thema gewählt hat:

Die Ausbreitung des römischen Imperiums und die Karte der Aids-Erkrankungen sind sehr ähnlich (…).

Nein. Bis nach Zentral- und Südafrika, Russland, Zentralamerika und Asien sind die Römer nicht gekommen.

Mit Dank an Uwe S.!

“Bild” kennzeichnet das Sommerloch

“Sommerloch”, das sagt sich so leicht. Irgendjemand muss das Ding schließlich Jahr für Jahr ausheben, befestigen und bepflanzen. Zum Glück übernimmt das in Deutschland ein Medium zentral für fast alle anderen.

Heute zum Beispiel mit dieser Meldung auf Seite 1:

"Wegen Diskriminierung im Straßenverkehr: Kfz-Kennzeichen bald ohne Orts-Kennung?"

Hauptdarsteller der Geschichte ist ein CDU-Politiker namens Peter Trapp, der als Polizeibeamter dafür zuständig war, Strategien zur Bekämpfung der Straßenkriminalität in Spandau zu entwickeln und umzusetzen und seit fast neun Jahren den Spandauer Wahlkreis 5 (Kladow, Gatow, Pichelsdorf und die südliche Wilhelmstadt) im Berliner Abgeordnetenhaus vertritt, wo er den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung leitet.

“Bild” zitiert ihn heute mit dem Satz: “Die Abschaffung der Ortsziffern auf dem Nummernschild ist (…) zu überdenken.” Tatsächlich will er die Kürzel für die Orte aber offenbar nicht retten, sondern abschaffen. Weil “Autofahrer aus bestimmten Regionen aufgrund ihres Kennzeichens” dadurch diskriminiert würden, dass andere sie für Deppen hielten.

Im nordrhein-westfälischen Landtag fand “Bild” einen grünen Abgeordneten namens Johannes Remmel, der den Vorschlag zu unterstützen schien und einen “Ideenwettbewerb zur kreativen Gestaltung von Nummernschildern für sinnvoll” erklärte.

Die “Bild”-Meldung fand guten Absatz.

Der Hessische Rundfunk lieferte als Service sieben Kennzeichenwitze aus der Region, der “Kölner Stadtanzeiger” zwei aus dem näheren Umkreis und drei aus dem Ferne; bei n-tv.de hat man die vier Nummernschild-Ulk-Übersetzungen aus “Bild” freundlicherweise um fünf weitere Ideen ergänzt.

n-tv.de fand aber auch, die Nachricht klinge “wie ein verspäteter Aprilscherz”, fragte bei den von “Bild” zitierten Politikern selbst nach und erfuhr, dass Johannes Remmel relativ egal ist, welche Buchstaben auf den Kennzeichen stehen, solange sie schön bunt sind.

“Stern”-Autor Wolfgang Röhl nutzte die Gelegenheit der “Bild”-Meldung, in einem Beitrag für die sich für politisch unkorrekt haltende “Achse des Guten” ein ausländerfeindliches Witzchen zu machen.

De Nachrichtenagentur AP schließlich fand erstaunlicherweise zwischen der Nennung von nicht weniger als zehn Kennzeichenwitzen noch Platz, eine Reaktion von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee zu zitieren, der den Forderungen “umgehend eine Absage” erteilt habe: “Ich glaube, wir haben ein sehr gut funktionierendes System in Deutschland, das sich bewährt hat.”

“Wir haben keine Veranlassung, von den regionalen und merkbaren Kennzeichen Abstand zu nehmen. Das System hat sich bewährt”, waren übrigens die Worte, die auch ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums gegenüber derselben Nachrichtenagentur gewählt hatte — vor vier Jahren. Damals hatte ein CDU-Bundestagsabgeordneter namens Albrecht Feibel gefordert, die Orts-Kennungen in den Kennzeichen abzuschaffen, immerhin mit der weniger originellen Begründung, dass sie soviel Bürokratie produzierten. Feibels Vorschlag wurde am 20. Juli 2004 bekannt, weshalb der Ministeriumssprecher laut AP von einem typischen Sommerloch-Vorschlag sprach.

Verbreitet wurde er auch damals von der dafür zuständigen Zeitung auf Seite 1:

"Auch das noch! Für alle Autos neue Nummernschilder?"

Mit Dank auch an Daniel W. für den Hinweis.

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