Gut, wir können verstehen, dass die Leute von Bild.de zögern, Inhalte von “Bild” einfach zu übernehmen. Und doch: Manchmal wäre es die bessere Entscheidung.
Denn der Mann, in dessen Londoner Penthouse bei einer wilden Party in dieser Woche ein Mann zu Tode stürzte, heißt zwar Gottfried von Bismarck. Es handelt sich aber nicht um den gleichnamigen Ehrensenator der Technischen Universität Hamburg-Harburg, den Bild.de dazu abbildet (Ausriss links). Sondern um den über zwanzig Jahre jüngeren Playboy, der in der gedruckten “Bild” zu sehen ist (Ausriss rechts).
Danke an Axel L., Frank S., Friedrich G. und Arne für die Hinweise!
Nachtrag, 27. August. Bild.de zeigt nun sicherheitshalber gar keinen Gottfried von Bismarck mehr.
Nachtrag, 29. August. Auf Bild.de findet sich heute eine “Richtigstellung”.
Die Xenophobie (griechisch ξενοφοβία — Fremdenangst, Fremdenfeindlichkeit, Kompositum aus ξένος, xénos — der “Fremd”, der “Gast” und φόβος, phóbos – “Furcht”) bezeichnet die Scheu oder Furcht vor dem Fremden. Xenophobie ist eine ablehnende Einstellung und Verhaltensweise gegenüber anderen Menschen und Gruppen, die vermeintlich oder real fremd sind (z. B. durch fremde Herkunft, Kultur, Sprache). Sie kann sich durch Furcht, Meidung, Geringschätzung, Spott oder Feindseligkeit ausdrücken, die bis zur Gewalt reicht. Teilweise wird der “Fremde” als Quelle unvorhersehbarer Gefahren gescheut.
Franz Josef Wagner schreibt heute in “Bild” bezüglich der versuchten Bombenanschläge in Deutschland u.a.:
*) Im Brockhaus heißt es zu Xenophobie auch:
“(…) Ursachen von Fremdenfeindlichkeit sieht die Individual- und Sozialpsychologie in Ichschwäche, repressiven Sozialisationsmodellen und mangelnder Gruppenidentität beziehungsweise fehlenden sozialen Stabilisierungen.
Die Soziologie nennt als Bedingungen, die Fremdenfeindlichkeit auslösen (die sich zur Gewalttätigkeit gegen die Fremden beziehungsweise das Fremde steigern kann), mangelnde familiäre Bindungen, berufliche Chancenlosigkeit, die Auflösung von traditionellen Milieus im Zuge beschleunigten sozialen Wandels und die Pluralisierung beziehungsweise den Verlust von gesellschaftlichen Normen und Werten.
Die Politikwissenschaft interpretiert Fremdenfeindlichkeit als Mangel an politischer Bildung, die die Unabdingbarkeit von Toleranz und universellen Menschenrechten gegenüber dem oder den Fremden in einer offenen, zunehmend mobilen pluralistischen Gesellschaft nicht genügend vermittelt. (…)”
In der vergangenen Woche wurde Monika Böttcher, die in einem Aufsehen erregenden Prozess wegen des Mordes an ihren zwei Kindern verurteilt worden war, aus der Haft entlassen. Und die “Bild am Sonntag” beginnt ihren Artikel darüber mit den Worten:
Monika Böttcher war vom Frankfurter Landgericht “zu ‘lebenslänglich’ verurteilt” worden, wie auch die “Bild am Sonntag” schreibt. Wer zu lebenslanger Haft verurteilt wird, muss aber mindestens für 15 Jahre ins Gefängnis. Zu sagen, Monika Böttcher habe ihre Strafe “bis zum letzten Tag absitzen” müssen, ist also Unfug. Im Gegenteil: Sie kam zum frühestmöglichen Zeitpunkt frei.
Es gibt gute Gründe, warum man niemanden vor einer gerichtlichen Verurteilung einen “Mörder” nennen darf, selbst dann nicht, wenn er ein Geständnis abgelegt hat. Das lässt sich gut anhand der heutigen “Bild”-Zeitung demonstrieren:
Ob John Karr, der gestern in Thailand festgenommen wurde, tatsächlich 1996 in den USA die sechsjährige JonBenet Ramsey getötet hat, ist nämlich alles andere als sicher. Er hat zwar zugegeben, bei ihr gewesen zu sein, als sie starb. Aber selbst die zuständige Staatsanwaltschaft zieht sein Geständnis in Zweifel. Seine Ex-Frau soll ihm ein glaubwürdiges Alibi gegeben haben, in Details gibt Karr den Tatverlauf falsch wieder und kann nicht erklären, wie er das Mädchen kennenlernte oder an den Tatort gelangte. Psychologen erklärten, Karr habe schwere Minderwertigkeitskomplexe und suche dringend Aufmerksamkeit, langjährige Kenner des Falles stellten viele Widersprüche fest.
Ja, das konnte man gestern alles noch nicht wissen. Aber genau darum wäre “Bild” gut beraten gewesen, den Verdächtigen nicht (wie sooft) als “Kinder-Killer” und “Mörder” zu bezeichnen.
Danke an Nils M. für den Hinweis!
Nachtrag, 13.55 Uhr. Und selbst jetzt, da “Bild” die Zweifel an der Aussage Karrs kennt und in seinem Online-Ableger darüber berichtet, nennt Bild.de den Verdächtigen schlicht “Killer”.
Zweifelhaft sind diese Klatschgeschichten, die so durch die Medien geistern ohnehin. Nachdem Bild.de sie bearbeitet hat, sind sie auch falsch.
Der “Action-Thriller”, vor dessen Kamera Frau Ryder und Herr Reeves nach Meinung von Bild.de “derzeit” stehen, ist ein Science-Fiction-Drama, das vor zweieinhalb Monaten in Cannes Premiere hatte, seit über fünf Wochen in den amerikanischen Kinos läuft und vor drei Wochen erstmals in Deutschland zu sehen war.
“Bild” lässt sich heute von Michael Wolffsohn die Frage beantworten, ob Israel den Krieg gewonnen hat. Der Professor für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Beziehungen kommt zu dem Ergebnis “Gewonnen ja, gesiegt nein!”, und begründet das u.a. so:
Die Hisbollah sollte entwaffnet werden. So hatte es die Uno 2004 beschlossen. Im jetzigen Uno-Beschluss zum Waffenstillstand ist von Entwaffnung der Hisbollah nicht mehr die Rede.
Nun ja: Der jetzige Beschluss des UN-Sicherheitsrates (Resolution 1701) bezieht sich nicht weniger als vier mal auf den Beschluss von 2004 (Resolution 1559), in dem die Entwaffnung aller Milizen im Libanon gefordert wurde. Und der jetzige Beschluss wiederholt die alte Forderung ausdrücklich noch: Grundlage des Waffenstillstands und einer langfristigen Lösung sei u.a. “die Entwaffnung aller bewaffneten Gruppen im Libanon” außer der libanesischen Streitkräfte. Generalsekretär Kofi Annan wird aufgefordert, Vorschläge für die Entwaffnung der Miliz zu erarbeiten.
Kurz gesagt: Das Gegenteil dessen, was in “Bild” steht, ist richtig.
Es scheint, als hätte die “Bild”-Zeitung den Überblick über die vielen Schauplätze im Nahen Osten verloren. Gestern formulierte sie in Bezug auf die Waffenruhe im Libanon-Konflikt die Überschrift:
Der Pfeil unter dem Wort “ihn” zeigt auf einen Mann, der als angeblicher Kollaborateur von Mitgliedern der Gruppe “Islamischer Jihad” hingerichtet worden sein soll. Im Westjordanland wohlgemerkt, nicht im Libanon.
Als Rudi Carrell der “Bild”-Zeitung im vergangenen Dezember vorwarf, ihn mit ihrer Berichterstattung über seine Krebskrankheit “lebendig begraben” zu wollen, reagierte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann mit Unverständnis. Er antwortete dem Showmaster:
Wie Sie wissen, berichten — im Gegensatz zu BILD — zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften seit vielen Wochen über Ihre Erkrankung. Erst nachdem Sie selbst am 21. November in der niederländischen Illustrierten “Prive” und anschließend mit BUNTE offen über ihre Krebskrankheit sprachen (…ich weiß, daß ich Krebs habe…), hat BILD entsprechend berichtet. Ihre Äußerungen ließen für uns den Schluß zu, daß Sie mit diesem sehr persönlichen Thema nun durchaus öffentlich umgehen wollen.
Kai Diekmann suggeriert also, “Bild” habe vor dem 21. November 2005 nicht über Carrells Krebs berichtet.
Am 15. November 2005 titelte “Bild”:
Abgemagert — Haarausfall — Kaum noch Auftritte
Wie krank ist Rudi Carrell?
Die “Bild”-Autoren Daniel Cremer und Guido Brandenburg zitierten “enge Freunde”, dass es Carrell “sehr schlecht gehe, er ernsthaft erkankt sei”. Sie wiederholten die Sätze, die Carrells Schwiegermutter der Zeitschrift “das neue” gesagt haben soll: “Daß er Krebs hat, ist definitiv. Eine Chemo hat er ja schon hinter sich. Rudi spricht nicht über seine Krankheit.” Und sie stellten fest: “Fragen zu seiner Krankheit möchte Carrell nicht beantworten.”
Am 16. November 2005 berichtete “Bild”:
So tapfer kämpft er gegen seine Krankheit
(…) Entertainer Rudi Carrell (70) kämpft tapfer gegen seine schwere Krankheit an. Nach Auskunft seiner Ex-Schwiegermutter Erna Bobbert (92) ist Carrell an Krebs erkrankt, unterzog sich schon einer ersten Therapie. (…)
Am 18. November 2005 schrieb “Bild” zu einem Foto:
Hier geht Rudi Carrell zur Arbeit — Trotz Krankheit!
Köln — Er hat viel Gewicht verloren. Seine Wangen sind eingefallen. Die einst so fröhlichen Augen haben ihren Glanz verloren. (…)
Diekmann will seinen Brief an Carrell bekanntlich als “Entschuldigung” verstanden wissen.
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann streitet sich mit dem toten Rudi Carrell.
Carrell hatte Diekmann im “SZ-Magazin” vorgeworfen, er habe seinen Tod “herbeigesehnt” und sich nie für die verletzende Berichterstattung der “Bild”-Zeitung über seine Krebserkrankung entschuldigt. Diekmann ging daraufhin juristisch gegen die Zeitschrift vor. Nach dem Tod Carrells verlangte er eine “Richtigstellung”, die das Blatt heute abdruckt.
Aber der Reihe nach.
Am 17. März erschien im “SZ-Magazin” ein langes Gespräch mit Rudi Carrell, das “Bild” in Auszügen nachdruckte und in dem es auch um die “Bild”-Zeitung ging:
SZ-Magazin: Wie kam Ihre Krankheit an die Öffentlichkeit?
Carrell: Ich hatte der Bunten ein ehrliches Interview gegeben. Na gut, ich habe versucht, den Krebs etwas herunterzuspielen. “Ich habe zwar eine schwere Krankheit”, habe ich gesagt, “aber ich lebe, habe keine Schmerzen, kann arbeiten.” Und was hat die Bild-Zeitung daraus gemacht? Haarausfall, schwer abgenommen! Ich war stinksauer. Und dann diese schlimmen Fotos: Ich fand die ganze Sache nicht fair – mir gegenüber und Hunderttausenden, die Angst vor einer Krebsvorsorge haben oder selbst vor einer Chemotherapie stehen.
Hat sich die Bild-Zeitung bei Ihnen entschuldigt?
Nein, obwohl ich mich schriftlich beim Chefredakteur beschwert habe: “Ich lasse mich von euch nicht lebendig begraben!” (…)
Haben Sie eine Antwort auf Ihren Brief bekommen?
Ja. “Sie wissen doch, wir sind Ihre größten Fans!”, hat Kai Diekmann zurückgeschrieben. Zwei Tage zuvor hatte er noch meinen Tod herbeigesehnt.
Diekmann erwirkte u.a. gegen diese Passagen eine einstweilige Verfügung. Sie sind deshalb aus dem Online-Auftritt des “SZ-Magazins” spurlos verschwunden.
Außerdem verlangte Diekmann vom “SZ-Magazin” den Abdruck einer Gegendarstellung. Zunächst unterlag er mit dieser Forderung vor Gericht. Wenige Tage vor der nächsten Gerichtsverhandlung starb Carrell. Diekmanns Anwälte verzichteten daraufhin auf ihre Forderung — doch der Tod Carrells war für Diekmann offenbar kein Grund, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Einige Tage später ließ er eine neue Forderung stellen: Das “SZ-Magazin” solle nun eine eigene Richtigstellung abdrucken.
(…) dass der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, sich in einem Schreiben an Rudi Carrell für die Berichterstattung in Bild über seine Krebserkrankung entschuldigt hat.
(…) dass Kai Diekmann niemals den Tod von Rudi Carrell herbeigesehnt hat.
In der Formulierung, die Diekmann veranlasste, steckt eine erstaunliche Behauptung. Denn wie Carrell können auch wir in Diekmanns Brief keine Entschuldigung für die Berichterstattung entdecken. In seinem Fax vom 22. Dezember 2005 an Carrell räumt er keinerlei Fehlverhalten seiner Zeitung ein. Stattdessen schreibt er:
Sehr geehrter Herr Carrell,
ich finde es sehr bedauerlich, daß Sie sich durch unsere Berichterstattung verletzt fühlen. Das war nicht unsere Absicht. (…)
BILD ist seit Jahren einer Ihrer treuesten Fans. Ich bedaure sehr, daß Sie mit unserer Berichterstattung unzufrieden sind (…).
Was Diekmann bedauert, ist nicht die Berichterstattung von “Bild”, sondern Carrells Unzufriedenheit.
So war das also: In der gleichen Woche, in der Diekmann in seiner Zeitung den Tod “des großen Rudi Carrell”, des “TV-Giganten” und “großen Entertainers” betrauern ließ, beauftragte er seine Anwälte, gegen dessen Aussagen vorzugehen.
Die “Bild”-Zeitung fasst heute die Kriegshandlungen im Nahen Osten so zusammen:
Die Kämpfe gingen unterdessen mit voller Härte weiter. Die Hisbollah feuerte über 90 Raketen auf Nordisrael ab. Bei Kämpfen im Südlibanon starben drei Soldaten und 30 Hisbollah-Kämpfer.
Zum Vergleich: So berichteten die Nachrichtenagenturen gestern über die Ereignisse (alle Hervorhebungen von uns):
dpa, 20.22 Uhr: “Bei Gefechten im Südlibanon seien drei Soldaten getötet und fünf weitere verletzt worden, zudem seien 30 Hisbollah-Kämpfer getötet worden, teilte die israelische Armee mit.”
dpa, 19.33 Uhr: “Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben …”
AP, 19.32 Uhr: “Bei heftigen Gefechten im Grenzgebiet kamen nach israelischen Militärangaben…”
Reuters, 19.03 Uhr: “Am 28. Kriegstag kamen nach Angaben der Armee…”
AP, 16.29 Uhr: “Bei heftigen Gefechten im Grenzgebiet kamen nach israelischen Militärangaben…”
dpa, 15.45 Uhr: “Die israelische Armee teilte mit, …”
Am vergangenen Sonntag hatte “Bild am Sonntag” die Mahnung zitiert, dass in einem Krieg “jede der handelnden Parteien ein eigenes Interesse bei der Zurverfügungstellung von Informationen” habe, und Medien deshalb Distanz wahren und vermitteln müssten. Für die “Bild”-Zeitung scheint das nicht zu gelten. Sie macht ohne Not aus unüberprüften Informationen einer der handelnden Parteien objektive Tatsachen – und schreibt sie ganz ohne Quellenangabe auf…