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Germany’s Next Toplessmodel

Irgendwas ist ja immer.

Gestern zum Beispiel machte die “Bild”-Zeitung mit dem “Geständnis” des ehemaligen Arbeitsministers Walter Riester auf, dass er in seiner Zeit als Fliesenleger auch mal schwarz gearbeitet habe. Riester war zwischen 1957 und 1969 Fliesenleger.

Heute macht die “Bild”-Zeitung mit dem “Nackt-Skandal” auf, der die ProSieben-Show “Germany’s Next Topmodel” erschüttere. Eine der Kandidatinnen hatte vor einem Jahr Akt-Fotos von sich anfertigen lassen, die im “Penthouse” veröffentlicht wurden, das im Teilnehmer-Fragebogen der Fernsehshow aber nicht angegeben.

Und um die Frage, “Wird Model Aline jetzt gefeuert”, die “Bild” auf dem Titel stellt und im Artikel in mehreren Variationen wiederholt, schnell zu beantworten: Nein, Model Aline wird jetzt nicht gefeuert. Oder in den Worten von Moderatorin Heidi Klum in der Sendung gestern: “Es ist nicht so, dass du jetzt gehen musst.”

“Bild” spricht von einem “schlüpfrigen Geheimnis”, das Aline verschwiegen habe und von “eindeutigen Sex-Posen”. Was “Bild” nicht erwähnt: Wo “Germanys Next Topmodel” im Internet auf diese beinahe pornografisch klingenden Fotos stieß. In der Sendung selbst konnte man es erahnen:

Richtig: Auf Bild.de. Als Teil der großen Bild.de-Wahl zum “Penthouse Girl 2008”. Der Skandal, wenn es denn einen gibt, besteht allein darin, dass die Kandidatin die Existenz solcher Fotos geleugnet hatte.

(Die “Bild”-Schwesterzeitung “B.Z.” übrigens berichtete unter der Überschrift “Vernackten die Sexfotos Aline den Sieg bei Heidi?” gestern schon über die Fotos — mit ausdrücklichem Verweis auf Bild.de als Ort der Veröffentlichung. Online ist der “B.Z.”-Artikel inzwischen aus unbekannten Gründen gelöscht.)

Der heutige “Bild”-Artikel endet mit den Worten:

Eine Lüge, die Folgen haben könnte.

Nein: Eine Lüge, die Folgen hat. Denn die skandalösen Fotos, von denen Aline im Nachhinein sagt, sie wollte, dass sie niemand sieht, können dank der gemeinsamen Scheinheiligkeit von Heidi Klum, ProSieben und “Bild” heute elfeinhalb Millionen “Bild”-Leser sehen, eines davon im beeindruckenden Maßstab von fast 1:5.

Wie “Bild” Ronald Schills Weste weißte

Die Liste derjenigen, bei denen sich die “Bild”-Zeitung entschuldigen sollte, ist vermutlich so lang, dass sie nicht ausgedruckt werden kann, ohne eine Explosion des Papier-Preises zu verursachen. Vergangene Woche ist sie wieder um ein paar Namen länger geworden.

Denn in der vergangenen Woche hat “Bild” ein Video veröffentlicht, das angeblich zeigt, wie der frühere Hamburger Richter und Innensenator Ronald Schill Kokain schnupft und erklärt, wie er die Öffentlichkeit mithilfe eines Haartests über seinen Drogenkonsum getäuscht habe. Das ist insofern überraschend, als sich “Bild” vor sechs Jahren, nachdem Schill diesen Test gemacht hatte, ganz außerordentlich sicher war. “Bild” Hamburg titelte am 19. Februar 2002:

Schill nahm nie Kokain

Diese Schlagzeile scheint nicht nur aus heutiger Sicht falsch zu sein — sie war auch aus damaliger Sicht schon falsch, nämlich durch nichts gedeckt. “Bild” wusste genau, dass die Aussagekraft des Haartestes, den Schill hatte machen lassen, nicht weiter als knapp eineinhalb Jahre zurückreichte. Und “Bild” selbst schrieb, die Mediziner hätten “sporadische Einnahmen” von Kokain als “unwahrscheinlich” bezeichnet — also nicht ausgeschlossen.

Der Name des Autors über dem “Bild”-Artikel vom vergangenen Samstag (“Ein deutscher Politiker schnupft ungeniert Kokain!”) ist übrigens derselbe, der über dem “Bild”-Artikel von 2002 (“Schill nahm nie Kokain”) stand: Christian Kersting. — Lustig.

Jedenfalls behauptete “Bild” 2002, die Münchner Rechtsmedizin, die die Probe damals untersuchte, habe “die genauestmögliche Messmethode angewandt, die es gibt”. Dabei hatte der Toxikologe Hans Sachs laut “Bild” bloß gesagt: “Das war die genaueste Analyse, die je an diesem Haus durchgeführt wurde.” Wolfgang Eisenmenger, der Vorstand des Instituts, erklärte jetzt gegenüber morgenpost.de, andere Labors hätte empfindlichere Tests durchführen können — Schill habe das aber abgelehnt.

Das wusste man damals noch nicht; bekannt war aber, wie begrenzt die Aussagekraft dieser Untersuchung war. Am selben Tag, an dem “Bild” titelte: “Schill nahm nie Kokain”, berichtete z.B. die “taz”:

Die Aussagekraft der Haarprobe war im Vorfeld allerdings selbst vom durchführenden Toxikologen Prof. Hans Sachs in Frage gestellt worden. Auch sein Frankfurter Kollege Gerold Kauert betonte, dass “nur relevanter Drogenkonsum nachgewiesen werden kann, so bei einem Menschen, der jedes Wochenende Drogen nimmt”. Ähnlich hatte sich auch der Leiter des Institutes für pharmazeutische Forschung in Nürnberg, Prof. Fritz Sörgel, geäußert.

Ähnlich berichtete damals auch “Spiegel Online”.

Schill ignorierte diese wichtigen Einschränkungen natürlich — und seine Freunde von “Bild” auch. Für die Zeitung, die den “Richter Gnadenlos” in Hamburg in den Monaten zuvor maßgeblich groß gemacht und zum einsamen, durchgreifenden Kämpfer gegen Kriminelle hochstilisiert hatte, blieb nicht der Hauch eines Zweifels.

“Bild” über “Panorama”

“Bild”, 12.2.2002:
Hamburgs Innensenator Ronald Schill (43) will ein für alle Mal die unglaublichen Kokain-Vorwürfe gegen sich aus der Welt schaffen! Als erster Politiker unterzog er sich gestern im Gerichtsmedizinischen Institut München einem Haartest.
Schill reagierte mit seinem aufsehenerregenden Schritt auf unbewiesene Vorhaltungen des NDR-Magazins “Panorama”. In der TV-Sendung hatte ein angeblicher Zeuge behauptet, Schill habe sich bei einer Wahlparty am 23. September 2001 in Hamburg mit dem Finger “weißes Pulver” auf das Zahnfleisch gerieben. Laut “Panorama” eine gängige Methode, um Kokain zu konsumieren.

“Bild”, 21.2.2002:
Verlierer
Das TV-Magazin “Panorama” (NDR) hat vor dem Landgericht Hamburg eine schwere Niederlage erlitten. Das Polit-Magazin darf nicht mehr behaupten, dass Hamburgs Innensenator Schill Kokain genommen hat. Sonst droht ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro. BILD meint: Bitte nicht von unseren Rundfunkgebühren…

Zur Untersuchung der Haarprobe sah sich Schill gezwungen, nachdem das ARD-Magazin “Panorama” am 7. Februar 2002 einen unkenntlich gemachten Zeugen präsentiert hatte, der angab, Schill beim offenkundigen Kokain-Konsum gesehen zu haben. (Entsprechende Gerüchte waren schon vorher aufgetaucht.) “Bild” listete deshalb am 22. Februar 2002 unter der Überschrift “Wer sich bei Schill entschuldigen sollte” unter anderem auf:

Jobst Plog, NDR-Intendant. Er ist der oberste Chef und verantwortlich für den Bericht. Gegen ihn erwirkte Schill eine einstweilige Verfügung.

Kuno Haberbusch, Panorama-Chefredakteur. Sein Magazin präsentierte den offenbar falschen Zeugen und montierte angeblich widersprüchliche Aussagen Schills aneinander.

Prof. Wolfgang Hoffmann-Riem, Bundesverfassungsrichter. Er hatte in einem offenen Brief Schill aufgefordert, sich zu den Kokain-Vorwürfen zu äußern. Scheinheilig dozierte er dabei, er sei nur um das Ansehen des Amtes besorgt.

Bei wem sich die “Bild”-Zeitung nun ihrerseits entschuldigt hat (unser erster Vorschlag: die Leser), ist unbekannt.

 
PS: Auch den “Bild”-Kolumnisten Franz Josef Wagner beschäftigte der Fall. Am 12. Februar 2002 schrieb er an Schill einen Brief:

Lieber Innensenator Schill,

obwohl ich Ihr Law-and-Order-Gedöns überhaupt nicht mag, finde ich mich plötzlich unter denen, die Sie verteidigen. “Panorama” hat einen anonymen Zeugen auftreten lassen, der behauptete, Sie hätten sich auf einer Party weißes Pulver auf Ihr Zahnfleisch gerieben. Von da an standen Sie unter dem Anfangsverdacht zu koksen. (…)

Ich finde die “Panorama”-Sendung beschämend. Genauso könnte “Panorama” per anonymen Zeugen verbreiten, ich, Franz Josef Wagner, Kolumnist der BILD-Zeitung, hätte Sex mit Kindern. Was um Gottes willen kann ich dann machen? Selbstmord? (…)

“Anonym” war der Zeuge zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr. Schon zwei Tage nach der “Panorama”-Sendung wurde er als Funktionär der Schill-Partei und namentlich “enttarnt”. Von “Bild”.

Mehr zum Thema in der “Süddeutschen Zeitung”, bei “Panorama” und bei “Zapp”.

In eigener Sache: “Bild” erklärt BILDblog

Andreas Wiele, der im Vorstand der Axel-Springer-AG für die “Bild”-Zeitung zuständig ist, hat sich in einem Interview mit dem Branchendienst turi2.de über BILDblog geäußert:

[audio:https://www.bildblog.de/wiele.mp3]

Viel Feind, viel Ehr. Das ist ein Thema, was sich an ein paar obskure Online-Blogger wendet. Ich glaube, wir richten uns an zwölf Millionen Leser. Die wissen die journalistische Qualität der “Bild”-Zeitung zu schätzen. Und ich muss ganz ehrlich sagen, die Kritik, die in BILDblog an “Bild” geübt wird – wenn das alles ist, was man uns vorwerfen kann, dann können wir in der Tat zu Recht stolz auf die Qualität der “Bild”-Zeitung sein.

Dazu gäbe es zweierlei zu sagen.

Erstens ist das, was in BILDblog steht, keineswegs alles, was man der “Bild”-Zeitung vorwerfen kann. Wir haben nicht den Anspruch, sämtliche Verfehlungen der “Bild”-Zeitung aufzuschreiben, die ganzen kleinen Schlampigkeiten und großen Ungeheuerlichkeiten — und wenn wir diesen Anspruch hätten, könnten wir ihn nie erfüllen. So manche schlimme Erfahrung, die Menschen vor allem in Stunden größter persönlicher Not mit “Bild” machen, steht hier nicht. Weil sich diese Menschen nicht bei uns melden. Weil sie andere Sorgen haben, als sich auch noch mit der “Bild”-Zeitung anzulegen. Weil wir diese Menschen nicht auch behelligen wollen. Oder weil sie uns bitten, ihre Erfahrungen nicht aufzuschreiben. So manche schlimme Verdrehung der Wahrheit steht hier deshalb nicht, weil es uns unmöglich ist, sie zu beweisen, wenn Aussage gegen Aussage steht. So manche schlimmen Persönlichkeitsrechtsverletzung steht hier nicht, weil es unmöglich ist, sie zu dokumentieren, ohne zweifelhafte Aussagen selbst zu wiederholen, zweifelhafte Aufnahmen selbst zu zeigen.

Aber zweitens: Selbst wenn sich die Qualität der “Bild”-Zeitung tatsächlich daran messen ließe, was BILDblog an “Bild” kritisiert — selbst dann würden wir uns schämen, zu behaupten, darauf stolz zu sein.

Allgemein  

Lufthansa in the sky with essen

Uschi? Bringst du uns nachher was von McDonald’s mit?

Och, Hase, eigentlich wollte ich heute lieber bei Lufthansa Sky essen.

Auch ‘ne gute Idee. Lassen wir uns heute mal wieder in der Lufthansa Sky nieder.

Falls Sie erstaunt sind, dass Sie noch nie von der angeblich zweitliebsten Restaurantkette der Deutschen gehört haben: Mit “Lufthansa Sky” meint die “Bild”-Zeitung die Lufthansa-Tochter “LSG Sky Chefs” (“chef” ist englisch für “Koch”), die für viele Fluggesellschaften das Catering an Bord macht.

Deshalb ist nicht nur der Name falsch und das mit dem “Niederlassen” Unsinn — auch die Formulierung, dass die Deutschen die Lufthansa zu einem ihre liebsten Restaurants “gewählt” haben, trifft es nicht. Oder wie die “Lebensmittelzeitung” beim Abdruck der gleichen Tabelle über die Umsätze der größten Gastronomie-Ketten in einer Fußnote bei den “Sky Chefs” vermerkte: “keine gastronomietypische Absatzsituation”.

Mit Dank an Volker B.!

Von Räubern und Räuberpistolen

“Der Bund der Steuerzahler lügt.” Auf diesen einfachen Satz bringt Florian Pronold, der stellvertretende finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, die Berechnungen, aus denen “Bild” heute eine großen Skandal-Aufmacher gestrickt hat.

Zumindest ist die Berichterstattung grob irreführend — und soll es offenkundig auch sein. Der zentrale Trick (neben einer plumpen optischen Täuschung) ist der, dass “Bild” mit den aufgeteilten Euros und Formulierungen wie “Millionen Arbeitnehmer werden Monat für Monat beim Blick auf den Lohnzettel blass” den Eindruck erweckt, hier gehe es um die Differenz von Brutto- zu Netto-Lohn. “Bild” und der Steuerzahlerverein nehmen als Ausgangspunkt aber eine Zahl, die gar nicht auf den Lohnzetteln auftaucht: die Beträge, die ein Arbeitgeber insgesamt für einen Arbeitnehmer zahlen muss, also der Brutto-Lohn plus die Sozialbeiträge, die der Arbeitgeber abführen muss.

Den Netto-Lohn hat “Bild” dafür künstlich verkleinert und von dem Geld, das der Arbeitnehmer ausgezahlt bekommt, noch Verbrauchssteuern abgezogen (z.B. für 300 Zigaretten im Monat, Lebensmittel, Sprit, Kinobesuche).

Mit anderen Worten: “Bild” hantiert mit “Brutto”-Angaben, die mehr sind, als man landläufig unter “Brutto” versteht, und mit “Netto”-Werten, die kleiner sind, als man üblicherweise als “Netto” bezeichnet. Kein Wunder, dass die Differenz so riesig ausfällt.

Damit hört das Tricksen aber offenbar nicht auf: Laut Pronold haben “Bild” und der Steuerzahlerverein in ihrer Modellrechnung (Durchschnittsfamilie, 1 Kind) vergessen, das Kindergeld zu berücksichtigen. Rechne man es mit, sei die Steuerlast für die Familie dramatisch niedriger als von “Bild” angegeben.

Ganz und gar ignoriert die Rechnung natürlich, dass das Geld, um das der Staat “uns” “beraubt”, wie SPD-Mann Pronold fomuliert, “nicht im Hinterhof des Finanzministers verbrannt” wird, sondern für Leistungen u.a. bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter oder für Schulen, Universitäten und den Straßenbau aufgewandt wird.

Sicherheitshalber verlässt sich “Bild”-Wirtschaftschef Oliver Santen für seinen heutigen Kommentar aber nicht auf diesen Unsinn, den seine Kollegen Dirk Hoeren und Jan W. Schäfer zusammengetragen haben, sondern fügt ihm eigenen Unsinn hinzu. Er behauptet:

Steuer-Gier immer größer

Jetzt haben wir es erneut schwarz auf weiß: Steuern und Abgaben fressen uns auf!

Ob Soli, Öko-, Mehrwert- und bald Abgeltungsteuer — die Gier des Staates wird immer größer. (…)

Deshalb wird es höchste Zeit, dass die Politik Abgaben und Steuern senkt.

Dafür, dass die “Steuer-Gier” des Staates “immer größer” wird, gibt Santen keinen Beleg. Eine Möglichkeit, diese “Gier” zu messen, wäre die Staatsquote: das Verhältnis der Staatsausgaben zur gesamten Wirtschaftsleistung. Sie hat sich nach Angaben des Finanzministeriums in den vergangenen Jahren fast konsequent nach unten entwickelt. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat Mitte 2007 sogar eine Schätzung veröffentlicht, wonach die Staatsquote 2008 mit 42,9 Prozent das niedrigste Niveau seit über 30 Jahren erreichen soll.

Alternativ lässt sich die “Gier” des Staates mithilfe der Gesamtbelastung mit Steuern und Sozialabgaben beziffern. Die Quote ist nach einer Untersuchung der OECD in Deutschland geringer als in allen großen europäischen Volkswirtschaften. Die Deutschen zahlen danach zwar überdurchschnittlich hohe Sozialabgaben, aber sehr geringe Steuern. Und die Gesamtbelastung typischer Arbeitnehmerhaushalte ist nach einer OECD-Studie [pdf] zwischen 2000 und 2005 in Deutschland zurück gegangen.

Die “Bild”-Zeitung. Wenn man die ganzen Fehlinformationen und Manipulationen abzieht, bleiben gerade mal 48 Prozent übrig (siehe Grafik).

Mit Dank an Heiko S., Adrian C., Steffen B. und die anderen!

Back dir deine Meinung

Nur 48 Cent, hat der Bund der Steuerzahler angeblich errechnet, bleiben einer Durchschnittsfamilie mit einem Kind nach dem Abzug von Steuern und Abgaben von jedem Euro, den der Arbeitgeber zahlt. Und damit man mal eine Vorstellung davon bekommt, wieviel das ist, hat man bei Bild.de entsprechend große Stücke von einem Kuchen abgeschnitten:

Bloß: Die Größe der Stücke steht in keinem Verhältnis zu den Anteilen, die sie darstellen sollen. Ob aus Sorge, dass die Leser das 48-Cent-Stück nicht klein genug finden könnten, um sich genügend zu empören (“So raubt der Staat die Steuerzahler aus”) oder aus Unvermögen – wer weiß. Das 48-Cent-Stück ist jedenfalls in Wahrheit nur ungefähr 39 Cent groß. Dafür wächst das Steuer-Stück von tatsächlich 33,2 Cent auf scheinbare knapp 40 Cent.

In der gedruckten “Bild” findet sich heute indes eine andere Version der Grafik. Stückgrößen und Cent-Angaben stimmen dort überein. Und dass der 48-Cent-Anteil dennoch irgendwie kleiner wirkt, als er ist, ist bestimmt nur der geschickten unbeholfenen perspektivischen Verzerrung geschuldet:

(Dass man es ohnehin als gezielte politische Irreführung werten kann, die Abgaben für Renten-, Kranken-, Pflege und Arbeitslosenversicherung dem “Räuber” Staat zuzuschlagen, haben die “Nachdenkseiten” schon beim letzten Mal erläutert, als “Bild” und der “Bund der Steuerzahler” sich ähnlich empörten.)

Mit Dank an Eric H. und Marc B. und die vielen anderen Hinweisgeber!

Nachtrag, 13.30 Uhr. Bild.de hat noch einmal neue Kuchenförmchen gefüllt. Diesmal stimmen die Größenverhältnisse, aber der Bäcker hat nicht gemerkt, dass auch eine Beschriftung falsch war: Als Arbeitslosenbeitrag sind nur 2,5 Cent statt 2,8 Cent angegeben, so dass das Eurostück nur 99,7 Cent wiegt.

Nachtrag, 13.45 Uhr. Na sowas. Nun stimmt plötzlich auch der Arbeitslosenbeitrag.

Journalismus mit PR-Antrieb

Wir haben in folgender Grafik einmal all das zusammengefasst, was heute in der “Bild”-Zeitung über die angeblich drohende Gefahr von tagelangen Stromausfällen im Sommer steht:

Dabei hätte es soviel zu erzählen gegeben, nicht zuletzt wegen “Bild”. Das Blatt hatte gestern nämlich dem RWE-Chef Jürgen Großmann eine halbe Seite Platz geschenkt, auf der er — ungestört von fachkundigen Nachfragen — für den verstärkten Bau insbesondere von Braunkohle- und Atomkraftwerken werben konnte. Andernfalls drohten im Sommer “mehrtägige Stromausfälle”. Die “Bild”-Zeitung malte sich und ihren Lesern gleich mal aus, was das bedeuten würde: kaum Züge, keine Tankstellen, keine Waschanlagen, kein Licht, kein Warmwasser, kaum Operationen, keine Ampeln, keine Bohrmaschinen. Das to-ta-le Chaos.

Mehr zum Thema


im “Klima-Lügendetektor” von “Greenpeace Magazin” und wir-klimaretter.de: “Wie BILD und RWE Ängste schüren”.

Das “Bild”-Interview fand große Aufmerksamkeit. Großmanns Warnungen wurden von den Nachrichtenagenturen dpa und Reuters, AFP und AP verbreitet. Aber je weiter der Tag fortschritt, um so mehr Widerspruch und Zweifel an Großmanns Thesen wurde laut. Das Bundesumweltministerium erklärte, es sehe keine Gefahr von Stromengpässen und verwies darauf, dass es bei uns keine Stromlücke gebe, sondern im Gegenteil Deutschland Stromexporteur sei. Der Bundesverband der Energieverbraucher kritisierte Großmanns Äußerungen als “politisch motivierten Theaterdonner”, das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung als “Panikmache”. Greenpeace und wir-klimaretter.de verwiesen darauf, dass in den vergangenen Jahren “erheblich mehr Erzeugungskapazitäten ans Netz gingen als zeitgleich stillgelegt wurden” und warnten, dass Großkraftwerke, wie Großmann sie fordere, “wegen ihres immensen Bedarfs an Kühlwasser die ersten sind, die in trockenen Sommern abgeschaltet werden müssen”.

Nachdem “Bild” gestern so unkritisch die Lobby-Arbeit für RWE erledigte, hätte die Zeitung heute immerhin die andere Seite der Geschichte nachreichen können, um nicht den Eindruck zu erwecken, sich als Sprachrohr für die großen Konzerne missbrauchen zu lassen. Andererseits: Wenn man sich als Sprachrohr für die großen Konzerne missbrauchen lassen will, ist es natürlich konsequent, auf Informationen zu verzichten, die die Leser nur unnötig verwirren.

Paul C. Martins Wirtschafts-Koldummne

Beginnen wir mit einer kleinen Denksportaufgabe. Die “Wirtschaftswoche” hat ein Interview mit Jürgen Stark geführt und für alle, die ihn nicht kennen, dazu geschrieben:

Stark, 59, ist seit Juni 2006 Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt, wo er den Posten des Chefvolkswirts bekleidet. Zuvor war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Vize-Präsident der Deutschen Bundesbank.

Frage: Welche Position bekleidet Jürgen Stark heute?

 

 

 

Nicht spicken!

 

 

 

 

Ja, Herr “Bild”-Kolumnist Paul C. Martin?

Bundesbank-Vize

Bitte?

Öhm: Nee.

Gravierender ist allerdings, dass Jürgen Stark von Paul C. Martin als Kronzeuge für seine These missbraucht wird, dass Deutschland mit Stagflation, und sogar STAGFLATION rechnen muss (eine Mischung aus stagnierender Wirtschaft und steigenden Preisen). Paul C. Martin hat sich für seinen Artikel zum Thema ein paar passende Zitatbrocken aus dem “Wirtschaftswoche”-Interview herausgebrochen und unpassende einfach weggelassen. Stark sagt nämlich ausdrücklich (und die “Wirtschaftswoche” hebt das extra hervor):

Von einer Stagflation sind wir noch weit entfernt.

Über die Inflation zitiert “Bild” Stark mit dem Satz:

“Dieses Phänomen könnte sich als hartnäckiger erweisen, als wir es noch Ende vergangenen Jahres vermutet hatten.”

Dass Stark unmittelbar zuvor gesagt hatte, die Inflation sei nur “ein temporäres Phänomen”, ignoriert Martin sicherheitshalber, um sein apokalyptisches Szenario nicht unnötig zu relativieren. Vielleicht hat er aber auch das überlesen, so flüchtig wie er über alle anderen Fakten hinweggegangen ist. Über die Entwicklung der Inflation in China schreibt er:

In einem einzigen Monat stiegen die China-Preise für Nahrungsmittel um sagenhafte 7,1 Prozent (Januar).

Das ist gleich doppelt falsch. Es ist natürlich nicht die Steigerung in einem Monat, sondern in zwölf (Januar 2008 gegenüber Januar 2007). Und es ist nicht die Preissteigerung bei Nahrungsmitteln, sondern den Verbraucherpreisen insgesamt. Die Agentur Reuters hatte geschrieben:

Die Verbraucherpreise in China sind im Januar so stark gestiegen wie seit elf Jahren nicht mehr. Der Anstieg auf Jahressicht von 7,1 Prozent sei vor allem auf drastisch verteuerte Nahrungsmittel zurückzuführen, teilte das Nationale Statistikamt am Dienstag mit.

Das war wohl zu kompliziert, für Paul C. Martin.

Vielen Dank an Han Delong!

Nachtrag, 28.2.2008: Inzwischen ist Paul C. Martins Kronzeuge immerhin vom “Bundesbank-Vize” zum “Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank” befördert worden. Die anderen Fehler und Fehlinterpretationen wurden jedoch unkorrigiert stehen gelassen.

Allgemein  

Heute anonym XV

Oder mal anders gefragt: Wie blöd muss man eigentlich sein, einen Artikel über die fünffache Kindstötung von Darry mit einem Foto zu bebildern, bei dem man sich die Mühe gemacht hat, die Eltern und eine weitere Frau unkenntlich zu machen, auf derselben Seite weiter unten aber dasselbe Foto ohne jede Verpixelung zu zeigen, verlinkt mit einem früheren Artikel, auf dem alle Beteiligten natürlich ebenfalls in schöner Klarheit zu erkennen sind?

(Rote Balken von uns.)

Mit Dank an Heitolseth und Daniel E.
 
 
 
 
 
 
 Nachtrag, 27.2.2008: Bild.de hat den “Archiv”-Verweis mit dem unverpixelten Foto am Ende des Artikels entfernt.

Und wissen gar nicht viel

Wo kommt eigentlich der Halbmond her? Generationen von Kindern haben diese Frage schon gestellt. Jetzt enthüllt ein Leser-Reporter: Er wird einfach durchgeschnitten, in der Mitte und nachts.

Hätte es Bild.de nur dabei belassen. Eine schöne falsche Erklärung, wunderbar bebildert durch ein Leser-Reporter-Video, das zeigt, wie der Mond scheinbar durchgeschnitten wird — durch den Kondensstreifen eines Flugzeugs.

Mehr hätte man gar nicht schreiben müssen. Denn natürlich wissen wir alle, dass das mit dem Durchschneiden nur ein Witz ist. Natürlich kennen wir alle die richtige Erklärung für die Mondphasen. Oder wie Bild.de schreibt und der Sprecher im Video sagt:

"Ein richtiger Halbmond entsteht natürlich dann, wenn der Schatten der Erde eine Hälfte des Mondes bedeckt."

Natürlich? Nicht. Ein “richtiger” Halbmond entsteht dann, wenn nur eine Hälfte der von der Erde sichtbaren Mondseite von der Sonne angestrahlt wird. Wenn der Schatten der Erde einen Teil des Mondes bedeckt, kommt es dagegen zu einer Mondfinsternis.

Generationen von Kindern haben das schon gelernt. Und irgendwann erklärt es sicher auch jemand Bild.de.

Mit Dank an King K., Thorsten F., Björn P., Joachim W. und die vielen anderen!

Nachtrag, 9.45 Uhr: Als wenn nichts gewesen wäre, entsteht ein Halbmond jetzt auf Bild.de “natürlich” dadurch, dass die Sonne den Mond nur von einer Seite anstrahlt. Auch das Video hat einen neuen Text bekommen, ist aber zur Strafe im Artikel nicht mehr verlinkt.

Nachtrag, 14.30 Uhr: Nun steht das korrigierte Video auch wieder im Artikel.

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