schreibt heute “Bild” über den “Gewinner des Tages” aus dem eigenen Haus, und das klingt, als sei es ihnen fast ein bisschen peinlich, sich schon wieder selbst loben zu müssen. Aber was soll man machen: Diese “Gewinner/Verlierer”-Rubrik ist absolut unbestechlich, da muss man gute Leute (wie aktuell den Politik-Chef von “Bild”, der Chefredakteur der “Rheinischen Post” wird) auch dann würdigen, wenn es irgendwie ein Eigenlob ist.
“Verlierer des Tages” ist übrigens die F.A.Z., weil sie in ihrem Reiseteil zu einem Bericht über Lübeck ein Bild aus Bremen gezeigt hat. Peinlich sowas.
Aber, hey, so wie die “Bild”-Zeitung Leute auch dann zu “Gewinnern des Tages” macht, wenn sie aus dem eigenen Haus sind (so schwer es fällt), so würde sie bestimmt nicht zögern, sich selbst zum “Verlierer des Tages” zu machen, wenn ihr irgendwelche peinlichen Fehler unterlaufen wären oder sie falsche Bilder abgedruckt hätte oder sie gewichtige Rügen bekommen würde.
Man kann darüber streiten, wie aufregend es ist, dass der Schauspieler Hugh Grant dabei fotografiert wurde, wie er mit seiner Freundin Jemina Khan Auto fuhr. Aber die Klatschspalte auf der letzten Seite von “Bild” will gefüllt werden, und zur Not halt eben mit der aufregenden Geschichte, dass der Schauspieler Hugh Grant dabei fotografiert wurde, wie er mit seiner Freundin… wie gesagt.
Auto, dachte sich die Autorin, die die undankbare Aufgabe hatte, daraus einen kurzen “Artikel” zu machen, Auto? Hugh Grant? Da war doch was? Und richtig: Sie stellt eine Verbindung her zu der fast zehn Jahre alten Geschichte, dass Grant sich von einer Prosituierten in einem Auto oral befriedigen ließ und dabei von der Polizei erwischt wurde. Ist das nicht ein Zufall? Der gleiche Typ wird fast zehn Jahre später wieder erwischt, nur diesmal ohne Prostituierte und ohne Sex und ohne Polizei und eigentlich auch ohne jede Geschichte, aber mit Auto? Ist doch der Hammer!
Jedenfalls hat “Bild” es geschafft, über diesen ohnehin merkwürdigen Bericht darüber, dass Hugh Grant mit seiner Freundin Auto fuhr, keine der schätzungsweise 283.291 möglichen sinnvollen Überschriten zu setzen, sondern die Worte:
Franz-Josef Wagner schreibt heute einen Brief an Klaus Wowereit, und wir müssen ein bisschen ausholen.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin musste sich nämlich gestern im Abgeordnetenhaus dafür rechtfertigen, dass er bei einer öffentlichen Veranstaltung Désirée Nick geküsst hat. Einige Fotos von diesem Moment machten in Berlin und in “Bild” Schlagzeilen. Nachdem ein CDU-Abgeordneter gefragt hatte, ob das mit der Würde seines Amtes vereinbar sein, rechtfertigte sich Wowereit ausführlich.
Franz-Josef Wagner fühlte sich bei dieser Rede an die Sätze von Willy Brandt und Richard von Weizsäcker im Abgeordnetenhaus erinnert, bzw.: nicht erinnert. Denn die hätten die Freiheit verteidigt, Wowereit aber sein “Fundi-Schwulsein”.
Unter “Fundi-Schwulsein” versteht Wagner dem Anschein nach das, was gemeinhin “Homosexualität” genannt wird: Männer, die nicht schwach werden, wenn plötzlich, sagen wir, Paris Hilton vor ihnen steht. Das ist ein bisschen unflexibel, aber das gibt es. “Fundi” ist natürlich alles andere als ein positiv besetzter Begriff in der Welt von “Bild”.
Wagner weiter:
Sie verwahrten sich gegen Unterstellungen, Désirée Nick habe Sie umgedreht.
Das ist typisch, riefen Sie in den Plenarsaal, da ist ein schwuler Mann und eine schöne Frau (na, na, der Kolumnist) und schon heißt es “umgedreht”. Das sei wie bei Frau Schavan, die als lesbisch diskriminiert wird. Es sei gegen die Menschenwürde, ereiferten Sie sich.
Mon cher ami, ist es wirklich so schrecklich, in den Verdacht zu geraten, nicht 150prozentig schwul zu sein?
“Nein”, rufen natürlich an dieser Stelle die “Bild”-Leser im Chor, die nicht aufgepasst haben. Denn darum ging es Wowereit nicht. Als diskriminierend bezeichnete er die Annahme, dass man Schwule nur mit einer schönen Frau konfrontieren müsse, und schon könne man sie ändern.
Das ist genau, was “Bild” mit seiner Titel-Schlagzeile getan hat, und das ist in der Tat diskriminierend. Es ist auch mehr als nur ein lustiger Boulevardzeitungswitz, wie man zum Beispiel hier nachlesen kann.
Wagner suggeriert weiter, Wowereit hätte sich mit dem Thema in die Öffentlichkeit gedrängt, anstatt wichtigere Dinge zu verhandeln. Jedenfalls ist zu vermuten, dass er das suggerieren will, wenn er diese Sätze hintereinander schreibt:
Mon cher ami, ist es wirklich so schrecklich, in den Verdacht zu geraten, nicht 150prozentig schwul zu sein? Ist es nicht viel schrecklicher, daß 40 Prozent unserer Berliner Türken arbeitslos sind. Die Quote der türkischen Sozialhilfeempfänger ist dreimal so hoch. Ist es nicht schrecklich, daß ein Türke, der Deutsch lernen will, in Berliner Volkshochschulen abgelehnt wird – kein Geld, keine Lehrer.
Nach Darstellung verschiedenerMedien hat Wowereit wohl tatsächlich sehr, sehr lange zu dem Thema geredet. Tatsache ist aber auch, dass Wowereit das Foto und das Thema nicht groß in die Öffentlichkeit gebracht hat (das war “Bild”) und dass er es auch nicht auf die Tagesordnung im Berliner Abgeordnetenhaus gesetzt hat (das machte die Opposition durch ihre Frage danach).
O-Ton Wagner:
Die Würde der Schwulen geht mir langsam auf den Keks – und Ihr Markenzeichen schwul auch. Schwulsein ist nicht besser.
Noch einmal zum Mitdenken: “Bild” stellt ein Foto vom knutschenden Wowereit auf die Titelseite und bringt es in absurder Weise in Verbindung mit seinem Schwulsein. Und wenn Wowereit sich darüber beschwert, schreibt “Bild”, er soll doch aufhören, dauernd sein Schwulsein in den Vordergrund zu stellen.
Den Satz “Die Würde der Schwulen geht mir langsam auf den Keks” muss man sich merken. Das ist ungefähr so, als würde sich ein Schläger darüber beklagen, dass die Schreie seiner Opfer immer so einen ruhestörenden Lärm verursachen.
Altbackene Sprüche unserer Großmütter müssten doch eigentlich etwas sein, das der “Bild”-Zeitung gefällt. So Sätze wie: “Aufgeschoben ist nicht aufgehoben”. Aber, nix da. Im Gegenteil.
Kein “Bestseller” mehr…
ARD kippt Ottfried Fischer
Das steht heute groß auf Seite 4 und lässt eigentlich an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Das ist im Artikel zunächst nicht anders:
Die Dreharbeiten für die nächste Folge, die im Januar auf Kuba beginnen sollten, wurden abgesagt (…).
Dann zitiert “Bild” einen ARD-Sprecher, der dies angeblich “bestätigt”. Er tut es aber mit den Worten:
“Die geplante Produktion eines vierten Teils vom ‘Bestseller’ ist erst einmal verschoben.”
Deshalb kann man vielleicht davon sprechen, dass die konkreten Dreharbeiten zum geplanten Termin “abgesagt” sind. Falsch wird es aber, wenn man, wie “Bild”, im nächsten Absatz von Ottfried Fischers “Absetzung” spricht.
dpa stellte am Donnerstagvormittag klar:
Die ARD verschiebt die für Januar vorgesehene Produktion eines Filmes mit Ottfried Fischer auf den Herbst 2005. (…) Fischer soll weiterhin für den ARD-„Bestseller“ eingesetzt werden (…).
Also: Die ARD hat den nächsten “Bestseller”-Film aufgeschoben, nicht aufgehoben. Und, ja, liebe “Bild”-Kollegen, das ist ein Unterschied.
Das Ideal einer “multikulturellen Gesellschaft” sei in demokratischen Staaten wie Deutschland nicht durchsetzbar (…).
Da ist “Bild” an entscheidender Stelle ungenau. Tatsächlich hatte Schmidt gesagt, das Konzept sei mit einer demokratischen Gesellschaft “kaum vereinbar”. Das “Abendblatt” schreibt über eine kurze Zusammenfassung des Interviews denn auch: “Schmidt: Multikulti ist kaum möglich“.
Interessant ist auch, dass “Bild” den Hauptgrund, den Schmidt dafür nennt, nicht erwähnt. Er spricht nämlich nicht nur von mangelndem Integrationswillen der Ausländer, sondern sagt vor allem:
Das liegt an der Feindlichkeit, mit der alle christlichen Kirchen über Jahrhunderte die Europäer gegenüber anderen Religionen erzogen haben, insbesondere gegenüber dem Judentum und dem Islam. Gegenüber dem Judentum seit beinah 2000 Jahren, gegenüber dem Islam seit über 1000 Jahren. Wir haben eine Grundhaltung der Abwehr gegenüber diesen Religionen erzeugt, und wenn jetzt einige Idealisten von Toleranz reden, kommt dieser Appell Hunderte von Jahren zu spät.
Hoppla. Anscheinend hatte “Bild” für diesen interessanten Aspekt leider keinen Platz mehr, weil das Blatt schon wieder eine ganze Seite für dieses Thema freiräumen musste.
Am Sonntag haben über 20.000 überwiegend türkischstämmige Muslime gegen Terror und islamistisch motivierte Gewalt demonstriert. Die “Bild”-Zeitung nimmt dies zum Anlass für einen Kommentar. Peter Boenisch ruft darin scheinbar zum Miteinander auf. Zum Miteinander von… — und da wird es kompliziert: zum Miteinander von Deutschen und Moslems? Von Deutschen und Türken? Von Christen und Moslems?
(…) Schön, daß das auch andere, die in unserer freiheitlichen Gesellschaft mit uns leben, genau so sehen.
Die Muslime, die sich für ein friedliches Miteinander mit uns auf den Straßen Kölns versammelt haben, sind ein Zeichen der Hoffnung.
Mit ihrer Demo wollen die Muslime darauf aufmerksam machen, daß sie gerne hier sind.
Auch viele von uns haben gelernt, sie zu schätzen. Bricht eines unserer Kinder auf dem Eis ein, ist es oft ein Türke, der als erster den Sprung wagt, um das Kind zu retten.
Fährt einer von uns zur Frühschicht, stapeln schon die orientalischen Obsthändler ihre frische Ware zum appetitlichen Angebot. Die Fremden sind uns nicht nur fremd, sondern oft auch sehr nützlich.
Jetzt zeigen sie offen Sympathien für ihr Gastland.
Der “Bild”-Text wirft viele Fragen auf. Zum Beispiel die, warum die Türken, die es in den vergangenen Jahren in der öffentlichen Rhetorik immerhin zum “Mitbürger” geschafft haben, nun wieder nur “Gast” in unserem Land sind. Oder die, wie angenehm es für einen Moslem/Türken sein muss, zu wissen, dass er “uns” zwar “fremd”, aber auch “sehr nützlich” ist.
Herr Boenisch kann natürlich meinen, was er will. Beunruhigend an seinem Kommentar ist jedoch eine Diskrepanz: Er tut so, als wolle er versöhnen statt spalten. Es gibt bei seinen vielen “Wir”s aber kein einziges, das Deutsche und Türken (Christen und Muslime?) ausdrücklich gemeinsam umfasst.
Der “Bild”-Text schließt:
Ihre Demo ist ein Anfang, ein öffentliches Bekenntnis: “Wir lassen uns nicht von Fundamentalisten aufeinanderhetzen.”
Wir auch nicht.
Von Fundamentalisten also nicht. Aber von der “Bild”-Zeitung?
Der Burda-Verlag konnte nicht wissen, welche Vorlage er den Kollegen von “Bild” liefern würde, als er die Verleihung seines Bambi an Sibel Kekilli mit ihrer “eindringlichen” Darstellung in dem preisgekrönten Film “Gegen die Wand” begründete. Die “Bild”-Zeitung setzte die Formulierung “eindringliche Darstellung” daraufhin am 2. November unter ein Foto aus einem Pornofilm, den Kekilli gedreht hatte, auf dem ein Mann gerade von hinten in sie eindringt.
Der Kölner “Express” hatte vor zwei Wochen die Meldung über den Bambi für Kekilli zum Anlass für eine Foto-Galerie im Internet genommen: “Auch die Skandal-Schauspielerin Sibel Kekilli wird ausgezeichnet. Sie drehte früher Pornos – die Bilder”.
Beiden Zeitungen hat Kekilli bekanntlich bei der Verleihung des Bambi eine “dreckige Hetzkampagne” und “Medienvergewaltigung” vorgeworfen. Der Chefredakteur des “Express”, Rudolf Kreitz, sagte am Tag darauf, er habe Verständnis dafür, dass Kekilli sich darüber geärgert habe. Dies sei “ein misslicher Ausrutscher gewesen, den wir sehr bedauern“. Der Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, Kai Diekmann, sagte am Tag darauf: nichts.
Gestern forderte der grüne Europa-Abgeordnete Cem Özdemir ein muslimisches “Wort zum Freitag” im deutschen Fernsehen, parallel zum christlichen “Wort zum Sonntag” in der ARD.
Tatsächlich gesagt hatte Özdemir der “Märkischen Allgemeinen Zeitung”:
Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass wir im Fernsehen dem christlichen Wort zum Sonntag ein muslimisches Wort zum Freitag gegenüberstellen — auch, um die Meinungsführerschaft derjenigen zu durchbrechen, die eine einseitige und rückwärtsgewandte Interpretation des Islam vornehmen.
Am Freitag vergangener Woche sorgte sich die “Bild”-Zeitung öffentlich, ob die “Bachelorette”, die Kandidatin der RTL-Kuppelshow, “alle Gefühle nur gespielt” hat. Sie wurde nämlich “im Arm eines Mannes” gesehen, “der gar nicht in der TV-Show auftauchte”. Aber auch die Männer, die bei RTL um sie buhlten, schienen nicht die Erwartungen von “Bild” zu erfüllen:
Die Männer vergnügen sich gerade im Hamburger Table-Dance-Lokal “Dollhouse”! (…) Wie kommt’s, daß die Männer hemmungslose Partys feiern, während sie zeitgleich im TV als ritterliche Kavaliere zu sehen sind?
Dokumentiert wurden die Exzesse in einer Fotogalerie, unter deren Link bei Bild.de steht:
Die geheime Bachelorette-Teilnehmer Party im Dollhouse!
Nun weiß man, dass das Wort “geheim” in der “Bild”-Zeitung verschiedene Bedeutungen hat, die meisten davon das Gegenteil dessen, was der Duden darunter versteht. In diesem Fall war die Party so “geheim”, dass die “Hamburger Morgenpost” am Tag vorher nur ein paar Details herausließ:
Den Start der Reality-Serie begießt der Charming Boy morgen mit 15 anderen Show-Schönlingen und Großbildleinwand …
Na gut, aber da stand ja nicht wo.
… im “Dollhouse” …
Okay, aber wann?
… (ab 19.30 Uhr). …
Ach, die hätten einen bestimmt nicht reingelassen.
… Mitfeiern erlaubt.
Hm.
Die Fotos, die “Bild” vom Abend der “Bachelor”-Kandidaten zeigt, sind einigermaßen drastisch. Kein Wunder: Das “Dollhouse” ist ein Touristen- und Szene-Club mit Go-Go-Dancing und Striptease. Andererseits entwarnt der Reiseführer:
Hier geht es um “Showerotik” – Erotik, Tanz und Spaß – niemand wird zum Mitmachen gezwungen, Körperkontakt ist tabu!
Wären unter Einhaltung dieser Regel spannende Fotos für die “Bild”-Zeitung zustande gekommen? Womöglich nicht. Aber zum Glück hatten mindestens zwei der “Bachelor”-Kandidaten außerordentlich intensiven Körperkontakt mit den Frauen, wie die Fotos zeigen. Vielleicht war das kein Zufall. Maximilian Pütz, einer der Kandidaten, hat uns jedenfalls erzählt, dass die Tabledancerinnen, die “Bild” in Aktion zeigt, von “Bild” selbst bezahlt worden seien.