Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, ist gestern bei einer öffentlichen Veranstaltung vor zahlreichen Zuschauern in Hannover angegriffen worden.
Schock für Grünen-Bundesfraktions-Chef Jürgen Trittin (56)! In Hannover wurde er von einem Maskierten mit weißer Farbe beworfen – offenbar versteckt in einer Torten-Attrappe!
Während der Veranstaltung sprang ein maskierter Unbekannter auf die Bühne und warf einen tortenähnlichen – offenbar mit heller Farbe gefüllten – Gegenstand auf den Politiker.
(Pressemitteilung der Polizei Hannover, 22. September, 21.20 Uhr)
Trittin bei Theaterprojekt mit Torte beworfen
(dpa, 22. September, 21.21 Uhr)
Grünen-Politiker Jürgen Trittin ist bei einer Podiumsdiskussion mit Farbe übergossen worden. In anderen Berichten ist von einem Tortenwurf die Rede.
Trittin war (…) von einem maskierten Unbekannten mit einer mit heller Farbe gefüllten Torte beworfen worden.
(dapd, 22. September, 22.28 Uhr)
Angriff mit Farb-Torte auf Trittin
(“Berliner Kurier”, 23. September)
Ein mit weißem Einweganzug gekleideter Mann (ca. 20), der sein Gesicht hinter einer Maske versteckt haben soll, sprang auf den Politiker zu und warf einen tortenähnlichen Gegenstand, der mit heller Farbe gefüllt war, auf Trittin.
(“B.Z.”, 23. September)
(“Bild”, 23. September)
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin ist bei einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend in Hannover mit einer Farbtorte beworfen worden.
(taz.de, 23. September)
Auch ob der tortenähnliche Gegenstand mit heller Farbe oder Joghurt gefüllt war, sei derzeit noch unklar, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag auf dapd-Anfrage.
(dapd, 23. September, 9.20 Uhr)
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin ist bei einem Theaterprojekt zur Anti-Atom-Bewegung gestern Abend in Hannover mit einer Torte beworfen worden. Die Polizei geht davon aus, dass sie mit Joghurt gefüllt war.
(dpa, 23. September, 11.00 Uhr)
Doch kurz nach Diskussionsbeginn sprang gegen 19.20 Uhr plötzlich ein Maskierter auf die Bühne, warf eine mit heller Farbe gefüllte Torte auf den Grünen-Politiker und rannte davon.
(dapd, 23. September, 11.40 Uhr)
Von hinten kommt ein weiß gekleideter Mann angeschossen, wirft dem Grünen-Politiker einen Gegenstand, der aussieht wie eine Torte, ins Gesicht. Der weiße Brei tropft Trittin über Gesicht und Schulter, es soll sich um Farbe oder Joghurt handeln, die Polizei ermittelt.
Ein Sprecher der Hannoveraner Polizei erklärte uns um 15.50 Uhr, sie gehe derzeit davon aus, dass es sich um eine “Torte aus Joghurt” bzw. eine “Torte, wo Joghurt drin war” (“vergleichbar einer Käsetorte, nur eben mit Joghurt statt Frischkäse”) gehandelt habe. Die Überreste des Objekts seien beim Eintreffen der Beamten bereits entfernt worden, es gebe aber keine Hinweise, die für Farbe sprächen.
Mit Dank an Christian B., Christian G., Tobias S. und ich.
Es gibt eine Faustformel, wann eine öffentliche Debatte in der Bundesrepublik durch ist: Wenn Springer-Chef Mathias Döpfner in die “Bild”-Redaktion stürmt (so stellen wir uns das jedenfalls bildlich vor), ein mit Füllfederhalter beschriftetes Blatt Büttenpapier auf den Tisch wirft und sagt: “Ich hab da mal was aufgeschrieben!”
Gestern war es mal wieder soweit:
In einem Text, der als “Kommentar” bezeichnet wird und der auch heute in der gedruckten “Bild” erschienen ist, sinniert Döpfner in selbst für “Bild”-Verhältnisse bemerkenswerter Kurzform über das “vorläufige Ergebnis” der Flugblattaffäre um Bayerns stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger. Er schreibt unter anderem:
Widerliche antisemitische Parolen werden in Deutschland als “Jugendsünde” verbucht.
Leider geht Mathias Döpfner in seinem “Bild”-Kommentar nicht genauer darauf ein, wo und von wem die antisemitischen Parolen als “Jugendsünde” verbucht werden und wer dazu beigetragen hat. Und da müssen wir mal was aufschreiben.
Dafür gehen wir gut eineinhalb Wochen zurück, in die Zeit, als die Debatte um Hubert Aiwanger und dessen Vergangenheit – die Urheberschaft der antisemitischen Flugblätter hatte bereits Hubert Aiwangers Bruder Helmut übernommen – so richtig in Schwung gekommen ist. Zu der Zeit liefen mehrere öffentliche Diskussionen parallel: Eine drehte sich um die Eignung Hubert Aiwangers als Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Bayern; eine andere darum, ob die “Süddeutsche Zeitung” die Vorwürfe, die sich im Nachhinein als zumindest unscharf herausgestellt hatten, überhaupt hätte veröffentlichen dürfen; in einer dritten ging es erst einmal darum, den Begriff “Jugendsünde”, den Helmut Aiwanger für sein eigenes Flugblatt verwendet hatte, semantisch auszupendeln – um auf Basis des Ergebnisses dann eine der anderen beiden Diskussionen (oder gleich beide) weiterzuführen.
In der “Bild”-Redaktion fiel die Aufgabe, den Begriff “Jugendsünde” irgendwie mit Leben zu füllen, offenbar Hans-Jörg Vehlewald zu, der sich dem Thema differenziert widmen zu wollen schien:
Wie kann jemand als Jugendlicher menschenverachtende Nazi-Witze verbreiten und sich später als Erwachsener zum Demokraten wandeln?
Ist Einsicht möglich? Dieser Frage mussten sich schon andere Politiker stellen. Beispiele zeigt Beispiele.
(Vom letzten Satz nicht verwirren lassen: Es ist Bild.de, das hier Beispiele zeigt, aber so ein Fehler kann ja nun wirklich jedem mal passieren!)
Was Vehlewald zusammengetragen hat, wirkt wie das Ergebnis einer Umfrage in der Redaktionskantine, was einem alles zum Thema “Jugendsünde” einfalle – “Dalli, Dalli!”.
Los geht es zum Beispiel mit Joschka Fischer:
Ex-Außenminister Joschka Fischer (75, Grüne) prügelte als 25-jähriger Straßenkämpfer mit Motorradhelm in Frankfurt/Main auf einen wehrlos am Boden liegenden Polizisten ein. Später als Bundesminister bekannte er: “Ja, ich war militant” – und blieb nach heftigen Debatten im Amt.
Weiter mit Sawsan Chebli:
Sawsan Chebli (45, SPD), ehemals angestellt beim Berliner Senat und beim Auswärtigen Amt, gab selbst zu, als Kind palästinensischer Flüchtlinge “Juden für das Leid der Palästinenser und für das Schicksal meiner Eltern verantwortlich gemacht” zu haben: “Ich war wütend.” Auf Twitter (X) griff sie Bayerns Freie-Wähler-Chef Aiwanger für dessen “Jugendsünde” dennoch scharf an und unterstellte mittelbar allen Aiwanger-Verteidigern, selbst Nazis, Rassisten oder Antisemiten zu sein. (Der Tweet wurde später wieder gelöscht.)
Das verräterische ist hier das Konjunktionaladverb “dennoch”, das Vehlewald verwendet. So als habe Chebli das Recht verwirkt, Antisemitismus zu kritisieren. Außerdem wirken ihre Zitate in der verkürzten Wiedergabe bei Bild.de etwas anders als im Kontext des “Tagesspiegel”-Interviews, in dem sie diese geäußert hatte:
Als Jugendliche habe ich Juden für das Leid der Palästinenser und für das Schicksal meiner Eltern verantwortlich gemacht. Ich war wütend, dass Juden einen eigenen Staat haben und wir staatenlos und bitterarm sind. Ich war wütend, dass meine Eltern zwanzig Jahre in einem libanesischen Lager leben mussten, elf Geschwister dort zur Welt gekommen sind, ohne jede Perspektive, ohne Chance auf Rückkehr in ihr Land. Ich war oft wütend und habe auch Hass gespürt. […] Im Laufe der Jahre ist aus Wut und Hass der Wunsch gewachsen, Brücken zu bauen und junge Menschen auf beiden Seiten zusammenzubringen, um Hass zu überwinden.
Über Bundeskanzler Olaf Scholz weiß Vehlewald zu berichten, dass dieser als Vizechef der Jusos für die “Überwindung der kapitalistischen Ökonomie” eingetreten war, sich gegen die “aggressiv-imperialistische Nato” ausgesprochen und die Bundesrepublik als “europäische Hochburg des Großkapitals” bezeichnet hatte. Über Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, schreibt er, dass dieser “als Student und Lehrer-Anwärter zwei Jahre beim Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) aktiv” war, “vom Verfassungsschutz überprüft” wurde und 1975 erklärt hatte, “er stehe der extrem linken K-Gruppe nahe.”
Es ist natürlich möglich, dass Hans-Jörg Vehlewald diese Beispiele mit Hilfe von eigenen und fremden Erinnerungen und ausführlicher Archiv-Recherche zusammengestellt hat. Er hätte sich diese Mühe aber zumindest nicht machen müssen, denn einen Tag vor seinem eigenen Artikel war beim rechten Online-Magazin “Apollo News” ein Text über die “erschreckenden Jugendsünden von Grünen- und SPD-Politikern” erschienen, in dem all diese Fälle, teilweise mit den exakt gleichen Zitaten, vorkamen.
Bei Bild.de gibt es aber noch mehr:
Ex-Umweltminister Jürgen Trittin (69, Grüne) weigerte sich gegenüber dem Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, sich von einem 1977 verfassten Pamphlet linker RAF-Sympathisanten (“Mescalero-Brief”) zu distanzieren. Der Verfasser hatte damals “klammheimliche Freude” über die RAF-Morde bekundet. Trittin stellte später klar, er habe mit dem Schreiben nie etwas zu tun gehabt, verurteile jede Form von Terror.
Vehlewald spielt hier auf eine Episode an, die im Januar und Februar 2001 die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt hatte: In einem Zug war Siegfried Bubacks Sohn Michael zufällig auf Jürgen Trittin getroffen und hatte ihn auf den berühmt-berüchtigten Text des “Göttinger Mescaleros” über die Ermordung Siegfried Bubacks angesprochen. Trittin wusste bei dieser Begegnung im Zug offenbar nicht, dass sein Gegenüber der Sohn des Ermordeten war, und erklärte schon kurz danach, sich den Brief nie zu eigen gemacht zu haben. Und auch die “Bild”-Formulierung “Trittin stellte später klar, er habe mit dem Schreiben nie etwas zu tun gehabt” ist zumindest irreführend, denn Michael Buback wusste zum Zeitpunkt des Aufeinandertreffens im Zug bereits seit über einem Jahr, wer der Autor des Textes gewesen war. Den Abschnitt zu Jürgen Trittins “Jugendsünde” hat Bild.de mit “RAF-Nähe?” überschrieben.
Immerhin ist jemandem in der “Bild”-Redaktion noch aufgefallen, dass die Zusammenstellung der “Jugendsünden” so recht einseitig wäre. Und so finden sich neben den zwei Beispielen zu Leuten der SPD und dreien von den Grünen auch noch zwei ehemalige Unions-Politiker in der Aufstellung:
Ex-Bundesfamilienminister Heiner Geißler (starb 2017 mit 87 Jahren) half als 22-jähriger Jesuiten-Schüler in Südtirol einer nationalistischen Terrorgruppe (“Tiroler Bumser”) bei Anschlägen, transportierte sogar auf seinem Motorrad (“Adler 250”) Dynamit durch die Alpen. “Unwissentlich”, wie er später einräumte.
Okay, das klingt selbst in dieser Reihe erstaunlich drastisch – wobei Bild.de vielleicht der Fairness halber hätte erwähnen können, dass die Anschläge welche auf Strommasten waren.
Wie will man das toppen?
Bild.de versucht es so:
Seine Doktorarbeit kostete Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (51, CSU) den Posten. Seitenweise hatte der Unionspolitiker aus anderen Arbeiten abgeschrieben, tat die Affäre zunächst als läppisch ab, stürzte am Ende über die Plagiate. Inzwischen hat er eine neue Doktorarbeit an der britischen Southampton Business School (Universität Southampton) nachgereicht. Thema: Geschichte der Banküberweisungen.
Das ist insofern bemerkenswert, als die “Bild”-Medien damals alles getan hatten, um den Minister im Amt zu halten, und Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Abgabe seiner Doktorarbeit nicht mehr ganz so jugendliche 35 Jahre alt gewesen war.
Die Zusammenstellung dieser “Jugendsünden” vor dem Hintergrund der Aiwanger-Enthüllungen ist einigermaßen rätselhaft: Die eingangs gestellte Frage “Ist Einsicht möglich?” beantwortet der Text nur teilweise. Und dort, wo Einsicht offenbar vorhanden war, etwa bei Sawsan Chebli, thematisiert Hans-Jörg Vehlewald diese Entwicklung nicht weiter. Die Art der von Bild.de ausgewählten “Jugendsünden” ist so unterschiedlich, dass man am Ende gar nicht mehr weiß, worum es jetzt eigentlich geht: um klassische linke Rhetorik, um den unwissentlichen Transport von Sprengstoff, um körperliche Gewalt gegen Polizisten, um Plagiate in Doktorarbeiten – und um antisemitische Flugblätter?!
Es kann ja immer hilfreich sein, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, um deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, aber hier drängt sich dann doch der Verdacht auf, eine lose Sammlung von Notizen sei versehentlich veröffentlicht worden. Dieses Durcheinander dürfte vor allem der Argumentation Helmut Aiwangers und dessen Versuch helfen, das Flugblatt als “Jugendsünde” einordnen zu lassen – ach, lass gut sein, sind doch irgendwie alles “Jugendsünden”. Oder wie Mathias Döpfner sagen würde: “Widerliche antisemitische Parolen werden in Deutschland als ‘Jugendsünde’ verbucht.”
Da ist es dann auch egal, wenn Vehlewald seine bis hierhin schon eklektische Parade jetzt völlig über die Klippe gehen lässt:
Übrigens: Jugendsünden der weitaus harmloseren Sorte gestanden zwei weitere Politiker kürzlich ein.
► Schaumschläger: Ex-SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (67) gab im Interview zu, er habe als Jugendlicher nach durchzechter Nacht eine Packung Waschpulver im heimischen Freibad versenkt – und sei nur knapp der Polizei entkommen.
► Schulschwänzer: Bundesfinanzminister Christian Lindner (44, FDP) gestand, er habe als Schüler den Englisch-Unterricht regelmäßig geschwänzt, sei zur Abi-Deutsch-Prüfung zu spät gekommen und habe sich für das Mathe-Abi ausschließlich mit Red-Bull und Milchschnitten vorbereitet, statt zu lernen.
Es war in diesen Tagen ausgerechnet Franz Josef Wagner, der den Begriff “Jugendsünde” für die “Bild”-Medien einmal klar mit Leben füllte:
Ich fuhr mit 17 ohne Führerschein. Ich betrank mich mit 17 und wurde von der Polizei für eine Nacht in eine Zelle gesteckt. Ich schrieb von einem Kumpel die Mathearbeit ab. Ich klaute Comic-Hefte. Ich war ein Lügner beim Sex. Ich sprach von Liebe und wollte nur grapschen.
Er fuhr fort:
Die Jugendsünden der Aiwanger-Brüder sind unverzeihbar. Als ersten Preis wird da ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz ausgelobt in ihrem Pamphlet. Ich weiß nicht, wie man so etwas Krankes in sein Gehirn kriegt.
Es sind keine Jugendsünden. Jugendsünden sind fröhlich. Die Jugendsünden der Aiwangers sind schwarz und böse.
Jugendsünden, die gleichzeitig “keine Jugendsünden” und doch irgendwie welche, nur halt “unverzeihbar” sind. Das deckt sich auf logischer Ebene ungefähr mit der “Jugendsünden”-Sammlung von Bild.de.
Wenn ein Grünen-Politiker und ein Linken-Politiker in Russland sind, und dann auch noch ein AfD-Politiker eine Rolle spielt, dauert es nicht lange, bis die “Bild”-Medien “SKANDAL” schreien:
Diese Artikel erschienen am Montagabend bei Bild.de und am Dienstag in der “Bild”-Zeitung. Und es ist bemerkenswert, wie großzügig “Bild”-Chefreporter Peter Tiede entscheidende Informationen weglässt, um auf diesen Spin zu kommen.
Erstmal: Es handelt sich nicht, wie man bei den Überschriften von “Bild” und Bild.de direkt denken könnte, um irgendeine Reise eines AfD-Politikers, der sich Jürgen Trittin und Gregor Gysi überraschend angeschlossen haben. Es geht um einen offiziellen Besuch der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe (zu der mehr Leute gehören als nur die drei). Peter Tiede schreibt dazu:
Sieben Bundestagsabgeordnet aller Fraktionen für fünf Tage auf Russland-Besuch — organisiert vom AfD-Abgeordneten Robby Schlund (52), einem bekennenden Kreml-Lobbyisten und Putin-Fan!
Es ist der erste Russland-Besuch der Deutsch-Russischen-Parlamentsgruppe seit der Bundestagswahl. Dank Schlunds Planung: Der Besuch der Deutschen ist trotz Krim-Besetzung und Ukraine-Krieg ein Propaganda-Erfolg für Kreml-Führer Wladimir Putin (66)! Die Abgeordneten sind seit Sonntagabend in Russland, offiziell begann die Reise am Montag.
Ganz vorn dabei neben Schlund: Grünen-Urgestein Jürgen Trittin (64) und Linke-Ikone Gregor Gysi (71).
Das Besuchsprogramm fasst Tiede so zusammen:
Nach BILD-Informationen plante Schlund die wesentlichen Termine — an der deutschen Botschaft vorbei — mit Kreml-Hilfe!
Geplanter Propaganda-Höhepunkt ist der Donnertag (sic):
► Vormittags: Besuch beim Kreml-Konzern Gazprom (Nord-Stream/Altkanzler Schröder) — inklusive Mittagessen auf Gazprom-Kosten!
► Nachmittags: Staats-TV-Holding “Rossija Sewodnja” (betreibt u. a. den deutschen Hetzsender “Sputnik”). Generaldirektor Kisseljow (“Europa atomar Auslöschen!”) steht unter EU-Sanktionen! Trotzdem gibt die Bundestags-Truppe ausgerechnet dort ihre Pressekonferenz!
Da fehlt nun wirklich einiges.
Erstmal ein paar nicht ganz unwichtige Informationen zu den bi- und multilateralen Parlamentariergruppen: Von denen gibt es aktuell 47. Die Abgeordnete können frei wählen, zu welchen sie gehören möchten. Und so kommen dann zum Beispiel zustande: eine Deutsch-Schweizerische Parlamentariergruppe, eine Deutsch-Pazifische, eine Deutsch-Brasilianische, eine Deutsch-Indisch. Und eben auch eine Deutsch-Russische. Dort ist der AfD-Abgeordnete Robby Schlund Vorsitzender, was aber nicht auf eine Wahl oder ähnliches zurückzuführen ist. Bei den Parlamentariergruppen bestimmt der Ältestenrat des Bundestages “unter Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen”, wer Vorsitzende oder Vorsitzender wird. Aus jeder andere Fraktion wird eine Stellvertreterin beziehungsweise ein Stellvertreter festgelegt.
Für die Grünen ist Jürgen Trittin bei der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe stellvertretender Vorsitzender. Als Antwort auf den Artikel von “Bild”-Reporter Tiede schreibt er, dass das Programm “von allen stellvertretenden Vorsitzenden und dem Vorsitzenden in Kenntnis der Wünsche der russischen Seite vorbereitet” worden sei:
Verschiedenste Programmpunkte wurden im Vorfeld sehr strittig besprochen. Gegen den expliziten Wunsch der russischen Seite und teilweise auch des Vorsitzenden wurden von den stellvertretenden Vorsitzenden aus CDU, SPD, FDP, Linken und Grünen gemeinsam durchgesetzt:
Gespräch mit den deutschen politischen Stiftungen vor Ort — darin eingebettet ein ausführliches Gespräch mit der kriminalisierten russischen Zivilgesellschaft und Menschrechtsorganisationen.
Gespräch mit Pawel Grudinin, erfolgreichster Gegenkandidat zu Putin bei der Präsidentschaftswahl 2016
Teilnahme am Pressefest der deutschen Botschaft, zu dem auf unseren Wunsch hin auch oppositionelle Medien wie Meduza und deren Reporter Iwan Golunow eingeladen werden (auch wenn seine Teilnahme aus bekannten Gründen eher unwahrscheinlich ist). Die Delegation will sich so einen Eindruck den Bedrohungen für Presse, Journalist*innen und Blogger*innen machen. (…)
Außerdem standen auf dem Programm u.a. Gespräch mit der russischen Delegation der russisch-deutschen Parlamentariergruppe, dem Auswärtigen Ausschuss der Duma, dem stellv. Russischen Außenminister Titow und der Besuch des VW-Werkes in Kaluga sowie auf expliziten Wunsch der russischen Seite ein Besuch bei der Moskauer Niederlassung von Gazprom auf dem Programm.
Abgesehen von dem Besuch bei Gazprom ist von all diesen Punkten bei “Bild” nichts zu lesen.
Zur Pressekonferenz, die auch Peter Tiede thematisiert, schreibt Jürgen Trittin:
Unser expliziter Wunsch, dass die Pressekonferenz bei der Nachrichtenagentur TASS stattfinden solle, wurde von der russischen Seite abgelehnt. Ein Besuch in den Redaktionsräumen von Russia Today wurde von uns abgelehnt. Die jetzt beim Medienhaus Rossija Segodnya geplante Pressekonferenz wird deshalb ohne Beteiligung der stellvertretenden Vorsitzenden stattfinden.
Und der Grünen-Politiker liefert auch noch die Antwort auf eine Frage, die “Bild” ihm nie gestellt hat:
Die von der BILD aufgeworfene Frage, warum wir überhaupt in einer Delegation unter dem formellen Vorsitz eines AfD-Abgeordneten nach Moskau reisen, hätte ich der Redaktion gerne beantwortet — allerdings hat sie nie gefragt.
Aber die Antwort ist klar: wären alle stellvertretenden Vorsitzenden bzw. weiteren Mitglieder der Parlamentariergruppe zu Hause geblieben, hätte die Reise des Vorsitzenden trotzdem stattgefunden. Allerdings ohne Treffen mit Stiftungen, unabhängige Medien und Opposition — und mit mindestens einem Auftritt bei Russia Today. Das zu verhindern war die klare Übereinkunft aller weiteren Mitglieder der Delegation.
So eine Antwort hätte Peter Tiede und der “Bild”-Redaktion aber natürlich die Geschichte kaputtgemacht.
Mit Dank an Theo für den Hinweis!
Nachtrag, 21. Juni: Bei der Pressekonferenz, die am Donnerstagnachmittag stattfand, waren mit Doris Barnett, Michael Georg Link und Gregor Gysi doch stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe dabei.
Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg darf heute in der “Bild”-Zeitung (und seit gestern auf Bild.de) mal wieder zur Nation sprechen:
Guttenberg findet, dass das “trotzige Kind” Wladimir Putin mit seinen “lauten Rülpsern” nichts auf Schloss Elmau verloren habe: Es sei richtig …
unser freiheitlich demokratisches Wertesystem nicht zu verschachern. Genau das würde im Falle einer Nachladung Putins geschehen.
Dieser würde kaum demütig auftreten, sondern sich in seinem zynischem Handeln noch bestätigt sehen. Es wäre ein fatales Signal an all jene, die in unseren Werten ihr Feindbild sehen.
Die Aufmerksamkeit nutzt Guttenberg, um gleich auch noch gegen “meist nicht so gute Gutmenschen” auszuteilen, die gegen das G7-Treffen protestieren. Seine Worte wirken aber vor allem wie eine späte Abrechnung mit dem Grünen-Politiker Jürgen Trittin, der Guttenberg in der Plagiatsaffäre einst “Hybris” und “Hochstaplerei” vorwarf:
Tausende Demonstranten in München und Garmisch. Viele meinen es gut und wissen es nicht besser. Manche aber sehr wohl.
Bestes Beispiel inmitten der Protestierenden: ein breit grinsender Grünen-Politiker Jürgen Trittin. Ja, jener, der vor einigen Jahren noch selbst G7-Gipfel kritiklos mitorganisierte.
Sicher, in unserem Land gibt es das Recht auf Meinungsänderungsfreiheit. Gottlob. Es gibt aber wohl kaum einen Politiker, der davon so schamlos und lediglich wahltaktisch Gebrauch macht wie Trittin. Eigentlich sollte es diese Form der Verlogenheit sein, die die Menschen auf die Straße treibt.
Karl-Theodor zu Guttenberg ist für Bild.de — noch immer — “Deutschlands populärster Politiker”. Und wenn so einer “exklusiv” seine Meinung aufschreibt, müssten die Herzen der Leser doch höher schlagen.
Nach mehr als 300 Kommentaren, von denen ein Großteil Kritik an Guttenberg enthielt, hatte die Redaktion genug: Der Artikel wurde abgeschaltet und neu eingestellt, dieses Mal aber ohne Kommentar-Funktion.
Wenn in der Kommentarspalte auf Bild.de rassistisch gehetzt wird, dauert es eine halbe Ewigkeit, bis mal jemand einschreitet. Doch wenn die Leserschaft in vergleichsweise harmloser Wortwahl ihre negative Meinung gegen einen “Bild”-Liebling kundtut, geht es ratzfatz.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Taifun Haiyan – war da was?” (weltreporter.net, Hilja Müller)
Hilja Müller mit einem Resümee zum Taifun Haiyan: “Eine Woche hieß es ‘Spot on’. Nun liegen die Taifungebiete wieder im tiefen Dunkel (buchstäblich, denn Strom soll es erst um Weihnachten wieder geben). Wie es dort weitergeht, ob die von der Regierung versprochenen neuen Behausungen gebaut werden, was mit den vielen Millionen Spenden passiert, wie die Menschen ihr Leben wieder in den Griff bekommen – wer will das wissen? Die Fallschirm-Journalisten jedenfalls nicht. Sie sitzen bereits wieder im Flieger zum nächsten Krisengebiet und lesen sich rasch an, worüber sie eigentlich berichten sollen.”
2. “Absichtserklärungen, die das Gesetzgebungsverfahren ersetzen” (ad-sinistram.blogspot.de, Roberto De Lapuente)
“Was im Koalitionsvertrag steht, scheint für die Journalisten unserer kleinen postdemokratischen Republik schon so gut wie bewilligt und eingeführt zu sein”, wundert sich Roberto De Lapuente. Doch: “Diese Vereinbarung zwischen Koalitionspartnern meint, dass man versuchen wird, die Abgeordneten der Fraktionen auf den Regierungskurs zu lotsen. Der Koalitionsvertrag ist also nur die Absicht, die eigenen Parlamentarier in Versuchung zu führen.”
3. “Ich zahl’ nicht mehr!” (fernsehkritik.tv)
Holger Kreymeier zahlt ab sofort keinen Rundfunkbeitrag mehr: “Es müssen viel härtere Maßnahmen her, die ARD und ZDF programmatisch die Fesseln anlegen. Es kann nicht sein, dass die Jagd nach Quoten inzwischen wichtiger ist als der Wille, den Bildungs- und Kulturauftrag zu erfüllen.”
4. “Die Sendungs-Bewussten” (heutigentags.de, Dennis, 21. November)
Eine Auswertung der “großen Talkshows bei ARD und ZDF” vom 1. Januar bis zum 20. November 2013. Bisher acht Mal und öfters zu sehen waren Wolfgang Kubicki, Wolfgang Bosbach, Jürgen Trittin, Peter Altmaier, Renate Künast und Sahra Wagenknecht.
5. “TV-Asyl für ägyptischen Satiriker” (tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Die Deutsche Welle verhandelt mit dem ägyptischen Satiriker Bassem Youssef “über eine Übernahme seiner Sendung ‘Al-Barnameg’ (‘Die Show’)”.
6. “Das Netz für die Chefinnen” (taz.de, Annette Bruhns)
Annette Bruhns fasst die bisherigen Erfolge der Initiative Pro Quote zusammen: “Es geht nicht nur um Macht, sondern auch um Jobs und Geld. Es gleicht einem Wunder, wenn Frauen aufsteigen, während überall in den Medien Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Frauen müssen oft als Erste gehen. Ein Grund ist das fehlende Netzwerk: Ober-Buddys halten die Hand über gefährdete Unter-Buddys. ProQuote bietet statt internem Netzwerk ein externes.”
Deniz Yücel hat bei der “taz” ungefähr den Posten inne, den bei “Bild” Franz Josef Wagner, beim “Tagesspiegel” Harald Martenstein und bei der “Welt” Henryk M. Broder bekleiden: Er pfeift als Kolumnist auf Politische Korrektheit, Logik oder auch einfach nur Fakten, bricht mit Konventionen und in die Tastatur und gefällt sich als Mischung aus Wutbürger, Stammtischgänger und ADHS-Grundschüler.
Vom Deutschen Presserat bekam Yücel im Dezember eine “Missbilligung”, weil er über Thilo Sarrazin geschrieben hatte:
So etwa die oberkruden Ansichten des leider erfolgreichen Buchautors Thilo S., den man, und das nur in Klammern, auch dann eine lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur nennen darf, wenn man weiß, dass dieser infolge eines Schlaganfalls derart verunstaltet wurde und dem man nur wünschen kann, der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten.
(Das mit dem “Schlaganfall” war auch noch sachlich falsch.)
Nach der Landtagswahl in Niedersachsen schreibt Yücel heute einen Abgesang auf den vermutlich scheidenden Innenminister Uwe Schünemann, den er, wie es so seine Art ist, mit “Tschüss, Kotzbrocken!” überschrieben hat.
Yücel bezeichnet Schünemann als “beste[n], weil dümmste[n] Innenminister der westlichen Welt” und führt aus:
Ob Handyverbote für Terroristen, Bundeswehreinsätze gegen Killerspiele oder Fußfesseln für Schulschwänzer, ob Nachtischverbot für Stützeempfänger, Arbeitsdienst für Fünfjährige oder Hymnenpflicht für Blogger – keine Forderung, die zu absonderlich oder zu faschistoid gewesen wäre, als dass Schünemann im Laufe seiner zehnjährigen Amtszeit sie nicht erhoben hätte oder bei der man hätte sicher sein können, dass er sie nicht noch irgendwann erheben würde.
Wer das zweifelhafte Vergnügen hatte, Anfang Juli 2012 Yücels Kolumne über den niedersächsichen Innenminister Uwe Schünemann lesen zu müssen, könnte an dieser Stelle ein Déjà-vu erlitten haben, denn damals hatte Yücel geschrieben:
Ob Handyverbote für Terroristen, Bundeswehreinsätze gegen Killerspiele, Fußfesseln für Schulschwänzer, Knast für Fünfjährige, Nachtischverbot für Stützeempfänger – keine Forderung, die nicht zu abwegig oder autoritär wäre, als dass Schünemann sie nicht schon erhoben hätte oder sie nicht noch erheben würde.
Wenig später fährt Yücel heute fort:
“Lieber ein harter Hund als ein Warmduscher”, sagte er über sich und bekannte sich, um auch mal so etwas wie eine menschliche Seite zu zeigen, zu seiner “Leidenschaft für Gummibärchen”.
Vor einem halben Jahr klang das bei ihm so:
“Lieber ein harter Hund als ein Warmduscher”, sagt er über sich. Und um sich auch mal von einer menschlichen Seite zu zeigen, bekennt er sich auf seiner Homepage zu seiner “Leidenschaft für Gummibärchen” – und spätestens jetzt weiß man, dass die einzige Leidenschaft, zu der so einer fähig ist, der präfaschistische Furor des entfesselten Kleinbürgers ist.
Heute witzelt Yücel vor sich hin:
Doch während andere niedersächsische Politiker später Karriere machten und Bundesminister (Trittin, von der Leyen), Bundesvorsitzende (Rösler, Gabriel), Bundeskanzler (Schröder) oder Wulff (Wulff) wurden, blieb Schünemann in Niedersachsen.
Im Sommer hatte er geschrieben:
Er hadert damit, dass andere niedersächsische Politiker später Karriere machten. Sie wurden Bundesminister (Trittin), Bundeskanzler (Schröder) oder Wulff (Wulff). Nur Schünemann blieb, was er immer war. Und seit dort eine Frau Ö. oder Ü. am Kabinettstisch sitzt, ist er nicht einmal mehr der bekannteste niedersächsische Minister der Welt.
Sogar den – auf Aygül Özkan bezogenen – Umlaut-Kalauer hat er heute an anderer Stelle noch einmal aufgewärmt:
Denn der war kein Dutzendminister in der deutschen Provinz; er ist auch nicht so leicht zu ersetzen wie die andere (zumindest in Fachkreisen) halbwegs bekannte niedersächsische Ministerin, für die sich gewiss eine andere Frau Ö. oder ein Herr Ü. finden lassen wird.
Nun ist es nicht so, dass Deniz Yücel seine gesamte Kolumne aus dem Juli 2012 recycelt hätte: Ein paar Passagen hat er nicht wiederholt — vielleicht, weil er sie zuvor schon einmal wiederholt hatte.
So schrieb er vor einem halben Jahr:
Doch Schünemann genügt sein toller Job in Niedersachsen und die Freizeit, die er im Sportschützen-Club Holzminden vielleicht auch mit ein paar Betriebsräten von VW verbringt, nicht.
Also ziemlich genau das, was er schon im Januar 2006 in der “Jungle World” in einem Text über Schünemann geschrieben hatte:
Doch Uwe Schünemann (CDU) genügen sein toller Job in Niedersachsen und die Freizeit, die er im Sportschützen-Club Holzminden, vielleicht auch mit ein paar Betriebsräten von VW verbringt, nicht.
“taz”, 2012:
Vielleicht wird seiner Ehefrau Ines im Supermarkt hinterhergetuschelt: “Die Ärmste, ihr Mann ist schon bald 50 und immer noch nur Landesminister!” – “Wie sie das bloß aushält?” – “Wenn meiner immer nur so was bliebe, würde ich die Kinder nehmen und gehen.”
Darum gibt Schünemann alles, damit sich seine Frau Ines (47) und die Kinder Milena (17) und Timo (13) nicht für den Papi (sie dürften ihn alle drei so nennen) schämen müssen.
“Jungle World”, 2006:
Möglichweise wird im Supermarkt hinter seiner Ehefrau getuschelt: “Die Ärmste, ihr Mann ist nur Landesminister!” – “Wie sie das aushält?” – “Wenn meiner immer nur sowas bliebe, würde ich die Kinder nehmen und gehen.”
Doch Schünemann gibt alles, damit sich seine Ehefrau Ines (40) und die Kinder Timo (6) und Milena (10) für den Papa (vermutlich werden alle drei ihn so nennen) nicht schämen müssen.
So gesehen ist Deniz Yücel doch nicht der Broder oder Wagner, sondern nur der Wolfram Weimer der Linken.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Scheinheiligkeit à la Bild-Zeitung – der späte Umgang mit der ‘Schande von Düsseldorf'” (sportsaal.de, Derhatschongelb)
Fußball: “Bild” kommentiert den definitiven Aufstieg von Fortuna Düsseldorf in die erste Bundesliga. “Liebe Bild, dieser Kommentar ist keine Wiedergutmachung für die öffentliche Hinrichtung des Vereins Fortuna Düsseldorf und seiner Fans. Er ist ein blanker Hohn.”
3. “Faule Griechen statt Rudi Dutschke” (theeuropean.de, Jürgen Trittin)
Grünen-Politiker Jürgen Trittin schreibt über “Bild”: “Im Stil bleibt ‘Bild’ seinem Anspruch treu, Politik nicht nur journalistisch zu beobachten und zu kommentieren, sondern selbst zu gestalten. Als selbst ernanntes Sprachrohr eines vermeintlichen Mainstreams, das seiner daraus folgenden Verantwortung aber nicht nachkommt.” Weitere Texte hier.
4. “Mit eingezogenen Fühlern” (vocer.org, Julia Friedrichs)
Eine Rede zur Lage des Journalismus von der 32-jährigen Journalistin Julia Friedrichs: “Wer immer und immer wieder hört: ‘Die See ist rau! Die Zeiten hart! Pass Dich an!’, dem wird es schwerfallen, die Ideale mit denen er mal gestartet ist, zu bewahren. Die Träume. Die Prinzipien. Das, was anständiger Journalismus auch braucht.”
5. “Märkte verschieben Untergang” (taz.de, Deniz Yücel)
Deniz Yücel sammelt Überschriften aus Zeitungen, in denen die “Märkte” vorkommen.
6. “Demokrit sucht eine Lücke” (umblaetterer.de, San Andreas, Videos)
Das Fußballspiel Deutschland gegen Griechenland aus der Sicht von Monty Python 1972.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Der ‘Geliebte Führer’ war auch Journalismus-Dozent” (nzz.ch, bbu.)
Erheiternde Einblicke in das Wirken des “Great Teacher of Journalists” Kim Jong-il. “Es ist natürlich höchst einfach für Aussenstehende, sich über dergleichen bizarre Einblicke in die Innenwelt eines hermetischen Regime lustig zu machen, das George Orwells Negativutopie ‘1984’ wohl am nächsten kommen dürfte. Doch darob darf nicht vergessen werden, dass dies alles für Millionen von Nordkoreanern tägliche und unausweichliche bittere Realität darstellt – und es ist weiterhin kein Ende absehbar.”
2. “Im Herz der Zensur” (berliner-zeitung.de, Michael G. Meyer)
Kirsten Rulf arbeitet für 90 Tage beim chinesischen Staatssender CCTV: “Das Augenfälligste war, dass die Zensoren sich selbst nicht zu erkennen geben, aber leicht zu erkennen waren: Für das Magazin arbeiten überwiegend sehr junge Journalisten, die so um die 30 sind. Die Zensoren aber waren um die 60, teilweise über 70. Auch die Themen selbst werden von ihnen festgelegt.”
3. “Trash-Fernsehen ist wie Fast Food” (sueddeutsche.de, Lena Jakat)
Philipp Walulis (“Walulis sieht fern”) will die Leute unterhalten und ihnen nebenbei etwas Medienkritik unterjubeln: “Nichts ist schrecklicher, als aktiv belehrt zu werden, mit erhobenem Zeigefinger. Eine Sendung muss Spaß machen, sonst bleibt keiner dran. Außer drei, vier Oberstudienräte vielleicht.”
4. “Journalisten und Greenpeace & Co: Auf der Seite der Guten” (evangelisch.de, Miriam Bunjes)
Die nicht immer kritische Distanz zwischen Journalisten und NGOs: “‘Studien über Journalisten zeigen, dass Journalisten eher mit linkeren Einstellungen sympathisieren und somit viele Ideen der NGO-Aktivisten teilen: Eine kritische Einstellung gegenüber Atomenergie, die Wichtigkeit von Umweltschutz und Menschenrechten zum Beispiel’, sagt Wimmer. ‘Das macht Objektivität noch schwerer.'”
5. “Die meisteingeladenen Talkshowgäste 2011” (meedia.de)
Jürgen Trittin wurde 2011 am häufigsten in Talkshows eingeladen. Platz 2 teilen sich Gregor Gysi, Hans-Ulrich Jörges, Jürgen Todenhöfer, Klaus von Dohnanyi, Michael Spreng, Peter Scholl-Latour, Rainer Brüderle und Ursula von der Leyen.
6. “Weihnachten mit Wolfdietrich Schnurre” (begleitschreiben.net)
“Es wurde ein sehr schöner Weihnachtsabend. Erst sangen und spielten wir die Platten durch; dann spielten wir sie noch einmal ohne Gesang; dann sang Frieda noch mal alle Platten allein; dann sang sie mit Vater noch mal, und dann aßen wir und tranken den Wein aus, und darauf machten wir noch ein bißchen Musik; und dann brachten wir Frieda nach Hause und legten uns auch hin.”
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Die meisteingeladenen Talkshowgäste 2010” (meedia.de, Jens Schröder)
Heiner Geißler, Hans-Olaf Henkel, Arnulf Baring, Hans-Ulrich Jörges, Martin Lindner, Ursula von der Leyen, Christian Lindner, Gregor Gysi, Renate Künast, Daniel Bahr, Jürgen Trittin, Karl Lauterbach, Klaus Wowereit, Markus Söder, Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, (…).
2. “Frei schwebende Genies – aus Netz, Medien und Soziologie” (carta.info, Christoph Kappes)
Christoph Kappes beschäftigt sich mit dem Artikel “Herrenreiter-Mythos des frei schwebenden Genies” von Gerd Held. Held stellt bei Julian Assange einen “maskenhaften, fast abwesenden Gesichtsausdruck” fest, der “etwas von der kalten Mechanik, die man von den Videobotschaften terroristischer Zirkel” kenne, habe. Kappes: “Es ist das Gesicht und der Gestus von Assange, der ihn Terroristen ähnlich sehen lässt. Ein formal scheinbar nicht angreifbarer Schluss, denn so wie Assange einen Kopf hat, kennt man dies auch von Terroristen – selbst Klaus Störtebecker hatte einen solchen bis zu seinem Tod.”
3. “Verwirrte Nordsee-Zeitung mit kuriosen Fehlern” (bremerhaven-aktuell.blogspot.com, Detlef Kolze)
Mit der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nehmen einer Studie zufolge gesundheitliche Beschwerden zu, schreibt die “Nordsee-Zeitung” in einer Kurzmeldung – und verpasst ihr die Überschrift “Lange arbeiten ist gesund”.
4. “Zu Tornado-Absturz 1984 in KKG-Reichweite” (mainpost.de, Norbert Schmitt)
Norbert Schmitt schreibt einen Leserbrief zum in der “Main-Post” erschienenen Artikel “Kampfjets über Atomkraftwerk”. Die “aufreißerische Berichterstattung auf der Titelseite im Stile der ‘Bildzeitung'” sei nur geeignet, “Ängste in der Bevölkerung vor Atomkraft und Flugunfällen zu schüren”.
6. “Schlimmer wird’s immer” (jungle-world.com, Klaus Farin)
Klaus Farin hält die gegenwärtige Jugend für “die bravste seit Jahrzehnten”. Trotzdem werde sie von den Medien anders dargestellt. “Drei besoffene Neonazis, die ‘Sieg heil!’ gröhlend durch ein Dorf laufen, ein ‘Drogenvorfall’ in einer Schule oder einer anderen Jugendeinrichtung erfahren bundesweite Medienresonanz, eine Jugendgruppe dagegen, die sich seit Monaten aktiv gegen Rechtsextremismus engagiert, ist höchstens der Lokalzeitung ein paar Zeilen wert.”