Eine Textform, die nur wenige Journalisten beherrschen, ist die Korrekturmeldung. Und das liegt auch an der fehlenden Übung. Wenn der Lehrer in der Journalistenschule morgens an die Tafel schreibt: “Heute üben wir Korrekturen”, wird die Klasse gleich unruhig und die Schüler murren: “Bringen Sie uns lieber was Vernünftiges bei. In der Praxis brauchen wir das ja eh nie.” Und dann üben sie Reportagen.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)
In den Redaktionen sehen die Journalistenschüler später: Sie haben recht gehabt. Wieder einmal. In der Praxis müssen sie keine Korrekturen schreiben. Immer haben sie recht. Es ist fast schon unheimlich. Aber so ist es nun mal. Und wenn dann ein Leser anruft und behauptet, in die Reportage auf der dritten Seite sei wohl ein dicker Bock geraten, legen sie auf und rufen: “Wieder so ein Verrückter!” Bis dann auch anderen auffällt: Ecuador liegt wirklich nicht in Afrika.
Tja, und dann rätseln sie in der Redaktion: Wie schreibt man jetzt so eine Korrektur? Ein Politik-Redakteur sagt: “Ich glaub’, ich hab’ da mal was gelesen.” Dann lassen sie ihn das machen, und in der Zeitung steht am nächsten Tag: “Aufgrund eines technischen Defekts hat sich in unsere gestrige Ausgabe ein Fehler geschlichen.”
Georg Mascolo, der Chef der gemeinsamen Recherche-Abteilung von “NDR”, “WDR” und “Süddeutscher Zeitung”, hat am vergangenen Donnerstag beim “Evangelischen Medienkongress” in Hamburg die Fehlerkultur im deutschen Journalismus kritisiert und gesagt, in Amerika sei das alles etwas anders.
In den USA sind Fehler auch nicht viel beliebter als in Deutschland, aber irgendwie haben die Amerikaner es geschafft, hier die Überzeugung zu verbreiten, dass Fehler dort nicht ganz so verpönt seien. Und wenn man in die “New York Times” schaut, könnte da tatsächlich was dran sein. Die “NYT”-Korrektur-Meldungen sind manchmal so lang wie ein ganzer Artikel.
In Deutschland wird auch korrigiert. Aber oft einfach Dinge, bei denen jeder denkt: Ach so, das, ja — nicht der Rede wert. Falsche Namen zum Beispiel:
Aber auch dabei fällt immer wieder auf: Den Journalisten in Deutschland fehlt einfach die Übung.
Natürlich korrigieren auch amerikanische Zeitungen Namen …
… aber sie stellen auch größere Dinge richtig:
In Deutschland geht man mit größeren Fehlern anders um. Intelligenter. Man hofft, dass sie am nächsten Tag vergessen sind. Ein weit verbreitetes Dogma in deutschen Redaktionen lautet: “Wir korrigieren nur, wenn einer anruft.” Damit kommt man eigentlich immer ganz gut durch.
Redaktions-Dogma Nummer zwei: “Der Leser hat kein Archiv.” Das war ja irgendwann wirklich mal so. Da konnte man als Redakteur so gut wie gar nichts falsch machen, wenn man überhaupt nichts korrigierte. Denn selbst, wenn dann wirklich mal ein Leser anrief, der zur Überraschung aller doch über ein Archiv verfügte, fehlte ihm immer noch etwas anderes: der Zugang zur Öffentlichkeit. Und den gab ihm dann auch die Zeitung einfach nicht.
Kleine Ausnahme vielleicht: Lokalprominenz mit Archiv. Ganz unangenehme Konstellation. Da musste man anders vorgehen.
Wenn es in dem fehlerhaften Bericht um den Prominenten selbst ging, konnte man sagen: “Wissen Sie was, wir kommen morgen vorbei und machen die Geschichte aus Ihrer Perspektive. Dann können Sie selbst noch mal erklären, wie Sie das Ganze sehen.” Damit entfiel die Notwendigkeit einer Korrektur.
Ging es um etwas anderes als den Prominenten, blieb einem nichts übrig, als darauf zu hoffen, dass er sich mit der Ankündigung zufrieden gab, dass man in den nächsten Tagen noch mal über das Thema berichten werde. “Dann schreiben wir das noch mal so, wie es war. Und dann steht’s ja richtig in der Zeitung.” Dass jemand noch zusätzlich eine Korrektur-Meldung einforderte, kam so gut wie nie vor.
Seit aber jeder Leser nicht nur ein Archiv hat, sondern auch noch eine verdammte Suchfunktion, funktionieren die alten Mechanismen nicht mehr so wie früher. Niemand ruft mehr an und bittet freundlich um eine Richtigstellung. Wozu auch? Man kann’s ja selbst gleich twittern. Und das machen eben auch die meisten. Ein falsches Wort, und schon weiß es die ganze Welt.
Da ist es auch fast egal, ob später eine Korrektur in der Zeitung steht. Aber es ist natürlich eine gute Gelegenheit, um noch mal klarzustellen, dass hier kein Redakteur, sondern die Technik versagt hat:
Und die Technik versagt ja schnell mal. Es genügt schon ein falscher Buchstabe, den die defekte Tastatur in ein Wort gemogelt hat, und schon bekommt die Geschichte einen vollkommen anderen Spin. In diesem Fall zum Beispiel hätte man den ja gar nicht vermutet:
In seltenen Fällen kann man Fehler sogar schmecken:
Aber zum Glück wird das ja alles korrigiert, zumindest in Amerika. Dann sieht man immerhin hinterher: Zwei Teelöffel Zement schmecken schlechter als zwei Teelöffel Koriander. Aber man überlebt auch das. Und wieder hat man aus der Zeitung gelernt.
Wenn aber nun alles korrigiert werden kann — das muss man auch sagen –, leidet möglicherweise auch die Sorgfalt. Natürlich auch die in den Korrekturen selbst. Aber zum Glück gibt es ja auch dafür die Spalte mit den Richtigstellungen: