Wie wird aus einer interessanten Information eine Nachricht, die viele Medien und damit viele Menschen erreicht? Die Geschichte der Meldung, dass die Deutschen 2010 wieder häufiger krank feierten, die in dieser Woche durch die Medien ging, ist ein gutes Lehrstück.
Immer am Anfang des Jahres gibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit eine große Tabelle mit Daten über die Entwicklung der Arbeitszeit in Deutschland heraus. Darin steht unter anderem, wie viele Überstunden die Arbeitnehmer gemacht haben und wie oft sie krank waren.
In diesem Jahr veröffentlicht das IAB die Zahlen am 20. Januar und erwähnt in einer Pressemitteilung unter anderem, dass der Krankenstand 2010 gegenüber dem Vorjahr leicht zugenommen habe. Die Agentur dapd berichtet, doch die Nachricht bleibt ohne größere Resonanz.
Irgendwann später im Jahr ruft der “Bild”-Redakteur Stefan Ernst beim IAB an und fragt, ob man nicht irgendwelche exklusiven Daten für ihn habe. Das Institut verneint, weist aber auf die vielen interessanten Informationen auf der eigenen Internetseite hin. Ernst greift auf die Arbeitszeit-Tabelle zurück und macht aus den eigentlich längst bekannten Angaben über die Überstundenentwicklung einen Artikel, der am 14. Februar auf Seite 1 erscheint.
Die Nachrichtenagenturen AFP, dpa und epd melden daraufhin unter Bezug auf “Bild” die IAB-Zahlen aus dem Januar über die Entwicklung der Überstunden. dpa ergänzt sie in einer weiteren Meldung am selben Tag um die IAB-Daten über den leicht erhöhten Krankenstand.
Einige Monate vergehen. Eines Tages erinnert sich “Bild”-Mann Stefan Ernst bei der Suche nach einer aufregenden Wirtschaftsgeschichte für die Seite 1 offenbar an die alte IAB-Tabelle. Diesmal greift er sich ein anderes Detail heraus: die Angaben über den erhöhten Krankenstand. So meldet “Bild” am 14. Juni noch einmal, was das IAB bereits im Januar und dpa bereits im Februar gemeldet hat:
Die Nachrichtenagentur dpa berichtet daraufhin eilig unter Bezug auf “Bild”, dass sich der Krankenstand laut IAB 2010 leicht erhöht habe. Autor der Meldung ist derselbe dpa-Mann, der dieselbe Nachricht schon vier Monate zuvor geschrieben hatte.
Auf der Grundlage der dpa-Meldung verkaufen nun “Handelsblatt”, “taz”, “Berliner Zeitung”, “B.Z.”, “Spiegel Online” und viele andere als Neuigkeit, was das IAB gut fünf Monate zuvor veröffentlicht hat und was dpa vier Monate zuvor bereits einmal gemeldet hat.
Und wir lernen:
- Nachrichten müssen in der “Bild”-Zeitung stehen, damit Nachrichtenagenturen sie wahrnehmen.
- Wenn sie in der “Bild”-Zeitung stehen, sind sie für Nachrichtenagenturen immer ein Thema, selbst dann, wenn sie sie bereits Monate zuvor schon vermeldet haben.
- Was Nachrichtenagenturen melden, ist für andere Medien eine Nachricht, selbst wenn es alt, bekannt oder falsch ist.
Falsch auch? Ja. Vermutlich hat der Krankenstand im vergangenen Jahr gar nicht zugenommen. Die IAB-Studie beruht auf Stichproben, die solche Schlüsse, wie sie das Institut und die Medien ziehen, gar nicht zulässt. Mehr dazu hier: