1. Verschlossene Auster 2021 geht an die Hohenzollern (netzwerkrecherche.org, Günter Bartsch)
Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche vergibt jährlich den Negativpreis “Die Verschlossene Auster”. Diesjähriger Preisträger sind die Hohenzollern: “Über Gerichte und Anwaltsschreiben versucht der Sprecher der Hohenzollern, Georg Friedrich Prinz von Preußen, Berichterstattung zu beschneiden, die sich um die historisch bedeutsame Frage dreht, ob seine Vorfahren dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet haben und ob er damit zu Recht oder zu Unrecht auf Entschädigung für enteignete Immobilien und Kunstwerke streitet”.
Weiterer Lesetipp: “Um Angriffe auf die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und die damit verbundene Meinungsfreiheit effektiv zu verteidigen, gründet FragDenStaat einen Rechtshilfefonds”: der Prinzenfonds (fragdenstaat.de).
2. Ohrfeige für die Branche (sueddeutsche.de, Dennis Müller)
Die Kabarettistin, Schauspielerin und Sängerin Maren Kroymann wurde bei der Verleihung des Deutschen Comedypreises mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Sie nutzte die Gelegenheit, Kritik am Umgang mit der Causa Luke Mockridge anzubringen: “Ich hätte gerne gehabt, dass Verantwortliche für diesen Preis – und auch von dem Sender – die Eier gehabt hätten, zu sagen: Wir solidarisieren uns nicht nur mit unserem beliebten Künstler, sondern mit den Frauen, die betroffen sind.”
3. Bitteres Gerichtsurteil für Online-Marketing-Profis: Münchens Online-Portal muss Content abbauen (czyslansky.net, Michael Kausch)
Das Onlineportal muenchen.de wurde vom Münchner Oberlandesgericht (OLG) dazu verpflichtet, seine Inhalte herunterzufahren. Das Portal sei zu presseähnlich. Geklagt haben die örtlichen Tageszeitungen: die “Süddeutsche Zeitung”, die “Abendzeitung”, die “tz” und der “Münchner Merkur”. Die Stadt München habe bereits angekündigt, gegen das Urteil des OLG Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen.
4. “Facebook interessiert sich mehr für Wachstum als für Menschen” (zeit.de)
Die jüngste Serie von Enthüllungsberichten über Facebook geht anscheinend zu großen Teilen auf die frühere Facebook-Managerin Frances Haugen zurück. Haugen beantragte bei US-Behörden offiziell Schutz als Whistleblowerin und soll am morgigen Dienstag vor dem Kongress aussagen. Ein Facebook-Sprecher entgegnete zu den aktuellen Vorwürfen, man versuche täglich, “eine Balance zwischen dem Recht von Milliarden Menschen auf freie Meinungsäußerung und einer sicheren Umgebung für die Nutzer” zu finden.
5. Ist Rezo der neue Rudi Dutschke (br.de, Hans Jessen)
Kann man den Youtuber Rezo mit Rudi Dutschke, der Symbolfigur der 68er-Bewegung, vergleichen? Auf gewisse Weise schon, findet Hans Jessen: “Besonders in der Befragung der älteren Generation über ihre Verantwortung für die Verhältnisse, die Jüngere als Realität vorfanden, ist eine deutliche Parallele zu Rezos Videoanalysen zu erkennen – Parallele auch deswegen, weil beide, Rudi wie Rezo, Reichweite und Wirkung in gesellschaftliche Lager erziel(t)en, weit über das originäre eigene Klientel hinaus. Das verbindet sie, und das macht sie vergleichbar.”
6. Wohnwagen-TV auf allen Kanälen: Die Camping-Chroniken von Germania (dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader rechnet in seiner “DWDL”-Kolumne mit den “Wirbellosen unter den TV-Sendungen” ab, den Camping-Formaten: “Ein Fernsehen, das nicht nur gänzlich ohne Dramaturgie auskommt – sondern auch vollständig ohne Ambition der verantwortlichen Macherinnen und Macher. Kein TV-Team muss aufwändig nachhelfen, weil sich die nächste kuriose Situation fast immer von selbst ergibt: Camping-Newbies mit der Kamera zu begleiten, ist top – weil die alle Anfängerfehler nochmal von vorn machen (Adapter für den Stromanschluss!); bei den Camping-Profis dabei zu sein, ist aber genauso top – weil die für ihr “Glamping” technisch schon so hochgerüstet haben, dass das fahrende Hightechheim sich anschickt, demnächst die Moderation vom ‘K1 Magazin’ zu übernehmen.”
1. Die Welt wird immer besser (faz.net, Hans Rosling)
Wenn man die Nachrichten verfolgt, kann man leicht den Eindruck bekommen, dass alles schlechter wird auf unserer Erde. Das liegt daran, dass über Verschlechterungen in der Regel viel und über Verbesserungen in der Regel wenig berichtet wird. Der im Februar 2017 verstorbene Wissenschaftler Hans Rosling hatte es sich zur Aufgabe gemacht, auf die positiven Veränderungen hinzuweisen. In einem Gastbeitrag für die „FAZ“ gibt es sein Vermächtnis: 32 gute Botschaften! Beachtens- und lesenwert wegen der Grafiken mit den positiven Entwicklungen, aber auch wegen der Gedanken drumherum.
2. Unruhe im Funkhaus (sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Beim „WDR“ rumort es: Nach Belästigungsvorwürfen gegen einen weiteren Mitarbeiter hat der Sender externe Anwälte mit der Aufklärung von Vorwürfen der sexuellen Belästigung innerhalb der Anstalt beauftragt. Inwieweit eine transparente Aufklärung der Fälle erfolgt, ist fraglich: „Persönlichkeitsschutz und Arbeitsrecht heißen ganz offenbar die Linien, hinter die sich der WDR bislang immer wieder zurückzieht. Parallel wird immer deutlicher, dass offenbar sehr viele im Haus sehr lange schon von den Vorwürfen wussten, sich aber nicht trauten, dies anzusprechen.“
3. Springerknechtle Bechtle (kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Ein Ausflug in die Zeitgeschichte: 1968 wurde der Wortführer der Studentenbewegung Rudi Dutschke niedergeschossen. Viele Menschen machten die Springerpresse für das Attentat verantwortlich, die lange gegen Dutschke und die aufbegehrenden Studenten gehetzt hatte. Josef-Otto Freudenreich erzählt die Geschichte der Springer-Blockade in Esslingen. Dort hatten sich Demonstranten versammelt, welche die Auslieferung des Boulevardblatts verhindern wollten.
4. Das Bild der Bauern (ndr.de, Oda Lambrecht & Christian Baars)
Immer wieder gibt es Berichte, die sich kritisch mit der Landwirtschaft und ihren Folgen für Mensch, Umwelt und Tier auseinandersetzen. Berichte, die von Landwirten oft als einseitig empfunden werden. Ihre Antwort: Das Herstellen einer Gegenöffentlichkeit durch die Online-Veröffentlichung eigener Berichte, Fotos und Videos.
5. Auf Youtube ist die Erde eine Scheibe (medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Wegen des Datenskandals richten sich momentan alle Augen der Welt auf Facebook, doch auch Google hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Videoplattform erweise sich, so Adrian Lobe, „immer mehr als Katalysator für Verschwörungstheorien und Hassbotschaften, die dem erklärten Ziel der Mutterfirma Google, «die Informationen der Welt zu organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nutzbar zu machen», zuwiderlaufen.“
6. Hustensaft Jüngling hat uns den Facebook-Skandal erklärt (noisey.vice.com, Nina Damsch)
Als Rausschmeißer fürs Wochenende ein Chat-Interview der besonderen Art: Was würde der deutsche Rapper „Hustensaft Jüngling“ an Mark Zuckerbergs Stelle tun? Sollten wir alle Facebook löschen? Hängen die coolen Kidz überhaupt noch da ab? Und ist Mark Zuckerberg wirklich ein Roboter, wenn nicht sogar ein Reptiloid?
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Scheinheiligkeit à la Bild-Zeitung – der späte Umgang mit der ‘Schande von Düsseldorf'” (sportsaal.de, Derhatschongelb)
Fußball: “Bild” kommentiert den definitiven Aufstieg von Fortuna Düsseldorf in die erste Bundesliga. “Liebe Bild, dieser Kommentar ist keine Wiedergutmachung für die öffentliche Hinrichtung des Vereins Fortuna Düsseldorf und seiner Fans. Er ist ein blanker Hohn.”
3. “Faule Griechen statt Rudi Dutschke” (theeuropean.de, Jürgen Trittin)
Grünen-Politiker Jürgen Trittin schreibt über “Bild”: “Im Stil bleibt ‘Bild’ seinem Anspruch treu, Politik nicht nur journalistisch zu beobachten und zu kommentieren, sondern selbst zu gestalten. Als selbst ernanntes Sprachrohr eines vermeintlichen Mainstreams, das seiner daraus folgenden Verantwortung aber nicht nachkommt.” Weitere Texte hier.
4. “Mit eingezogenen Fühlern” (vocer.org, Julia Friedrichs)
Eine Rede zur Lage des Journalismus von der 32-jährigen Journalistin Julia Friedrichs: “Wer immer und immer wieder hört: ‘Die See ist rau! Die Zeiten hart! Pass Dich an!’, dem wird es schwerfallen, die Ideale mit denen er mal gestartet ist, zu bewahren. Die Träume. Die Prinzipien. Das, was anständiger Journalismus auch braucht.”
5. “Märkte verschieben Untergang” (taz.de, Deniz Yücel)
Deniz Yücel sammelt Überschriften aus Zeitungen, in denen die “Märkte” vorkommen.
6. “Demokrit sucht eine Lücke” (umblaetterer.de, San Andreas, Videos)
Das Fußballspiel Deutschland gegen Griechenland aus der Sicht von Monty Python 1972.
Zu den besonders hartnäckigen gehört der, dass die Leute, die bei “Bild” arbeiten, vielleicht ein bisschen skrupellos sind, aber wenigstens gut recherchieren können. Und der, dass in “Bild” zwar viel Quatsch steht, man sich aber auf den Sportteil verlassen kann.
Andererseits ist auch der Irrglaube nicht auszurotten, dass “Bild” sich aufgrund eines Gerichtsurteiles wegen ihrer vielen Falschmeldungen nicht mehr “Zeitung” nennen dürfe.
Und dann ist da noch die ungleich brisantere Behauptung, dass “Bild” den Studentenführer Rudi Dutschke als “Staatsfeind Nr. 1” bezeichnet habe, womöglich gar am 11. April 1968, dem Tag, an dem Josef Bachmann ein Attentat auf Dutschke verübte.
Es sind scheinbar verlässliche Quellen, die diese Version verbreiten. Die Nachrichtenagentur AFP zum Beispiel, die zum 30. Todestag Dutschkes meldete:
Die Antwort von Politik und Medien auf den Herausforderer war scharf. Die “Bild”-Zeitung nannte ihn “Staatsfeind Nr. 1”. Das war am Tag, als auf ihn geschossen wurde, am 11. April 1968.
Und der evangelische Branchendienst “epd Medien”, der anlässlich des Umzugs der “Bild”-Zeitung nach Berlin am 15. Mai 2007 berichtete:
Die so genannte Generation der 68er ging gegen “Bild” und Springer auf die Straße, wobei die Abneigung weitgehend auf Gegenseitigkeit beruhte. Am 11. April 1968 etwa bezeichnete “Bild” den Studentenführer Rudi Dutschke als “Staatsfeind Nr. 1”. Am selben Tag wurde ein Attentat auf Dutschke verübt, Kritiker gaben “Bild” dafür eine Mitschuld.
Die ARD, “Wikipedia”, Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth — sie alle erzählen dieselbe Geschichte. Und ein Nutzer des Freiburger Internet-Portals “Fudder” empört sich in dessen Forum: “BILD lügt immer noch — auch 40 Jahre danach”, weil der Artikel von diesem Tag in dem Archiv fehlt, das die Axel Springer AG gerade im Internet mit angeblich allen Berichten ihrer Zeitungen aus der damaligen Zeit veröffentlicht hat.
Der Artikel fehlt aus einem anderen Grund. Es gibt ihn nicht.
In der “Bild”-Zeitung vom 11. April 1968 (Berlin-Ausgabe, Abbildung links) kommt Rudi Dutschke nicht vor. Wir haben uns selbst davon überzeugt.
Nach Angaben von Rainer Laabs, dem Leiter des Unternehmensarchivs, finden sich auch zu keinem anderen Zeitpunkt Spuren eines solchen Artikels: “Wir haben sehr intensiv, aber ohne Ergebnis, danach gesucht.”
Eine ähnliche Formulierung stand allerdings auf einem Plakat, das bei einer Anti-Studentenbewegungs-Demonstration am 21. Februar 1968 laut “Welt” von Bauarbeitern hochgehalten wurde. “Volksfeind Nr. 1 — Rudi Dutschke, raus mit dieser Bande” hieß es dort. Das Springer-Blatt “B.Z.” sprach in einem Kommentar von einem “Schönheitsfleck” der von ihr im übrigen unterstützten Kundgebung:
Weitere Stellen hat Laabs, der das “Medienarchiv68” zusammengestellt hat, nicht finden können.
Es spricht alles dafür: “Bild” und die anderen Springer-Zeitungen haben Rudi Dutschke nie selbst als Staats- oder Volksfeind Nummer 1 bezeichnet.
Andererseits kann auch kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass sie ihn — auch ohne ihn wörtlich als solchen zu bezeichnen — genau so behandelt haben. Das hat selbst Thomas Schmid, damals Teil der Studentenbewegung und heute als “Welt”-Chefredakteur mit der Relativierung der Verantwortung des Verlages beschäftigt, eingeräumt. 1999 nannte er Springer in der “Welt” treffend:
das Haus, dem die von [Dutschke] so stark geprägte Revolte so massiv zusetzte und das ihn in vielen Veröffentlichungen zum Volksfeind und Monster entstellte.
Nachtrag, 19. Januar. Der Wikipedia-Eintrag ist, nach ein bisschen Hin und Her, korrigiert worden.
Am Tag danach “mußten Berliner Zeitungsleser glauben, daß Benno Ohnesorg von seinen Kommilitonen umgebracht worden sei”, schrieb der “Spiegel” im Juni 1967.
Unter der Schlagzeile “Blutige Krawalle: 1 Toter!” berichtete die “Bild”-Zeitung an jenem 3. Juni 1967:
Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten. (…) Ihnen genügte der Krawall nicht mehr. Sie müssen Blut sehen. Sie schwenken die Rote Fahne, und sie meinen die Rote Fahne. Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.
Die Schwesterzeitung “Berliner Morgenpost” meldete immerhin:
Ein Kriminalbeamter feuerte im wirren Tumult und in dem unübersehbaren Handgemenge einen Warnschuß ab.
Und Schwesterzeitung “Welt am Sonntag” erklärte am folgenden Tag ihren Lesern, warum ein Kriminalbeamter “von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht” hatte:
Er war von den Demonstranten in einen Hof abgedrängt, dort festgehalten, getreten und mit Messern bedroht worden.
Noch einen Tag später titelte “Bild”:
Studenten drohen: Wir schießen zurück — Sanfte Polizei-Welle
Der “Bild”-Reporter sagte laut “Spiegel” hinterher:
“Ich schäme mich für meine Zeitung. Das mit dem Zurückschießen hat mit keinem Wort in meinem Artikel gestanden. Das haben die erst in der Redaktion dazugedichtet, um eine knallige Überschrift zu kriegen.”
* * *
Thomas Schmid, früher selbst in der Studentenbewegung tätig, inzwischen aber Chefredakteur der “Welt”, schreibt in seinem heutigen Leitartikel, in dem er den “alten Kämpen” vorwirft, sich “an ihren Mythos” zu “klammern”:
Kein Zweifel (…), dass in den überhitzten Jahren 1967 und 1968 einige Blätter dieses Hauses sich im Ton vergriffen und die Demonstrierenden auch verunglimpften. [Aber:] Die Blätter des Axel Springer Verlages haben — was wir belegen werden — über die 68er-Bewegung sehr viel differenzierter berichtet, als es im Schreckbild von der “hetzerischen Springerpresse” vorgesehen ist.
Das eingeschobene “was wir belegen werden” wird als Ankündigung einer internen Untersuchung interpretiert. Vielleicht holt Schmid aber auch nur ein altes Papier aus dem Schrank. Denn der Verlag ließ schon vor über 40 Jahren eine solche Untersuchung mit demselben Ziel anfertigen (rechts): Sie sollte vor allem den Vorwurf entkräften, alle Springer-Zeitungen hätten einheitlich undifferenziert über die Studenten und den Tod Ohnesorgs berichtet. Zu genau diesem Ergebnis kam hingegen eine wissenschaftliche Untersuchung des renommierten Publizistik-Wissenschaftlers Walter J. Schütz.
* * *
In der “Süddeutschen Zeitung” erklärt Marek Dutschke, der jüngste Sohn von Rudi Dutschke, warum er ausgerechnet in der “Bild”-Zeitung forderte, man solle prüfen, ob die Stasi mit dem Attentat auf seinen Vater 1968 zu tun habe.
SZ: Bislang hätte man kaum für möglich gehalten, dass ein Dutschke mit der Bild-Zeitung spricht, nach den Kampagnen des Blattes gegen Ihren Vater.
Dutschke: Das stimmt. Aber die Bild-Zeitung hat Einfluss in Deutschland, und wenn man den für eigene Forderungen nutzen kann, finde ich es okay. Interessant aber ist doch zu sehen, wie Bild heute mit dem Fall Ohnesorg umgeht, das Motiv ist ja durchschaubar: Indem sie die Geschichte jetzt auf die Stasi konzentriert, kann sie von der eigenen historischen Schuld ablenken, denn Bild hat ja die Stimmung gegen die Studenten angefacht und das Klima des Hasses erzeugt.
“Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen.”
Schlagzeile der Springer-Zeitung “B.Z.” am 3. Juni 1967, dem Tag, nachdem der unbewaffnet gegen den Schah demonstrierende Benno Ohnesorg von dem Polizisten Kurras erschossen worden war.
“Bild” hatte angesichts der Studenten-Demonstrationen schon im Dezember 1966 “Polizeihiebe auf Krawallköpfe” empfohlen, “um den möglicherweise doch vorhandenen Grips locker zu machen.” Im Februar 1966 schrieb das Blatt über eine Vietnam-Demonstration Berliner Studenten:
Es ist an der Zeit, diesen Leuten mit aller Deutlichkeit zu sagen: … Zwei Millionen Berliner lassen sich nicht von 1500 Wirrköpfen auf der Nase herumtanzen.
“Bild” wolle “dafür sorgen, daß in Zukunft ähnlichen Demonstrationen die gebührende Antwort erteilt wird”. Springer-Zeitungen titelten: “Kein Geld für langbehaarte Affen”, “Da hilft nur noch eins: Härte”, “Unruhe stifter unter Studenten ausmerzen” und nannten die Protestierenden “Eiterbeulen”.
Als mehrere Studenten im April 1967 vorübergehend festgenommen wurden, weil sie Mehl und Joghurt in Beutel abgefüllt und ein Attentat mit Pudding auf den amerikanischen Vizepräsidenten geplant hatten, sprach “Bild” von “Bomben und hochexplosiven Chemikalien” und “sprengstoffgefüllten Plastikbeuteln” und titelte: “Bombenanschlag auf US-Vizepräsidenten.”
Richtete sich eine Demonstration gegen bundesdeutsche oder allgemein westliche Mißstände und legte noch dazu belebte Straßen wie den Berliner Kurfürstendamm lahm — tat also genau das, wofür sie gedacht war, nämlich den reibungslosen Ablauf zu stören –, wurde sie als illegaler Druck der Straße abgeleht. (…)
Die anfänglich demokratisch-legal artikulierte Kritik bewirkte keine Veränderung, sondern wurde statt dessen bereits kriminalisiert. Wie das Beispiel der Demonstranten zeigt, galt gerade in den Zeitungen des Springer-Verlages schon der friedliche, aber eben störende Protest als illegaler Übergriff auf das Recht der Bundesbürger auf Ruhe und Ordnung. (…) Obgleich anfänglich die Gewalt nicht von studentischer Seite ausging, sondern im Gegenteil von den staatlichen Instanzen Polizei oder Universität, wurden dennoch die Studenten als Initatoren der Gewalt geschildert.
Am 7. Februar 1968 schrieb “Bild”:
Man darf über das, was zur Zeit geschieht, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.
Ein Amtsgericht sah in diesen “Bild”-Sätzen damals “nicht eine demokratische Auseinandersetzung mit einem Andersdenkenden, sondern üble Stimmungsmache und Aufhetzung zu Gewalttaten”.
“Dutschke, der sich später den Grünen anschließt, ertrinkt Heiligabend 1974 in der Badewanne.”
Zwei Monate später wurde das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke verübt.
Man kann die Eskalation der Gewalt, die dem Tod Ohnesorgs folgte, nicht erklären ohne das politische Klima, in dem er geschah, und die Lügen und die Hetze der Springer-Zeitungen, die es anfeuerten.
Kann man nicht? “Bild” kann es.
Seit herausgekommen ist, dass Karl-Heinz Kurras, der Polizist, der Ohnesorg erschoss, Stasi-Agent war, lässt sich nach Ansicht der “Bild”-Zeitung offenbar alles, was damals, davor und danach passiert ist, allein durch die brutalen Machenschaften des DDR-Systems erklären. Ob Kurras mit dem Todesschuss im Auftrag der Stasi handelte, ist keineswegs ausgemacht — aber der frühere “Bild”-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje weiß schon, dass sie auch für den Tod Dutschkes verantwortlich war:
[Kurras] hatte in seinen Prozessen wegen fahrlässiger Tötung Ende der Sechzigerjahre Verbündete, allen voran Springers Bild-Zeitung. Sein vorbildlicher Einsatz, hieß es, sei leider in einem von ihm nicht verschuldeten Unglücksfall geendet.
Wie schnell aus aufrechten Verteidigern der Freiheit gedungene Mörder werden — denn jetzt, nachdem Kurras’ Tätigkeit als IM der Staatssicherheit aufgeflogen ist, wird er zum Auftragsmörder, der gehorsam den Befehlen aus der Stasi-Zentrale folgte. (…) Man kann den delirierenden Autor Hans-Hermann Tiedje nicht unter der Rubrik “Berliner Absonderlichkeiten” verbuchen. Vielmehr geht es hier um ein groß angelegtes Manöver der historischen Mystifikation. Indem die Stasi — ohne jedes Indiz — zum Täter gemacht wird, kann die Verantwortung der Westberliner Eliten für den 2. Juni 1967 beiseitegedrückt werden.
Und der Fernsehproduzent Friedrich Küppersbusch ätzt, was es angesichts der vorhergehenden Hetze von “Bild” gegen die Studenten bedeutet, wenn sich der Tod von Ohnesorg dem DDR-Regime in die Schuhe schieben lässt:
Das klingt schon nach Aussöhnung zwischen Bild und Stasi.
1. Belgiens Regierungschef erstattet Anzeige nach Mordaufruf von Radiomoderator (spiegel.de)
Ein belgischer Radiomoderator habe nach dem Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico seine Zuhörerinnen und Zuhörer zu einer ähnlichen Aktion aufgerufen und sie ermutigt, den belgischen Premierminister zu töten. Wortwörtlich habe er gesagt: “An alle, die erwägen, Alexander De Croo zu erschießen, sich aber wegen der Sicherheitsvorkehrungen um ihn herum nicht trauen: Ihr seht, es ist möglich, einen Premierminister zu erschießen. Also sage ich: nur zu.” Der Moderator sei daraufhin suspendiert worden. Außerdem habe De Croo Strafanzeige erstattet.
2. Wenn die KI das Zeitungslayout macht (deutschlandfunk.de, Bastian Brandau, Audio: 5:35 Minuten)
Die Redaktion der “Nordwest-Zeitung” setzt beim Layout auf die Kraft der Künstlichen Intelligenz. Der Deutschlandfunk hat nachgefragt, wie das funktioniert. Und mit Chefredakteur Ulrich Schönborn gesprochen, der die Entscheidung etwas einschränkt: “Aber es geht keine Seite raus, ohne dass noch mal ein Redakteur draufgeschaut hat. Es gibt sicherlich aber auch Bereiche, da wird man immer so ein bisschen nacharbeiten müssen.”
3. Leben retten – Berichterstattung über Suizid (sr.de, Katrin Aue & Florian Mayer, Audio: 22:51 Minuten)
Thomas Niederkrotenthaler ist Suizidforscher und Professor für Public Mental Health an der Medizinischen Universität Wien. Katrin Aue und Florian Mayer haben mit ihm unter anderem über die neue Suizidpräventionsstrategie des Gesundheitsministeriums und die Suizidberichterstattung gesprochen. In diesem Zusammenhang sei auch an die “6-vor-9”-Empfehlung über den Umgang mit Suizid in Medien vom vergangenen Dienstag erinnert: Rufen Sie bitte später zurück (taz.de, Shoko Bethke).
4. Antimuslimischer Rassismus in Sachsens rechten Telegram-Kanälen (belltower.news, Nicola Eschen)
Die neue Ausgabe des EFBI Digital Reports (PDF) beschäftigt sich mit den Reaktionen der extrem rechten Telegram-Szene in Sachsen auf die Ereignisse vom und nach dem 7. Oktober 2023: “Wie wurden der terroristische Angriff der Hamas, die militärische Reaktion der israelischen Streitkräfte, aber auch die Solidaritätsdemonstrationen mit Palästina eingeordnet und kommentiert?” “Belltower News” hat eine vertiefende Analyse von Nicola Eschen vom Bündnis gegen anti-muslimischen Rassismus Sachsen daraus veröffentlicht.
5. Elaborated Report 2024 – Online-Risiken und elterliche Medienerziehung (act-on.jff.de)
Der “ACT ON! Elaborated Report 2024” (PDF) beschäftigt sich mit “Online-Risiken und elterlicher Medienerziehung aus Sicht der 10- bis 14-Jährigen“. Rund 60 bis 75 Jugendliche pro Jahr in den Altersgruppen 10 bis 12 Jahre und 12 bis 14 Jahre wurden in Forschungsworkshops zu Themen wie Cybermobbing, Hatespeech, sexuelle Belästigung und Scamming befragt. Der Bericht enthält neben dem Analyseteil auch Schlussfolgerungen für die Medienkompetenzförderung und Medienerziehung.
6. Eigentum verpflichtet selbst uns (taz.de)
Wie die “taz” in ihrem “Hausblog” berichtet, steht das Rudi-Dutschke-Haus, der ehemalige Sitz der Zeitung, vor einer denkmalgerechten Sanierung. Die geplanten Sanierungsarbeiten, darunter die Modernisierung der sanitären Anlagen und die Installation einer Photovoltaikanlage, sollen nicht nur das Gebäude erhalten, sondern auch die Mieteinnahmen sichern.
1. Die dunkle Seite von Instagram (zeit.de, Amna Franzke & Lisa Hegemann)
Instagram genieße bei vielen den Ruf eines “Wohlfühlnetzwerks”, doch die Plattform werde zunehmend politisch genutzt – mit der damit einhergehenden Gefahr der Radikalisierung. Zur “dunklen Seite von Instagram” würden auch Verschwörungsideologien gehören. Amna Franzke und Lisa Hegemann ordnen die Problematik ein, die häufig noch gar nicht als solche wahrgenommen wird.
Weiterer Lesehinweis: Wie bereits vergangene Woche in den “6 vor 9” erwähnt, hat “Correctiv” über einen Zeitraum von mehreren Monaten untersucht, wie sich die rechte Szene auf Instagram vernetzt, und hat dazu rund 4.500 Accounts analysiert. Eine unbedingt lesenswerte Recherche, die zeigt, wie geschickt und planvoll dort hinsichtlich Propaganda und Neurekrutierung vorgegangen wird. Lohnenswert ist auch ein Blick in den Begleitartikel “So sind wir vorgegangen”, in dem genau beschrieben wird, wie die Datenrecherche im Einzelnen erfolgte.
2. Warum Facebook Holocaustleugnung weltweit löschen will (sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Noch vor etwa zwei Jahren hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg es abgelehnt, Posts, in denen der Holocaust geleugnet wird, löschen zu lassen: “Ich finde das extrem abstoßend. Letztendlich glaube ich trotzdem nicht, dass unsere Plattform das löschen sollte.” Anscheinend hat beim Konzern ein Umdenken stattgefunden: Gestern erfolgte die Bekanntgabe, dass man zukünftig weltweit jegliche Inhalte verbiete, die den Holocaust leugnen oder verharmlosen.
3. Machs gut, altes Haus! (taz.de)
Die “taz” ist vor einiger Zeit innerhalb Berlins umgezogen: Vom alten Standort in der Rudi-Dutschke-Straße ein paar hundert Meter weiter in einen Neubau in der Friedrichstraße. Nun* denken einige Autoren und Autorinnen nochmal an die alten Zeiten zurück. Rausgekommen ist eine wunderbar melancholische Sammlung ganz persönlicher Erinnerungsschnipsel. *Nachtrag des Kurators: Zu Recht werde ich darauf hingewiesen, dass der Artikel bereits älter ist. Warum er dennoch in die heutigen “6 vor 9” gerutscht ist, kann ich mir nur mit frühmorgendlichem Koffeinmangel erklären und damit, dass ich ihn mir als besonders lesenswert gebookmarkt hatte.
4. Was bleibt vom Hörspiel? (mmm.verdi.de, Danilo Höpfner)
Podcasts erfreuen sich als Audioformat großer Beliebtheit, doch das klassische Hörspiel hat es immer schwerer. Die öffentlich-rechtlichen Sender hätten ihre Produktionen sukzessive heruntergefahren. Ins Privatradio hätten es Hörspiele, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eh nie geschafft. Die Öffentlich-Rechtlichen begännen nun, ihre vorhandenen Hörspiele ins Netz zu stellen. Dieses Vorhaben gestaltet sich jedoch aus rechtlichen Gründen als nicht so einfach, wie man es annehmen könnte.
Literaturtipp für Hörspiel-Interessierte: Die “Kleine Geschichte des Hörspiels” (Hans-Jürgen Krug, Halem Verlag).
5. Mehr Menschen halten Medien für glaubwürdig (meedia.de)
Laut einer WDR-Studie würden zwei Drittel der befragten Personen die Informationen in deutschen Medien für glaubwürdig halten. Das seien so viele wie noch nie. Auch der Anteil derer, die eine politische Einflussnahme auf die Berichterstattung in den Medien vermuten, sei gesunken. WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn kommentiert: “Es ist aus meiner Sicht insgesamt ein gutes Zeugnis für den Zustand unserer Gesellschaft, dass im Jahr der Pandemie das Vertrauen in die Medien, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber auch in die politischen Institutionen insgesamt so gestiegen ist. Die Kritiker der Corona-Maßnahmen machen sich zwar laut bemerkbar, sind aber doch nur – wie die Studie erneut zeigt – eine Minderheit.”
6. dpa-Fotograf Anas Alkharboutli für Serie “The War in Syria” ausgezeichnet (presseportal.de, Jens Petersen)
Der syrische dpa-Fotograf Anas Alkharboutl ist für seine Bilderserie “The War in Syria” mit der “Young Reporter Trophy (Bild)” ausgezeichnet worden. In den Mittelpunkt seiner Fotos stellt Alkharboutl die Zivilbevölkerung in Syrien und deren Leiden in dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land.
Ein Drama, zu dem wir nicht schweigen dürfen (spiegel.de, Hasnain Kazim)
In der Türkei werden seit Jahren Journalisten eingeschüchtert, verfolgt und eingesperrt. Nun hat es den Journalisten Deniz Yücel erwischt, der lange Jahre für die “taz” tätig war und seit einiger Zeit für die “Welt” berichtet. Offensichtlich hat der Türkei seine kritische Berichterstattung über den Umgang der türkischen Regierung mit den Medien nicht gefallen. Hasnain Kazim plädiert im “Spiegel” für Klartext: “Es ist an der Zeit, deutliche Worte zu finden und politische und wirtschaftliche Konsequenzen folgen zu lassen auf das, was in der Türkei geschieht: die Abschaffung von Demokratie und Freiheitsrechten.”
(Nur lesen, wenn genügend Beruhigungstee in der Nähe: Michael Martens empfiehlt in der “FAZ” deutschen Verlagen ihre Entsendungspolitik zu überdenken und fragt, ob es gut sei, ein Land zu lieben, über das man berichtet. Außerdem fallen noch weitere verstörende Äußerungen wie “Die Verlage schulden den Lesern Journalisten, nicht Türken vom Dienst.”)
Deniz’e özgürlük! Freiheit für Deniz! (change.org, Shahak Shapira)
Seit gestern sitzt der Journalist Deniz Yücel nicht mehr nur in Polizeihaft, sondern in Untersuchungshaft, nachdem ein Untersuchungsrichter dem Antrag der türkischen Staatsanwaltschaft gefolgt ist. Als kleines Zeichen der Unterstützung für Yücel könnten Sie sich an der von Shahak Shapira gestarteten Petition beteiligen. Dazu auch: Die “Reporter ohne Grenzen” fordern: “Deniz Yücel sofort freilassen”.
Deniz Yücel – das Haftprotokoll (welt.de, Deniz Yücel)
Es gibt Neuigkeiten vom “Welt”-Korrespondenten Deniz Yücel, der sich seit dem 14. Februar im “türkischen Polizeigewahrsam” befindet (eine viel zu wohlklingende Umschreibung für “im Knast eingesperrt”). Yücel darf zwar in seiner Zelle nicht schreiben, hat aber seinen Verteidigern einen Bericht in den Block diktiert. Ein Haft-Protokoll, das deutlich macht, wie unzumutbar und unwürdig die Haftbedingungen für die Inhaftierten sein müssen und ahnen lässt, was alles in Yücel vorgehen mag.
Warum die türkische Regierung solche Angst vor Deniz Yücel hat (vice.com, Matern Boeselager)
Auf “Vice” fragt sich Matern Boeselager, warum die türkische Regierung solche Angst vor Deniz Yücel habe. Yücels unangepasste und unbequeme Art und natürlich seine Texte seien es, die ihm schon in der Vergangenheit Ärger beschert hätten: “Deniz Yücel wusste also, dass er ein hohes Risiko einging, indem er weiter aus der Türkei über die Türkei berichtete, was er für die Wahrheit hielt. Dass er trotzdem immer weiter macht, ist genau der Grund, warum die türkische Regierung solche Angst vor ihm hat.”
PS: “taz.de” hat sechs Briefe von Kollegen und Freunden an Deniz Yücel veröffentlicht.
Intellektueller und moralischer Auffahrunfall (welt.de, Sascha Lehnartz)
Der Kommentar des “FAZ”-Korrespondenten Michael Martens zum Fall des festgenommenen Türkei-Korrespondenten der “Welt” Deniz Yücel hat viele Leser vor den Kopf gestoßen und für Entsetzen und Unverständnis gesorgt. Sascha Lehnartz hat nun in der “Welt” geantwortet und bezeichnet die Ausführungen des Kollegen, den er ansonsten schätze, als “intellektuellen und moralischen Auffahrunfall”. Und erklärt, warum genau sich der Kollege seinen Kommentar besser hätte sparen sollen.
PS: Knut Kuckel hat auf dem Nachrichtenportal “Journalistblog” Reaktionen von Behörden und Medien zusammengefasst und erklärt die Zusammenhänge.
Erdogan bezeichnet Deniz Yücel als Terror-Helfer (faz.net)
Die jüngsten Äußerungen des türkischen Präsidenten Erdogan über den inhaftierten “Welt”-Journalist Deniz Yücel lassen Schlimmes befürchten. Jedenfalls ist die Hoffnung auf eine baldige Freilassung Yücels erstmal in weite Ferne gerückt. Yücel sei ein Terror-Helfer und werde vor Gericht gestellt: „Gott sei Dank ist er festgenommen worden.“
Vorverurteilung von höchster Stelle (reporter-ohne-grenzen.de)
„Reporter ohne Grenzen“ verurteilt die Äußerungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Fall des in der Türkei in Untersuchungshaft sitzenden Korrespondenten Deniz Yücel: „Präsident Erdogan hat mit seinen gravierenden, durch nichts belegten Anschuldigungen jeden noch so kleinen Rest Hoffnung auf eine rechtsstaatliche Behandlung von Deniz Yücel zunichte gemacht. Spätestens nach dieser unentschuldbaren Vorverurteilung von höchster Stelle ist an ein faires Gerichtsverfahren nicht mehr zu denken. Schon alleine deshalb muss Deniz Yücel sofort freigelassen werden.”
Offener Brief an Staatspräsident Erdogan (welt.de, Ulf Poschardt)
„Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt appelliert in einem offenen Brief an den türkischen Staatspräsidenten, Deniz Yücel freizulassen. “Ich glaube, die Türkei und Deutschland verbindet viel. Nicht nur Millionen von Bundesbürgern mit türkischen Wurzeln, die häufig wie Deniz die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, sondern auch eine wechselvolle Geschichte, in der es beiden Seiten am besten ging, wenn gemeinsame Interessen gewürdigt und gepflegt wurden. Das augenblickliche Verhältnis spiegelt nicht wider, was unsere beiden Länder verbindet. Sie können das ändern. Sie vor allem.”
2. Kluger Kotau (taz.de, Georg Löwisch)
Demutsgesten der freien Presse gegenüber ihren Gegnern seien gefährlich, doch der Brief von “Welt”-Chef Poschardt an Erdogan sei richtig, so “taz”-Chefredakteur Löwisch: “Sein Ziel ist es, Deniz Yücel freizubekommen, den der Autokrat als Geisel genommen hat. Der Chefredakteur verspricht nichts, er entschuldigt sich nicht. Er macht sich allerdings klein, damit sich Erdoğan größer machen kann. Er setzt darauf, dass der Präsident vom Bild des starken Mannes lebt, der jedes Armdrücken gewinnen muss.”
Deniz Yücel ruft zu Solidaritäts-Abos für türkische Zeitungen auf (welt.de, Deniz Yücel)
Aus dem Gefängnis von Silivri übermittelt Deniz Yücel eine Botschaft an seine Unterstützer, seine Leser – und seine Heimatstadt: „Ich habe eine Bitte: Eine der ersten Sachen, die ich in diesem Gefängnis gemacht habe, war, die Tageszeitungen „Cumhuriyet“, „Birgün“ und „Evrensel“ zu abonnieren. Ich lade Sie dazu ein, ebenfalls diese Zeitungen oder eine der wenigen verbliebenen und in jeder Hinsicht unter Druck stehenden unabhängigen Medien zu unterstützen.“
Deniz Yücel seit 100 Tagen im Gefängnis (reporter-ohne-grenzen.de)
Der von den türkischen Behörden inhaftierte Deniz Yücel verbringt am heutigen Mittwoch seinen 100. Tag im Gefängnis. Anlass für “Reporter ohne Grenzen” nochmal die umgehende Freilassung zu fordern und an die anderen inhaftierten Journalisten zu erinnern. Weitere Leseempfehlung: Die “taz” hat einen Offenen Brief der #FreeDeniz-Unterstützerin Doris Akrap an Bundeskanzlerin Angela Merkel veröffentlicht.
Sich mit Deniz Yücel gemein machen? Aber ja! (rnd-news.de, Ulrike Simon)
Die ARD konnte sich nicht zu einer Aktion für den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel durchringen und begründete dies mit dem oft strapazierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Zitat, wonach sich ein Journalist mit nichts gemein zu machen habe, auch nicht mit einer guten Sache. Medienkolumnistin Ulrike Simon hat einige der bekanntesten Kollegen, die Friedrichs gut kannten beziehungsweise sich in seiner Tradition sehen, um eine Stellungnahme gebeten. Darunter Thomas Roth, Claus Richter, Dagmar Reim, Nikolaus Brender, Stephan Lamby und Christoph Fröhder.
Flaggezeigen unerwünscht (taz.de, René Martens)
Auf Anregung des “NDR” sollten die ARD-Intendanten am Internationalen Tag der Pressefreiheit einen offenen Brief für Deniz Yücel im Fernsehen vorlesen. Doch das Vorhaben kam, angeblich nach einer Intervention des ARD-Chefredakteurs, nicht zustande. René Martens kommentiert: “Dass die ARD nicht einmal in der Lage ist, sich auf etwas Selbstverständliches zu einigen und Flagge zu zeigen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen gegen einen Journalisten aus Deutschland geht, ist allemal besorgniserregend. Wie die Intendanten agieren, wenn wirklich einmal ein kontroverses Thema auf der Agenda steht, mag man sich gar nicht vorstellen.”
„Alles, was ich verlange, ist ein fairer Prozess“ (welt.de, Deniz Yücel)
Der “Welt”-Korrespondent Deniz Yücel sitzt in der Türkei seit vielen Wochen in Einzelhaft. Die Tatvorwürfe sind in höchstem Maße zweifelhaft. Der türkische Präsident Erdogan redet von Spionage und Terrorismus. Nun meldet sich Yücel mit einem Brief, den er seinen Anwälten bei einem Besuchstermin diktiert hat. Er wolle keineswegs “ausgeliefert” werden, sondern verlange einen fairen Prozess.
„Wenn Deniz schreibt, lebt er in einer anderen Welt“ (welt.de, Hilal Köse)
Die türkische Zeitung „Cumhuriyet“ hat mit Dilek Mayatürk Yücel gesprochen, die seit April mit dem in der Türkei inhaftierten Denis Yücel verheiratet ist. Im Interview geht es um die Haftbedingungen, aber auch um Gefühle. So endet das Gespräch mit einem Liebesgedicht und den an Denis Yücel gerichteten Worten: „Ich liebe dich sehr. Ich küsse deinen Edelmut. Und bitte, rauch nicht so viel, okay?“
Türkei-Korrespondent müsste man jetzt sein… (welt.de, Deniz Yücel)
Der Türkei-Korrespondent der “Welt” Deniz Yücel befindet sich seit März 2017 in Einzelhaft. Seinen Anwälten hat er diktiert, was man so alles zum Thema Türkei schreiben müsste. Und das ist eine ziemliche Menge… Yücels Schlusssätze: “Als Journalist könnte ich mir in diesen Tagen keine interessantere und als Bürger dieses Landes keine sinnvollere Aufgabe vorstellen als diese. Ich sag’s ja: Türkei-Korrespondent müsste man jetzt sein. Journalismus ist schließlich kein Verbrechen.”
Ein Umstand mit Geschmäckle (taz.de, Silke Burmester)
Die Entwicklungen in der Türkei mit den zahlreichen Repressionen gegen Journalisten, Juristen und Andersdenkende haben dem Image des Landes naturgemäß geschadet. Türkische Wirtschaftsorganisationen klappern nun die Anzeigenabteilungen deutscher (und ausländischer) Medienhäuser ab und winken mit Geld für großformatige Imageanzeigen mit propagandistischem Einschlag. Im Falle der “Welt”, deren Korrespondent Deniz Yücel sich seit Februar in der Türkei in Haft befindet, besonders problematisch. Selbst wenn man sich auf eine Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung berufe: “Die Bigotterie, dass Verlage, die sich für Demokratie und Pressefreiheit einsetzen, die noch dazu für die Freilassung ihrer Mitarbeiter kämpfen, an den Imagebeilagen der undemokratischen Staaten verdienen, bleibt.” Beim “Deutschlandfunk” hat Silke Burmester noch mal zum Thema nachgelegt.
Macht mehr Laune als ein Autokorso (faz.net, Oliver Jungen)
In Köln fand eine prominent besetzte Solidaritätsveranstaltung für Deniz Yücel statt. Günter Wallraff, Oliver Welke, Thomas Gottschalk und Olli Dittrich trugen Texte des von der Türkei inhaftierten Journalisten vor. “FAZ”-Autor Oliver Jungen war angetan von der Aktion: “Leichten Herzens verließ man diese Veranstaltung, die nicht nur gezeigt hat, wie wichtig öffentliche Aufmerksamkeit für die Verfolgten und Inhaftierten in Unrechtsregimen ist, sondern auch, welche gesellschaftsbildende Macht im Humor steckt.”
Ein Glück, dass es Deniz gibt (deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Silke Burmester fühlt sich hin- und hergerissen, wenn es um die Berichterstattung über die in der Türkei inhaftierten Journalisten geht. Alle würden immer nur von Deniz Yücel reden, von den meisten anderen inhaftierten Kollegen aber spreche kein Mensch. “Ja, das ist blöd. Und vielleicht auch nicht fair. Aber auf der anderen Seite ist es auch für sie ein Glück, dass es Deniz gibt. Deniz, der so ein Krawallo ist, so ein journalistischer Hau-Drauf, der so viele Jahre Redakteur bei der “taz” war, dass er ein Heer an Freunden und Kollegen hat, die jetzt so laut für ihn trommeln und ihn zum Gesicht des Widerstandes gegen Erdogans Journalisten-Plattmache erheben.”
Deniz Yücels Anwälte gehen vor das Verfassungsgericht (welt.de)
Nachdem der „Welt“-Korrrespondent Deniz Yücel bereits mehrere Wochen inhaftiert ist, sind seine Anwälte nun vor das türkische Verfassungsgericht gezogen. Die Inhaftierung Yücels verletze „sein Recht auf körperliche Unversehrtheit und seine persönliche Freiheit, das Recht auf ein faires Verfahren, sein Recht auf die Unschuldsvermutung, sein Recht auf Schutz vor Verleumdung, das Recht auf Privatsphäre und freie Kommunikation sowie seine Meinungsfreiheit“. Deutsche Botschaftsvertreter haben unterdessen weiterhin keinen Zugang zu Yücel, obwohl von Seiten der Türkei eine konsularische Betreuung zugesichert worden war.
“Der Fall Yücel sollte kein Politikum sein” (welt.de, Daniel-Dylan Böhmer)
“Welt”-Korrespondent Deniz Yücel sitzt nun seit mehr als 250 Tagen im Gefängnis. Eine Anklageschrift gibt es noch immer nicht. Daniel-Dylan Böhmer hat mit Yücels Anwalt Veysel Ok gesprochen, der seinen Mandanten regelmäßig besucht und der durchaus Hoffnung hat, dass der Fall Yücel noch juristisch zu lösen ist. Am Ende des Interviews gibt es alle nötigen Informationen, wie man Deniz Yücel einen Brief zukommen lassen kann — auf Deutsch oder auf Türkisch.
Preis für Pressefreiheit: Deniz Yücel und Asli Erdoğan ausgezeichnet (dw.com)
Die türkische Autorin Asli Erdoğan und der inhaftierte Journalist Deniz Yücel erhalten den Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien. Die Wahl der Preisträger sei eine Solidaritätsbekundung der Medienstiftung mit allen Journalisten in der Türkei, die wegen ihres Eintretens für eine freie Berichterstattung unterdrückt werden.
Türkische Opposition stellt Parlamentsanfrage wegen Deniz Yücel (welt.de)
Mehr als sieben Monaten befindet sich der Journalist und “Welt”-Korrespondent Deniz Yücel schon in Einzelhaft. Nun hat ein Abgeordneter der größten türkischen Oppositionspartei CHP im Parlament in Ankara eine kleine Anfrage gestellt, in der es u.a. heißt: “Warum wird gegen den Journalisten Deniz Yücel keine Anklageschrift erstellt, obwohl er vor rund neun Monaten in Polizeihaft genommen wurde? Warum wird Deniz Yücel in Isolationshaft gehalten und ihm eine gemeinsame Unterbringung mit anderen Gefangenen nicht gestattet?”
Klagt mich endlich an (taz.de, Doris Akrap)
Doris Akrap ist „taz“-Redakteurin und enge Freundin des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel. Sie kennt ihn seit dem Abitur in den frühen Neunzigern. Nun hat sie ihn auf ungewöhnliche Weise interviewt: „Meine Fragen habe ich schriftlich über Deniz’ Anwälte gestellt und Deniz hat sie über die Anwälte schriftlich beantwortet. Meine Rückfragen und seine Antworten dazu gingen dann auf demselben Weg noch zwei Mal hin und her. Dazwischen lagen jeweils mehrere Tage.“ Yücel wartet bereits seit acht Monaten auf seine Anklageschrift. Er wünscht sich: „Ich will einen fairen Prozess. Und den am besten gleich morgen. Nicht mehr. Nicht weniger.“
Politisches Rauchen (taz.de, Raphael Piotrowski)
Am Dienstagabend pünktlich um 18 Uhr füllte sich der Bürgersteig vor dem “taz”-Gebäude in der Rudi-Dutschke-Straße in Berlin mit Protestrauchern, die damit an den ehemaligen “taz”- und heutigen “Welt”-Autoren und passionierten Raucher Deniz Yücel erinnern wollten. Und an seine fortdauernde Haft in der Türkei. Auch vor dem “Spiegel”-Redaktionsgebäude in Hamburg hätten Kollegen solidarisch für Deniz Yücel gequalmt.
Deniz Yücel ist nicht mehr in Einzelhaft (welt.de, Daniel-Dylan Böhmer)
Gute Nachrichten aus der Türkei: Deniz Yücel befindet sich zwar immer noch in Haft, ist jedoch in eine Zelle verlegt worden, die über einen kleinen Innenhof mit zwei anderen Zellen verbunden ist. Nach 290 Tagen Einzelhaft ist ihm damit zumindest der Kontakt zu einem Mitgefangenen möglich, dem Journalisten Oguz Usluer, der für die türkische Tageszeitung “Habertürk” gearbeitet hat. Nach wie vor freut sich Yücel über Post, die zur Übersetzung ins Türkische an die “Welt” gesendet werden kann.
“Wir sind ja nicht in einer lustigen Netflix-Serie” (welt.de, Deniz Yücel)
Seit 300 Tagen sitzt der Journalist Deniz Yücel nun bereits ohne Anklage in einem türkischen Gefängnis. In einem offenen Brief schildert er seinen Alltag und die Umstände seiner Haft. Post erreicht ihn sporadisch, wenn sie die anstaltseigene “Brief-Lese-Kommission” an ihn weiterleitet. Da Yücel seinen Briefschreibern nicht direkt antworten kann, ist sein Bericht eine Art Sammelantwort geworden, voller Witz, Charme und Liebenswürdigkeit. Weiterer Lesetipp: “Mehr als 200 Prominente fordern Freiheit für Deniz Yücel” (“SZ”).
Deniz Yücel lehnt „schmutzige Deals“ für seine Freilassung ab (faz.net)
Der weiterhin in der Türkei inhaftierte Journalist Deniz Yücel lehnt einen etwaigen Tauschhandel zwischen Berlin und Ankara für seine Freilassung ab. Er wolle seine Freiheit nicht „mit Panzergeschäften von Rheinmetall oder dem Treiben irgendwelcher anderen Waffenbrüder befleckt wissen“. Auch wolle er keinen etwaigen Austausch mit Anhängern der Gülen-Bewegung, nach denen die Türkei fahndet. Yücel wörtlich: „Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung!“
Gibt es einen schmutzigen Deal? (faktenfinder.tagesschau.de, Arnd Henze)
Ist die Freilassung des “Welt”-Journalisten Deniz Yücel an Rüstungsexporte in die Türkei gebunden, wie man Äußerungen von Außenminister Sigmar Gabriel entnehmen kann? Was hat der Minister tatsächlich gesagt? Wie ist es interpretiert worden? Wie überzeugend sind seine späteren Dementis und Erklärungen? Arnd Henze vom ARD-Hauptstadtstudio sortiert und kommentiert den Vorgang.
Es reicht! (zeit.de, Özlem Topçu)
Der Türkei-Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“, Deniz Yücel, sitzt seit bald einem Jahr in türkischer Untersuchungshaft. „Es reicht!“, findet seine Kollegin Özlem Topçu, wünscht sich jedoch eine ausgewogene Berichterstattung, die sich ein mehrdimensionales Bild der Türkei macht: „Das Demokratieproblem in der Türkei beschränkt sich nicht auf die Regierung. Die anderen 50 Prozent, die Erdogan-Gegner, sind nicht automatisch die Verfechter der Demokratie in diesem Land. Sie sind vielmehr eine Feel good- Projektion, während die Demokraten zwischen den Lagern zerrieben werden und viele unserer Journalistenkollegen immer noch unter immensen Repressionen ihre Arbeit machen.“
Politische Geiselhaft von Deniz Yücel beenden (reporter-ohne-grenzen.de)
Mit dem morgigen Tag befindet sich Deniz Yücel ein Jahr in Haft. Der bevorstehende Jahrestag ist für „Reporter ohne Grenzen“ ein Anlass, die türkische Justiz erneut aufzufordern, den deutsch-türkischen Journalisten freizulassen: „Die fast ein Jahr anhaltende politische Geiselhaft von Deniz Yücel ist unerträglich. Dass immer noch keine Anklageschrift vorliegt und die türkische Justiz an den haltlosen Anschuldigungen festhält, ist eine Schande für die Türkei.“
Ein Jahr Unfreiheit – Deniz Yücel muss endlich raus (neuemedienmacher.de)
Die „Neuen deutschen Medienmacher“ sind ein bundesweiter unabhängiger Zusammenschluss von Journalisten und Journalistinnen mit und ohne Migrationsgeschichte. In einem offenen Brief fordern sie die Bundesregierung auf: „Seit einem Jahr sitzt unser Kollege Deniz Yücel in türkischer Haft. Wir finden: es reicht! Er hätte nie dort landen dürfen – und viele seiner Kolleg*innen auch nicht.“
365 ungeheuerliche Tage (spiegel.de, Hasnain Kazim)
Zum Jahrestag von Deniz Yücels Festnahme kommentiert Hasnain Kazim: „Yücel macht mit seiner unbeugsamen Haltung und seinen mutigen Aussagen, die seine Haftzeit nicht unbedingt verkürzen dürften, eines ganz deutlich: Rechtsstaatliche Prinzipien sind keine Basarware, über die man beim Tee verhandeln könnte. Wir beugen uns nicht! Kritik an der türkischen Regierungspolitik darf nicht verstummen.“
“Wer das für Terrorpropaganda hält, der kann nicht lesen” (sueddeutsche.de, Luise Checchin)
Heute erscheint Deniz Yücels neues Buch “Wir sind ja nicht zum Spaß hier“, das er aus der Haft heraus veröffentlicht. Herausgeberin Doris Akrap erzählt im Interview, wie man mit einem Mann im Hochsicherheitsgefängnis kommuniziert.
2. Begeisterung für Umfragen über Jamaika-Koalition nimmt ab (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier ist genervt von den vielen sinnlosen Umfragen der Meinungsforscher zur sogenannten Jamaika-Koalition: “Die Leute sollen sagen, ob sie eine Koalition gut finden, von der zum Zeitpunkt der Frage kein einziges konkretes Vorhaben bekannt ist. Was ist das für ein Unsinn? Was für Rückschlüsse soll das auf irgendwas erlauben? Wäre nicht die einzige richtige Antwort, die man dem Mann von Infratest Dimap oder der Forschungsgruppe Wahlen geben könnte: Weiß noch nicht, rufen Sie mich nochmal an, wenn klar ist, welche Steuern die erhöhen, wie die mit Flüchtlingen umgehen, welcher Klima-Kompromiss da am Ende rauskommt?”
3. Politisches Rauchen (taz.de, Raphael Piotrowski)
Am Dienstagabend pünktlich um 18 Uhr füllte sich der Bürgersteig vor dem “taz”-Gebäude in der Rudi-Dutschke-Straße in Berlin mit Protestrauchern, die damit an den ehemaligen “taz”- und heutigen “Welt”-Autoren und passionierten Raucher Deniz Yücel erinnern wollten. Und an seine fortdauernde Haft in der Türkei. Auch vor dem “Spiegel”-Redaktionsgebäude in Hamburg hätten Kollegen solidarisch für Deniz Yücel gequalmt.
4. „Österreich“ vervierfacht Cybermobbing-Opfer (kobuk.at, Angelika Eva Kapeller)
Die Tageszeitung “Österreich” behauptet, “64 Prozent sind Cybermobbing-Oper”, und beruft sich dabei auf eine Studie der “AK Steiermark”, der gesetzlichen Interessenvertretung aller ArbeitnehmerInnen des österreichischen Bundeslandes Steiermark. Warum die Aussage ziemlicher Quatsch ist, erklärt “Kobuk”-Autorin Angelika Eva Kapeller: In der Studie sei zwar von 64 Prozent die Rede, dabei handele es sich jedoch um die Schüler, die von Cybermobbing-Fällen in ihrem Umfeld wüssten. Außerdem seien die Angaben für Mobbingopfer und Cybermobbing-Opfer vermischt worden.
5. Politikberatungsjournalismus (wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal nennt es eine “journalistische Übergriffigkeit”, wenn sich Journalisten zu Politikberatern aufschwingen: “Ist es die Aufgabe politischer Journalisten, ständig zu erklären, was jetzt zu tun ist? Müssen sie täglich hinausposaunen, was “wir” jetzt am dringendsten brauchen? Wie Merkel die Krise noch meistern kann? Wie Jamaika zum Erfolg wird? Der politische Journalismus bietet heute ein solches Übermaß an Politikberatung, dass man bisweilen den Eindruck hat, die Redaktionen fungierten als Planungs- und Krisenstäbe des Kanzleramts und der Parteien.”
6. Montana Black: Wie PewDiePie, nur noch unreflektierter (Special) (spieletipps.de)
In Youtube-Videos der Gamerszene herrscht schon mal ein rauer Ton, das mag man oder nicht. Bedenklich wird es jedoch, wenn sich rassistische Töne in die Videos einschleichen, wie es dem schwedischen Youtube-Star “PewDiePie” vorgeworfen wird. In einem ähnlichen Fahrwasser scheint sich ein deutscher Youtuber bewegen zu wollen, der eine Spielefirma als “Zigeuner-Söhne” bezeichnet, ein Spiel als “Drecks-Zigeuner-Spiel” beschimpft. Die Macher der Seite “Spieletipps” haben den Vorgang aufgegriffen und kommentieren: “Jemand, der ein Millionenpublikum erreichen kann, sollte sich überlegen, welche Wörter er benutzt — und vor allem auch, welche er nicht benutzen möchte. Denn so ein junges Publikum ist beeinflussbar. Es wird auch durch solche Videos sozialisiert. So entsteht eine Normalität, die nicht normal sein sollte.”