Wenn Asteroiden klagen könnten, wäre “Bild” schon arm.
Jedesmal, wenn der Zeitung langweilig ist, schaut sie in den Himmel, nimmt sich einen der hunderttausenden unschuldig vor sich hinkreisenden Asteroiden vor und beschuldigt ihn, die Erde zerstören zu wollen.
Irgendwelche Wissenschaftler müssen dann als Kronzeugen dienen und die Zerstörungskraft des jeweiligen Asteroiden mit Atombomben, Tsunamis und anderen Katastrophen vergleichen. Die minimale Wahrscheinlichkeit, dass der Asteroid die Erde überhaupt trifft, lässt “Bild” dann einfach weg.
Heute hat es den Asteroiden “2006 WH1” erwischt (der dem Asteroiden “Apophis” anscheinend äußerlich gleicht wie, äh, ein Asteroid dem andern):
Ein Einschlag dieses Asteroiden “käme der Explosion von 30.000 Atombomben gleich”, schreibt “Bild” und warnt:
“WH1 2006” ist als gefährlich eingestuft, weil er uns ungewöhnlich nah kommt. Am 27. Dezember nähert er sich bis auf fünf Mio. Kilometer – astronomisch gesehen eine geringe Entfernung.
Zur Verteidigung von 2006 WH1 wäre zu sagen: Er ist nicht als gefährlich, sondern als “potentiell gefährlich” eingestuft, und er kommt uns keineswegs “ungewöhnlich nah”: Schon am 20. Dezember kommt uns ein Asteroid deutlich näher, auch am 2. und 4. Januar fliegen zwei Asteroiden in geringerem Abstand an der Erde vorbei. Die Entfernung mag “astronomisch gesehen gering” sein, bedeutet bei 2006 WH1 aber immer noch, dass er 14-mal so weit entfernt ist wie der Mond. Wenn die “Bild”-Zeitung uns nun vor jedem “potentiell gefährlichen Asteroiden” warnen will, kann sie das allein in den nächsten zwei Monaten elfmal tun.
Oh Gott, hoffentlich haben wir die “Bild”-Leute jetzt nicht auf dumme Gedanken gebracht.
Am 25. Mai wird ein Komet große Teile der Erde zerstören.
“Schon?”, werden Sie jetzt vielleicht fragen. Oder auch: “Schon wieder?” Aber diese Weltuntergangsgeschichte von “Bild” ist noch besser als die bisherigen.
Fakt ist: Der in mehrere Stücke zerbrochene Komet “73 P Schwassmann-Wachmann” zieht im Mai relativ nah an der Erde vorbei. “Relativ nah” bedeutet konkret: in rund zehn Millionen Kilometern Entfernung, das ist nur 25 mal so weit wie bis zum Mond.
Der “Forscher”, der eine “gewaltige Flutwelle”, das Ausbrechen von Unterwasser-Vulkanen und eine “Katastrophe” apokalyptischen Ausmaßes vorhersagt, heißt Eric Julien, und “Bild” gibt sich einige Mühe, ihn als ernstzunehmenden Wissenschaftler zu präsentieren. Die Zeitung nennt ihn “französischen Kometenforscher und Autor” und schreibt, er sei “früher für das französische Militär tätig und danach Manager des Flughafens Paris-Orly” gewesen.
Klingt respektabel.
Was “Bild” nicht schreibt: Julien ist Ufo-Forscher und Verfasser des Buches “Die Wissenschaft der Außerirdischen”. Er nennt sich auch Jean Edermann, erhielt von Außerirdischen eine Botschaft “über die dreidimensionale Natur der Zeit”, während ein lärmendes Ufo über seinem Haus schwebte, traf ätherische Geschöpfe in seinem Haus, lernte, sich “mental an einen Ort in der Gegenwart wohlwollender Außerirdischer” zu projizieren und vermutet, dass die Sichtungen von Ufos damit zusammenhängen könnten, dass Atomwaffentests auf der Erde die Sicherheit von Außerirdischen gefährden, die kreuz und quer durch Raum und Zeit reisen.
Klingt — anders.
“Bild” verrät auch mit keinem Wort, wie der Kometen-Ufo-Forscher zu seiner Prognose gekommen ist — dabei ist das bekannt und durchaus bemerkenswert: Julien sagt, er habe vor drei Jahren eine Vision von einer großen Katastrophe gehabt und vor drei Wochen von Außerirdischen das dazugehörige Datum genannt bekommen: eben der 25. Mai. Gestützt werde seine These unter anderem durch einen Kornkreis, der am 25. Juni 1995 in England auftauchte. Die Katastrophe sei eine Art “öffentliche Warnung” der Weltreisenden vor einem Atomschlag der USA gegen den Iran.
Und lustig ist nicht nur, dass “Bild” all diese interessanten Details weglässt, obwohl die doch helfen würden bei der wichtigen Entscheidung, ob man vor der Apokalypse schnell noch seinen Jahresurlaub nehmen soll. Lustig ist auch, dass Julien wenigstens weiß, wovon er spricht: mit ungefähr 40 Kilometer pro Sekunde werde der Kometentrümmer auf die Erde zurasen, warnt er. Bei “Bild” werden daraus 40 Meter pro Sekunde — mit der Geschwindigkeit könnte sich der Komet bequem in den fließenden Verkehr auf deutschen Autobahnen einreihen.
Von allen übergeigten “Bild”-Überschriften der letzten Jahre ist dies vermutlich die übergeigteste:
In der gedruckten Ausgabe steht am Ende der Überschrift wenigstens noch ein Fragezeichen:
Und bevor wir ins Detail gehen, sollten wir vielleicht zur Beruhigung schnell sagen: Die Nasa geht keineswegs davon aus, dass am 4. Mai 2102 die Welt untergeht. Sie geht sogar ausdrücklich davon aus, dass am 4. Mai 2102 die Welt nicht untergeht.
Mit erstaunlichem Mut zur Lüge erzählt der Londoner “Bild”-Korrespondent Peter Michalski ein apokalyptisches Märchen und schafft es dabei, den Sinn fast sämtlicher Tatsachen und Zitate ins Gegenteil zu verkehren. Sein Artikel beginnt mit den Worten:
Seine Sprengkraft entspricht allen Kernwaffen, die es auf der Erde gibt. Sein Ziel scheint eindeutig: Ein riesiger Asteroid ist unterwegs zu unserem Planeten. Am 4. Mai 2102, befürchtet die Nasa, schlägt er ein. So ihre Berechnungen.
Nein. Sein Ziel ist alles andere als eindeutig. Und die Berechnungen der Nasa sagen, dass der keineswegs “riesige” Asteroid “2004 VD17” die Erde mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,93 Prozent nicht treffen wird.
“Bild” schreibt:
Die Kollisionsgefahr hat sich verdreifacht. Die Nasa ordnete ihn als bisher einzigen Himmelskörper der Gefahrenstufe Gelb zu!
“Bild” hält sich auch diesmal nicht damit auf, zu erklären, was die “Gefahrenstufe Gelb” bedeutet. Die entsprechende Torino-Skala geht von 0 bis 10. “Apophis” erreichte Ende 2004 vorübergehend Stufe 4. Der Asteroid, um den es jetzt geht, steht nun nicht mehr auf 1, sondern auf 2. Stufe 2 bedeutet:
(…) there is no cause for public attention or public concern as an actual collision is very unlikely. New telescopic observations very likely will lead to re-assignment to Level 0.
(Es gibt keinen Anlass für öffentliche Aufmerksamkeit oder öffentliche Beunruhigung, denn eine tatsächliche Kollision ist sehr unwahrscheinlich. Neue Beobachtungen mit Teleskopen werden sehr wahrscheinlich zu einer Rückstufung auf Stufe 0 führen.)
Kein Anlass für öffentliche Aufmerksamkeit? Das weiß “Bild” aber besser:
Ein Einschlag hätte die Gewalt eines Erdbebens mit Stärke 7,4. Würde er in Berlin aufschlagen, gäbe es einen riesigen Krater: Zehn Kilometer breit, 530 Meter tief. Der Feuerball würde Bäume im Umkreis von 100 Kilometern in Brand setzen, unzählige Menschen töten.
Die Druckwelle wäre so stark, daß sie bis nach Hamburg (250 Kilometer entfernt) reichen und dort große Gebäude einstürzen lassen würde. Die Langzeitfolge wäre nuklearer Winter: Dunkelheit und Kälte durch aufgewirbelten Staub.
Die Kratergröße und der Erdbebenvergleich finden sich auch in seriösen Quellen. Aber wie kommt “Bild” darauf, dass dem Einschlag ein “nuklearer Winter” folgen würde? Die Wirkungen von Asteroiden-Einschlägen sind schwer vorherzusagen, aber Journalisten, die sich damit beschäftigt haben, sagen im Gegenteil: “2004 VD17” sei “nicht groß genug, um weltweite Verwüstungen anzurichten”, sondern könne höchstens erhebliche regionale Schäden verursachen.
Die einzige andere Quelle, die wir gefunden haben, die nach dem (sehr, sehr unwahrscheinlichen) Einschlag dieses Asteroiden einen “nuklearen Winter” heraufziehen sieht, ist die britische Boulevardzeitung “The Sun”. Die hatte schon am Freitag das bevorstehende “Ende der Welt” vorhergesagt. Der “Bild”-Artikel liest sich über weite Strecken, als ob ihr Autor, der wie gesagt in London sitzt, die “Sun”-Geschichte fast wörtlich übersetzt und auf deutsche Verhältnisse übertragen hätte.
Ahnung vom Thema scheint er nicht zu haben, denn er schreibt weiter:
Jüngste Schätzung des Treffer-Risikos: 1600 zu 1.
Nein, umgekehrt: 1 zu 1600. Oder 0,06 Prozent.
Und am Ende verleiht die “Bild”-Zeitung ihrem Märchen noch die nötige Schein-Glaubwürdigkeit und zitiert zwei Wissenschaftler:
Andrea Milani Comparetti von der Uni Pisa: “Ein echtes Problem – aber nicht für unsere Generation.” Nasa-Experte Dr. David Morrison setzt auf Hoffnung: “Zum Glück bleiben uns noch fast 100 Jahre.”
“Bild” hat Morrisons Zitat gekürzt. ImOriginal sagt er noch:
“This should provide ample time to refine the orbit and, most probably, determine that the asteroid will miss the Earth.”
(Das sollte uns genügend Zeit geben, die Umlaufbahn genauer zu bestimmen und, höchstwahrscheinlich, festzustellen, dass der Asteroid die Erde verpassen wird.)
Gegenüber dem “New Scientist” fügte der Wissenschaftler hinzu:
“We’re more likely to be hit between now and then by an object that we don’t know about.”
(Es ist wahrscheinlicher, dass wir bis dahin von einem Objekt getroffen werden, das wir noch gar nicht kennen.)
Oh je. Auf der Grundlage dieses Zitates könnte sich die “Bild”-Zeitung versucht fühlen, morgen zu titeln: Weltuntergang nicht einmal mehr 96 Jahre entfernt!
PS: Es gab schon vor zweieinhalb Jahren ähnliche Weltuntergangs-Szenarien aufgrund eines Asteroiden, weltweit und natürlich in “Bild”. Die Wissenschaftler waren danach so entsetzt über die absurde Panikmache der Medien, dass sie über eine völlige Abschaffung der Torino-Skala nachdachten.
Danke auch an Martin W., Michael E. und Axel B.!
Nachtrag, 13.10 Uhr. Auch Bild.de hat jetzt immerhin ein Fragezeichen hinter die Worte “Nasa: Weltuntergang in 96 Jahren” gesetzt. Sämtliche Fehler und irreführenden Behauptungen sind aber natürlich im Text geblieben.
Nachtrag, 18.25 Uhr. Die Schweizer Boulevardzeitung “Blick” hielt es für klug, die Falschmeldung von “Bild” zu übernehmen — nicht ohne sie um ein paar besonders abwegige Formulierungen ergänzt zu haben (“rast … exakt auf unsere Erde zu: ein riesiger Asteroid”).
Nein, natürlich geht die Welt nicht unter — jedenfalls, nach allem was wir wissen, nicht am “Freitag den 13. April 2029” und auch nicht durch den Asteroiden Apophis. Um das herauszufinden, muss man nicht mal mehr irgendwelche Fachaufsätze lesen, weil sich beispielsweise schon Spiegel-Online oder die “Zeit” der Panikmache von “Bild” angenommen haben.
Und als wären die Weltuntergangsvisionen in der gedruckten “Bild” nicht schon hanebüchen genug, in der Online-Ausgabe wird es noch skurriler. Dort ist der ansonsten gleichlautendeText ein ganzes Stück länger, und mit einigen Zitaten aus der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” angereichert (die in der Druckausgabe übrigens mit keinem Wort erwähnt wird).
Allerdings hat man bei Bild.de die “FAZ”-Zitate mehrfach aus dem Zusammenhang gerissen. So steht dort beispielsweise, mit eindeutigem Bezug auf den angeblich “400 Meter” großen Asteroiden (der in Wahrheit bloß 320 Meter misst) folgendes:
Die angesehene “Frankfurter Allgemeine Zeitung” warnt: “Der Einschlag eines derartigen Himmelskörpers könnte ganzen Zivilisationen zum Verhängnis werden.”
Die Passage in der “FAZ” jedoch liest sich im vollen Wortlaut so:
Seit den neunziger Jahren gibt es mehrere Programme zur systematischen Suche nach solchen Objekten, die mindestens einen Kilometer groß sind. Der Einschlag eines derartigen Himmelskörpers könnte ganzen Zivilisationen zum Verhängnis werden.
Über Apophis steht in der “FAZ”, dass Objekte wie er “immerhin noch erhebliche Schäden anrichten könnten“.
Etwas später zitiert Bild.de den Nasa-Astronauten Russell Schweickart, und im Anschluss heißt es:
Spätestens 2014 muß “Apophis” auf eine andere Bahn gestoßen werden, sonst gibt es wohl keine Rettung mehr.
Darüber steht auch etwas in der “FAZ”. Nur, dass Schweickart dort nicht davon ausgeht, dass Apophis bis zum Jahr 2014 abgelenkt werden müsste. Seiner Ansicht nach müsste im Jahr 2014 lediglich mit der Planung dafür begonnen werden.
Und weiter im Bild.de-Text:
Die Beobachtungen des 300-Meter-Radioteleskops in Arecibo (Puerto Rico) zeigen: Der Asteroid ist völlig unberechenbar.
Keine Ahnung, wie Bild.de darauf kommt, in der “FAZ” jedenfalls steht quasi das Gegenteil:
Schon die ersten (…) Rechnungen zeigten, daß der Kleinplanet im Jahr 2029 der Erde außerordentlich nahe kommen würde. Radarmessungen mit dem 300-Meter-Radioteleskop in Arecibo (Puerto Rico) haben das Anfang dieses Jahres bestätigt.
Doch natürlich braucht man bei Bild.de die “FAZ” nicht, um durch das Weglassen von Informationen einen falschen Eindruck zu erwecken. Das geht auch so:
Mehrmals verloren die Wissenschaftler den Kontakt. Auf 1:300 schätzten sie anfangs die Chance eines Einschlags, mußten auch diese Zahl immer wieder ändern.
Zwischenzeitlich (im Dezember 2004) schätzten Wissenschaftler die Chance eines Einschlags sogar auf 1:37. Noch am selben Tag konnte jedoch ein Zusammenstoß am 13. April 2029 ausgeschlossen werden. Und jetzt gehen eigentlich alle, bis auf “Bild”, davon aus, dass Apophis die Erde überhaupt erst im Jahr 2036 theoretisch treffen könnte. Daniel Scheeres (den “Bild” Scheerer nennt), von der University of Michigan, hat dafür, laut “Zeit” und Spiegel-Online, eine Wahrscheinlichkeit von 0,02 Prozent errechnet.
Mit Dank für die zahlreichen sachdienlichen Hinweise
Ach ja, oder besser: Oh je, “Bild” und die Wissenschaft (oder: “Wissenschaft”):
“Bild” vom 6.7., Seite 1
Bevor wir uns um den hanebüchenen UnsinnArtikel in “Bild” kümmern, fassen wir kurz zusammen, was “wir” (sprich: die NASA) getan bzw. “angerichtet” haben — was übrigens genau das war, was die NASA geplant hatte (und was im Vorfeld — aus Gründen, die nichts mit einer Gefährdung der Erde zu tun hatten — nicht unumstritten war): nämlich den Kometen Tempel 1 mit einem etwa 372 Kilogramm schweren Projektil zu beschießen, um so eine Auswurfwolke auszulösen, deren Analyse wissenschaftliche Erkenntnisse über den Aufbau von Kometen und damit möglicherweise über die Ursprünge unseres Sonnensystems bringen soll.
“Bild” vom 6.7., Seite 12
Nun zu den größten Merkwürdigkeiten in “Bild”:
1. Der Komet, Tempel 1, “schießt” nicht zurück, sein Beschuss hat lediglich, wie geplant, eine große Auswurfwolke ausgelöst!
2. Es weiß tatsächlich niemand genau, “was drinsteckt” – Um das herauszufinden wurde der Komet schließlich beschossen!
3. Forscher “fürchten” keine “Bakterien und rätselhafte Substanzen” (vom ziemlich umstrittenen Astrobiologen ChandraWickramasinghe eventuell abgesehen) — Im Gegenteil, Forscher hofften sogar, auf unbekannte Substanzen und organische Verbindungen.
4. Außerdem droht keine “Weltraumseuche wie im Kinofilm ‘Andromeda — tödlicher Staub aus dem All'”! (Der Film hat übrigens inhaltlich weniger mit der NASA-Mission gemein, als mit der “Bild”-Berichterstattung darüber, indem er immer wieder Realität mit Fiktion vermengt — allerdings wesentlich intelligenter als “Bild”.)
5. Und um auch noch die größten Paranoiker zu beruhigen: Autor Attilla Albert selbst schreibt im allerletzten Satz seines Textes:
Diese Kometen-Wolke wird es nie bis zur Erde schaffen. Die Entfernung (134 Mio. Kilometer) ist einfach zu groß.