“(…) ich mag BILD sehr, weil es BILD irgendwie täglich schafft, die Geschehnisse aus der gewaltigen Erde (…) verständlich darzustellen.”
Das schrieb Franz Josef Wagner vor zwei Wochen in der “Bild”-Zeitung anlässlich eines mehrteiligen Vorabdrucks des “Rückenbuchs” von Dietrich Grönemeyer in der “Bild”-Zeitung. Aber das nur so nebenbei.
Denn heute macht “Bild” den Grönemeyer zum “Gewinner” des Tages, nachdem es sein Buchauf Platz 1 der “Spiegel”-Bestsellerliste geschafft hat. Doch warum? Warum nur? “Warum?” fragt sich auch “Bild” und antwortet:
“Weil’s eine BILD-Serie war!”
Und wer weiß, vielleicht hat es “Bild” mit diesem Halbsätzchen ja tatsächlich geschafft, die Geschehnisse aus der gewaltigen Erde (in diesem Fall: die Eitel- oder Selbstgefälligkeit, mit der “Bild” ihre “Gewinner” kürt), irgendwie verständlicher darzustellenals sonst so. Warum man “Bild” dafür mögen sollte, steht allerdings in einem anderen Blatt – oder aber auf.
Menschen, die sich ausschließlich aus “Bild” informieren, haben in Sachen Rechtschreibreform folgenden Wissensstand:
Schluß mit der Schlechtschreibreform! Ab heute [04.10.2004] erscheint BILD wieder in der klassischen Rechtschreibung! … Neben Springer kehren auch der “Spiegel” und die “Süddeutsche Zeitung” demnächst zur bewährten Rechtschreibung zurück, in der die “FAZ” bereits erscheint.
Seit dieser Meldung hat sich ein bisschen was getan. Die “Süddeutsche” hat in der vergangenen Woche (wie berichtet) angekündigt, nicht zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Und gestern erschien im “Spiegel” eine “Hausmitteilung”, wonach das Nachrichtenmagazin vor irgendwelchen Schritten zunächst abwarten will, was der neu eingesetze “Rat für deutsche Rechtschreibung” beschließen werde. Die “Berliner Zeitung” kommentiert:
Nun macht auch der Spiegel einen Rückzieher … . Die Rückkehr zur alten Rechtschreibung — verschoben, wenn nicht aufgehoben.
Nach all dem “Schlechtschreibreform”-Getöse der vergangenen Monate mit Dutzenden Artikeln hat die “Bild”-Zeitung leider noch keinen Platz gefunden, ihren Lesern diese Neuigkeit mitzuteilen.
Am 13. August 2004 verlieh “Bild” seinen “begehrten” “Orden” “Retter der deutschen Sprache” unter anderem an Hans Werner Kilz, den Chefredakteur der “Süddeutschen Zeitung”. Der Grund ist einem Bericht einige Tage zuvor zu entnehmen. Am 7. August, als “Bild” bekannt gab, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, schrieb das Blatt:
Auch die “Süddeutsche Zeitung” will zur alten Rechtschreibung zurückkehren.
Das war falsch, aber diesen Fehler machten auch viele andere Medien damals. Tatsächlich hatte Kilz sich etwa in einem Interview mit der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”deutlich differenzierter geäußert:
Ab wann soll die “SZ” wieder in der altbewährten Rechtschreibung erscheinen?
Ich glaube nicht, daß wir jetzt ein Datum nennen sollten oder irgendwelche Details einer zukünftigen Rechtschreibung. Wichtig ist jetzt das Signal zur Abkehr von der neuen Rechtschreibung. …
Wie wird die “SZ” zukünftig zum “sz” stehen? Gibt es Neuerungen, die Sie beibehalten wollen?
Ob wir “dass” künftig wieder “daß” schreiben, kann ich nicht sagen.
Diese Differenzierung wurde, wie gesagt, nicht nur von “Bild”, sondern von vielen Medien ignoriert. Die berichten nun allerdings (z.B. hier, hier, hier und hier) nach einer Vorabmeldung des “Stern” am Mittwoch, dass die “SZ”-Redaktion inzwischen ausdrücklich beschlossen hat, nicht zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, sondern einen Kompromiss zu suchen.
Und die “Bild”-Zeitung? Berichtet nicht. Obwohl diese Nachricht ihren bisherigen Behauptungen widerspricht.
Der “Gewinner des Tages” vom heutigen 28. September ist kein Springer-Chefredakteur, kein Springer-Herausgeber und auch keine Publikation aus dem Springer-Verlag. Es ist Hans-Olaf Henkel, laut “Bild” “Deutschlands klügster Manager”. Der hat kürzlich ein Buch geschrieben, aus dem “Bild” vorab Auszüge abgedruckt und das Ganze online mit einem “Buchtipp” verbunden hatte, der einen mit einem Klick zu Amazon bringt, wo man das Buch bestellen kann. Dieses Buch steht nun auf Platz 4 der Bestsellerlisten von “Focus” und “Spiegel”, was natürlich ein prima Grund ist, Henkel zum “Gewinner des Tages” zu machen – na ja, und außerdem ist Henkel ja schon seit dem Jahr 2001Springer-Autor. Er schreibt Kommentare in “Bild”.
“Was hat Wolfgang Thierse da bloß geritten?”, fragt der “Bild”-Kommentar heute und schreibt:
Der Bundestagspräsident hat laut über ein mögliches Bündnis der SPD mit der PDS in Brandenburg nachgedacht. Man sollte der PDS “schon ernsthaft” die Frage stellen, ob sie eine realistische und konstruktive Politik machen wolle.
Schon vergessen, Herr Thierse?
Dass die PDS in Brandenburg und Sachsen mit gnadenloser Anti-Reformhetze und Stimmungsmache gegen Kanzler Schröder der SPD die Wähler abjagte. Dass die PDS erklärtermaßen das Rad der Reformen zurückdrehen will, wo immer sie in Regierungsverantwortung kommt?
Die rhetorische Frage, ob Herr Thierse das “schon vergessen” hat, hätte “Bild” leicht selbst beantworten können, wenn sie ihn vollständig zitiert hätte. Gegenüber dem “Tagesspiegel” sagte er:
Man werde die PDS “daran erinnern müssen, dass sie einen geradezu gnadenlosen Wahlkampf gegen die Sozialstaatsreformen und die Arbeitsmarktreformen geführt hat”. Jetzt solle die PDS die Frage beantworten, ob sie eine realistische und konstruktive Politik machen wolle. “Aber die Frage sollte man ihr schon ernsthaft stellen.”
Wie war eigentlich diese Talkrunde zur Gebührenerhöung auf Sat.1, die der “Bild am Sonntag”-Chefredakteur Claus Strunz moderierte? Nun ja, kommt drauf an, wen man fragt.
Die “taz” fand es “tendenziös” und “inhaltsleer” und stellte fest, dass Strunz “langsam aber sicher die Gesprächsführung entglitt”.
Die “Frankfurter Rundschau” fand es “langweilig”, eine “Sehgurke” und meinte, die Runde sei “doch eine Nummer zu groß für den Chefredakteur” gewesen.
Der “Tagesspiegel” stellte fest, dass es dem Thema nicht gut tat, mit “Parolen und Emotionen” aufgeladen zu werden und betonte die Parteilichkeit des Moderators, weil doch die “Bild am Sonntag” im Axel Springer Verlag erscheint, der an der Senderfamilie Pro-Sieben-Sat.1 beteiligt ist, die die direkte Konkurrenz von ARD und ZDF ist.
Und “Bild” sah ein “Talk-TV der Extra-Klasse”, einen “spannenden Schlagabtausch” und einen “prickelnden Mix aus Information und Unterhaltung”.
…und machte den Moderator Claus Strunz, den Chefredakteur von “Bild am Sonntag”, kurzerhand zum “Gewinner des Tages” in der “Bild” am Dienstag. Er ist der sechste Gewinner aus dem Hause Axel Springer in den letzten 14 Erscheinungstagen. Am Ende des Monats wird bestimmt der Verlag selbst noch einmal “Gewinner des Tages”: Ausgezeichnet dafür, dass keine andere Institution der Welt so häufig “Gewinner des Tages” in “Bild” hervorbrachte wie er.
Auf Homestories von Politikern will “Bild” zukünftig angeblich verzichten; von Artikeln aus dem Privatleben von anderen Prominenten, um die es im “Caroline-Urteil” im Kern geht, ist nicht die Rede. Schade eigentlich — denkt man, wenn man einen Artikel im heutigen “Tagesspiegel”* gelesen hat, der sich die Arbeit des “Bild”-Unterhaltungsressorts unter seinem Chef Martin Heidemanns genauer ansieht.
Zu lesen ist in der ausführlichen Geschichte unter anderem:
… wie die Methoden von Martin Heidemanns in der Branche beschrieben werden: Anschreien, Drohen, Erpressen.
… wie “Bild” versucht haben soll, Prominente wie Charlotte Roche, Ursula Karven und Esther Schweins in persönlichen Notsituationen zu Interviews zu erpressen.
…wie “Bild am Sonntag” falsche Fotos von Andreas Türck (wie er angeblich nach den Vergewaltigungsvorwürfen zu seiner “Mama” flieht) und Oliver Kahn (wie er angeblich wieder seine Ehefrau betrügt) zeigte.
Die Chefin der Agentur Barbarella, die viele Prominente vertritt, zitiert der “Tagesspiegel” mit dem Fazit:
Journalisten der ,Bild’-Zeitung scheinen darauf trainiert zu werden, jeglichen Ethos abzugeben.
Weder Heidemanns noch sein Chef Kai Diekmann wollten mit dem “Tagesspiegel” reden. Ein Sprecher des Verlages sagte:
Die Unterstellungen des Tagesspiegels gegenüber “Bild” sind so haarsträubend, dass sich darauf eine Antwort verbietet. Genauso wie beim Tagesspiegel sind dies auch für “Bild” keine üblichen Arbeitsmethoden.
Ach ja. Oder wie Kai Diekmann der Zeitschrift “Cover” sagte: “Nur Moralisten können gute Journalisten sein.”
(Verspäteter) Nachtrag, 29. Dezember 2005:
Von Martin Heidemanns erschien am 14. November 2004 eine Gegendarstellung zu dem Artikel im “Tagesspiegel”. Darin heißt es unter anderem:
Durch die Formulierung: “Spricht man mit Prominenten und ihren Managern, mit ehemaligen und aktuellen Kollegen über jenen Mann, der bei BILD für das Unterhaltungsressort verantwortlich ist, fallen drei Worte immer wieder: Anschreien, Drohen, Erpressen”, erwecken Sie den Eindruck, dass ich bei meiner Berufsausübung schreie, drohe, erpresse.
Das ist falsch. Ich schreie nicht, ich drohe nicht, und ich erpresse auch nicht.
*) Nachtrag, 25.1.2006:
Der strittige Artikel ist im Online-Archiv des “Tagesspiegel” nicht mehr (oder nicht mehr frei) verfügbar, aber im Wortlaut hier nachzulesen. Zwei weitere Gegendarstellungen dazu finden sich hier und hier.
Am Freitag machte “Bild” PDS-Chef Lothar Bisky zum Verlierer des Tages. Weil seiner Partei die Mitglieder weglaufen:
Vergangenes Jahr gaben 5052 Genossen ihr Parteibuch ab – ein Minus von rund 7 Prozent. Nur noch 65 753 Menschen gehören der SED-Nachfolgepartei an. In den alten Bundesländern gibt es gerade einmal 4378 bekennende Sozialisten.
BILD meint: PDS – Partei, die schrumpft!
Stimmt. Richtig ist auch, dass die PDS in aktuellen Umfragen bundesweit auf 7 Prozent kommt, im Osten mit 28 Prozent zweitstärkste Partei nach der CDU würde und bei der Landtagswahl in Brandenburg mit 34 Prozent der Stimmen die mit Abstand meisten Stimmen bekommen könnte.
Und: Nein, das wird Bisky nicht zum Gewinner des Tages in “Bild” machen.
Endlich hat “Bild” ein Wort gefunden: “Maulkorb-Urteil”. So nennt das Blatt seit heute das bislang als “Caroline-Urteil” bekannte Straßburger Urteil, durch das “Bild” und viele Zeitungen, aber keineswegs alle (vgl. z.B. hier, hier und hier), das Ende der Pressefreiheit gekommen sehen. Die Bundesregierung hat am Mittwoch beschlossen, trotz (oder wegen) einer hektischen Kampagne keinen Widerspruch gegen dieses Urteil einzulegen.
Die Straßburger Richter hatten entschieden, dass die Berichterstattung (z. B. Fotos) über Prominente nur noch mit deren Erlaubnis zulässig ist.
Das ist in dieser Verkürzung falsch. Im Urteil heißt es ausdrücklich, dass “die Öffentlichkeit ein Recht darauf haben mag, informiert zu werden, ein Recht, das sich unter besonderen Umständen auch auf das Privatleben von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erstrecken kann“, dies sei allerdings im Fall von Caroline nicht gegeben. Entscheidend sei “inwieweit die veröffentlichten Fotos zu einer Debatte beitragen, für die ein Allgemeininteresse geltend gemacht werden kann.”
“Bild” schreibt:
Jetzt kann nur noch das Bundesverfassungsgericht die Pressefreiheit in Deutschland retten!
Hübsch gesagt, im Kern auch nicht ganz falsch, in der Formulierung aber völlig irreführend. Die Bundesregierung hat nämlich vor ihrem Beschluss, keinen Einspruch einzulegen, das Bundesverfassungsgericht um eine Stellungnahme gebeten. Dessen Präsident antwortete, es sei nicht unbedingt nötig, jetzt einzuschreiten. Wenn sich herausstellen sollte, dass das Straßburger-Urteil wirklich ein Problem für die Pressefreiheit werde, könne (und müsse) man gegebenenfalls in einem späteren Fall entsprechend tätig werden.
An einer Stelle ist “Bild” wirklich treffend. Chefredakteur Kai Diekmann hat für seinen Kommentar zum Thema die Überschrift gewählt:
In eigener Sache
Leider stellt sich heraus, dass er damit nicht sich und die anderen bunten Blätter meint, die zittern müssen, ob sie auch in Zukunft irrelevante, heimlich gemachte Bilder aus dem Privatleben von Prominenten veröffentlichen dürfen. Er meint die Bundesregierung, die er in der Sache für befangen hält.
Der “Spiegel” berichtet, dass der Handelsexperte Walter Gunz im kommenden Jahr Chef von bild.de wird. Gunz ist einer der Gründer der Elekronikmarktkette “Media Markt”.
Und so einer soll der Richtige sein, den Online-Ableger von “Bild” zu leiten?