“Am 18. Oktober 1977 – nachdem ihre RAF-Genossen eine Lufthansa-Maschine nach Mogadischu entführt und die Freilassung der Häftlinge gefordert hatten, aber von der GSG 9 überwältigt worden waren – erschossen sich Baader
und Ensslin mit geschmuggelten Pistolen in ihrer Zelle.”
Und man mag es für eine Auslegungssache halten, wenn “Bild” die vier palästinensischen Terroristen, die 1977 die “Landshut” entführten, RAF-Genossen nennt. Oder für falsch. Anders verhält es sich mit der “Bild”-Behauptung, die RAF-Terroristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin hätten sich mit geschmuggelten Pistolen erschossen. Das ist keine Auslegungssache. Um es faktisch und politisch korrekt mit der “taz” zu sagen:
“In Zelle 720 hängt Gudrun Ensslin am Gitterrost des rechten Zellenfensters. Um ihren Hals ist das Kabel ihrer Lautsprecherboxen geschlungen.”
Ein wenig rätselhaft ist es ja schon, dass “Bild” (wie viele andere Medien auch) ausführlich aus einem Interview zitiert, das Jürgen Chrobog nach der Geiselnahme seiner Familie im Jemen gegeben hatte, und sogar Chrobogs heftiges Dementi mancher Kommentare berücksichtigt, aber (anders als viele andere Medien)einen Satz Chrobogs nicht erwähnenswert findet.
Er lautet:
“Ich hatte auch nie den Eindruck, dass wir wirklich in Lebensgefahr standen.”
Allerdings hätte die “Bild”-Behauptung, die Familie sei während ihrer Geiselnahme zwei Mal “in höchster Lebensgefahr” gewesen, unter Berücksichtigung des zitierten Chrobog-O-Tons auch verdammt unpassend gewirkt — und die “Bild”-Headline natürlich irgendwie übergeigt.
Sie lautet nämlich:
Mit Dank an Christian S. und andere für den Hinweis.
Nachtrag, 3.1.2006:
Der Vollständigkeit halber (und mit Gruß an Tobias R.) sei darauf hingewiesen, dass auch die Nachrichtenagentur dpa im Zuge ihrer Berichterstattung über die Rückkehr der Chrobogs einige Äußerungen kurzzeitig und irreführenderweise dahingehend interpretiert hatte, dass sie “übersetzt in Alltagssprache” bedeuten würden, Chrobog habe mehrfach um sein Leben und das seiner Familie gefürchtet, diese Interpretation in anschließenden Meldungen jedoch unter Berücksichtigung des anderslautenden Chrobog-Zitats nicht weiter verfolgte.
“Nur Moralisten können gute Journalisten sein.”
(Kai Diekmann)
“Man muss ein Zeichen setzen gegen die Angst vor ‘Bild’.”
(Charlotte Roche)
Am 5. September 2004 berichtete der Berliner “Tagesspiegel” ausführlich über die “Methoden der mächtigsten deutschen Zeitung”. Geschildert wurde neben vielen anderen haarsträubenden Fällen unter anderem die Erfahrung, die die Moderatorin Charlotte Roche im Juni 2001 mit “Bild” gemacht haben soll. Einige Wochen, nachdem bei einem Autounfall auf dem Weg zu ihrer Hochzeit drei ihrer Brüder getötet und ihre Mutter schwer verletzt wurden, sei sie von einem Paparazzo lachend mit ihrem Freund fotografiert worden. Ein “Bild”-Redakteur habe ihr gedroht, dieses Foto mit dem ironischen Kommentar “So tief ist ihre Trauer” zu veröffentlichen, wenn sie der Zeitung kein Interview gebe.
Diese Schilderung stimmte offensichtlich nicht. Die Axel Springer AG setzte eine Gegendarstellung durch, in der sie bestritt, dass sich ein “Bild”-Journalist je so gegenüber Roche geäußert habe. Die Redaktion hätte das Foto weder besessen, noch von ihm gewusst, noch es als Druckmittel eingesetzt.
Unter dieser Gegendarstellung korrigierte sich der “Tagesspiegel”, widersprach aber der Darstellung von Springer:
Richtig ist, dass sich kein “Bild”-Journalist gegenüber Charlotte Roche geäußert hat. Dem Tagesspiegel liegt allerdings ein Schreiben eines Mitarbeiters der Presseabteilung von Viva vor, dem Sender, bei dem Charlotte Roche damals moderierte. Darin heißt es: “Kurze Zeit nach dem tödlichen Unfall von Charlottes Brüdern hat sich damals ein ‘Bild’-Redakteur bei mir telefonisch gemeldet. Soweit ich mich erinnere, sagte er, er habe zwar Bauchschmerzen bei diesem Anruf, aber er habe mit der Chefredaktion in Hamburg gesprochen und müsste mir Folgendes sagen: Wenn die ‘Bild’-Zeitung kein Interview mit Charlotte bekäme, würde die ‘Bild’ am nächsten Tag ein Bild von Charlotte bringen und dazu eine Geschichte, die uns nicht gefallen würde. Mir wurde nicht mitgeteilt, um welche Art von Foto oder Geschichte es sich handelt.”
“Bild” bestreitet bis heute, dass es dieses Gespräch mit diesem Inhalt gegeben hat.
Gegen diese Darstellung des “Tagesspiegel” ist die Axel Springer AG in keiner Weise mehr vorgegangen.
Jetzt ist über ein Jahr vergangen, und diesmal hat es nicht der “Tagesspiegel”, sondern der “Stern” gewagt, kritisch über “Bild” zu schreiben. Vor zwei Wochen stand in der Zeitschrift:
Der erste Anrufer nach dem Unglück auf ihrem [Charlotte Roches] Handy war ihr Vater, der zweite ein “Bild”-Reporter. Was folgte, sagt Charlotte Roche, “war Telefonterror — den Rest des Tages hatte ich damit zu tun, die Anrufe von ‘Bild’ wegzudrücken”.
Die Moderatorin sprach mit niemandem. Vier Wochen lang tauchte sie ab, verließ kaum das Haus. Dann gelang einem Fotografen der “Abschuss” — so nennt der Boulevard Paparazzo-Aufnahmen: Charlotte Roche hatte neben ihrem Freund gestanden und gelacht.
Die “Bild”-Leute riefen bei Viva an. Ein Mitarbeiter des Senders hat seine Erinnerungen an das Gespräch notiert: “Kurze Zeit nach dem tödlichen Unfall hat sich ein ‘Bild’-Redakteur bei mir gemeldet. … Er habe zwar Bauchschmerzen bei diesem Anruf, aber er habe mit der Chefredaktion in Hamburg gesprochen und müsste mir mitteilen: Wenn die ‘Bild’-Zeitung kein Interview mit Charlotte bekäme, würde die ‘Bild’ am kommenden Tag ein Foto von Charlotte bringen und dazu eine Geschichte, die uns nicht gefallen würde.” Ein ‘Bild’-Sprecher weist die Vorwürfe zurück: “Diese Äußerungen treffen nicht zu.”
All das darf der “Stern” zur Zeit nicht mehr behaupten. Die Axel Springer AG bestreitet Umstand und Inhalt der Gespräche und hat beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung erwirkt, die dem “Stern” die Veröffentlichung vorläufig untersagt. Deshalb ist der gesamte “Stern”-Artikel auch aus dem Online-Angebot der Zeitschrift verschwunden. Beim “Stern” ist man über die Entscheidung des Gerichtes überrascht und will dagegen vorgehen.
Anders als der Branchendienst “New Business” meldet und auch Springer gegenüber dem Gericht behauptet haben soll, hat der “Stern” nicht die ursprünglichen (falschen) “Tagesspiegel”-Angaben wiederholt. Wiederholt hat der “Stern” die Erinnerungen des Viva-Mitarbeiters, die der “Tagesspiegel” in seinem Zusatz der Gegendarstellung Springers wiedergegeben hat. Und dagegen ist Springer, wie gesagt, nie vorgegangen. Beim “Stern” geht man deshalb davon aus, dass die einstweilige Verfügung keinen Bestand haben wird.
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann fordert darüber hinaus vom “Stern” den Abdruck einer Gegendarstellung und die Abgabe von Unterlassungserklärungen. Beim “Stern” hat man das Gefühl, “Bild” verfolge eine ähnliche Taktik wie die, mit der die Zeitung vor einem Jahr gegen den “Tagesspiegel” vorgegangen sei: viele nebensächliche Punkte anzugreifen, um die Kritik an den haarsträubenden Methoden von “Bild” unberechtigt erscheinen zu lassen.
… in einem Dossier über die “Großmacht Springer” hatte sich die “Zeit” am 11. August unter anderem folgende Frage gestellt:
“Ist es Vorsatz, wenn ein Foto so beschnitten wird, dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin als Schlagstock angesehen werden kann (…)?”
Hintergrund dieses Satzes war die Veröffentlichung eines Fotos in der “Bild”-Zeitung vom 29.1.2001. Zu sehen war darauf Jürgen Trittin im Jahr 1994 am Rande einer Demo. Die Aufnahme stammte ursprünglich von Sat.1 und erschien 29.1.2001 auch im “Focus”. “Bild” hatte behauptet, in der Hand eines (unmittelbar neben Trittin abgebildeten) Demonstranten befinde sich ein Schlagstock, obwohl es sich dabei nur um ein Seil handelte, wie sowohl bei Sat.1 als auch im “Focus” deutlich zu erkennen war — nicht jedoch in dem von “Bild” abgedruckten Ausschnitt des Fotos. Nachdem der grobe Fehler öffentlich geworden war, druckte “Bild” eine Richtigstellung und Kai Diekmann, damals seit vier Wochen “Bild”-Chefredakteur, sagte dem “Spiegel”(hier für 50 Cent, Gratisauszüge hier): “Wir sind am Sonntag im Vorabexemplar von ‘Focus’ auf das Foto gestoßen und haben es abgescannt, weil wir das Original nicht besorgen konnten. Die Ausdrucke, mit denen wir dann gearbeitet haben, waren Kopien von Kopien und entsprechend schlecht, so dass die Fortsetzung des Seils nicht erkennbar war.” Zuvor referierte bereits die “Berliner Zeitung” Diekmanns Erklärung mit dem Worten: “Deshalb habe man das Foto für den Druck beschnitten.” Das war vor dreieinhalb Jahren und nicht schön.
“Bild”-Chef Diekmann ist seither mehrfach gerichtlich gegen Berichte anderer Medien vorgegangen, die fälschlicherweise behauptet hatten, “Bild” habe Trittin “einen Schlagstock in die Hand montiert” bzw. “in die Hand gedrückt”. Sowohl die “Berliner Zeitung” als auch die “taz” entschieden sich allerdings, den unabwendbaren Abdruck einer entsprechenden Gegendarstellung Diekmanns ausführlich zu kommentieren.
Was indes die “Zeit” anbelangt, könnte man einwenden, auch die Behauptung, “dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin als Schlagstock angesehen werden kann” sei sachlich falsch, weil Trittin selbst das Seil auf dem Foto gar nicht anfasst. “Bild”-Chef Diekmann allerdings nahm Anstoß an einem anderen Aspekt des “Seil”-Satzes. Nach unseren Informationen hieß es in einer Gegendarstellung, deren Abdruck er von der “Zeit” forderte, “Bild” ” habe “niemals ein Foto so beschnitten”, dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin hätte als Schlagstock angesehen werden können: Der Fehler von “Bild” habe darauf beruht, “dass allein aufgrund der schlechten Bildqualität eine verfälschende Bildunterschrift zugeordnet wurde”.
Allerdings weigerte sich die “Zeit”, die Gegendarstellung zu drucken. Und das mit gutem Grund. Schließlich handelt es sich ja bei dem Trittin-Foto in “Bild” zweifelsfrei um einen Ausschnitt des “Focus”-Fotos, auf dessen Original der “Schlagstock” eindeutig als Seil zu erkennen ist. Und so zitiert auch der “Stern” in seiner aktuellen Ausgabe einen “Bild”-Sprecher mit der Aussage: “Der Chefredaktion lag lediglich ein Schwarzweiß-Scan vor, auf dem die Ränder des Fotos schwarz waren. Diese Ränder wurden beim Einstellen des Scans ins Layout … selbstverständlich nicht berücksichtigt.”
Und das ist umso erstaunlicher, als Kai Diekmann doch gegenüber der Pressekammer des Landgerichts Hamburg im August 2005 eine “eidesstattliche Versicherung” abgegeben hat, in der es ausdrücklich heißt, man habe die Abbildung zwar “unzutreffend betextet”, aber:
“Das Foto (…) ist in keiner Weise ‘beschnitten’ worden.”
Das Gericht verlangte daraufhin Ende August zwar zunächst in einer Einstweiligen Verfügung von der “Zeit”, den strittigen “Seil”-Satz aus der Online-Version des Dossiers zu tilgen. Dort fehlt er noch immer, dürfte nach unseren Recherchen aber alsbald wieder in den Text eingefügt sein, denn…
… nachdem die “Zeit” Mitte September Widerspruch angekündigt hatte, nahm Diekmann kurzerhand seinen Antrag zurück, verzichtete freiwillig auf die Ansprüche aus der Einstweiligen Verfügung und muss sämtliche Verfahrenskosten tragen.
Wie es zu Diekmanns überraschenden Sinneswandel kam, entzieht sich unserer Kenntnis. Im “Stern” heißt es, an der Richtigkeit der Eidesstattlichen Versicherung* Diekmanns seien “Zweifel angebracht”.
*) “Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.”
(§ 156 StGB)
Der Staat Kalifornien lässt einem Mann, kurz bevor er ihn hinrichet, noch soviel Bewegungsspielraum, dass er seine Faust recken kann? Das ist nicht nur erstaunlich, es ist auch sehr unwahrscheinlich. Und da wir diese Behauptung nirgends außer in Bild.de gefunden haben, nehmen wir an: Es ist nie passiert.
Vermutlich hat Bild.de da wieder etwas durcheinander gebracht. In den Augenzeugenberichten von der Hinrichtung kommt zwar tatsächlich die beschriebene Geste vor. Aber die Faust gereckt haben einerodermehrere der fünf Unterstützer, die anwesend waren — laut “Contra Costa Times” konkret die Journalistin Barbara Becnel.
Anscheinend hat Bild.de die ganze Szene verwirrt. Angeblich soll Tookie nach der Geste mit der Faust auch noch leise “Tookie” gesagt haben. Warum? “Bild” weiß es nicht. Deutlich mehr Sinn ergibt die Beschreibung im “San Francisco Chronicle”, wonach es einer der Unterstützer war, der Williams auf diese Weise durch die Glasscheibe ansprach.
Auch dass Williams’ “Sterben” 35 Minuten dauerte, ist eine irreführende Aussage. Bild.de behauptet:
Es war ein langer Todeskampf für Tookie Williams. 35 Minuten dauerte es, bis das Gift in seinem Körper wirkte.
Vom Betreten der Hinrichtungszelle bis zu seinem Tod vergingen zwar rund 35 Minuten. Aber das hängt keineswegs damit zusammen, dass das Gift nur so langsam wirkte, wie Bild.de suggeriert. Alle anderen Quellen beschreiben, dass es sehr lange gedauert habe, bis eine Assistentin eine Vene in Williams’ linkem Arm gefunden hatte. Noch 17 Minuten nach Betreten der Zelle sei das nicht geschehen.
Bild.de behauptet weiter, dass vor Williams’ Todeskampf jemand gerufen habe: “Der Staat von Kalifornien hat einen unschuldigen Mann getötet.” Auch das behauptet niemand sonst. Nach allen Augenzeugenberichten riefen Williams’ Unterstützer diesen Satz erst beim Verlassen der Hinrichtung.
Bild.de fügt hinzu, dass Williams die Nachricht, dass Gouverneur Schwarzenegger sein Gnadengesuch abgelehnt habe, “nur mit einem Lächeln” zur Kenntnis genommen habe. Im Gegensatz dazu schreibt die “New York Times”, dass Williams nach Angaben von Jesse Jackson keineswegs nur gelächelt, sondern ihm gesagt habe: “Wir werden die Hoffnung nicht aufgeben.”
Für Fußballfans dürfte es etwas verwirrend sein, dass Bild.de heute schreibt:
Schließlich wäre es ganz und gar nicht bitter für Manchester United, wenn die “Reds” schon in der Vorrunde der Champions League ausgeschieden wären. Denn als “Reds” bezeichnet man gemeinhin den Liverpool FC. Manchester hingegen bezeichnen Leute, die sich mit Fußball auskennen, als “Red Devils”. Wegen des kleinen Teufels im Wappen.
P.S.: Der Liverpool FC, also die “Reds”, haben ihre Vorrundenspiele übrigens als Gruppensieger abgeschlossen.
Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Lukasz C.
Nachtrag, 10.12.05:
Nachträglich hat Bild.de die falsche Bezeichnung “Reds” in “ManU” korrigiert.
Nachtrag, 16.12.05:
Wir müssen uns leider korrigieren: Die offizielle Bezeichnung “Red Devils” wird offenbar gelegentlich doch zu “Reds” abgekürzt.
Anders als Mainhardt Graf Nayhauß in seiner heutigen “Bild”-Kolumne schreibt, heißt der “Schuhverkaüfer” [sic!], der bei der Europa-Premiere von “King Kong” als Berlusconi auftrat, nicht Maurizio Antonius, sondern Maurizio Antonini.
Der Mann hatte schon Nayhauß’ Kollegen Iris Rosendahl und Jürgen Wenzel schwer verwirrt: “Und plötzlich tauchte da ein Staatsgast auf”, schrieben sie am Donnerstag in “Bild” über den “herrlichen” “Berlus-King-Kong” und blieben ratlos: “Isser’s oder isser’s nicht”?
Die Information, dass der echte Berlusconi “derweil in der Mailänder Oper erwartet” wurde, scheint Nayhauß dagegen exklusiv zu haben. Seine Kollegin von der “Berliner Morgenpost” behauptet jedenfalls, persönlich in Rom nachgefragt und erfahren zu haben, dass Berlusconi im Palazzo Chigi, dem Sitz des Ministerpräsidenten in Rom, ein “Meeting” hatte.
P.S.: Als Punkt 10 seiner grundsätzlich aus Superlativen bestehenden “Top-10 der Woche” schreibt Nayhauß:
Der neuste Polit-Witz
… lautet: Wo geht es denn zum Aufbau Ost? Antwort: Immer den Bach runter.
Nun ja. Der stand schon am 21. Juli 2005 im “Tagesspiegel”, am 21. Januar 2005 im “Freitag” und am 11. November 2000 in der “Mitteldeutschen Zeitung”, die ihn in der “Wende-Revue” des “neuen theaters” gehört hatte.
Ja, es stimmt tatsächlich, “Bild” hatte am vergangenen Dienstag exklusiv berichtet, dass der Fußballnationalspieler Kevin Kuranyi einen Werbevertrag mit der Softwarefirma Microsoft unterschrieben hat. Oder, in den Worten von “Bild”:
Im Text, dessen einzige Quellen offenbar die Vermarktungsfirma Sportfive und Kuranyi selbst sind, heißt es so schön:
Was für ein Jahr für Kevin Kuranyi. (…) und jetzt ist er auch noch der begehrteste deutsche Spieler. Sogar US-Milliardär Bill Gates will ihn! Der reichste Mann der Welt holt sich (…) die besten Spieler der Welt (…). Und aus Deutschland eben Kuranyi! Nicht Ballack, nicht Kahn — für Microsoft ist der Schalke-Stürmer der richtige Mann.
Und dann darf Sven Müller von der Vermarktungsfirma Sportfive, die laut “Bild” den Kontakt zwischen Microsoft und Kuranyi hergestellt hat, ausführlich zu Wort kommen, Kuranyi ein wenig lobhudeln und mit folgenden Worten schließen:
“Mit der Firma Rogon und Roger Wittmann hat er ein seriöses Team um sich.”
Nun ja, wir wissen zwar nicht, warum dieses PR-Gewäsch diese Information unbedingt in den Text musste, dafür aber, dass man über die Seriosität der Firma Rogon geteilter Meinung sein kann, wie sich heute beispielsweise im “Tagesspiegel” nachlesen lässt, und wie es gestern im “KölnerExpress” stand.
Aber das sei hier nur nebenbei erwähnt. Ebenso wie die Tatsache, dass es sich bei dem Deal zwischen Microsoft und Kuranyi laut “Bild” um einen “Millionen-Vertrag” handeln soll, während “Express” und “Tagesspiegel” bloß von 200.000 Euro bzw. 300.000 bis 400.000 Dollar Honorar ausgehen.
Der “Express” macht auch ansonsten einen recht gut informierten Eindruck und wusste gestern schon, dass Lukas Podolski ein ähnliches Angebot der Firma Microsoft erhalten hatte:
Für Gates´ Imperium Microsoft sollte Poldi während der WM unter anderem ein Internet-Tagebuch führen. Dafür hätte der 20-Jährige 300.000 Euro kassiert. Podolskis Berater sagte ab.
In demselben Artikel konnte man gestern auch nachlesen, dass zuvor bereits Oliver Kahn und Michael Ballack entsprechende Anfragen “abgeblockt” hatten. Womit wir wieder bei “Bild” wären. Die schreibt nämlich heute, zwei Tage nach der Jubel-Meldung über den Deal zwischen Kuranyi und Microsoft und einen Tag nach dem “Express”-Artikel dies:
Aha. Der Text endet mit folgenden Worten:
Da hatten die zuerst gefragten Kahn, Ballack und Podolski ein besseres Gespür. Und das Angebot gleich abgelehnt…
Fassen wir also zusammen: Erst verbreitet “Bild” eine PR-Meldung mit Begeisterung als Exklusiv-Geschichte und überlässt die Recherche anderen. Und wenn die dann herausfinden, dass es gar keinen Grund zur Begeisterung gibt, ist “Bild” enttäuscht. Vom eigenen Überschwang bleibt bloß der Satz: “BILD berichtete exklusiv” — und Häme.
P.S.: Die Nachrichtenagentur dpa gab übrigens am Dienstag unter Berufung auf “Bild” eine Meldung heraus, die die Überschrift trug: “Kuranyi deutsche Werbe-Lokomotive für Microsoft — Millionenvertrag”. Und heute berichtet die “Netzeitung” über den “Ärger um Kuranyis Microsoft-Vertrag”. Dabei geht sie fälschlich davon aus, dass es sich bei den Absagen von Kahn, Ballack und Podolski um “Bild”-Informationen handelt. Auch nicht schön.
Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Hendrik G.
Anders als Bild.de gestern berichtete, soll die Hochzeit nicht am 31. Dezember stattfinden (“am allarletzten Dezembertag, also Silvestar“), sondern am 21. Dezember.
Und anders als Bild.de gestern berichtete, ist auch das Datum, von dem an gleichgeschlechtliche Partnerschaften in England geschlossen werden können, nicht der 31. Dezember, sondern der 21. Dezember.
Danke an Olek für den Hinweis!
Nachtrag, 13.35 Uhr. Lustig: Da steht die fehlerstrotzende Meldung einen Tag lang online, aber keine 45 Minuten, nachdem wir drüber geschrieben haben, ist sie korrigiert.
“Hast du das hier gelesen? Der Marilyn Manson, dieser fiese Gruseltyp, hat geheiratet, und die Zeremonie soll unreligiös gewesen sein.” — “Echt? Woher weißt du das?” — “Steht hier bei teenhollywood.com. Krass, oder?” — “Der Hammer. Sollen wir da mal recherchieren?” — “Ach quatsch, das kann man sich ja wohl vorstellen, wie sowas aussieht, so total unreligiös, ich schreib’s schnell auf.”
Die Zeremonie fand auf einem alten Schloß in Irland an statt. Diese Tatsache plus dem gruseligen Bräutigam hört sich ja irgendwie nach einer unheimlichen Hochzeit an. Wie “Teenhollywood” meldet, soll die Trauung absolut unreligiös gewesen sein. Den Rest kann man sich ja irgendwie ausmalen — falls das nicht die Grenzen der Vorstellungskraft überschreitet.
Was konkret die “Grenzen der Vorstellungskraft” von Bild.de überschritt, lässt sich etwa so zusammenfassen: Das Paar tauschte kein Blut aus, heiratete “ganz brav und ohne große Skandale”, gab sich “ganz gesittet” und lauschte dem deutschen Revue-Sänger Max Raabe. Etwas anderes deutet übrigens auch teenhollywood.com nicht an.