“Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner beklagt heute, wenn wir ihn richtig verstanden haben, dass man als Politiker nirgends mehr unbeobachtet ist. Schuld daran sei: der “totale Tourismus”.
(…) es gibt auf unserer Erde leider keinen Flecken mehr, wo ein verheirateter EU-Kommissar mit seiner Kabinettschefin unbegafft nackt baden kann. Wir leben nun einmal im totalen Tourismus, der auf Einzelschicksale keine Rücksicht nimmt.
Touristen knipsen alles, den schiefen Turm von Pisa und den nackten EU-Kommissar mit seiner ebenfalls nackten Bürochefin.
Ich wünschte, die Fotos gäbe es nicht. (…)
Zufälligerweise hat sich am vergangenen Sonntag auch der Komiker Michael Mittermeier über die Auswirkungen des, äh, totalen Tourismus geäußert. Auf SWR 1 sagte er:
Der “Bild”-Leser-Reporter ist meines Erachtens einfach eine böse, voyeuristische Aktion, die leider Gottes uns Leuten einfach schadet, uns Künstlern. Weil Leute dich wirklich verfolgen mit Foto-Handys. Und ich hab mich schon mit Leuten gestritten, die mich angemacht haben, weil sie sagen: Ey, wieso gönnst Du mir kein Foto, ich will 300 Euro verdienen, und da muss ich sagen: Das ist schon ‘ne ziemliche Sauerei. Weil: Wenn ich privat bin, bin ich privat. Und es geht nicht, jemanden zu fotografieren, wenn er im Tengelmann steht, ich meine, das ist wirklich eine böse Aktion.
Ungehemmt im Oberhemd (faz.net)
Vor kurzem waren sie der Schrecken der Lehrer, jetzt stehen sie vor der Kamera: Der Fotograf Philip Wente hat fünf Schüler der Berliner Rütli-Schule aus dem Klassenzimmer geholt und Modeaufnahmen mit ihnen gemacht.
Bakschisch und Bio-Bombe (fr-aktuell.de)
Das “Zentrum für investigativen Journalismus” in Sarajevo deckt Skandale auf.
Was sagte Beatrix? (jungle-world.com)
Das niederländische Königshaus hatte schon immer ein schwieriges Verhältnis zur Presse – aber die Medien sind nicht mehr zu kontrollieren.
Post an Wagner (persoenlich.com)
Der ehemalige Bunte-Chefredaktor Franz Josef Wagner hat “persönlich rot” ein vierstündiges, offenes Interview gewährt. Überraschend hat er dies nun zurückgezogen. Interviewer Matthias Ackeret schreibt an den Interviewten zurück.
Jagd auf Zeitungen (taz.de)
Mit “Kommersant” ist die letzte unabhängige Tageszeitung in Russland an einen Kreml-Vertrauten verkauft worden. Folgt jetzt die Gleichschaltung?
Der jüngste Tag (zeit.de)
Beruf und Kinder – geht das zusammen? Wir haben es ausprobiert. Henning Sußebach berichtet über den Tag, an dem 19 Kinder ihre Eltern in die Berliner ZEIT-Redaktion begleiteten.
Laut dem “7. Familienbericht der Bundesregierung” arbeiten deutsche Mütter verglichen mit Müttern aus anderen europäischen Ländern am wenigsten — ihre Freizeit ist ihnen wichtiger als die Hausarbeit!
Das ist haarsträubender Unsinn. “Bild” vermischt geradezu böswillig den Begriff “arbeiten” im Sinne von Geld verdienen mit “arbeiten” im Sinne von die Hausarbeit machen. Deutsche Mütter arbeiten laut Studie viel weniger, um Geld zu verdienen, als andere europäische Mütter. Aber deutsche Mütter arbeiten nicht weniger im Haushalt. Und dass ihnen ihre Freizeit wichtiger ist als die Hausarbeit, steht nirgends in dem Bericht.
“Bild” schreibt weiter:
Auf Seite 57 des 589 Seiten starken Berichts, den Familienministerin Ursula von der Leyen (47, CDU) gestern vorstellte, heißt es wörtlich: “Die geringste Präsenz am Arbeitsmarkt findet sich bei deutschen Müttern, die diese gewonnene Zeit aber nicht in Hausarbeit investieren, sondern in persönliche Freizeit.”
Klartext: Mütter in Deutschland gehen weniger arbeiten als Mütter in Frankreich, Norwegen oder Finnland. Doch statt dafür mehr Zeit im Haushalt und bei der Kinderbetreuung zu verbringen, genießen sie lieber ihre Freizeit.
Doch darin steckt, anders als “Bild” behauptet, kein “Vorwurf”. Und schon gar nicht der Gedanke der Faulheit. Die Statistik besagt einfach, dass deutsche Mütter deutlich seltener berufstätig sind als andere europäische Mütter. Die bezahlen für ihre Berufstätigkeit mit einem Verlust von Freizeit.
Betrachtet man die Zahlen im Detail, sieht man, dass deutsche Mütter sogar ein bisschen mehr Zeit mit Hausarbeiten verbringen — der Unterschied ist nur nicht so groß, dass er die Zeit ausgleicht, in der andere arbeiten gehen. Deutsche Frauen verbringen nach dem Bericht 45 Minuten mehr Zeit mit Hausarbeit als norwegische Frauen, 42 Minuten mehr als schwedische Frauen, 22 Minuten mehr als französische Frauen.
Der Gedanke, dass deutsche Mütter “faul” seien, entstammt also allein den Köpfen der “Bild”-Zeitungs-Redakteure.
Franz Josef Wagner (der aus der Studie zu schließen scheint, dass Mütter von heute zuviel Sex haben) behauptet im faktisch nachvollziehbaren Teil seiner Kolumne:
Liebe deutsche Mütter, laut neuem Familienbericht der Bundesregierung seid Ihr faul. 2 Stunden und 18 Minuten investiert Ihr in Hausarbeit (…)
Auch das stimmt laut Familienbericht nicht. 2 Stunden und 18 Minuten beträgt die Zeit, die deutsche Mütter mit Kinderbetreuung verbringen. Hinzu kommen noch 233 Minuten, also fast vier Stunden, für andere Hausarbeiten.
Im Übrigen sind all diese Zahlen, die “Bild” als “Schock-Bericht” bezeichnet, nicht neu, sondern fast zwei Jahre alt. Sie sind eine von vielen Datenquellen in dem neuen Familienbericht und stammen aus der Untersuchung “How Europeans spend their time — Everyday life of women and men — Data 1998-2002”, die am 27.07.2004 veröffentlicht wurde. Diese Quellen-Angaben stehen auch in dem jetzt vorgelegten Bericht, und zwar unmittelbar über dem Satz, den “Bild” jetzt so aufgeregt und falsch interpretiert.
Nachtrag, 12.30 Uhr. Der Gedanke, dass der Familienbericht deutsche Mütter als zu faul kritisiere, kam durch die “Rheinische Post” in die Welt. Die berichtete gestern früh exklusiv unter dem Titel “Familienbericht kritisiert die Mütter in Deutschland”. Bereits einige Stunden zuvor hatte sie einen Kommentar zum Thema mit dem Titel “Faule Hausfrau oder Rabenmutter” veröffentlicht. Auf dem Vorabbericht der “Rheinischen Post”, der u.a. von der Agentur AFP verbreitet wurde, beruhen andere irreführende Berichte von gestern, zum Beispiel bei “Spiegel Online”. Hans Bertram, der Vorsitzende der Sachverständigenkommission, die den Bericht erstellt hat, widersprach auf der Pressekonferenz ausdrücklich der Interpretation durch die “Rheinische Post”. Über dieses Dementi berichtete gestern nachmittag u.a. auch AFP. Der “Bild”-Zeitung lagen zum Zeitpunkt ihrer Berichterstattung also nicht nur die irreführende Meldung der “Rheinischen Post” und das Dementi vor, sondern auch der vollständige Familienbericht.
Wir müssen über den “Brief von Wagner” von gestern reden. Das ist, wie so oft bei den Kolumnen von Franz Josef Wagner, nicht so leicht, also fangen wir mit einem schlichten Fehler an:
Wagner behauptet, dass eine Berliner Schule ihren überwiegend aus ausländischen Familien stammenden Schülern “ab sofort” vorschreibt, auf dem Pausenhof ausschließlich deutsch zu sprechen. Dabei gilt die Regel schon seit fast einem Jahr.
Soweit die Kleinigkeiten.
Doch Wagner gibt in seinem Brief den “lieben türkischen Schülern” noch gute Ratschläge mit:
Wenn Deutschland zu Eurem Land werden soll, dann müßt Ihr fließend Deutsch sprechen. Oder Ihr übernehmt die Rolle der Indianer in Amerika. Straßenräuber, Drogenkranke, Geächtete.
Ohne Deutsch kein Schulabschluß, ohne Deutsch keine Lehrstelle, ohne Deutsch ein Indianer.
(…) Eine schöne Wohnung, ein Auto in der Garage, eine Topfpflanze auf dem Balkon, geachtet von den Nachbarn – all das kriegst Du, wenn Du deutsch kannst. In unserer Sprache heißt das Glück.
Hoppla. Die Rolle der Indianer in Amerika ist es, zugedröhnt unschuldige Leute zu überfallen? Wissen das die Indianer? Und hätten sie das verhindern können, wenn sie nur rechtzeitig
aufgehört hätten, ihre komischen Dialekte zu sprechen?
Da kommt man natürlich ins Grübeln, wie die amerikanische Geschichte verlaufen wäre, wenn die Indianer sich nur rechtzeitig an die Gepflogenheiten ihres Gastlandes… Moment: Gastland? Waren nicht die Indianer zuerst da? Wären dann nicht die Bleichgesichter die Türken Amerikas? Also quasi die Indianer? Oder, ganz anders, waren die Indianer einfach nicht integrationswillig genug, um es in der amerikanischen Geschichte zu einer anständigen Rolle zu bringen? Und wer hat hier auf dem Pausenhof wieder gekifft?
Und schon haben wir uns fröhlich in einer Kolumne von Wagner verlaufen und finden den richtigen Ausgang nicht mehr. Denn womöglich müsste man sich ernsthaft damit auseinandersetzen, dass Wagner unter der wirren Oberfläche hier eine klare Ideologie vertritt, welche Rolle Türken seiner Meinung nach in Deutschland haben sollten: brave Konsumenten, die ihren (deutschen) Nachbarn nicht unangenehm auffallen. Glückliche Türken sind die, die “wir” gar nicht als Türken erkennen.
Mallorca ist eine der schönsten Mittelmeer-Inseln und “Bild” manchmal sehr genau.
Im Juli beispielsweise hatte “Bild” ausführlich über Boris Becker und “seine Elena” berichtet. “Bild” wusste alles, naja: fast alles über seine “Mallorca-Bekanntschaft”: Mit was für einem Autotyp welcher Farbe Becker mit ihr über die Mittelmeer-Insel fuhr und so weiter. Und als “die süße Russin” Mallorca verlassen hatte, war “Bild” ihr auf den Fersen, wusste in welchem Stadtteil welcher Stadt sie wohnt, wer im selben Haus einen Tiefgaragenplatz hat und was genau auf ihrem Klingelschild steht. Und anschließend wussten all das auch Millionen “Bild”-Leser.
Nachtrag, 27.8.2005:
Sorry, wir müssen uns korrigieren. Aber ja: Denn Boris Becker gehört doch, wie Lafontaine, zur Riege ehemaliger “Bild”-Kolumnisten. Nach seinem ersten Wimbledon-Sieg nämlich hatte ihn “Bild” vier Jahre lang als Kolumnisten (angeblich für eine Jahresgage von rund einer Million Mark) verpflichtet gehabt. “Als Gegenleistung mußte der Gast-Autor etwa 20mal im Jahr Intimes aus seinem Leben zu Papier bringen lassen”, schrieb jedenfalls der “Spiegel” im Jahr 1989. Da war nämlich Schluss mit Beckers Kolumnistentätigkeit. Unklar ist, ob Becker “Bild” oder “Bild” Becker den Vertrag kündigte. Fest steht nur, dass die Zusammenarbeit vorzeitig endete, nachdem Becker in einem Interview mit der Zeitschrift “Sports” über “Bild” gesagt hatte:
“Ich konnte mich mit der Art und Weise, wie die Geschichten erfinden und auch mit den Methoden, wie sie arbeiten, nicht identifizieren.”
Mit Dank an Lorenz L. fürs vage, aber gute Erinnerungsvermögen.