Im Medienmagazin “Cover” (ab September erstmals auch am Kiosk zu kaufen) sagt “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann auf die Frage, welche Bilder von “Leid und Grauen” als Folge des internationalen Terrorismus im Boulevard-Journalismus “prinzipiell gezeigt” werden dürfen und welche nicht:
“Grundsätzlich ist nach dem Pressecodex auf ‘unangemessen sensationelle’ Gewaltdarstellungen zu verzichten. (…) Entscheidend ist immer der Informations- und Verdichtungsgehalt eines Fotos. Deshalb haben wir vor kurzem auch kein Foto der toten Lady Di im Unfallwagen veröffentlicht, weil es weder Informations- noch Verdichtungsgehalt besaß.”
Natürlich kann eine Zeitung, wenn sie will, auf ihrer Titelseite eine Kooperationsaktion großflächig bewerben. Wenn sie dann sowas wie “Sommer-Knaller von LIDL und BILD: Heute Eis für alle! Eins kaufen, eins geschenkt!” dazuschreibt, ist dagegen nichts zu sagen. Ganz hinten in der “In/Out”-List der “Bild” taucht am selben Tag allerdings auch folgende Empfehlung auf:
“Schlecken, z.B. mit dem supi-dupi‘Lidl’-zwei-für-ein-Eis-Angebot“
Aber was heißt das? Nur weil die “Bild” auf der Titelseite groß Werbung in eigener Sache macht, darf der Hinweis auf die Kooperation im redaktionellen Teil weggelassen werden?! Befragen wir doch den Pressekodex (Ziffer 7):
“Verleger und Redakteure (…) achten auf ein klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken.”
Ein Krankenpfleger hat gestanden, in einem Krankenhaus in Sonthofen zehn schwerkranke Patienten zu Tode gespritzt zu haben. Das ist erschütternd, aber möglicherweise nicht erschütternd genug. “40 Opfer?” fragte “Bild” groß am Mittwoch, aber irgendwie reichte das immer noch nicht. Am Donnerstag wuchsen noch einmal die Zahl und die Größe der Überschrift. “80 Opfer?”, lautete sie nun.
Jetzt zeichnet sich ab: Der Todespfleger mit den kräftigen Händen ist der größte Massenmörder seit Kriegsende!
Exakt das hatte sich für “Bild” schon am Tag zuvor abgezeichnet. Nach der eigenen Statistik könnte “Bild” den Pfleger längst zum “größten Massenmörder seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts” erklären, aber vielleicht sparen sie sich das für die nächsten Tage auf. (Mal abgesehen davon, dass in den Richtlinen des Presserates steht: “Auch wenn eine Täterschaft für die Öffentlichkeit offenkundig ist, darf der Betroffene bis zu einem Gerichtsurteil nicht als Schuldiger im Sinne eines Urteilsspruchs hingestellt werden.”)
Wie kommt “Bild” auf die Zahlen? Das Blatt zitiert den Staatsanwalt: “Ja, wir ermitteln jetzt schon in 80 Todesfällen in diesem Krankenhaus”. Bei dpa (und den anderen Nachrichtenagenturen) liest sich das etwas anders:
Staatsanwaltschaft und Kripo hätten weiterhin keine konkreten Hinweise auf weitere Opfer des in Untersuchungshaft sitzenden Mannes, wurde am Donnerstag mitgeteilt. Die Justiz untersucht insgesamt 80 Fälle. Es handelt sich dabei um alle Frauen und Männer, die während der Dienstzeit des Pflegers starben.
Im Klartext: Die Horror-Rechnung von “Bild” geht nur auf, wenn niemand, kein einziger Patient in diesem Krankenhaus, zwischen Mai 2003 und Juli 2004 während der Dienstzeiten des Pflegers eines natürlichen Todes gestorben wäre. Hinter die “Bild”-Frage “80 Opfer?” kann man also – nach allem, was man weiß – getrost ein “Nein” setzen.
Unter die Schlagzeile “1. Kandidatin in Psychiatrie” schreibt die “Bild”-Zeitung auf ihrer Titelseite:
“‘Big Brother’-Bewohnerin Ilkay (33) musste nach sechs Wochen im TV-Knast in die Psychiatrie eingewiesen werden.”
Und wenn das stimmen würde, wäre das vielleicht wirklich ‘n Ding! Immerhin gilt so eine Einweisung (auch Unterbringung genannt), wie sie die “Bild” beschreibt, hierzulande als Eingriff in die Freiheit der Person und ist deshalb laut PsychKG an allerlei Bedingungen geknüpft:
Es muss eine erhebliche Gefährdung bestehen, die nicht anders abgewendet werden kann.
Es muss eine Anordnung vom zuständigen Amtsgericht (wenn’s eilt, auch von der örtlichen Ordnungsbehörde) geben.
Nur: Bei “‘Big Brother’-Ilkay”war das alles nicht der Fall. Sie hat ihre Teilnahme an der Show bloß freiwillig beendet und einige Tage in einer Nervenklinik verbracht. Weiter nichts. Und selbst wenn… In den Richtlinen des Presserates heißt es:
“Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn und seine Angehörigen soll die Presse in solchen Fällen auf Namensnennung und Bild verzichten (…)”
PS: Nein, dass vor der “Bild” auch schon der “Focus” behauptet hatte, die Kandidatin habe sich “in die Psychiatrie einweisen lassen” müssen, macht die Sache nicht besser….
Was hat die 17-jährige Tochter von Uschi Glas getan, um gestern mit einem großen Foto neben den gewaltigen Worten “Drogen-Affäre” auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung zu landen? Sie hat sich möglicherweise eine Marihuana-Zigarette mit zwei Freundinnen geteilt. Möglicherweise, denn laut “Bild”-Text “vermutet” ein Polizist das nur wegen eines “süßlichen Geruchs”. Angeblich ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Soweit der Stand in der “Bild” vom Freitag: Große Schlagzeilen, bisschen dünne Faktenlage.
Am Samstag ist die “Bild” nicht schlauer. Im Gegenteil: Was Julia Glas konkret vorgeworfen wird, wird nicht mehr genannt. Unter der Schlagzeile “Hat Uschi Glas mit ihren Kindern etwas falsch gemacht?” ist die Rede vage von “Schlagzeilen”, von “gegenwärtigem Wirbel”, von “immer neuen Sorgen”. Darunter steht, wie zufällig, ein Artikel darüber, dass “jeder 4. deutsche Jugendliche schon Cannabis geraucht hat”. Jede Zeile, jedes Foto illustriert und wiederholt implizit den Vorwurf gegen die 17-jährige, ohne ihn ausdrücklich zu nennen. Weil er falsch war? Oder weil “Bild” ihn nicht hätte veröffentlichen dürfen? In den Richtlinen des Presserates heißt es:
Bei der Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jugendliche […] soll die Presse mit Rücksicht auf die Zukunft der Betroffenen besondere Zurückhaltung üben.