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Hunger nach Kannibalismus

Man will es bei “Bild” offenbar einfach nicht einsehen, deshalb noch mal: Wer kein Menschenfleisch verzehrt, ist kein Kannibale.

Und trotzdem stand in der gestrigen Berliner “Bild”-Ausgabe diese Doppelseite:

Das Wort “Kannibale” findet sich dort nicht nur in der Überschrift, sondern auch in zwei Bildunterzeilen – und im Text wird Ralf M. weitere vier mal als Kannibale bezeichnet. Und das, obwohl “Bild” nebenan sogar einen Auszug der Anklage abdruckt, aus der sich deutlich entnehmen lässt, dass es eben nicht zu Kannibalismus kam. Man muss also davon ausgehen, dass “Bild” den Angeklagten absichtlich und wider besseres Wissen als Kannibalen bezeichnet.

Außerdem geht es hier mal wieder um Ziffer 13 des Pressekodex’. Obwohl dort und in den Richtlinien dazu eindeutig festgelegt ist, dass Verdächtige vor einem gerichtlichen Urteil nicht als Schuldige hingestellt werden dürfen, tut “Bild” mal wieder genau das (wie sich auch in der Online-Version des Berichts auf Bild.de nachlesen lässt).

Möglicherweise kann man auch darüber streiten, ob die Fotos, die “Bild” zur Illustration des Artikels gewählt hat, Ralf M. aussehen lassen, wie ein Raubtier im Käfig. Man kann darüber streiten, ob es wirklich notwendig und angemessen ist, detaillierte, “grausige” (“Bild”) Auszüge der Aussage des Gerichtsmediziners abzudrucken. Und man kann darüber streiten, ob man Ralf M.s Geständnis, das “Bild” im Wortlaut abdruckt, tatsächlich als “Grusel-Geständnis” qualifizieren muss. Es gibt jedenfalls Passagen darin, die dem Eindruck widersprechen, es handele sich bei dem Angeklagten um ein gewissen- und willenloses Monster:

“Ich selbst stehe den Vorwürfen fassungslos gegenüber und finde nur unzureichende Erklärungen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. (…)
Mir ist bewußt, daß dieser Teil meines Ichs medizinisch behandelt werden muß. Ich hoffe, mit Hilfe von Ärzten irgendwann einmal wieder ein normales Leben führen zu können.
Für die von mir begangene Tat schäme ich mich. (…)
Mir ist bewußt, welch schwere Schuld ich auf mich geladen habe. (…)
Bis zu der Tat habe ich irrig geglaubt, meine Fantasien im Griff zu haben. (…)
Ich weiß, daß ich in den nächsten Jahren unter gesicherten Bedingungen behandelt werden muß.”

Wie gesagt, “Bild” druckt all das im Wortlaut ab, und schreibt trotzdem darüber:

Sperrt ihn weg, er hat wieder Hunger!

Und in eine Bildunterzeile:

Offenbar hat er immer noch Hunger auf Menschenfleisch

Oder in der Bild.de-Version:

Denn Ralf M. hat immer noch Hunger auf Menschenfleisch!

Ob also die Art und Weise, wie “Bild” die Geschichte präsentiert, entwürdigend ist, und ob sie den Angeklagten Ralf M. wie einen tumben Zombie darstellt, der einzig und allein von seinem Hunger auf Menschenfleisch getrieben ist, darüber müsste man jetzt vermutlich immer noch streiten — wenn auch nur mit “Bild”.

Nachtrag, 6.5.:
Man könnte glatt meinen, “Bild” versuche heute sich für ihre “Kannibalen-Berichterstattung” zu rechtfertigen. Auf Seite acht der Berliner “Bild”-Ausgabe steht nämlich ein fast ganzseitiger Artikel, der die Überschrift trägt, “Jetzt winselt der Berliner Kannibale! Ich fühle mich wie ein gefährliches Tier im Käfig”. Und im Text wird Ralf M. folgendermaßen zitiert: “Ja, ich bin ein Kannibale, und ich fühle so wie einer.” Aber, liebe “Bild”-Mitarbeiter, mal angenommen, irgend eine geistig derangierte Person käme auf die obskure Idee, sich als “Bild”-Chefredakteur und Herausgeber zu bezeichnen, würden Sie ihn dann auch so nennen und darstellen?

Frannie Avery beim Sex – jetzt auf DVD!

Die härtesten Sex-Szenen der schönen Meg Ryan

Heißer Sex in den wildesten Stellungen – so sexy und nackig haben wir Meg Ryan bislang nur im Kino sehen können! Doch ab heute gibt es den Film “In the Cut” mit Hollywood-Schauspielerin (“Harry & Sally”) auf DVD. Und nicht nur das: BILD zeigt Bilder der schärfsten F***-Szenen und verrät, wie Sie sich den Weg in die Videothek sparen und den Sex-Thriller sogar online ausleihen und ungestört auf dem Computer ansehen können. (…)

Schon möglich, dass die hier vorangestellten Sätze den Eindruck erwecken, “Bild” mache darin Werbung für eine DVD und eine Online-Videothek. Doch der Eindruck trügt. Die vorangestellten Sätze stammen nämlich gar nicht aus der “Bild”-Zeitung. Stattdessen sind sie frei erfunden, um zu demonstrieren, wie es hätte aussehen können, wenn eine Boulevardzeitung wie “Bild” Ihren Lesern mitteilen möchte, dass Kopien des Kinofilms “In the Cut” aus dem Jahr 2003 ab heute käuflich zu erwerben und (bereits seit dem 10. Februar) auszuleihen oder online herunterzuladen sind. Das hätte dann zwar immer noch verdammt nach einem unlauteren Deal mit dem DVD-Vetrieb EuroVideo und dem Internet-Videoverleih Amango.de ausgesehen, widerspräche womöglich dem Pressekodex Ziffer 7, dem Mediendienstestaatsvertrag § 13 und/oder den im Abschnitt “Werbung” formulierten journalistischen Leitlinien des Axel Springer Verlags, wäre aber zumindest sachlich richtig.

In Wirklichkeit hat sich “Bild” jedoch für die mutmaßlich irreführende Überschrift “So hart liebt’s die schöne Meg Ryan” entschieden und die Werbung Berichterstattung online mit einer, ähm, vielversprechenden Bilderschau (ähm, siehe Ausriss) angereichert, die ebenfalls den sinnfälligen Unterschied zwischen Schauspielerin (Meg Ryan) und Rolle (Frannie Avery) ignoriert und sich “So liebt die schöne Meg Ryan” nennt, obwohl das natürlich völliger Quatsch ist.

Allgemein  

Auszüge aus dem “Medien-Pranger”

Aus gegebenem Anlass soll hier doch einmal in aller Deutlichkeit auf Ziffer 13 des Presskodexes hingewiesen werden und insbesondere auf die Richtlinien dazu:

Bis zu einer gerichtlichen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung, auch im Falle eines Geständnisses. Auch wenn eine Täterschaft für die Öffentlichkeit offenkundig ist, darf der Betroffene bis zu einem Gerichtsurteil nicht als Schuldiger im Sinne eines Urteilsspruchs hingestellt werden. (…)Vorverurteilende Darstellungen und Behauptungen verstoßen gegen den verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde, der uneingeschränkt auch für Straftäter gilt. Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines “Medien-Prangers” sein. Daher ist zwischen Verdacht und erwiesener Schuld in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.

Hier einige Zitate aus Artikeln, die seit der Festnahme des mutmaßlichen Mörders von Levke und Felix, Marc H., in “Bild” und/oder auf Bild.de erschienen sind:

31 Wochen nach dem brutalen Mord an der 8jährigen Levke ist der Täter endlich gefaßt: Es ist Marc H. (31) (…)
Bild.de vom 9.12.04

Unfaßbar: Der Killer hat selbst zwei kleine Töchter!
Bild.de vom 9.12.04

Wer ist dieses Monster?
Bild.de vom 9.12.04

Levkes Mörder – Seine geschockte Ex-Frau: Er war so ein lieber Vater…
Bild.de vom 10.12.04

Der Mann, den sie liebte, ist der Mörder der kleinen Levke.
Bild.de vom 10.12.04

Der Killer machte eine Lehre zum Installateur (…)
Bild.de vom 10.12.04

Vor zwei Jahren bekam der Killer mit Ehefrau Anja Töchterchen Sophie-Andrea.
Bild.de vom 10.12.04

Hat der Killer auch Tochter Laura mißbraucht?
Bild.de vom 10.12.04

Levkes Mörder: Schon als Junge haßte er Mädchen
Bild.de vom 12.12.04

Der Junge heißt Marc. 25 Jahre später wird er zum Mörder der kleinen Levke († 8).
Bild.de vom 12.12.04

Sein letztes Opfer wurde Levke.
Bild.de vom 12.12.04

Jetzt spricht die Mutter des Levke-Killers
Bild.de vom 13.12.04

Ihr Sohn hat ein 8jähriges Mädchen bestialisch getötet.
Bild.de vom 13.12.04

Fünf Tage nach der Festnahme und dem Geständnis des Mädchenmörders Marc H. (…)
Bild.de vom 13.12.04

Bei der Suche nach möglichen weiteren Opfern des Doppelmörders (…)
Bild.de vom 8.1.05

Aber der Mann hat Levke ermordet und jetzt den kleinen Felix.
“Bild” vom 10.1.05

(…) Marc Hoffmann (31), der Mörder von Levke (8) und Felix (8) (…)
“Bild” vom 11.1.05

Ist Doppelmörder Marc Hoffmann etwa auch der „schwarze Mann“ (…)
“Bild” vom 11.1.05

Zweifacher Kindermörder Marc Hoffmann – Wieso bekam die Bestie das Sorgerecht für die kleine Tochter?
“Bild”vom 12.1.05

Der Killer hatte ausgesagt, das Rad dort ins Wasser geworfen zu haben.
“Bild” vom 12.1.05

Hier versteckte er nach dem Mord an Levke auch die Habseligkeiten des Mädchens.
“Bild” vom 12.1.05

Zärtlich umarmt die Tochter (10) ihren Vater Marc Hoffmann, den Kinderkiller.
Bild.de in einer Fotogalerie

Kindermörder Marc Hoffmann
Fotounterzeile auf Bild.de in diversen Artikeln über Marc H.

Kindermörder Hoffmann nach Bedrohung durch Häftlinge verlegt
Bild.de vom 12.1.05

Diese Zusammenstellung ist nicht vollständig.

Unbezahlbare Berichterstattung

Artikel zu produzieren, die kommerzielle und journalistische Interessen vermischen, inaktuell sind oder fehlerhaft, das gehört bei “Bild” zum täglichen Alltag. Manchmal aber packt auch die “Bild”-Redakteure der Ehrgeiz. Dann strengen sie sich richtig doll an und produzieren ein Stück, das alles gleichzeitig enthält. Ein inaktuelles, fehlerhaftes Stück Schleichwerbung quasi.

Und das in einem Artikel, das weniger als 50 Wörter lang ist. Es geht um den heutigen “Gewinner des Tages”:

Er macht das Fernsehen in Deutschland wieder spannend: Manuel Cubero (41), Vizepräsident Digital TV bei Kabel Deutschland, bringt 30 neue Sender auf unsere Bildschirme! Für nur 9 Euro/Monat können Kabelnutzer die neuesten Hollywood- und Disney-Streifen sehen. Dazu Doku-Filme, “Playboy-TV” und “BibelTV”.

BILD meint: Besser als ständige Wiederholungen!

Erstens. Sinn des Textes ist es offensichtlich, freundlich darauf hinzuweisen, dass ein kommerzielles Unternehmen ein bestimmtes Produkt zum Kauf anbietet. Solche Texte nennt man gemeinhin nicht “Artikel”, sondern “Anzeigen” und nicht “Journalismus”, sondern “Werbung”. Zeitungen haben nach dem Pressekodex dafür Rechnung zu tragen, dass man das eine vom anderen unterscheiden kann. Das gilt auch für “Bild”.

Zweitens. Das Angebot “Kabel Digital HOME”, das in “Bild” beschrieben wird, ist kein neues Angebot, sondern besteht seit fast einem Vierteljahr. Am 27.09.2004 hatte Kabel Deutschland seine Einführung bekannt gegeben. Mitte November bereits hatte (wie berichtet) bild.de in einer Anzeige in einem Artikel darüber berichtet dafür geworben.

Drittens. Kabel Deutschland bringt keineswegs “30 neue Sender” auf unsere Bildschirme. Bei den Sendern handelt es sich zum Teil um längst bestehende Programme wie 13th Street, Sci Fi, Planet und Bibel-TV. Kabel Deutschland selbst wirbt aus guten Grund nicht mit 30 “neuen”, sondern “zusätzlichen” Kanälen.

Viertens. Im 9-Euro-Paket von Kabel Deutschland laufen keineswegs die “neuesten Hollywood- und Disney-Streifen”. Als seine Weihnachtshighlights bezeichnet Kabel Deutschland selbst die Filme Jurassic Park I bis III (1998 bis 2001) und “Der letzte Kaiser” (1987).

Fünftens. “Bild” schreibt, das Programm sei “besser als ständige Wiederholungen”. Tatsächlich besteht es im Wesentlichen aus ständigen Wiederholungen. Der Kanal “Kinowelt TV” z.B. zeigt “legendäre Hollywoodstreifen”, “Klassiker” und “Spielfilmhighlights aus einer der größten Filmbibliotheken Deutschlands”. “BBC Prime” wiederholt beliebte BBC-Programme. Der Sci-Fi-Kanal wiederholt im Dezember 6 “Star Trek”-Filme. Kein Kanal im Paket zeigt auch nur annähernd so wenige Wiederholungen wie ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Pro Sieben.

Fazit: Da muss aber richtig was schief gelaufen sein bei “Bild”. Denn es wäre ja undenkbar, dass man sich als Unternehmen die anlasslose Erklärung zum “Gewinner des Tages” in “Bild” einfach erkaufen kann. Und dass man die Fehler quasi gleich mitkauft, durch die das Angebot in einem noch besseren Licht als in der eigenen Werbung dasteht. Und dass man sich sogar den Zeitpunkt der Erwähnung noch aussuchen kann: aus journalistischer Sicht verspätet, aber gerade noch rechtzeitig zum Weihnachtsfest.

“Super unterhaltsam”

Eine durchschnittliche Schlagzeile bei Bild.de, mit der “die multimedialen Erweiterung der Marke BILD” auf einen der stets unabhängigen und überparteilichen Artikel in “Bild” oder “BamS” hinweisen will, sieht so aus:

Oder so:

Vielleicht auch so:

Oder beispielsweise so:

Oder etwa so?

Nein! Denn hinter dieser Ankündigung finden sich bloß allerhand Texte über ein Kabelfernsehangebot namens “Kabel Digital”, die sich optisch und inhaltlich kaum von den Promo-Texten auf der “Kabel Digital”-Website unterscheiden. Vor allem aber, dass dann auch noch “Bild.T-Online-Redakteur Andreas Koesler” ins Spiel kommt (“Bild.T-Online-Redakteur Andreas Koesler hat einen Tag lang getestet, wie gut das Angebot wirklich ist”), der das alles “super unterhaltsam” findet, hat mit der im Pressekodex (Ziffer 7) festgeschriebenen “Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken” endgültig nur noch wenig zu tun. Und vielleicht sogar gar nichts.

Nachtrag, 10:54: Naja, die augenscheinliche Vermischung von Inhalt und Werbung bei Bild.de hat sogar noch weniger mit dem Pressekodex zu tun als behauptet, sorry. Denn für Diensteanbieter wie Bild.de gilt ja der Mediendienstestaatsvertrag, in dessen Paragraph  13 es allerdings ebenfalls ausdrücklich heißt: “Werbung muss als solche klar erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein.”

Outing

Dass “Bild” in ihrer “In & Out”-Liste gelegentlich den Eindruck erwecken kann, es werde dort die Grenze zur Schleichwerbung überschritten, ist journalistisch gesehen bedenklich, aber bekannt. Am gestrigen Donnerstag zum Beispiel war für “Bild” die am Montag erscheinende “‘BILD-Volksbibel’ zum Supergünstigpreis von 9,95 Euro” ganz doll “in”.

Aber dass gestern in der (derzeit von Kai Diekmann geleiteten) “Bild” als erstes “Der gegelte Wet-Fett-Look auf dem Kopf” auf der “out”-Seite steht, gibt einem dann doch zu denken

Mit Dank an Gunther S. für den sachdienlichen Hinweis.

Ich brauche mehr Details!

Wir waren zwar nicht dabei, können uns aber lebhaft vorstellen, wie bei “Bild” hektische Betriebsamkeit ausbrach, als am Sonntag die folgende Meldung der Nachrichtenagentur dpa einging:

Ein 26 Jahre alter Mann hat vermutlich aus Eifersucht (…) seine 23-jährige Freundin (…) getötet. Er soll in der Nacht zu Sonntag seine Lebensgefährtin geschlagen, gewürgt und mit einem Messer auf sie eingestochen haben. (…) Nachdem die Frau eine Kurznachricht über Handy erhalten hatte, kam es zu der Auseinandersetzung. Der 26-Jährige vermutete als Absender einen heimlichen Liebhaber.

Bis in den Wortlaut hinein können wir uns ausmalen, wie bei “Bild” Aufträge erteilt werden, wie jemand beispielsweise ruft, “Besorgt das Handy!”

Na, egal. “Bild” kann heute jedenfalls mit Einzelheiten aufwarten, die sich nicht mal eben problemlos in einer Agenturmeldung nachlesen lassen. Zum Beispiel kennt man bei “Bild” den Text der Kurzmitteilung (“Schlaf gut. Träum von mir (Scherz). Bussi, hab’ dich lieb!”) und den Zeitpunkt (“Es war 0.01 Uhr”), die Print-Ausgabe kennt außerdem das SMS-Signal (“Viermal piepste es”), während online wiederum aufgeschrieben steht, wie es genau weiter ging (“Daniel K. (26) griff nach dem Handy, las den Text und tobte vor Eifersucht”). Und nachdem “Bild” am Montag schon nacherzählen konnte, was die Frau kurz vor ihrem Tod gesagt hatte (“Bianca verteidigte sich, sagte, sie habe sich nur austoben wollen”), kennt Bild.de mittlerweile sogar den Wortlaut (“Stell dich nicht so an. Ich will mich einfach ein bißchen austoben”).

Dumm nur, dass trotz so viel Detailwissen lediglich in einem der drei Artikel die Todesursache stimmt. So hieß es gestern, der Mann “erwürgte” seine Freundin. In dem Artikel auf “Bild”-Online mit heutigem Datum steht, sie sei “erschlagen” worden und in der heutigen Druckausgabe endlich, dass sie “erstochen” wurde.

Mehr als dumm, dass der Beschuldigte in der Online-Ausgabe kurzerhand als “Mörder” vorverurteilt wird, (“Während Bianca M. starb, verging sich ihr Mörder noch an ihr”), obwohl doch, wie sich auch in der gedruckten “Bild” nachlesen lässt, bislang lediglich Haftbefehl wegen Totschlags erlassen wurde.

Aber wen interessieren schon solche Details?

Nachtrag, 27.10., 0.30 Uhr: Obiger Satz, der besagt, dass “in der heutigen Druckausgabe endlich” stünde, die junge Frau sei “erstochen” worden, stimmt so nicht. Tatsächlich hat die wahre Todesursache, die seit Montagnachmittag bekannt ist, es nämlich nur in die Dienstags-Ausgabe von “Bild” Berlin/Brandenburg geschafft. In der überregionalen Ausgabe hieß es, genau wie auf Bild.de, die Frau sei “erschlagen” worden.

neu  

“Lust-Seuche” wieder ausgebrochen

Dieser Artikel auf “Bild”-Online stammt vom 14. Oktober des Jahres 2004. Er trägt folgende Überschrift:

Lust-Seuche besiegt? Forscher erfindet Creme gegen AIDS

Damit das klar ist: Es geht in dem Artikel nicht darum, dass AIDS auch nur ansatzweise besiegt ist, es besteht lediglich die Möglichkeit, dass ein Mittel gefunden wurde, das die Übertragung des Virus verhindert – zusätzlich zum Kondom.

Dass “Bild” es mit der Berichterstattung über die Immunschwächekrankheit AIDS zuweilen nicht so genau nimmt, wissen wir ja schon. Dass der Pressekodex in Ziffer 14 ganz spezielle Richtlinien für die Berichterstattung über medizinische Themen enthält, erwähnen wir nur der Vollständigkeit halber – Wie aber kommt “Bild” dazu, hier plötzlich den Begriff “Lust-Seuche” zu verwenden?

Nur zur Erinnerung: die Ansteckung mit HIV kann durch vier Körperflüssigkeiten erfolgen, das sind Samen- und Scheidenflüssigkeit sowie Blut und Muttermilch – ob man bei der Übertragung Lust empfindet oder nicht, ist gänzlich unerheblich.

We are the Champions X, Teil 2

“Bild” Frankfurt setzt da noch einen drauf, druckt das Bild von Seite 1 auf Seite 9 noch mal in groß, titelt: “BILD macht’s möglich: Donnerstag ist Bestsellertag”, schreibt drunter noch mal ausführlich auf, was “der berühmte Literaturkritiker Hellmuth Karasek” bei der “Bestseller”-Präsentation am gestrigen Morgen so alles erzählen durfte, und lässt “Prominente schwärmen: ‘Die BILD-Bibliothek ist Volksbildung’.” Über alldem steht: “Die Buchmesse in BILD Frankfurt”, obwohl “BILD in BILD Frankfurt” eigentlich ja besser gepasst hätte.

“Veröffentlichungen [müssen] so gestaltet sein, dass die Werbung für den Leser als Werbung erkennbar ist” bzw. “Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material sowie bei der Abfassung eigener redaktioneller Hinweise durch die Redaktionen”,

steht im Pressekodex.

Ach ja, übrigens: Auch die “Süddeutsche” wirbt heute für ihre “SZ-Bibliothek” – mit einer separaten Anzeige und dem netten Claim:

Jenseits von Wahrheit und Wirklichkeit

Das ist jetzt etwas komplizierter. Deshalb der Reihe nach:

1. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ja des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil gefällt, das Fragen der Pressefreiheit betrifft (und hier in Kurzform nachgelesen werden kann). Das EU-Urteil ist umstritten, und bis zum 25.09.2004 hat die Bundesregierung Gelegenheit, die EU-Entscheidung anzufechten.

2. Aus diesem Grund wurde Gerhard Schröder kürzlich ein offener Brief überreicht und in der “Welt” abgedruckt, in dem u.a. Mathias Döpfner den Kanzler ersuchte, gegen das o.g. Urteil vorzugehen. Aber das nur nebenbei.

3. An diesem Wochenende nun erreichte den Kanzler noch ein weiterer offener Brief – diesmal unterschrieben von Kai Diekmann und Claus Strunz sowie weiteren 37 Chefredakteuren unterschiedlichster Provenienz.

Das Schreiben ist vergleichsweise jovial gehalten. Es werden darin sogar ein paar Berichterstattungsfälle aus der Vergangenheit herbeizitiert, die nach dem EU-Urteil “unzulässig” würden: die “private Adlon-Sause” des (offenbar vornamenlosen) Ernst Welteke beispielsweise oder “das wenig adelige Verhalten des Prinzen Ernst August von Hannover am türkischen Expo-Pavillon”. Und weiter heißt es:

“Wie sich diese Personen sonst verhalten, mit wem sie sich treffen, mit wem sie Geschäftskontakte haben oder von wem sie sich den Urlaub bezahlen lassen, darf dann nicht mehr berichtet werden.”

Wie die 39 Unterzeichner darauf kommen, dass dergleichen unzulässig werden könne, steht leider nicht in dem Brief. Muss ja auch nicht. Ist schließlich nur ein Brief.

In einer Zeitung allerdings, in einer ZEITUNG, wo für gewöhnlich eingeordnet, kommentiert, erklärt wird, sieht die ganze Sache dann schon ganz anders aus. Doch auch in der vom Co-Unterzeichner Strunz verantworteten “Bild am Sonntag”, die das Schreiben in ihrer heutigen Ausgabe quasi weltexklusiv im Wortlaut dokumentiert, fehlt jegliches Wieso-weshalb-warum. Genau so wie der Hinweis, dass das EU-Urteil für Publikationen über Politiker Ausnahmen zulassen will und sich ohnehin ausdrücklich (deshalb hier noch mal der dazugehörige Link) auf die Veröffentlichung von Paparazzi-Fotos bezieht.

Stattdessen heißt es in Brief und “BamS” nur, es entstünde womöglich “ein Bild jenseits von Wahrheit und Wirklichkeit”. Und das kann ja wirklich keiner wollen.

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