So stand es am 10. Juni in “Bild” (und steht noch so bei Bild.de).
Der Deutsche Presserat hat die “Bild”-Zeitung deshalb jetzt öffentlich gerügt*. Die “Tatsachenbehauptung” in der Überschrift ist laut Presserat eine “Vorverurteilung” und als Verstoß gegen Ziffer 13 des Pressekodex“nicht akzeptabel”. Weiter heißt es (mit Hinweis auf die Pressekodex-Ziffer 8):
“Zudem wurde ein Foto des vermeintlichen Täters veröffentlicht, auf dem er klar erkennbar ist. Dadurch wurden die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verletzt.”
Und es ist, um es mal so zu sagen, nicht die erste Rüge, die gegen “Bild” ausgesprochen wurde. Im Gegenteil: Die “Bild”-Zeitung wird überdurchschnittlich häufig gerügt (allein in den letzten zehn Jahren fast 70-mal) und begeht viele Verstöße immer wieder.
Den aktuellen Anlass nutzend, dokumentieren wir alle öffentlichen und nicht-öffentlichen Rügen der “Bild”-Zeitung (zunächst von 2002 bis 2004).
PS: Nicht gerügt wurde die “Bild”-Zeitung dafür, dass sie im August 2005 mit großer Konsequenz immer wieder gänzlich unverfremdete Fotos von der minderjährigen Tochter einer Frau zeigte, die neun ihrer Kinder getötet haben soll. Auf Nachfrage erfahren wir vom Beschwerdereferenten, dass eine von uns eingereichte Beschwerde den Presserat jedoch dazu veranlasste, eine Missbilligung der “Bild”-Berichterstattung auszusprechen.
*) “Es entspricht fairer Berichterstattung, vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen.” (Pressekodex Ziffer 16 mit einem Link von uns.)
“Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.”
* * *
Richtlinie 8.1 – Nennung von Namen/Abbildungen
(1) Die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern und Tätern in der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (siehe auch Ziffer 13 des Pressekodex) sind in der Regel nicht gerechtfertigt. Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen.
(2) Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen gerechtfertigt sein.
(3) Bei Familienangehörigen und sonstigen durch die Veröffentlichung mittelbar Betroffenen, die mit dem Unglücksfall oder der Straftat nichts zu tun haben, sind Namensnennung und Abbildung grundsätzlich unzulässig.
(4) Die Nennung des vollständigen Namens und/oder die Abbildung von Tatverdächtigen, die eines Kapitalverbrechens beschuldigt werden, ist ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn dies im Interesse der Verbrechensaufklärung liegt und Haftbefehl beantragt ist oder wenn das Verbrechen unter den Augen der Öffentlichkeit begangen wird. Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.
(5) Bei Straftaten Jugendlicher sind mit Rücksicht auf die Zukunft der Jugendlichen möglichst Namensnennung und identifizierende Bildveröffentlichungen zu unterlassen, sofern es sich nicht um schwere Taten handelt.
(6) Bei Amts- und Mandatsträgern können Namensnennung und Abbildung zulässig sein, wenn ein Zusammenhang zwischen Amt und Mandat und einer Straftat gegeben ist. Gleiches trifft auf Personen der Zeitgeschichte zu, wenn die ihnen zur Last gelegte Tat im Widerspruch steht zu dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihnen hat.
(7) Namen und Abbild Vermisster dürfen veröffentlicht werden, jedoch nur im Benehmen mit den zuständigen Behörden.
Richtlinie 8.2 – Schutz des Aufenthaltsortes
Der private Wohnsitz sowie andere Orte der privaten Niederlassung, wie z. B. Krankenhaus-, Pflege-, Kur-, Haft- oder Rehabilitationsorte, genießen besonderen Schutz.
Richtlinie 8.3 – Resozialisierung
Im Interesse der Resozialisierung müssen bei der Berichterstattung im Anschluss an ein Strafverfahren in der Regel Namensnennung und Abbildung unterbleiben.
Richtlinie 8.4 – Erkrankungen
Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn und seine Angehörigen soll die Presse in solchen Fällen auf Namensnennung und Bild verzichten und abwertende Bezeichnungen der Krankheit oder der Krankenanstalt, auch wenn sie im Volksmund anzutreffen sind, vermeiden. Auch Personen der Zeitgeschichte genießen über den Tod hinaus den Schutz vor diskriminierenden Enthüllungen.
Richtlinie 8.5 – Selbsttötung
Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt.
Richtlinie 8.6 – Opposition und Fluchtvorgänge
Bei der Berichterstattung über Länder, in denen Opposition gegen die Regierung Gefahren für Leib und Leben bedeuten kann, ist immer zu bedenken: Durch die Nennung von Namen oder die Wiedergabe eines Fotos können Betroffene identifiziert und verfolgt werden. Gleiches gilt für die Berichterstattung über Flüchtlinge. Weiter ist zu bedenken: Die Veröffentlichung von Einzelheiten über Geflüchtete, die Vorbereitung und Darstellung ihrer Flucht sowie ihren Fluchtweg kann dazu führen, dass zurückgebliebene Verwandte und Freunde gefährdet oder noch bestehende Fluchtmöglichkeiten verbaut werden.
Richtlinie 8.7 – Jubiläumsdaten
Die Veröffentlichung von Jubiläumsdaten solcher Personen, die sonst nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen, bedingt, dass sich die Redaktion vorher vergewissert hat, ob die Betroffenen mit der Veröffentlichung einverstanden sind oder vor öffentlicher Anteilnahme geschützt sein wollen.
Richtlinie 8.8 – Datenübermittlung
Alle von Redaktionen zu journalistisch-redaktionellen Zwecken erhobenen, verarbeiteten oder genutzten personenbezogenen Daten unterliegen dem Redaktionsgeheimnis. Die Übermittlung von Daten zu journalistisch-redaktionellen Zwecken zwischen den Redaktionen ist zulässig. Sie soll bis zum Abschluss eines formellen datenschutzrechtlichen Beschwerdeverfahrens unterbleiben. Eine Datenübermittlung ist mit dem Hinweis zu versehen, dass die übermittelten Daten nur zu journalistisch-redaktionellen Zwecken verarbeitet oder genutzt werden dürfen.
die “Bild”-Zeitung zeigt mit großer Konsequenz immer wieder Fotos von der einjährigen Tochter der Frau, die in der Nähe von Frankfurt/Oder neun ihrer Kinder getötet haben soll. Gezeigt wird das Kleinkind am 9. August auf Seite 6 in der Badewanne (“Was wird aus der kleinen Elisabeth?”), am 10. August auf Seite 7 auf dem Arm ihrer Mutter (“Todes-Mutter bricht mit ihrer Familie!”), am 15. August auf Seite 8 ebenfalls auf dem Arm ihrer Mutter (“Todesmutter weint im Knast um ihre Kinder”) (alle Seitenangaben Ausgabe Berlin-Brandenburg). Die Fotos sind nicht verfremdet, das Mädchen ist vor allem auf dem Foto in der Badewanne eindeutig zu identifizieren.
Laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes genießen Kinder einen besonderen Schutz gegenüber Veröffentlichungen in der Presse. Nach dem Pressekodex ist die Abbildung von Opfern und Tätern in der Berichterstattung über Straftaten in der Regel nicht gerechtfertigt (Richtlinie 8.1, Ziffer 1) und bei Familienangehörigen, die mit der Straftat nichts zu tun haben, grundsätzlich unzulässig (Richtlinie 8.1, Ziffer 3). In der Vergangenheit hat der Presserat auch Veröffentlichungen von Fotos von Kindern, selbst wenn ein Balken über die Augen gelegt wurde (was “Bild” nicht getan hat), als unzulässig gerügt.
Mit freundlichem Gruß
BILDblog.de
Nachtrag, 19. August: Am 18. August war das Gesicht des Mädchens in der “Bild” Berlin-Brandenburg ungekenntlich gemacht.
So richtig nachvollziehbar ist es nicht, warum “Bild” am 3. August einen Bericht über Zerkarien im Kellersee bei Eutin (Kreis Ostholstein) mit einem Foto vom Großen Plöner See in Plön (Kreis Plön) bebilderte.
Dass die “Bild”-Zeitung darüber hinaus am 7. Februar einen Artikel über “Terror-Schüler” an einer Berufsbildenden Schule in Hannover mit einer Fotomontage bebilderte, die gar nicht die Berufsbildende Schule, sondern stattdessen das unbescholtene Bismarck Gymnasium zeigte, wurde jedenfalls jüngst vom Deutschen Presserat missbilligt, weil sowas nämlich gegen Ziffer 2 und Richtlinie 2.2 des Pressekodex verstößt.
Aber das ist noch nichts gegen das, was “Bild” da am 22. Juli in ihrer Stuttgart-Ausgabe angestellt hatte: Unter der Überschrift “Masken-Mann jagt kleine Mädchen” hatte “Bild” nämlich über einen “unheimlichen Masken-Mann” bzw. “Masken-Gangster” berichtet, der in Ditzingen (Kreis Ludwigsburg) sein Unwesen getrieben habe. Illustriert war die Meldung mit folgendem “Foto”*:
Was “Bild” nicht wissen konnte, aber die “Stuttgarter Zeitung” inzwischen zu berichten weiß: Die Geschichte vom “Masken-Mann” war offenbar “frei erfunden”, weshalb es um so merkwürdiger ist, dass “Bild” dennoch ein “Foto” von ihm drucken konnte…
Mit Dank an Philipp G, Sascha V. und Heiner S. sowie die “Stuttgarter Zeitung” (und bildblock.de) für die Mithilfe.
*) Wir bitten die schlechte Qualität des “Fotos” zu entschuldigen. Falls jemand den “Masken-Mann” in besserer Qualität griffbereit haben sollte, würden wir uns freuen.
Bei manchen Artikeln in “Bild” ist es schwer, zurückhaltend und sachlich zu bleiben. Versuchen wir es trotzdem.
Auf Seite 1 der heutigen “Bild”-Zeitung ist neben der halbnackten Mandy (23), die sich gerade zwischen die Beine greift, und über einem Artikel “Nasa sucht Außerirdische auf Saturn-Mond” ein Foto von einer Hinrichtung abgebildet.
Die Überschrift lautet:
Und der vollständige Artikel geht so:
Teheran — Ihre Augen sind verbunden, die vermummten Henker legen ihnen die Stricke um den Hals: Wenige Sekunden später sind diese beiden Kinderschänder tot. Die jungen Männer waren von einem iranischen Gericht zum Tode verurteilt worden, weil sie einen 13jährigen Jungen entführt und vergewaltigt haben sollen.
Wäre die “Bild”-Zeitung nicht die “Bild”-Zeitung, hätte sie vielleicht nicht einfach unkritisch die offizielle iranische Version der Geschichte übernommen. Sie hätte darauf hingewiesen, dass die beiden getöteten “jungen Männer” zur Tatzeit noch minderjährig waren. Sie hätte die Gehenkten nicht zweimal “Kinderschänder” genannt, als sei diese Tatsache in einem rechtsstaatlichen Verfahren bewiesen worden, denn es gibt Berichte, die diesen Vorwurf zweifelhaft erscheinen lassen. Sie hätte darauf hingewiesen, dass schon einvernehmliche homosexuelle Handlungen im Iran mit dem Tode bestraft werden können und genau dies auch der Grund für die Hinrichtung gewesen sein könnte.
Aber vielleicht hätte es auch schon gereicht, wenn “Bild” zwei Jugendliche, die möglicherweise nur deshalb sterben mussten, weil sie homosexuell waren, nicht nach ihrem Tod noch als “Kinderschänder” bezeichnet hätte.
Wie es sich liest, wenn “Bild” sich von staatlichen Entscheidungen distanzieren möchte, kann man übrigens auf Seite 2 derselben Ausgabe sehen:
“Schwul sein ist ganz normal” — Riesen-Ärger um Homo-Fibel für Lehrer
(…) In dem Handbuch, das noch die im Mai abgewählte rot-grüne Landesregierung herausgegeben hat, werden Pädagogen dazu angehalten, im Unterricht Sätze zu vermitteln wie: “Mein Schatz, schwul zu sein ist ganz normal.”
Vielen Dank an Michael M., Johannes S., Tobias B. und andere.
Nachtrag, 10.1.2006:
Im Anschluss an eine Beschwerde hat der Presserat die Veröffentlichung eines (zu obiger Überschrift gehörigen) Agenturfotos in “Bild” missbilligt*. In der Begründung heißt es:
“Die Darstellung der beiden Männer, wie ihnen Schlinge um den Hals gelegt werden, ist – egal vor welchem Hintergrund dies passieren mag – unangemessen sensationell. Nach Meinung der Beschwerdekammer hätte dieses Foto in der Form nicht veröffentlicht werden sollen. Daher sieht die Beschwerdekammer in der Veröffentlichung des Fotos einen Verstoß gegen die Ziffer 11 des Pressekodex. Auch wenn dieses Foto von einer Agentur verbreitet wird, liegt es immer im Ermessen der Redaktion, selbst zu entscheiden, ob sie solches Material veröffentlichen will oder nicht. Eine Agentur kann und muss grundsätzlich Materialien liefern, wie in diesem Fall auch das Foto. Die Redaktion selbst muss dann jedoch entscheiden, ob eine Veröffentlichung des Agenturmaterials notwendig ist oder nicht.”
*) Eine Missbilligung ist für das betroffene Medium folgenlos.
Am 20. Juni hatte die “Süddeutsche Zeitung” über den Prozess gegen den mittlerweile verurteilten Kindermörder Marc Hoffmann berichtet und “Bild” in diesem Zusammenhang zu Recht Menschenverachtung vorgeworfen. Auch, weil “Bild” Marc Hoffmann mehrfach als “fette Bestie” bezeichnet hatte.
Inzwischen sieht es ganz so aus, als hätte man sich bei “Bild” den Vorwurf zu Herzen genommen. Jedenfalls kommen die jüngsten Artikel in “Bild” und auf Bild.de, die über die Verurteilung Hoffmanns berichten, ohne menschenverachtende Formulierungen aus.
Außerdem hat sich online ein Artikel verändert, der am 9. Juni bei “Bild” und Bild.de erschienen war. Die Überschrift lautete damals:
Warum schützt der Richter die fette Bestie?
Mit Veröffentlichungsdatum 29. Juni heißt es jetzt bei Bild.de:
Warum schützt der Richter diesen Kindermörder?
Außerdem hieß es ursprünglich eingangs des Textes:
Er schnappte sich Levke (8) und Felix (8), mißbrauchte und ermordete die Kinder brutal – die fette Bestie Marc Hoffmann (31).
Online beginnt der Artikel nun folgendermaßen:
Er schnappte sich Levke (8) und Felix (8), mißbrauchte und ermordete die Kinder brutal – Kindermörder Marc Hoffmann (31).
Und dort, wo es früher hieß, “Die Bestie hatte gehofft, in eine geschlossene Anstalt zu kommen (…)”, steht online jetzt dies:
Der Mörder hatte gehofft in eine geschlossene Anstalt zu kommen (…)
In gewisser Weise ist das erfreulich. Es gibt jetzt, so könnte man sagen, ein bisschen weniger Menschenverachtung im Hause “Bild”. Einerseits.
Andererseits macht es einen Unterschied, ob Bild.de rein faktische Fehler in längst erschienen Artikeln korrigiert oder einen längst erschienenen Artikel nachträglich so verändert, dass er viel harmloser klingt und plötzlich — anders als die Original-Version — weitgehend im Einklang mit dem Pressekodex steht.
Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Tobias M.
Dass die Springer-Blätter politisch auf einer Linie fahren, ist nicht neu, auch nicht, dass sie sich gegenseitig helfen, indem sie die selben Texte drucken. Dass die Bild-Zeitung aber ihre Macht missbraucht, um das rechtswidriges Vorgehen eines Hausblättchens zu rächen, ist eine neue Qualität.
Schreibt die “Berliner Zeitung” in einem Artikel über die “widerliche Kampagne”, die “Bild” gerade (wie berichtet) gegen die Schauspielerin Alexandra Neldel fährt.
Der Hintergrund: Die Springer-Jugendzeitschrift “Yam” hat — offenbar rechtswidrig — ein acht Jahre altes Nacktfoto veröffentlicht, das Neldel exklusiv für den “Playboy” gemacht hat. Als die Schauspielerin jetzt juristisch dagegen vorging, zeigte “Bild” ebenfalls die nackte Neldel vom “Playboy”-Cover. Dabei hat laut “Berliner Zeitung” ein Gericht dem Blatt die Veröffentlichung der “Playboy”-Fotos schon 1998 ausdrücklich verboten. Neldels Anwalt sagt, “Bild” habe “in Kenntnis des Verbots gegen Recht und Gesetz verstoßen”.
Im vergangenen Jahr hat “Bild” bereits eine ähnliche Kampagne gegen die Schauspielerin und frühere Porno-Darstellerin Sibel Kekilli gefahren. Dafür wurde sie vom Presserat im Dezember 2004 gerügt. Auch über ein halbes Jahr später hat “Bild” diese Rüge — entgegen den Gepflogenheiten und der eigenen “journalistischen Richtlinien” — noch nicht im Blatt abgedruckt.
Und trotzdem stand in der gestrigen Berliner “Bild”-Ausgabe diese Doppelseite:
Das Wort “Kannibale” findet sich dort nicht nur in der Überschrift, sondern auch in zwei Bildunterzeilen – und im Text wird Ralf M. weitere vier mal als Kannibale bezeichnet. Und das, obwohl “Bild” nebenan sogar einen Auszug der Anklage abdruckt, aus der sich deutlich entnehmen lässt, dass es eben nicht zu Kannibalismus kam. Man muss also davon ausgehen, dass “Bild” den Angeklagten absichtlich und wider besseres Wissen als Kannibalen bezeichnet.
Außerdem geht es hier mal wieder um Ziffer 13 des Pressekodex’. Obwohl dort und in den Richtlinien dazu eindeutig festgelegt ist, dass Verdächtige vor einem gerichtlichen Urteil nicht als Schuldige hingestellt werden dürfen, tut “Bild” mal wieder genau das (wie sich auch in der Online-Version des Berichts auf Bild.de nachlesen lässt).
Möglicherweise kann man auch darüber streiten, ob die Fotos, die “Bild” zur Illustration des Artikels gewählt hat, Ralf M. aussehen lassen, wie ein Raubtier im Käfig. Man kann darüber streiten, ob es wirklich notwendig und angemessen ist, detaillierte, “grausige” (“Bild”) Auszüge der Aussage des Gerichtsmediziners abzudrucken. Und man kann darüber streiten, ob man Ralf M.s Geständnis, das “Bild” im Wortlaut abdruckt, tatsächlich als “Grusel-Geständnis” qualifizieren muss. Es gibt jedenfalls Passagen darin, die dem Eindruck widersprechen, es handele sich bei dem Angeklagten um ein gewissen- und willenloses Monster:
“Ich selbst stehe den Vorwürfen fassungslos gegenüber und finde nur unzureichende Erklärungen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. (…)
Mir ist bewußt, daß dieser Teil meines Ichs medizinisch behandelt werden muß. Ich hoffe, mit Hilfe von Ärzten irgendwann einmal wieder ein normales Leben führen zu können.
Für die von mir begangene Tat schäme ich mich. (…)
Mir ist bewußt, welch schwere Schuld ich auf mich geladen habe. (…)
Bis zu der Tat habe ich irrig geglaubt, meine Fantasien im Griff zu haben. (…)
Ich weiß, daß ich in den nächsten Jahren unter gesicherten Bedingungen behandelt werden muß.”
Wie gesagt, “Bild” druckt all das im Wortlaut ab, und schreibt trotzdem darüber:
Sperrt ihn weg, er hat wieder Hunger!
Und in eine Bildunterzeile:
Offenbar hat er immer noch Hunger auf Menschenfleisch
Denn Ralf M. hat immer noch Hunger auf Menschenfleisch!
Ob also die Art und Weise, wie “Bild” die Geschichte präsentiert, entwürdigend ist, und ob sie den Angeklagten Ralf M. wie einen tumben Zombie darstellt, der einzig und allein von seinem Hunger auf Menschenfleisch getrieben ist, darüber müsste man jetzt vermutlich immer noch streiten — wenn auch nur mit “Bild”.
Nachtrag, 6.5.:
Man könnte glatt meinen, “Bild” versuche heute sich für ihre “Kannibalen-Berichterstattung” zu rechtfertigen. Auf Seite acht der Berliner “Bild”-Ausgabe steht nämlich ein fast ganzseitiger Artikel, der die Überschrift trägt, “Jetzt winselt der Berliner Kannibale! Ich fühle mich wie ein gefährliches Tier im Käfig”. Und im Text wird Ralf M. folgendermaßen zitiert: “Ja, ich bin ein Kannibale, und ich fühle so wie einer.” Aber, liebe “Bild”-Mitarbeiter, mal angenommen, irgend eine geistig derangierte Person käme auf die obskure Idee, sich als “Bild”-Chefredakteur und Herausgeber zu bezeichnen, würden Sie ihn dann auch so nennen und darstellen?
Heißer Sex in den wildesten Stellungen – so sexy und nackig haben wir Meg Ryan bislang nur im Kino sehen können! Doch ab heute gibt es den Film “In the Cut” mit Hollywood-Schauspielerin (“Harry & Sally”) auf DVD. Und nicht nur das: BILD zeigt Bilder der schärfsten F***-Szenen und verrät, wie Sie sich den Weg in die Videothek sparen und den Sex-Thriller sogar online ausleihen und ungestört auf dem Computer ansehen können. (…)
Schon möglich, dass die hier vorangestellten Sätze den Eindruck erwecken, “Bild” mache darin Werbung für eine DVD und eine Online-Videothek. Doch der Eindruck trügt. Die vorangestellten Sätze stammen nämlich gar nicht aus der “Bild”-Zeitung. Stattdessen sind sie frei erfunden, um zu demonstrieren, wie es hätte aussehen können, wenn eine Boulevardzeitung wie “Bild” Ihren Lesern mitteilen möchte, dass Kopien des Kinofilms “In the Cut” aus dem Jahr 2003 ab heute käuflich zu erwerben und (bereits seit dem 10. Februar) auszuleihen oder online herunterzuladen sind. Das hätte dann zwar immer noch verdammt nach einem unlauteren Deal mit dem DVD-Vetrieb EuroVideo und dem Internet-Videoverleih Amango.de ausgesehen, widerspräche womöglich dem Pressekodex Ziffer 7, dem Mediendienstestaatsvertrag § 13 und/oder den im Abschnitt “Werbung” formulierten journalistischen Leitlinien des Axel Springer Verlags, wäre aber zumindest sachlich richtig.
In Wirklichkeit hat sich “Bild” jedoch für die mutmaßlich irreführende Überschrift “So hart liebt’s die schöne Meg Ryan” entschieden und die Werbung Berichterstattung online mit einer, ähm, vielversprechenden Bilderschau(ähm, siehe Ausriss)angereichert, die ebenfalls den sinnfälligen Unterschied zwischen Schauspielerin (Meg Ryan) und Rolle (Frannie Avery) ignoriert und sich “So liebt die schöne Meg Ryan” nennt, obwohl das natürlich völliger Quatsch ist.
Aus gegebenem Anlass soll hier doch einmal in aller Deutlichkeit auf Ziffer 13 des Presskodexes hingewiesen werden und insbesondere auf die Richtlinien dazu:
Bis zu einer gerichtlichen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung, auch im Falle eines Geständnisses. Auch wenn eine Täterschaft für die Öffentlichkeit offenkundig ist, darf der Betroffene bis zu einem Gerichtsurteil nicht als Schuldiger im Sinne eines Urteilsspruchs hingestellt werden. (…)Vorverurteilende Darstellungen und Behauptungen verstoßen gegen den verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde, der uneingeschränkt auch für Straftäter gilt. Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines “Medien-Prangers” sein. Daher ist zwischen Verdacht und erwiesener Schuld in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.
Hier einige Zitate aus Artikeln, die seit der Festnahme des mutmaßlichen Mörders von Levke und Felix, Marc H., in “Bild” und/oder auf Bild.de erschienen sind:
31 Wochen nach dem brutalen Mord an der 8jährigen Levke ist der Täter endlich gefaßt: Es ist Marc H. (31) (…) Bild.de vom 9.12.04
Unfaßbar: Der Killer hat selbst zwei kleine Töchter! Bild.de vom 9.12.04
Wer ist dieses Monster? Bild.de vom 9.12.04
Levkes Mörder – Seine geschockte Ex-Frau: Er war so ein lieber Vater… Bild.de vom 10.12.04
Der Mann, den sie liebte, ist der Mörder der kleinen Levke. Bild.de vom 10.12.04
Der Killer machte eine Lehre zum Installateur (…) Bild.de vom 10.12.04
Vor zwei Jahren bekam der Killer mit Ehefrau Anja Töchterchen Sophie-Andrea. Bild.de vom 10.12.04
Hat der Killer auch Tochter Laura mißbraucht? Bild.de vom 10.12.04
Levkes Mörder: Schon als Junge haßte er Mädchen Bild.de vom 12.12.04
Der Junge heißt Marc. 25 Jahre später wird er zum Mörder der kleinen Levke († 8). Bild.de vom 12.12.04
Sein letztes Opfer wurde Levke. Bild.de vom 12.12.04
Jetzt spricht die Mutter des Levke-Killers Bild.de vom 13.12.04
Ihr Sohn hat ein 8jähriges Mädchen bestialisch getötet. Bild.de vom 13.12.04
Fünf Tage nach der Festnahme und dem Geständnis des Mädchenmörders Marc H. (…) Bild.de vom 13.12.04
Bei der Suche nach möglichen weiteren Opfern des Doppelmörders (…) Bild.de vom 8.1.05
Aber der Mann hat Levke ermordet und jetzt den kleinen Felix. “Bild” vom 10.1.05
(…) Marc Hoffmann (31), der Mörder von Levke (8) und Felix (8) (…) “Bild” vom 11.1.05
Ist Doppelmörder Marc Hoffmann etwa auch der „schwarze Mann“ (…) “Bild” vom 11.1.05
Zweifacher Kindermörder Marc Hoffmann – Wieso bekam die Bestie das Sorgerecht für die kleine Tochter? “Bild”vom 12.1.05
Der Killer hatte ausgesagt, das Rad dort ins Wasser geworfen zu haben. “Bild” vom 12.1.05
Hier versteckte er nach dem Mord an Levke auch die Habseligkeiten des Mädchens. “Bild” vom 12.1.05
Zärtlich umarmt die Tochter (10) ihren Vater Marc Hoffmann, den Kinderkiller. Bild.de in einer Fotogalerie
Kindermörder Marc Hoffmann Fotounterzeile auf Bild.de in diversen Artikeln über Marc H.
Kindermörder Hoffmann nach Bedrohung durch Häftlinge verlegt Bild.de vom 12.1.05