Suchergebnisse für ‘Gelb’

Ausgezeichneter Journalismus, “Klima vor acht”, Ampel-Symbolik

1. 84 Presserat-Beschwerden gegen “Bild”-Bericht
(sueddeutsche.de, Anna Ernst)
Gegen den vielfach kritisierten “Bild”-Artikel “Die Lockdown-Macher” liegen beim Deutschen Presserat bereits 84 Beschwerden vor. Presseratssprecherin Sonja Volkmann-Schluck erklärt: “Die Beschwerdeführer kritisieren, es werde der falsche Eindruck erweckt, dass Wissenschaftler Corona-Maßnahmen beschließen, für die aber die Politik verantwortlich ist. Dies schüre Verschwörungstheorien und sei zudem ein Aufruf zur Hetze gegen Wissenschaftler.”

2. Deutscher Reporter:Innen-Preis 2021
(reporter-forum.de)
Es muss eine Menge Arbeit gewesen sein, die vielen Einreichungen für den Reporter:Innen-Preis 2021 zu sichten und zu bewerten. Nun hat die zuständige Jury zwölf Reportagen, Essays, Podcasts und Multimedia-Projekte ausgezeichnet (PDF). Alle Nominierten und ihre 102 Beiträge, Werkstattgespräche mit den Preisträgerinnen und Preisträgern sowie die Aufzeichnung der Preisgala sind online abrufbar.

3. Weniger Sprüche, mehr tun: Klima vor acht setzt Themen
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Die Initiative “Klima vor acht” hat mit ihrer Forderung nach einer kurzen Klimasendung im Ersten viel Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt und traf letztendlich auf Gehör, wenn auch bei einem anderen Sender: Zweimal in der Woche gibt es bei RTL nun das “Klima Update”. Timo Niemeier schildert, wie es der Initiative gelang, die Thematik auch im Fernsehen voranzubringen.

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4. Unsere Einnahmen und Ausgaben und was eine Stunde netzpolitik.org kostet
(netzpolitik.org, Stefanie Talaska)
netzpolitik.org ist laut Eigenbeschreibung ein “Medium für digitale Freiheitsrechte”. Die Redaktion befasst sich unter anderem mit staatlicher Überwachung, Open-Source-Software, Telekommunikationsgesetzen sowie schöpferischem Gemeingut und einer freien Wissensgesellschaft. Das Angebot von netzpolitik.org finanziert sich fast komplett aus Spenden von Lesern und Leserinnen. Stefanie Talaska schlüsselt die Einnahmen und Ausgaben des Vereins auf, bei dem viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davor geschützt werden müssten, sich zu sehr selbst auszubeuten.

5. Keynote von Zoë Beck: Sexismus in der Buchbranche
(blog.buecherfrauen.de, Zoë Beck)
Die Keynote zur Eröffnung der Jahrestagung der “BücherFrauen” wurde in diesem Jahr von der Autorin, Verlegerin und Übersetzerin Zoë Beck gehalten und stand unter der Überschrift “Sexismus in der Buchbranche”. Sexismus habe eine Menge mit Sichtbarkeit zu tun: “Unsere weibliche Sichtbarkeit wird nicht von uns bestimmt, sondern vom männlichen Blick. Was dieser Blick sehen will, und das muss sich natürlich nachhaltig ändern. Ich sage nachhaltig, weil es dank der Frauenbewegung schon eine Sichtbarmachung von Frauen in der Kunst-, Musik-, Literatur-, Wissenschaftsgeschichte usw. gab. Nur wurden diese Frauen dann seltsamerweise wieder vergessen. Weil sie dann doch nicht in die Geschichtsbücher und Anthologien aufgenommen wurden oder in den Kanon, der für Schulen und Universitäten gilt. Wir erleben gerade eine neue Welle der Sichtbarmachung. Und wir müssen dafür sorgen, dass es diesmal bei der Sichtbarkeit bleibt.”

6. Die Paprika-Kugelschreiber-Servietten-Koalition: Die 13 dollsten Ampel-Symbolfotos
(uebermedien.de)
Berichterstattung über die Ampel-Koalition kommt vielfach nicht ohne Symbolbilder aus. Oft wirkt es jedoch recht bemüht, was die Symbolbild-Komponisten da an roten, gelben und grünen Gegenständen oder Symbolen zusammenpacken. “Übermedien” zeigt 13 besonders eindrucksvolle Beispiele.
Weiterer Lesehinweis: Im Interview erklärt die dpa-Fotochefin Silke Brüggemeier, wie man Symbolfotos moderner und journalistischer produzieren kann. “Symbolbilder sind ein bisschen in Verruf geraten”: Von Ampeln und anderem Gemüse (uebermedien.de, Stefan Niggemeier).

Nischenthema Klimawandel, Angriff auf MDR-Team, “Drecksblätter”

1. Klimawandel bleibt ein Nischenthema
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 7:47 Minuten)
Angesichts der Klimakonferenz in Glasgow findet man in den Medien derzeit verhältnismäßig viele Beiträge zum Thema Klima. Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft in Hamburg, bezeichnet dies jedoch als “Ausnahmesituation”. Insgesamt sei das Niveau der Klimaberichterstattung recht niedrig. Nur zwei bis drei Prozent der von ihm untersuchten Nachrichtenartikel enthielten das Wort “Klimawandel” oder entsprechende Synonyme. Das werde dem Problem nicht gerecht, so der Wissenschaftler.

2. MDR verurteilt Angriff auf eigenes TV-Team in Zwickau
(mdr.de)
Ein MDR-Team wurde am Montagabend in Zwickau tätlich angegriffen, während es für “MDR exakt” bei einem sogenannten “Spaziergang” gegen Corona-Maßnahmen drehte. Zu der nicht genehmigten Versammlung hatten unter anderem die “Freien Sachsen” aufgerufen, die vom sächsischen Verfassungsschutz zuletzt als rechtsextremistische und verfassungsfeindliche Bestrebung eingestuft wurden. MDR-Intendantin Karola Wille kommentiert: “Die immer gewalttätigere Auseinandersetzung um Corona-Maßnahmen ist erschreckend und unerträglich, der MDR verurteilt den Angriff aufs Schärfste.”

3. Springer-Mitarbeiter sollen Beziehungen am Arbeitsplatz offenlegen
(sueddeutsche.de)
In einem Gespräch mit der “Financial Times” habe Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner angekündigt, die Angestellten des Konzerns dazu zu verpflichten, sexuelle Beziehungen von Führungskräften mit Mitarbeitenden offenzulegen. Springer müsse sich auf dem Weg zu einem globalen Unternehmen bewusst sein, dass auf dem wichtigen US-Markt striktere Regeln am Arbeitsplatz üblich seien.

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4. Hat der WDR im Fall von Nemi El-Hassan gegen Arbeitsrecht verstoßen?
(berliner-zeitung.de, Stefan Buchen)
Die Ärztin und Journalistin Nemi El-Hassan sollte eigentlich die Moderation der WDR-Wissenschaftssendung “Quarks” übernehmen, doch im Vorfeld tauchten Vorwürfe hinsichtlich El-Hassans Gesinnung auf, die auch von “Bild” befeuert wurden. Nachdem sich Nemi El-Hassan mit einer Stellungnahme in der “Berliner Zeitung” zu Wort gemeldet hatte (“Ich bin Palästinenserin – deal with it!”), rückte der WDR endgültig von einer Zusammenarbeit ab. Nun stelle sich die Frage, ob der Sender in Vorgesprächen womöglich zu weit gegangen ist und arbeitsrechtlich unzulässige Fragen gestellt hat.

5. DJV Update – Bundesverbandstag und eine kleine Bild-Geschichte
(getrevue.co, DJV Sachsen)
In seinem aktuellen Newsletter berichtet der DJV Sachsen von seiner Teilnahme am Bundesverbandstag des Deutschland Journalisten-Verbands. Im Anschluss gibt es noch eine kleine “Bild”-Geschichte: “Die Bild-Zeitung hat sich für ihre Berichterstattung über die Querdenker- und Neonazi-Demonstration am vergangenen Sonnabend in Leipzig beim Instagram-Account zweier junger Leipziger Kollegen bedient und einen Screenshot eines Videos als Foto genutzt. Offenbar in der Bundesausgabe, immerhin mit – kleinem – Quellenhinweis, ganz bestimmt aber ohne Rückfrage und Genehmigung.”

6. Wie und warum Günther Jauch gegen die “gelben Drecksblätter” kämpft
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Was Mats Schönauer über die Abwehrschlacht des TV-Unterhalters Günther Jauch gegen die Yellow Press zusammengetragen hat, ist in mehrfacher Hinsicht erschütternd: Es zeigt, mit welch industrieller Perfidie die Regenbogenbätter ihre Leserinnen und Leser in die Irre führen und welch gewaltigen Aufwand an Zeit und juristischen Mitteln Jauch seit Jahren an den Tag legt, ohne dass es grundsätzlich besser wird.

Verschwundene Journalisten, “Bild” wirbt mit Laschet, Wortungetüme

1. RSF erinnert an verschwundene Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Verschwundenen erinnert Reporter ohne Grenzen (RSF) an Medienschaffende, die zum Teil schon vor Jahrzehnten spurlos verschwunden sind. “Die Praxis des Verschwindenlassens soll Medienschaffende einschüchtern; es ist ein perfides Mittel, um kritische Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen”, so RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske: “Die meisten der seit Jahrzehnten zurückliegenden Fälle wurden bis heute nicht aufgeklärt.”

2. “Bild” wirbt mit Armin Laschet für neuen TV-Sender – Kritik in sozialen Medien
(rnd.de)
Die “Bild am Sonntag” veröffentlichte am Wochenende eine ganzseitige Werbeanzeige für den Fernsehsender “Bild TV”. Prominentes Testimonial: der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Dies wurde vor allem in den Sozialen Medien stark kritisiert. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagte ein CDU-Sprecher: “Es gab von ‘Bild am Sonntag’ weder eine Anfrage für das Motiv, noch ist die Werbeanzeige von der CDU freigegeben worden.” Auf Twitter kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “In passiv-aggressivem Tonfall kommentiert die CDU, die ‘Bild’-Werbung mit Laschet sei nicht genehmigt worden. Nur mal ne Frage, CDU: Wen habt Ihr für Laschets Imagepflege angeheuert? Ja, genau: Ex-‘Bild’-Chefin Tanit Koch. Also spart Euch die Krododilstränen und das Opfer-Getue.”

3. Wortungetüme und Bandwurmsätze – Wahlprogramme laut Studie unverständlich
(heise.de)
Die Wahlprogramm-Texte aus den Parteizentralen seien einer Studie (PDF) zufolge zwar so umfangreich wie nie zuvor – sie würden sich aber auch so schwer verstehen lassen wie kaum andere in der bundesdeutschen Geschichte. In den Programmen, so die Studienautoren der Universität Hohenheim, fanden sich Wortungetüme und Bandwurmsätze mit bis zu 79 Wörtern. Am formal verständlichsten sei laut “Hohenheimer Verständlichkeitsindex” das Wahlprogramm der Partei Die Linke, den letzten Platz belegen die Grünen.

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4. Historisches Fingerspitzengefühl
(taz.de, Sabine Seifert)
Engelbert Reineke war von 1966 bis 2004 als Fotograf im Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung tätig, davon 36 Jahre fest angestellt. “taz”-Redakteurin Sabine Seifert hat die berufliche Karriere Reinekes nachgezeichnet und ihn am Ende gefragt, wie er Angela Merkel fotografieren würde: “Erst mal gar nicht, sagt Reineke. Sie möge sich von ihren Pflichten erholen, den Ruhestand genießen. Fotografieren würde er sie dann nach ihrem 75. Geburtstag, das wäre im Jahr 2029. An der Ostsee bei schmuddeligem Wetter.”

5. Eine kleine Geschichtsstunde für Springer
(freitag.de, Karsten Krampitz)
Karsten Krampitz hat Texte von Sven Felix Kellerhoff, dem leitenden Redakteur Geschichte der “Welt”, gelesen und ist entsetzt. Bei der Springer-Tageszeitung wisse man nicht, wie Rosa Luxemburg aussah, und verbreite Falsches über einen verstorbenen SPD-Spitzenpolitiker: “Entweder hat der Kollege Kellerhoff völlig neue Quellen aufgetrieben – oder er verbreitet Lügen über einen toten SPD-Spitzenpolitiker, dessen Partei im Bundestagswahlkampf langsam aufholt.”

6. Tor, Tor, Tor: Fußball, Radio und viele Bilder im Kopf
(dwdl.de, Jochen Rausch)
Viele empfinden die Fußball-Live-Reportage als Königsdisziplin für Radio-Reporter und -Reporterinnen, vor allem wenn es über die volle Spiellänge geht. Jochen Rausch huldigt dem Genre, ist sich aber nicht sicher, wie es weitergeht: “Welche Rolle Audio in der digitalen Zukunft spielen wird, ist schwer einzuschätzen, es hängt unter anderem auch davon ab, wer die Verwertungsrechte hält, ob die Fans das Audioangebot in ausreichender Zahl wahrnehmen und sich Live-Events als digitale Audio-Produkte durchsetzen können, wie sich das Image des Profi-Fußballs generell entwickelt.”

Bild  

“#DankeBild ihr werdet immer besser”

Nach einem Telefonat mit einem ranghohen AfD-Politiker twitterte Martin Schmidt, Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio, vor zwei Wochen:

Screenshot eines Tweets von Martin Schmidt - Sie sagen, sie wollen mit uns nichts zu tun haben, sind aber unsere besten Wahlkämpfer, kostenfrei. Ob Corona, Migration, Klima: bei jedem Thema! Läuft für uns! Sagt mir eines der ranghöchsten Mitglieder der AfD kürzlich am Telefon über die Bild-Zeitung.

Eine solche Geschichte kann der “Bild”-Redaktion und vor allem “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt nicht gefallen. Immer wieder betont Reichelt, wie “schrecklich” er die AfD finde. Zum Vorwurf, “Bild” sei der verlängerte Arm der AfD, sagt er, dass dies “eine Unverschämtheit” sei: “Man kann das nur dann behaupten, wenn man bereit ist, Fakten schlichtweg zu ignorieren.” Und jetzt erzählt die AfD, wie toll und hilfreich sie die Berichterstattung von Reichelt und dessen Team findet?

“Bild”-Meinungschef Filipp Piatov versuchte dann auch gleich, Martin Schmidts Geschichte zu diskreditieren. Bei Twitter schrieb Piatov:

Screenshot eines Tweets von Filipp Piatov - Der ÖR entfernt sich politisch immer weiter von der Bevölkerung und diffamiert jeden, der das kritisiert, als rechtsextrem. Davon profitiert nur die AfD. Ein 3-jähriger Junge neulich im Zug, Applaus im Abteil

Piatovs offensichtlich ausgedachte Erzählung soll wohl zeigen, dass er auch Schmidts Tweet für erfunden hält. In Sozialen Medien liest man häufiger den Vorwurf, das sei jetzt aber eine “Geschichte aus dem Paulanergarten”, also unwahr. “Bild”-Chef Reichelt retweetete Piatovs Tweet.

Nur drei Tage später zeigte sich allerdings, dass die AfD von der “Bild”-Berichterstattung tatsächlich begeistert ist. Als die Redaktion auf ihrer Titelseite von Angela Merkel forderte: “KANZLERIN, wir wollen EINIGKEIT und RECHT und FREIHEIT”, gab es zahlreiche Danksagungen von AfD-Mitgliedern und -Verbänden. Die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar schrieb beispielsweise:

Screenshot eines Tweets von Joana Cotar - Wenn es angebracht ist, muss man auch mal Danke sagen. DankeBild

Ihr Kollege im AfD-Bundesvorstand Stephan Protschka konnte es selbst kaum glauben:

Screenshot eines Tweets von Stephan Protschka - Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich die Bildzeitung nochmal lesen werde. DankeBild ihr werdet immer besser. Freiheit für Deutschland. Aber normal. Wird es nur mit der AfD geben. 26. September ist Zahltag!

Guido Reil, für die AfD im Europäischen Parlament, dankte ebenfalls:

“#DankeBild” gilt immerhin bezogen auf aufrüttelnde Berichte gegen Gruppenvergewaltigungen und Mädchenmorde

Auch von der Berliner AfD kam ein Dankeschön an die “Bild”-Redaktion:

Besser spät als nie. #DankeBild für die Übernahme sämtlicher AfD-Positionen.

Und der AfD-Kommunalpolitiker Christian Breu twitterte:

#BILD hilft allen Menschen, die Opfer der skrupellosen Drangsalierungs- und #Lügenpolitiker geworden sind.
#DankeBILD

Neu ist die AfD-Begeisterung für “Bild” nicht. Bereits 2017, vor der vergangenen Bundestagswahl und nachdem die Redaktion ihr eigenes “BILD-Wahlprogramm” veröffentlicht hatte, jubelte Uwe Junge, damals Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Rheinland-Pfalz: “Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!” Und auch die Bundespartei stellte zum “Bild”-Wahlprogramm fest: “Hallo @BILD, nahezu ALLES hier findet sich im #AfD-Wahlprogramm!”

Mit ihrer aktuellen Berichterstattung findet die “Bild”-Redaktion übrigens nicht nur Anschluss bei der AfD. Auch in den Telegram-Kanälen vieler Verschwörungserzähler wird sie gelobt. “Spioniker” schreibt zum Beispiel: “Hammer, was die BILD jetzt raushaut! Ich glaube, der kritische Punkt ist erreicht!” und konstruiert aus der gelben Hintergrundfarbe eines Artikelbanners bei Bild.de mit Hilfe des des Flaggenalphabets, wo die Farbe Gelb für das Q steht, eine Verbindung zu QAnon. Michael Wendler sieht “Bild” als einen möglichen “Gamechanger”. Und Eva Herman empfiehlt ein Video von “Bild TV” (“Der Staat hat kein Recht mehr, zu regulieren, wie wir leben”). Die Protagonisten darin: Julian Reichelt und Filipp Piatov.

Mehr über das Verhältnis von “Bild” und AfD schreiben wir übrigens in unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste”, vor allem im Kapitel “‘Das wird man ja wohl noch sagen dürfen’ – ‘Bild’ und Rechtspopulisten”. Alle Infos dazu hier.

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Rettet unsere Mitarbeiter:innen, Fehlende Analyse, “FAZ”-Kündigung

1. Rettet unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Afghanistan!
(spiegel.de)
Mehrere deutsche Verlage, Redaktionen, Sender und Medienhäuser wenden sich in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Heiko Maas und bitten um die Ausstellung von Visa für die afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Medien: “Ohne diese mutigen Afghan:innen hätten die deutsche Öffentlichkeit und die Politik nicht über die Rahmenbedingungen des 20-jährigen Bundeswehreinsatzes informiert werden können. Für das Engagement der Bundesrepublik in Afghanistan war die Arbeit dieser Menschen ebenso unverzichtbar wie die der Bundeswehrübersetzer. So groß die Bedeutung dieser Mitarbeiter:innen ist, so überschaubar ist ihre Zahl, die nicht mehr als wenige Dutzend Menschen umfasst, einschließlich ihrer Familien.”

2. Fehlende Analyse
(taz.de, Peter Weissenburger)
Beim Umgang mit Falschbehauptungen tue sich der deutsche Nachrichtenjournalismus aus einer falsch verstandenen Neutralität oftmals sehr schwer. Dabei dürfen und sollten Falschaussagen politischer Figuren durchaus kritisch eingeordnet werden, wie Peter Weissenburger in seinem Text ausführt. Andernfalls drohe die False Balance: “Populistische Strategien funktionieren in einem solchen Journalismus der ‘falschen Balance’ besonders gut. Das ist aus den letzten beiden US-Wahlkämpfen sowie aus der Präsidentschaft Donald Trumps bekannt. Aber auch aus der Coronapandemie. Gerade wenn fragwürdige Aussagen oder deren Inhalt direkt in Überschriften stehen, handelt es sich nicht um eine neutrale Wiedergabe dieser Aussagen, sondern um eine Verstärkung. Dasselbe gilt für scheinbar neutrale Begriffe wie ‘Kritik’, ‘Vorwurf’ oder ‘Provokation’.”

3. Happy Birthday, FragDenStaat!
(netzpolitik.org)
Das Transparenzportal “FragDenStaat” ermöglicht es jedem Bürger und jeder Bürgerin, ganz einfach Anfragen an staatliche Stellen nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu schicken, auf die diese (theoretisch) antworten müssen. Anlässlich des zehnten Geburtstags würdigt die netzpolitik.org-Redaktion die Arbeit der Initiative und sagt: “Danke, weiter so!” Wir vom BILDblog schließen uns da gern an.

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4. Das »nd« wandelt sich zur Genossenschaft und bleibt anders!
(nd-aktuell.de, Ines Wallrodt & Corinna Meisenbach & Fabian Hillebrand & Matthias Ritter & Daniel Lücking & Georg Ramsperger)
Beim “nd” (vormals “Neues Deutschland”) kündigen sich größere Veränderungen an: “Ab dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Tageszeitung von einer Genossenschaft herausgegeben, die der Belegschaft und den Leserinnen und Lesern gehört. (…) Wir werden unsere eigenen Chefs. Die Zeitung soll uns gehören, nicht mehr einer Partei oder einem Verlag. Uns, den Redakteurinnen und Redakteuren und den Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. Und Ihnen. Sowie wir das Okay des genossenschaftlichen Prüfungsverbands haben, können Sie Mitglied werden.”

5. Sender GB News wird zum Sprachrohr von Rechtspopulisten
(fr.de, Sebastian Borger)
Der britische Sender GB News sei einst als seriöser Nachrichtensender gestartet, jetzt aber nicht viel mehr als ein britischer Verschnitt von Fox News, berichtet Sebastian Borger aus London. Das habe etwas mit der Eigentümerstruktur zu tun: “Für ihre bisher 60 Millionen Pfund (70,6 Millionen Euro) teure Investition wünscht sich die Gruppe exilierter Milliardäre, darunter Hedgefonds-Veteran Paul Marshall und die in Dubai beheimatete Investmentfirma Legatum von Christopher Chandler, ein Spiegelbild ihrer eigenen Ansichten: Brexit-begeistert, skeptisch bis feindselig gegenüber jenen, die von der Klimakrise sprechen, Rassismus- und Kapitalismus-Kritik üben.”

6. Was ich mit Prozessen bei Verlagen meine, wenn ich von Prozessen bei Verlagen schreibe
(indiskretionehrensache.de)
Nach 15 Jahren kündigt Thomas Knüwer sein “FAZ”-Abo. Das, was er beim Kündigungsvorgang erlebt, enttäuscht ihn ein weiteres Mal.

Wahlforschungs-Debakel, Exodus bei “Tagesschau” und Co., Ärgermacher

1. Ganz weit daneben
(zeit.de, Christian Endt)
Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war ein Debakel für einen Großteil der Wahlforschung: Mehrere Institute hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD vorhergesagt, am Ende lag die CDU mit mehr als 16 Prozentpunkten vorne. Um festzustellen, wie es zu dieser eklatanten Diskrepanz kam, hat sich “Zeit Online” die Zahlen der Institute etwas genauer angeschaut. Christian Endt vermutet: “Die nachlassende Verlässlichkeit von Umfragen könnte mit dem Erfolg der AfD und der zunehmenden Zersplitterung des Parteienspektrums zusammenhängen. Zugleich fällt es den Demoskopen immer schwerer, Menschen für die Teilnahme an Telefonumfragen zu gewinnen. Außerdem haben die Institute lange auf Festnetzanschlüsse gesetzt und tun sich mit der Verbreitung von Mobiltelefonen schwer”.
Weiterer Lesehinweis: Beim “Spiegel” erklärt der Wahlforscher Rüdiger Schmitt-Beck: “Ostdeutschland ist einfach ein Sonderfall” (spiegel.de, Sophie Garbe).

2. Anja Reschke: “‘Panorama’ muss auch Ärger machen”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Die ARD-Sendung “Panorama” ist das älteste politische Magazin im deutschen Fernsehen: Sie wird dieses Jahr stolze 60 Jahre alt. Seit zwanzig Jahren wird “Panorama” von Anja Reschke moderiert. Bei “DWDL” spricht Reschke darüber, wie die Sendung auch intern hinterfragt wird, auf welche Erfahrung sie gerne verzichtet hätte und worin sich “Panorama” von anderen Polit-Magazinen unterscheidet.

3. Wenn die Polizei Berichterstattung behindert
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 5:58 Minuten)
Immer wieder werfen Redaktionen der Polizei vor, an der Berichterstattung über Umweltproteste gehindert zu werden, ob im Hambacher Forst, am Steinkohlekraftwerk Datteln oder bei den jüngsten Protesten gegen den Ausbau der Autobahn 100 in Berlin. Dort sollen rund ein Dutzend Medienschaffende eingekesselt und mit Platzverweisen sowie Anzeigen wegen Hausfriedensbruch überzogen worden sein. Wie konnte es dazu kommen? Und wie ist das Vorgehen der Polizei zu bewerten? Darüber hat sich Antje Allroggen mit ihrem Kollegen Sebastian Engelbrecht unterhalten.

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4. Der dezentrale Newsroom
(journalist.de, Kathi Preppner)
Die Corona-Pandemie hat viele Journalistinnen und Journalisten ins Home-Office gezwungen. Die Arbeit von zu Hause wird von ihnen sehr unterschiedlich empfunden: Die einen schätzen sie, den anderen fehlt der direkte Austausch mit den Kollegen und Kolleginnen. Die Medienjournalistin Kathi Preppner hat ein Stimmungsbild eingeholt und geht dabei auch auf die Frage ein, ob und wie sich die redaktionelle Arbeit verändern wird.

5. Exodus bei “Tagesschau” und “Tagesthemen”: Was zieht Linda Zervakis, Jan Hofer und Pinar Atalay zu RTL und Pro7?
(rnd.de, Imre Grimm)
Nach Linda Zervakis und Jan Hofer zieht es mit Pinar Atalay nun das dritte prominente Team-Mitglied von “Tagesschau” und “Tagesthemen” ins Privatfernsehen. Imre Grimm kommentiert: “Drei Abgänge in wenigen Monaten – es ist schon ein vergleichsweise spektakulärer Exodus, den das Team von ‘ARD Aktuell’ verkraften muss. Man darf zweifellos von schwierigen Wochen für das ARD-Nachrichtenteam in Hamburg-Lokstedt sprechen.” Bei der Motivlage der Wechselwilligen vermutet Grimm schlicht zwei Dinge: “Geld und Glamour.”

6. Hildmann-Hetze auf Apple- und Android-Geräten gesperrt
(t-online.de, Lars Wienand)
Seit Dienstag sind sowohl auf Apple- als auch auf Android-Geräten in der Telegram-App bestimmte Inhalte nicht mehr sichtbar. Von den Sperren betroffen ist auch der Kanal von Attila Hildmann (circa 100.000 Abonnenten). Dieser hatte dort über einen beunruhigend langen Zeitraum Hass und Hetze betrieben, Bilder mit Hakenkreuzen gepostet und zum Umsturz aufgerufen. Hildmann soll sich Anfang des Jahres in die Türkei abgesetzt haben.

KW 19: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Till Eckert im Podcast zu Kein Filter für Rechts
(stern.de, Steffen Gassel, Audio: 44:05 Minuten)
“Correctiv”-Faktenchecker Till Eckert spricht bei “Stern nachgefragt” über die Instagram-Recherche “Kein Filter für Rechts” und erklärt, wie Rechtsextreme das Netzwerk nutzen, um Nachwuchs zu rekrutieren. Die vollständige Geschichte kann man hier nachlesen.

2. Wie entsteht das NDR Coronavirus Update?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:16:00 Stunden)
Der Podcast “NDR Coronavirus-Update” mit dem Virologen Christian Drosten und dessen Kollegin Sandra Ciesek erfreut sich großer Beliebtheit und wurde bereits vielfach ausgezeichnet. Doch das Format wird nicht nur von den zwei Fachleuten getragen. Im Hintergrund arbeitet eine zehnköpfige Redaktion. Korinna Hennig und Katharina Marenholtz gehören seit Beginn an zum Podcast-Team. Bei “Was mit Medien” geben sie einen Einblick in ihre Arbeit: Wie läuft die Zusammenarbeit mit Drosten und Ciesek? Wie sieht die Qualitätskontrolle aus? Was haben sie in den letzten Monaten über Medien gelernt?

3. Ulrike Meinhof: Von der Journalistin zur Terroristin
(youtube.com, Zapp, Caroline Schmidt, Video: 29:14 Minuten)
Für “Zapp” begibt sich Caroline Schmidt auf die Spur der ehemaligen Journalistin und späteren Terroristin Ulrike Meinhof – einer der Köpfe der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe beziehungsweise der Roten Arme Fraktion aus den 70er-Jahren. Schmidt hat sich dazu mit Zeitzeugen unterhalten wie dem ehemaligen “Konkret”-Redakteur und heutigen “Welt”-Herausgeber Steffan Aust und dem Schriftsteller Peter Schneider: “Es ist die Geschichte einer dramatischen Radikalisierung, von Meinhofs großer Zeit als Kolumnistin bei ‘Konkret’, über die Jahre im Untergrund und dann im Gefängnis bis hin zu einer letzten Geiselnahme, mit der Meinhofs Anhänger sie freipressen wollten – und scheiterten.”

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4. ARD-Zukunftsdialog und Radio nur für Frauen
(wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 43:27 Minuten)
Das WDR5-Medienmagazin behandelt in der Sendung folgende Themen: Tom Buhrow: “Da hingehen, wo die Leute sind”; Angriff auf den App-Store; Serie über Schwule – bitter nötig?; DAB+ kommt, UKW geht?; “Femotion” – Radio nur für Frauen; Medienschelte – Gepriesen sei der Lanz! Und Achtung, Tipp in eigener Sache: das neue Buch unserer BILDblog-Autoren Mats Schönauer und Moritz Tschermak.

5. Auf gelb gesetzt – Pressefreiheit in Deutschland und Spanien
(sr-mediathek.de, Isabel Sonnabend & Thomas Bimesdörfer, Audio: 17:29 Minuten)
Im Medien-Podcast des Saarländischen Rundfunks geht es um die Pressefreiheit in Spanien und die Frage, warum es dort an der Situation mehr auszusetzen gibt als in Deutschland. Beide Länder werden von den Reportern ohne Grenzen mit gelb (zufriedenstellend) eingestuft. Deutschland taucht in der 180 Staaten umfassenden Rangliste der Pressefreiheit derzeit an Platz 13 auf, Spanien liegt an 29. Stelle.

6. Warum Youtube jetzt immer mehr Werbung zeigt
(youtube.com, Walulis Story, Video: 15:08 Minuten)
Für Youtube kann es in letzter Zeit gar nicht genug Werbeclips geben, findet Philipp Walulis, egal wie dumm sie seien: “Hauptsache viel!” Walulis fragt sich, woher der Massenangriff der Werbeanzeigen kommt und welche Strategie dahinter steckt. Die habe etwas mit den Monetarisierungsmöglichkeiten für “Creator” und die zunehmende Konkurrenz durch Mitbewerber TikTok zu tun.

Ein Jahr Corona in “Bild”

Der folgende Text sollte eigentlich in unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” erscheinen, hat aus Platzgründen aber einfach nicht mehr reingepasst. Darum freuen wir uns, ihn nun exklusiv hier zu veröffentlichen.

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Unser Buch ist ab heute überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.

Kein Thema hat die Berichterstattung der “Bild”-Medien in der jüngeren Vergangenheit so sehr bestimmt wie die Corona-Pandemie. Aber wie genau sah diese Berichterstattung aus? Wie hat sich die Redaktion positioniert? Was war gut und was schlecht? Schaut man sich an, wie “Bild” im Jahr 2020 über das Coronavirus berichtet hat, lassen sich neun Phasen erkennen. Diese sind nicht komplett trennscharf, sie überlappen sich teilweise oder laufen parallel.

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Die Kennenlernphase (Januar 2020)

Es ist nur eine kurze Meldung, gerade mal 18 Zeilen lang, unauffällig platziert auf Seite 10 neben einem Ratgeberbeitrag, der erklärt, wie die Vorsätze für das neue Jahr “wirklich zu schaffen sind”. Überschrift: “SARS in China ausgebrochen?”

In der chinesischen Großstadt Wuhan ist eine mysteriöse Lungenkrankheit ausgebrochen. Bislang seien 27 Erkrankte identifiziert worden. Laut Experten sei die Ursache der Erkrankung derzeit noch unklar. Das chinesische Parteiorgan “Volkszeitung” spricht von “schweren Lungenentzündungen”. Beobachter befürchten jedoch, das SARS-Virus könnte die Ursache für die Erkrankung sein.1

An diesem 2. Januar 2020 schreibt “Bild” erstmals über das, was sich zur weltweiten Pandemie entwickeln wird.

In den folgenden Tagen passiert erst mal: nichts. Fast drei Wochen dauert es, bis in “Bild” zum ersten Mal von “Corona” die Rede ist. Am 22. Januar erscheint ein Artikel über einen “Berliner Professor”, der das “Corona-Virus” entschlüssele. Gemeint ist der Virologe Christian Drosten. Zu diesem Zeitpunkt gebe es “schon 6 Tote in China”, schreibt die Redaktion auf Seite 6:

Das neue Corona-Lungenvirus breitet sich auf dem asiatischen Kontinent aus.

Die Zahl der Infizierten stieg in China auf 291. Dazu kommen Fälle in Thailand, Japan, Südkorea, Taiwan und sogar in den USA. Sechs Menschen starben bereits.

Noch wird das Risiko einer Ausbreitung auch in Deutschland als gering gewertet.2

“Bild” zitiert Drosten mit: “Wir müssen uns in Deutschland darauf vorbereiten, dass es zumindest in Einzelfällen auch zu Einschleppungen der Erkrankung kommt.”

Von nun an geht es ganz schnell, exponentiell sozusagen. Bereits einen Tag später fragt “Bild”: “CORONA-VIRUS – Panikmache oder echte Gefahr für die Welt?”3 Schon jetzt haben die Layouter den Artikel in das Gelb getunkt, das sie traditionell bei Seuchen verwenden4 und das die Berichterstattung des kommenden Jahres optisch prägen wird. Am 27. Januar sind laut “Bild” “Europas Flughäfen in Alarm-Bereitschaft”, denn: Das “Corona-Virus breitet sich rasant aus – viele weitere Fälle”.5 Zwei Tage später dann die erste Corona-Titelseite: “Bundeswehr rettet Deutsche aus der Seuchen-Zone +++ Sondermaschine startet heute nach China +++ Schon vier Corona-Fälle in Deutschland +++ Botschaft organisiert Krisentreffen +++ Ansturm auf Schutzmasken +++ Was Sie jetzt wissen müssen”. Ein “Bild”-Redakteur schreibt im Kommentar: “Keine Panik!”, schließlich gelte: “Fast so schlimm wie ein Virus ist die Angst davor.”6

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Die Angst- und Alarmphase (Januar bis März 2020)

Nur einen Tag nach diesem Versuch, die Leserschaft etwas zu beruhigen, titelt “Bild”: “Deutsche China-Rückkehrer auf Isolier-Station – Corona-Angst!”7 Auch einen Tag später: “Corona-Angst – China-Rückkehrer werden HIER isoliert!” Im Blatt schlägt die Redaktion “Corona-Alarm auf Kreuzfahrtschiff” und schreibt von der “Sorge um Weltwirtschaft”.8 Wiederum einen Tag später steht auf Seite 1: “CORONA-ALARM in Deutschland, Vater und Tochter (5) erkrankt – Hier holen sie die erste Familie ab”. Dazu zeigt “Bild” ein großes Foto einer (immerhin verpixelten) Familie, die von Menschen in Schutzanzügen in Rettungswagen gebracht wird.9 “Bild am Sonntag” bietet am Tag darauf eine Übersicht über die “Seuchen der Angst” der vergangenen Jahre.10

Auch auf der Bild.de-Startseite herrscht zu dieser Zeit vor allem Verunsicherung, Ungewissheit und Angst: “CORONAVIRUS KAM DIREKT AUS DER SEUCHENZONE”11, “VIRUS-ANGST IN DEUTSCHLAND! Apotheken gehen die Schutzmasken aus”12, “Schlangen sollen das Coronavirus auf uns übertragen haben”13, “Ist es gefährlich, Pakete aus China anzunehmen?”14

Nachdem ein erster Corona-Ausbruch in Bayern15 unter Kontrolle zu sein scheint, verschwindet das Virus fast vollständig wieder von der “Bild”-Titelseite. Andere Themen sind wichtiger: “AKK gegen Merkel – Bitterböser Machtkampf”16, “Nach AKK-Abgang – MERZ KÄMPFT UM DIE MACHT IN DER CDU”17, “Deutschlands schlimmste Rentner-Abzocker gefasst!”18 Die Corona-Meldungen, die es nach ganz vorne schaffen, klingen fast schon hoffnungsvoll: “CORONA-Rückkehrer aus Quarantäne entlassen!”19, steht am 17. Februar auf Seite 1.

Eine Woche später ist es mit der Hoffnung allerdings vorbei. Die Schlagzeilen der Woche lauten:

• CORONA-ALARM! Italien riegelt Städte ab
• Minister Spahn schlägt CORONA-ALARM – “Die Epidemie ist in Europa angekommen”
• CORONA-AUSBRUCH im Rentner-Paradies – Deutsche Touristen im Hotel auf Teneriffa gefangen
• CORONA – So schützen Sie sich JETZT!
• Regierung beruft Expertenrunde ein – Der Krisen-Plan gegen Corona
• Corona-Verdacht im Regierungs-Flieger
• Wochenende im Bann von CORONA – Weltgrößte Tourismus-Messe in Berlin abgesagt +++ Konzerte, Fußballspiele auf der Kippe +++ Schon 54 Infizierte +++ Dax rauscht ab +++ Autogramm-Verbot für Bayern-Spieler +++ ERSTER HUND positiv +++ WHO löst “höchste Alarmstufe” aus +++ BILD sagt, was Sie jetzt beachten müssen20

Bei Bild.de ist die Stimmung dieselbe. Obendrauf kommen Fotos von leeren Supermarktregalen und Anleitungen zu “Hamsterkäufen”: “FAMILIENVATER ZEIGT SEINEN VORRATSKELLER – Wegen Corona! Das habe ich für 420 Euro eingekauft”.21 “Hohe Verkaufszahlen bei Aldi und Lidl – Hamsterkäufe wegen Coronavirus!”22 Die “Bild”-Redaktion treibt ihre Leserschaft in die schon teilentleerten Supermärkte: “CORONA-ANGST IN DEUTSCHLAND – Diesen Vorrat brauchen Sie für zehn Tage Quarantäne!”23 Und damit es auch schmeckt, erzählt Koch Johann Lafer bei “Bild-TV”: “Das können Sie aus Ihren Corona-Vorräten kochen”.24 Nur eine Woche später meldet “Bild”: “TAFELN SCHLAGEN ALARM – Wegen Hamstereinkäufen! Weniger Essen für Bedürftige”.25

Die Redaktion macht (nicht nur) in dieser Zeit aus der Angst der Leser Geld. Sie eröffnet mit fragenden Überschriften teils ganz alltägliche Schreckensszenarien und gibt die Antworten nur hinter der “Bild-plus”-Paywall: “BILD fragte bei Hersteller Hakle nach – Kann Klopapier wirklich knapp werden?” (Antwort: Nein).26 Oder: “ITALIEN SCHLIESST ZAPFSÄULEN – Machen auch bei uns die Tankstellen dicht?” (Antwort: Nein).27 Und: “Fast 100 Milliarden Euro fehlen – GEHT DEUTSCHLAND PLEITE?” (Antwort: Nein, “Deutschland kann kaum pleite gehen”).28 Es scheint “Bild” nicht darum zu gehen, die Leserschaft ordentlich und gewissenhaft zu informieren, sondern um den Verkauf von Abos: In der “Amazon”-Doku “BILD.Macht.Deutschland?” sagt Julian Reichelt in einer Redaktionskonferenz mit Blick auf die Corona-Krise: “Es geht darum, dass wir in einer Zeit, in der unsere Auflage morgen um die Hälfte einbrechen kann, eine wirtschaftliche Perspektive haben.”29

Wie folgenreich die “Bild”-Berichterstattung in einer derart angespannten Situation sein kann, zeigt sich am 22. März. Im Corona-Liveticker bei Bild.de erscheint eine Meldung zum Ortenau-Klinikum in Offenburg. Überschrift: “Das Klinikum Offenburg sucht händeringend Helfer!”30 Im Text steht:

Das Klinikum Offenburg (Baden-Württemberg) ist am Limit – und richtet diesen Appell an die Öffentlichkeit: Dringender Appell an euch!

Wir benötigen im Klinikum Offenburg dringend helfende Hände. Ob mit oder ohne medizinische Erfahrung spielt keine Rolle. Es gibt Bedarf in der Küche, an der Pforte, Essen verteilen, Betten schieben. Und wer medizinische Kenntnisse hat im pflegerischen Bereich.

Wer jemand kennt, der jetzt zum Beispiel in Kurzarbeit ist, bitte melden. Per E-Mail: […] oder telefonisch […].31

Die “Bild”-Redaktion nennt eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer, die man anschreiben beziehungsweise anrufen soll, wenn man helfen möchte. Nur: Das Klinikum sucht gar nicht “händeringend Helfer”. “Bild” scheint blindlings aus einer kursierenden WhatsApp-Nachricht abgeschrieben zu haben. Die Redaktion von “Hitradio Ohr” fragt hingegen mal beim Klinikum nach:

Auf HITRADIO OHR-Anfrage hieß es heute (Sonntag) vom Ortenau Klinikum, das sei wohl Fake News.

Es gebe Überlegungen, ob das irgendwann nötig sei und intern gebe es beim Ortenau Klinikum die Überlegung, ob man sich – wenn sich die Situation verschlechtere – auch an die Öffentlichkeit wende. Das sei aber nur eine Idee und momentan KEIN Aufruf an die Bevölkerung. Beim Klinikum stehe wegen des “Fake-Aufrufs” das Telefon nicht mehr still.32

Nun ist es eine Sache, dass die Mitarbeiter des Klinikums auch dank “Bild” auf “rund 1000 Anfragen” reagieren müssen und damit nicht ihrem eigentlichen Job nachgehen können. Dazu kommt, dass die Meldung in dem Liveticker den Eindruck vermittelt, dass ein Krankenhaus die Situation nicht mehr im Griff hätte und bereits “am Limit” wäre. Das Ortenau Klinikum sieht sich genötigt, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Es veröffentlicht eine Stellungnahme und betont, dass man “bestens ausgestattet” sei.33

Erst nach mehreren Stunden löscht Bild.de die Falschmeldung und schreibt in einer späteren Liveticker-Meldung, dass ein gefälschter Appell des Klinikums Offenburg im Umlauf sei. Die eigene Rolle bei dieser Geschichte bleibt unerwähnt.

Von solchen Fehltritten abgesehen, macht die “Bild”-Redaktion in den ersten Monaten des Jahres 2020 aber gar keinen schlechten Job. Viele Artikel sind stark boulevardesk und emotional aufgeladen; die Berichterstattung ist rückblickend im Umfang und in ihrer Dringlichkeit der Bedrohung und der potenziellen Entwicklung allerdings durchaus angemessen. Selbst “Bild”-Chef Julian Reichelt klingt ungewohnt versöhnlich. Am 9. März kommentiert er:

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass es nicht auf jede Frage eine gute Antwort, nicht für jede Sorge sofortige Beruhigung gibt.

Aber eben auch, dass wir als Land in dieser Situation in bestmöglichen Händen sind: Unsere medizinische Versorgung ist überragend, unsere Ärzte sind pflichtbewusst und engagiert, deutsche Experten und Virologen genießen weltweit einen exzellenten Ruf und die Politik mit Gesundheitsminister Jens Spahn reagiert konsequent, aber besonnen.34

Bei einer Person scheinen sich Reichelt und “Bild” hingegen nicht “in bestmöglichen Händen” zu fühlen: bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.

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Die Anti-Merkel-Phase (ab Ende Februar 2020, seitdem andauernd)

Am 28. Februar schreibt Bild.de: “Nur Merkel kneift in Sachen Corona-Krise”. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, Italiens Premier Guiseppe Conte und US-Präsident Donald Trump mit Reden ihre Bürger beruhigen würden, sei von Angela Merkel nichts zu hören oder zu sehen: “Deutschland in der Corona-Krise. Und wo steckt die Kanzlerin?”35 Am 11. März, also zwei Tage nach Julian Reichelts Lobeshymne auf die “bestmöglichen Hände”, in denen sich Deutschland befinde, titelt “Bild” groß: “Kein Auftritt, keine Rede, keine Führung in der Krise – Die Kanzlerin und das CORONA-CHAOS”. Merkel sei kaum zu sehen und äußere sich zu Corona nur wenig, kommentiert der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer: “Sie lässt die Bevölkerung allein. Dabei müsste sie jetzt Führung zeigen!”36

Wie wichtig eine Stellungnahme der Kanzlerin in den entscheidenden Fragen für “Bild” ist, zeigt sich einen Tag später. Merkel sitzt mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher in einer Pressekonferenz, die anwesenden Journalisten können Fragen stellen. Als erster ist der Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros dran. Er fragt, welche Auswirkungen das alles jetzt “auf die Wiesn in Bayern” habe.37

Die TV-Ansprache, die Angela Merkel am 18. März hält38 und die viele Menschen bewegt39, reicht “Bild”-Chef Julian Reichelt nicht. In einem langen Kommentar schreibt zwar auch er, dass Merkel “den richtigen Ton getroffen” habe, “doch inmitten emotionaler Appelle zum Ernst der Lage blieb sie der Bevölkerung das Wichtigste schuldig: eine Erklärung, was SIE persönlich in ihrem Amt für die Menschen tun wird.” Reichelt feuert daraufhin eine lange Reihe von Vorwürfen ab, die als Fragen formuliert sind, in denen er die Kanzlerin attackiert und sich als Kämpfer für all jene inszeniert, “die seit Jahren die Steuerkassen füllen”. Auf dem Spiel stehe “alles, was wir uns seither aufgebaut und erarbeitet haben”. Merkel solle endlich sagen, wie sie den Menschen helfen wolle, “mit dem Geld, das wir alle erarbeitet haben”. Er schreibt Sachen wie:

Wo bleibt das Versprechen der Kanzlerin, dass deutsche Kernindustrien wie der Autobau und die Luftfahrt auch nach der Corona-Krise international wettbewerbsfähig bleiben werden? Wenn am Ende dieser Gesundheitskrise Massenarbeitslosigkeit steht, überlassen wir das Land mit Ansage den Extremisten.

Oder er fragt, wo das Versprechen der Kanzlerin bleibe, “dass China, das aus der selbst verschuldeten Epidemie nun Profit schlagen will, keine deutschen Unternehmen erwerben und keinen Zugang zu deutscher Infrastruktur bekommen wird”.40 Solche Dinge will er wissen, zu einem Zeitpunkt, an dem man noch nicht mal sicher sagen kann, ob die Wiesn nun stattfinden können oder nicht.

Einer macht es aus “Bild”-Sicht deutlich besser als Angela Merkel. Nachdem Österreichs Kanzler Sebastian Kurz laut “Bild” “CORONA-KLARTEXT” gesprochen hat, schreibt die Redaktion sehnsüchtig: “So einen brauchen wir auch!” Es seien “nur 520 Kilometer zwischen Berlin und Wien. Aber in der Corona-Krise fühlt sich Österreich an wie eine andere Welt”:

Während Kanzlerin Angela Merkel (65, CDU) angeschlagen wirkt, sich mit den Ministerpräsidenten auf keine gemeinsame Linie einigen kann, zeigt Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (33) Führungsstärke.

Fast täglich steht er kerzengerade vor den TV-Kameras, präsentiert eine Knallhart-Maßnahme nach der anderen: Kaffeehäuser nur noch bis 15 Uhr geöffnet. Alle nicht dringend benötigten Läden sind geschlossen. Die Ski-Orte St. Anton und Ischgl abgeriegelt. Schulen sind längst dicht.

Kurz zeige: “SO geht der Shutdown eines ganzen Landes!”41

Die Idee, Deutschland herunterzufahren, findet bei “Bild” Unterstützung. In einem “DAS-MEINT-BILD”-Kommentar schreibt die Redaktion, dass “wir beweisen” müssten, “dass wir nicht nur 82 Millionen Einzelpersonen sind, sondern eine Gemeinschaft”:

Jetzt muss jeder von uns ein Vorbild sein!

Die Politik darf bei harten Maßnahmen gegen das Virus nicht zögern. Wenn Gesundheitsminister Jens Spahn und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vorübergehend Schulen schließen wollen, dann verdient das die Unterstützung der Bevölkerung. Dies dient unserem Schutz.42

Bei “Bild-TV” warnt ein Arzt: “Deutschland braucht den kompletten Shutdown!”43 Am 22. März beschließen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten tatsächlich umfangreiche Kontaktbeschränkungen.44 Und die “Bild”-Berichterstattung legt eine bemerkenswerte Kehrtwende hin.

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Die Wieder-öffnen-Phase (März bis Mai 2020)

Bis hierhin hat “Bild” wiederholt und eindringlich klargemacht, welche “Angst” man vor dem Coronavirus haben müsse, wie schrecklich untätig Angela Merkel sei, wie sehr es “unserem Schutz” diene, wenn beispielsweise die Schulen geschlossen werden, und wie führungsstark Sebastian Kurz “eine Knallhart-Maßnahme nach der anderen” präsentiere. Nun machen Merkel und ihre Regierung ziemlich genau das, was “Bild” fordert – und das ist nun auch wieder falsch.

Gerade mal vier Tage nach dem Beschluss zu den Kontaktbeschränkungen, am 26. März, lässt “Bild” “CORONA-SKEPTIKER FRAGEN: ,Sind Löscharbeiten verheerender als der Brand?‘”45 Am 28. März titelt “Bild” groß: “Riesen-Wirrwarr um Kampf gegen Corona – Maßnahmen lockern oder nicht?”. Im Blatt fragt die Redaktion ungeduldig: “Wann sollen die Corona-Regeln denn nun gelockert werden?”46 Wieder zwei Tage später fragt ein “Bild”-Kolumnist: “WIE LANGE HALTEN WIR DAS DURCH?” Einen Tag später schreibt er: “Wir hören zu viel auf Virologen!” Auf der Titelseite derselben Ausgabe ruft die Redaktion einen “nationalen Kraftakt gegen Corona” aus (als würden Politiker und viele andere Menschen nicht schon seit Wochen kraftakten): “BILD sagt, was SOFORT passieren muss”. Neben der Forderung, dass Kanzlerin Merkel “jeden Tag zum Volk sprechen” müsse, und dem genialen Einfall, dass ein “neues Wirtschafts-Wunder” doch ganz praktisch wäre, ist für “Bild” von besonderer Bedeutung, dass die Fußball-Bundesliga endlich wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen soll.47 Dieser Wunsch könnte nicht ganz uneigennützig sein: Die Sport-Berichterstattung, und dort speziell die Fußball-Bundesliga, ist für die “Bild”-Medien immens wichtig.

In Österreich rückt Kanzler Kurz von seinen “Knallhart-Maßnahmen” ab und beschließt, dass ab Mitte April einzelne Läden wieder aufmachen dürfen. Die “Bild”-Redaktion ist erneut hin und weg: “DER KURZ-PLAN – So was wollen wir auch!” Auf Seite 1 schreibt sie: “NEUSTART NACH CORONA – Ösis machen‘s uns vor – Erste Geschäft in Österreich ab 14. April wieder geöffnet – aber Merkel bleibt hart”.48

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird deutlich, dass die “Bild”-Berichterstattung vor allem einem Grundsatz folgt: Hauptsache dagegen. Bis zu den Lockerungen der Kontaktbeschränkungen am 6. Mai49 schreiben die “Bild”-Medien konsequent gegen die Einschränkungen an: “Kanzlerin, machen Sie unser Land wieder auf!”, fordert “Bild” am 15. April auf der Titelseite.50 Es geht um “Chaos um Corona-Regeln”51, die Redaktion lässt einen Chefarzt im Blatt fordern: “MACHT DIE KLINIKEN WIEDER AUF … und zwar FÜR ALLE!”52 Bild.de berichtet über “DIE WUT DER WIRTE”53 und schreibt zu möglichen “CORONA-LOCKERUNGEN”: “Merkel will nicht, aber muss!”54 Die “Bild am Sonntag” titelt am 12. April: “WIR WOLLEN ZU HAUSE BLEIBEN!” Was erstmal wie eine Forderung nach einer Lockdown-Verlängerung klingt, ist das Gegenteil: “Ein Aufruf von 28 Prominenten über 70”, die anbieten, zu Hause zu bleiben, “damit die Jungen eine Zukunft haben und die Wirtschaft nicht kollabiert”. Oder anders gesagt: Die Alten bleiben drin, damit alle anderen wieder raus und loslegen können. Keine dieser 28 Personen dürfte übrigens bei einer Umsetzung des Plans in einer winzigen Wohnung ohne Balkon festsitzen. Die Wir-wollen-zu-Hause-bleiben-Promis auf der “BamS”-Titelseite sind größtenteils Millionäre und Milliardäre wie Dietmar Hopp, Friede Springer und Hubert Burda.55

Personen, die sich nicht auf “Bild”-Linie befinden und sich nicht für Lockerungen, sondern eher für strengere Maßnahmen aussprechen, bekommen von der Redaktion Gegenwind. Auch und gerade Wissenschaftler.

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Die Anti-Drosten-Phase (April bis Mai 2020)

“Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht”, schreibt “Bild” am 26. Mai groß auf Seite 1. Im Blatt lautet die Überschrift: “Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch”. Es seien “FRAGWÜRDIGE METHODEN” zum Einsatz gekommen.56 Im Artikel liefert der Autor allerdings keinen einzigen Beleg für die auf der Titelseite hergestellte Kausalität zwischen Studie und geschlossenen Schulen und Kitas. Stattdessen versucht er, die bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen vorgesehenen kritischen Überprüfungen durch andere Wissenschaftler als eine Art Zoff zwischen Forschern darzustellen.

Die “Bild”-Geschichte wird stark kritisiert. Sogar von den Wissenschaftlern, die “Bild” im Beitrag als Kronzeugen gegen den Virologen Christian Drosten anführt. Sie alle distanzieren sich umgehend von dem Bericht. Einer schreibt bei Twitter, dass er “nicht Teil einer Anti-Drosten-Kampagne sein” wolle.57 Ein anderer stellt klar: “Ich wusste nichts von der Anfrage der BILD und distanziere mich von dieser Art Menschen unter Druck zu setzen auf das schärfste.”58

Bereits einen Tag zuvor veröffentlicht Christian Drosten bei Twitter einen Screenshot einer E-Mail des “Bild”-Autors. Dieser wollte, dass der Wissenschaftler Fragen zu seiner Studie beantwortet, und räumte dafür lediglich eine Stunde ein. Drosten schreibt bei Twitter, er habe “Besseres zu tun”. Anfangs ist in dem Screenshot auch die Handynummer des “Bild”-Mitarbeiters zu sehen. Nach Kritik löscht Drosten diesen Tweet wieder und postet die “Bild”-Anfrage noch einmal, diesmal ohne Handynummer.59

Das Verhalten von “Bild” sorgt für größeres Entsetzen – über die Schärfe des Angriffs, den aufgebauten Druck in der Anfrage, das Hochjazzen einer eigentlich vorsichtigen Formulierung des Virologen, das Unverständnis der Redaktion für wissenschaftliche Abläufe und Diskussionen, die falsche Verknüpfung zwischen Drostens Studie und Schulschließungen.60 Die Medienforscherin Johanna Haberer sagt zur Anti-Drosten-Kampagne von “Bild”: “Der Boulevard lebt von Angst und Unsicherheit. Und natürlich kann man einen Wissenschaftlerkonflikt zu einem persönlichen Kleinkrieg hochkochen. Beim Thema Gesundheit ist das allerdings fahrlässig.”61

Die “Bild”-Kampagne gegen Christian Drosten läuft zu diesem Zeitpunkt schon einige Wochen. In einer Reihe von Beiträgen wird Drostens Autorität als Wissenschaftler untergraben 62, die Redaktion arbeitet genüsslich frühere Fehleinschätzungen heraus63, stellt ihn als Einflüsterer dar, macht ihn zum Kollegenschwein64. Sie reißt Aussagen aus dem Zusammenhang, verfälscht zeitliche Abläufe und erfindet Behauptungen.65 Dazu inszeniert sie eine Art Seifenoper: Es gebe einen “Virologen-Clinch um CORONA-STUDIE”66 zwischen Hendrik Streeck und Christian Drosten, inklusive “zweiter Runde”67. Es ist eine Trivialisierung und Boulevardisierung von Wissenschaft. Die Bild.de-Leser können zum Beispiel abstimmen: “Welchem Virologen vertrauen Sie am meisten?”68 Das Ergebnis ist eine Mischung aus Ranking und Quartettspiel mit Angaben zum “Spezialgebiet”, dem Privatleben und dem jeweils “größten Irrtum”.69

Im Artikel “DREI EXPERTEN, DREI MEINUNGEN – Wie sehr kann man sich auf unsere Virologen verlassen?” erklärt “Bild” Drosten Ende April zum “Corona-Flüsterer der Kanzlerin” und gibt ihm damit etwas Rasputinhaftes.70 Im großen Vertrauen, das Angela Merkel dem Virologen entgegenbringt, und im daraus resultierenden Einfluss Drostens könnte sich der eigentliche Kern der massiven Kritik der “Bild”-Redaktion verstecken: Ihre Anti-Drosten-Kampagne ist im Grunde eine Verlängerung ihrer Anti-Merkel-Kampagne.71

Andere Personen, tatsächliche oder vermeintliche Experten, mit denen “Bild” einer Meinung ist, werden im Vergleich deutlich freundlicher behandelt.

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Die Klügste-Köpfe-Phase (ab Mai 2020, seitdem andauernd)

Am 8. Mai, nur zwei Tage nach der Entscheidung der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten, den Lockdown zu beenden, hat “Bild” im Blatt “Deutschlands klügste Corona-SKEPTIKER” zusammengetrommelt.72 Sie “KRITISIEREN DIE HARTEN MASSNAHMEN”: Der “Lockdown war ein Riesen-Fehler”.73 Einer dieser sechs “honorigen Meister ihres Fachs” ist der Professor Stefan Homburg. Am Tag nach Veröffentlichung des “Bild”-Artikels steht Homburg in Stuttgart auf der Bühne einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen und behauptet, dass die Wissenschaftler, die die Bundesregierung zur Corona-Pandemie zurate zieht, “weitgehend korrumpiert” seien. Außerdem sagt er, dass er inzwischen besser verstehe, was 1933 bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten passiert sei.74 Später verschärft er diese Aussage bei Twitter: “Das hier IST 1933.”75 Schutzmasken hält Homburg für “Sklaven-Masken, mit denen die Bevölkerung psychisch niedergehalten werden soll”.76 Er schürt Ängste vor der Corona-Impfung, indem er twittert: “Selbst wenn nur einer von Tausend an oder mit der Impfung stirbt, macht das bei Durchimpfung der deutschen Bevölkerung rund 80.000 Impftote.”77 Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass “einer von Tausend an oder mit der Impfung stirbt”. In der Phase-III-Studie des Impfstoffs von Pfizer und BioNTech beispielsweise gab es unter den rund 43.500 Probanden keinen einzigen Todesfall.78 Homburgs verschiedensten Behauptungen wurde in zahlreichen Faktenchecks widersprochen.79

Ein weiterer “honoriger” Experte ist Klaus-Dieter Zastrow, den die “Bild”-Medien meist als “Hygiene-Papst” präsentieren.80 Zastrow sagt, die Gefahr einer zweiten Infektionswelle sei “ein Hirngespinst”.81 Auf der “Bild”-Titelseite vom 6. Mai ist ein Foto von ihm zu sehen, dazu die Überschrift: “Hygiene-Papst sicher – Es wird KEINE zweite Welle geben”.82 Ein paar Monate später kommt die zweite Welle doch.83 Am 29. September knöpft sich Zastrow Angela Merkel vor. Die Kanzlerin hatte vorgerechnet, dass es in Deutschland bis Weihnachten 2020 bis zu 19.200 Neuinfektionen pro Tag geben könnte.84 Für Zastrow ist das “purer Alarmismus”, das habe “nichts mit der Realität zu tun.”85 Tatsächlich trat das Szenario der Kanzlerin noch viel früher ein als von ihr prognostiziert.86 Kaum ein anderer Experte kommt zu dieser Zeit in der Corona-Berichterstattung der “Bild”-Medien so häufig zu Wort wie Klaus-Dieter Zastrow.

Neben Homburg, Zastrow und drei weiteren Professoren gehört laut “Bild” auch eine “Journalistinnen-Legende” zu den sechs “klügsten Corona-SKEPTIKERN” des Landes: Patricia Riekel, früher Chefredakteurin des Peoplemagazins “Bunte”.87 “Sie wäre lieber dem schwedischen Weg der Mahnungen statt Verbote gefolgt”, schreibt “Bild” über Riekel. Es ist keine große Überraschung, dass die Redaktion sie dafür lobend erwähnt.

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Die Oh-wie-schön-ist-Schweden-Phase (Mai bis Dezember 2020)

Monatelang ist Schweden, wo die Corona-Maßnahmen lange Zeit auf Empfehlungen und Freiwilligkeit basieren88, für die “Bild”-Redaktion das Nonplusultra. “Mehr Schweden wagen!”, fordert ein “Bild”-Kommentator im Juli.89 Der Leiter des Ressorts “Meinung” schreibt im September über “Drei Schweden-Wahrheiten, die niemand hören will”90 und berichtet im Oktober: “Deutschland macht dicht, Schweden auf!”91 Bei “Bild-TV” läuft eine Doku über “SCHWEDENS SONDERWEG DURCH DIE CORONA-KRISE”: “,Wir leben hier unser normales Leben weiter‘”.92 In der “Bild”-Zeitung gibt es zeitweise sogar eine eigene tägliche Rubrik: “Und wie geht‘s SCHWEDEN?” Am 11. Mai ist dort beispielsweise zu lesen, dass Stars in der Hauptstadt Konzerte gäben, “trotz Corona”:

In Schweden finden wieder vermehrt Kultur-Veranstaltungen mit Publikum statt.

Im Mai werden u.a. Burlesque-Star Dita von Teese und Sänger Randy Newman Auftritte in Stockholm absolvieren.

Ein Künstler jedoch sticht besonders hervor: Black-Sabbath-Gründer Tony Iommi will trotz schwerer Krebserkankung am 15. Mai im “Lilla Cirkus” in Stockholm spielen.

Vor lauter Begeisterung für die kulturellen Angebote in Schweden scheint die Redaktion die Recherche93 vergessen zu haben. Dita von Teese gab bereits sechs Wochen zuvor bekannt, dass ihr Auftritt nicht stattfinden kann.94 Dass das Konzert von Randy Newman wegen der Beschlüsse der schwedischen Regierung abgesagt werden muss, teilte der Veranstalter am 27. April mit.95 Und dass Tony Iommi aus demselben Grund nicht auftreten kann, wird an dem Tag bekannt, an dem der “Bild”-Artikel erscheint.96

Zwischendurch werden bei Bild.de zwar auch die vielen Todesfälle in Schweden erwähnt97, in der “Bild”-Zeitung berichtet eine Reporterin, dass Schweden entspannt bleibe, “aber nicht verschont”98. Der Grundtenor aber ist: Die Schweden machen es besser.

Damit ist spätestens am 17. Dezember Schluss. Die “Bild”-Redaktion zitiert in einem Artikel Schwedens König Carl Gustav:

“Wir haben versagt. Eine große Anzahl von Mitmenschen ist gestorben und das ist fürchterlich. Wir leiden alle darunter. Ich finde es schrecklich angesichts all der verstorbenen Menschen. Und die Traurigkeit und die Frustration, die viele Menschen und Unternehmer plagen, die in den Knien liegen und sogar ihr Geschäft verloren haben. Es war ein schreckliches Jahr.”

Der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven sehe die Schuld “bei den führenden Gesundheitsexperten des Landes”. Eine extra eingesetzte Corona-Kommission erklärt, dass man es nicht geschafft habe, ältere Menschen vor dem Virus zu schützen. Die “Bild”-Redaktion schreibt: “Auf die Bevölkerung heruntergerechnet hat das Land mit rund zehn Millionen Einwohnern damit deutlich mehr Infektionen und Todesfälle gehabt als Deutschland oder der Rest Skandinaviens.”99 Der Sehnsuchtsort Schweden verschwindet aus der Berichterstattung.

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Die China-soll-zahlen-Phase (ab April 2020, seitdem andauernd)

Ein anderes Land steht von Beginn an am entgegengesetzten Ende der “Bild”-Beliebtheitsskala: China. Schon früh schreiben die “Bild”-Medien vom “China-Virus”.100 Mitte April veröffentlicht “Bild” eine große Rechnung: “WAS CHINA UNS JETZT SCHON SCHULDET”. Allein für die deutsche Tourismusbranche veranschlagt die Redaktion “24 Mrd. Euro Umsatz-Minus” in zwei Monaten. Für den Einzelhandel schlägt sie “1,15 Mrd. Euro entgangene Umsätze pro Tag” obendrauf. Außerdem noch “55 Mrd. Euro für Pandemiebekämpfung”, “10 Mrd. Euro mindestens für Kurzarbeit” und so weiter. In der “Amazon”-Doku über “Bild” ist die Redaktionskonferenz zu sehen, in der diese Rechnung geplant wird. Einigen Mitarbeitern scheint die Aktion unangenehm zu sein.101

Noch am Tag der Veröffentlichung schreibt eine Sprecherin der chinesischen Botschaft in Berlin einen offenen Brief an Julian Reichelt: “Mit einigem Befremden habe ich heute Ihre Berichterstattung zur Corona-Pandemie im Allgemeinen und zu der vermeintlichen Schuld Chinas daran im Besonderen verfolgt.” Sie betrachte es als “ziemlich schlechten Stil”, ein Land für eine Pandemie verantwortlich zu machen, “unter der die ganze Welt zu leiden hat und dann auch noch eine explizite Rechnung angeblicher chinesischer Schulden an Deutschland zu präsentieren”.102 Reichelt antwortet prompt – mit einem offenen Brief an Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping.103 Er spricht sein Schreiben auch vor laufender “Bild-TV”-Kamera ein. Das Video erscheint mit chinesischen Untertiteln104 und auch auf Englisch.105 Die Resonanz ist riesig. In einer erneuten Redaktionskonferenz zeigt Reichelt per Beamer sichtlich stolz, dass auch Donald Trumps Sohn seinen Videokommentar bei Twitter verbreitet habe, und erzählt dazu sichtlich noch stolzer, dass das wiederum auch der Vater retweetet habe.106

Im September präsentiert Bild.de eine “chinesische Forscherin”, die angeblich das liefert, was es bräuchte, damit China womöglich wirklich zur Rechenschaft gezogen wird:

Ist das Coronavirus von Menschenhand gemacht? Dr. Li-Meng Yan sagt: Ja! “Es kommt aus dem Labor in Wuhan. Die Genomsequenz ist wie ein menschlicher Fingerabdruck.”

In der Überschrift zitiert die Redaktion die Chinesin: “,Das Corona-Virus kommt aus dem Labor‘”. Das habe die chinesische Führung aber erfolgreich vertuscht, sagt die Frau. Und:

In Hongkong habe außerdem jemand ihre Erkenntnisse von ihrem Computer gelöscht, sagte Dr. Li-Meng Yan der “Daily Mail”. Die Beweise bleibt sie bis heute schuldig. Sie wolle diese aber noch vorlegen, so Yan.107

Einen Tag später ist es schon so weit. Bild.de berichtet: “Forscherin zeigt ihr Beweismaterial”. Im Artikel steht:

“Das Virus kommt aus dem Labor.” Eine chinesische Virologin, die lange an der Uni Hongkong arbeitete und das neuartige Coronavirus eigenen Angaben zufolge seit Ende 2019 erforschte, bestätigt mit dieser Aussage, was viele Menschen schon lange glauben.

Jetzt hat Dr. Li-Meng Yan mit drei weiteren Forschern eine wissenschaftliche Arbeit (“Paper”) vorgelegt, die sogar zeigen soll, wie das Virus hergestellt wurde.

Die Redaktion ergänzt noch: “BILD übersetzt prägnante Aussagen ins Deutsche. Es liegt allerdings noch keine Prüfung von Dr. Li-Meng Yans Arbeit durch unabhängige Wissenschaftler vor.”108

Das US-Nachrichtenmagazin “Newsweek” hilft dabei. Es bittet mehrere Wissenschaftler, sich das Paper anzuschauen. Deren Urteil ist verheerend: Li-Meng Yan liefere keine neuen Informationen, sie stelle mehrere unbelegte Behauptungen auf, ihre wissenschaftliche Argumentation sei schwach. Dem Preprint-Bericht könne in dieser Form keinerlei Glaubwürdigkeit verliehen werden, sagt einer der Wissenschaftler.109

Die “Bild”-Redaktion reagiert auf den “Newsweek”-Text und ergänzt in ihrem Artikel: “Mehrere Wissenschaftler widersprechen der Forscherin, kritisieren die Aussagen als Verschwörungstheorien”.110 Der erste Artikel zum Thema (“,Das Corona-Virus kommt aus dem Labor‘”) ist unverändert online.

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Die Nicht-wieder-schließen-Phase (ab Mai 2020, seitdem andauernd)

Mit Blick auf die Situation in Deutschland haben sich die “Bild”-Medien inzwischen offenkundig auf eine Richtung festgelegt: Sie kämpfen gegen die Corona-Maßnahmen. Die Mittel scheinen dabei egal zu sein.

Dem Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery legt Bild.de im September ein erfundenes Zitat in den Mund: “Weltärzte-Chef Montgomery bei Anne Will – ,Grundrechtseinschränkung, eine Maske zu tragen!‘” Das hat der frühere Präsident der Bundesärztekammer bei seinem Fernsehauftritt jedoch nie gesagt. Tatsächlich spricht sich Montgomery dort für das Tragen von Masken aus. Er fragt: “Ist es eine Grundrechtseinschränkung, sich eine Maske aufsetzen zu müssen?” Und erklärt dann, dass selbst ein “feuchter Lappen vor dem Gesicht” zumindest “die anderen schützen kann”.111 Den Artikel hat die “Bild”-Redaktion später gelöscht.

Sie ist augenscheinlich bemüht, die Corona-Maßnahmen als willkürlich oder aberwitzig darzustellen. Bei Auftritten des Zaubererduos “Ehrlich Brothers” beispielsweise herrscht laut Bild.de-Schlagzeile der “Corona-Irrsinn”. Hinter der “Bild-plus”-Paywall klingt die Geschichte schon gar nicht mehr so irrsinnig: “In Düsseldorf durften die Brüder vor 2500 Fans auftreten. In Köln hingegen sorgten gestiegene Infektionszahlen einen Tag vor dem Event am Sonntag für die Absage der Stadt.”112 Der zuvor festgelegte Grenzwert bei der Sieben-Tage-Inzidenz wurde in Köln überschritten. In Düsseldorf nicht. In Düsseldorf durften die “Ehrlich Brothers” auftreten. In Köln nicht.

Am 18. September titelt “Bild”: “Härtere Corona-Regeln in der Kirche als im Puff – Singen verboten, aber Sex ist erlaubt!” Die erkennbare Idee hinter dem Artikel: Dinge vergleichen, die möglichst wenig miteinander zu tun haben, deren Kombination aber im Bestfall für Kopfschütteln und Unmut sorgt. Der Autor versucht es so:

Die Gefahr, abends nach dem Schwimmen von nassen Haaren auf dem Fahrrad krank zu werden, dürfte bei knapp 100 Prozent liegen. Die Gefahr, Corona zu bekommen, liegt im niedrigen einstelligen Bereich, aber die Berliner Bäderbetriebe haben die Benutzung der elektrischen Haartrockner unterbunden – die Aerosole.113

Es ist eigentlich allgemein bekannt114, dass niemand allein durch nasse Haare krank wird, erst recht nicht zu “knapp 100 Prozent”. Durch Aerosole kann man hingegen durchaus krank werden. Überschrieben ist der Artikel mit: “Diesen Corona-Irrsinn versteht niemand mehr”.115

Oder man will es nicht verstehen. Nur einen Tag später erscheint bei Bild.de ein Kommentar, der die Corona-Regeln als “absurd” bezeichnet. Es geht um Bilder und Situationen, die die Maßnahmen hervorrufen und “die wir unseren Kindern nicht erklären können.” Zum Beispiel:

Warum müssen Kinder auf dem Schulhof Maske tragen, im Unterricht dann aber im Klassenzimmer nicht mehr?

Kein Kind, das vorher gelernt hat, wie wichtig Vernunft als Grundlage von Entscheidungen ist, kann das verstehen.116

Man könnte den Kindern die Überlegung hinter dieser Regelung erklären. In Schleswig-Holstein etwa ist es das sogenannte Kohortenprinzip:

Das Kohortenprinzip sichert einen regulären Schulbetrieb. Durch die Definition von Gruppen in fester Zusammensetzung (Kohorten) lassen sich im Infektionsfall die Kontakte und Infektionswege wirksam nachverfolgen. Damit wird angestrebt, dass sich Quarantänebestimmungen im Infektionsfall nicht auf die gesamte Schule auswirken, sondern nur auf die Kohorten, innerhalb derer ein Infektionsrisiko bestanden haben könnte.

Innerhalb der Kohorte verzichte man “auf Abstandsregeln und das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen”.117 Daher keine Masken im Klassenzimmer. Auf dem Schulhof hingegen schon, damit sich die verschiedenen Kohorten nicht gegenseitig infizieren.

So geht es – nahtlos an die Kritik von “Deutschlands klügsten Corona-SKEPTIKERN” anknüpfend – monatelang gegen mögliche Einschränkungen und Schließungen: “Top-Virologe Streeck kritisiert Corona-Maßnahmen – Deutschland ist zu schnell in den Lockdown gegangen!”118 “Top-Lungenarzt fordert – Deutschland kann mehr Infektionen zulassen”.119 “WIE TÖDLICH IST DAS VIRUS WIRKLICH? Amtsarzt vergleicht Corona mit Grippe und Hitzewelle”.120 “STERBEN mehr Menschen am Lockdown als an Corona?”121 “EXPERTE WARNT – Mehr Tote durch Lockdown als durch Corona”.122 “So tödlich ist der Lockdown”.123 Im Dezember berichtet Bild.de auf der Startseite von “30 000 Neuinfektionen in Deutschland”. Das seien “NEUE HÖCHSTWERTE”.124 Direkt daneben ärgert sich die Redaktion über den “PSYCHO-KRIEG gegen Weihnachtseinkäufe”, weil Politiker “immer dramatischer” vor dem dicht gedrängten Geschenkeshopping warnen.125

Trotz aller Bemühungen der “Bild”-Redaktion beschließen Kanzlerin und Ministerpräsidenten im Oktober erst einen sogenannten Lockdown light126 und im Dezember einen harten Lockdown127. Am Ende des Jahres, am 31. Dezember, lautet die große Schlagzeile auf der “Bild”-Titelseite “Kanzlerin, so darf es 2021 NICHT weitergehen!”128 In der Berichterstattung der “Bild”-Medien geht es genau so weiter.

Müder Kompromiss, Rassistische Begriffe, Raus aus dem Kaiserreich

1. Nur ein müder Kompromiss
(taz.de, Erica Zingher)
Der Streamingdienst Disney+ hat einige seiner Filmklassiker wie “Das Dschungelbuch”, “Aristocats”, “Peter Pan” oder “Dumbo” mit Warnhinweisen zu rassistischen Stereotypen versehen (weiterführende Erklärungen liefert der Konzern auf seiner auf englischsprachigen Website.) “taz”-Redakteurin Erica Zingher reicht das nicht: “Man kann diesen Weg als müden Kompromiss werten. Als einen Kompromiss zwischen der Fraktion, die ‘Cancel Culture’ schreit und der, die zurecht rassistische Inhalte verurteilt. Müde ist das alles, weil es sich Disney damit zu einfach macht. Die Zielgruppe der Cartoons, also Kinder, wird mit Hinweisen sicher nicht erreicht. Die Verantwortung aufzuklären, überträgt Disney damit auf die Eltern – und ist selbst fein raus.”

2. Sprachforscher erklärt: Darum fällt es manchen Menschen so schwer, nicht mehr “Zigeunersoße” zu sagen
(rnd.de, Geraldine Oetken)
In dem WDR-Talk “Die letzte Instanz” konnte man erleben, wie hochemotional um die Verwendung von diskriminierenden Worten gerungen wird. Woran liegt das? Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch vermutet zwei Gründe: “Zum einen setzen Debatten in den Medien wie auch bei ‘Die letzte Instanz’ stark auf Konfrontation und auf ein Für und Wider. Andererseits fühlen sich viele schnell durch die Diskussion angegriffen. Das merkt man daran, dass die dann gleich verteidigend sagen: ‘Ich bin kein Rassist.’ Aber darum geht es ja gar nicht. Man kann rassistisch handeln, ohne ein Rassist zu sein.”
Weiterer Lesehinweis in eigener Sache: Der “6 vor 9”-Kurator kommentiert auf Twitter das Statement von Moderator Steffen Hallaschka: “In der Politik und der Öffentlichkeitsarbeit kommt es immer wieder zum Phänomen der ‘Nonpology’. Darunter versteht man eine Entschuldigung ohne echte Reue. Das Ziel: Vergebung ohne Schuldanerkenntnis. Dieses Statement zu #DieletzteInstanz ist ein schönes Beispiel dafür.”

3. Clubhouse mag dein Telefonbuch wirklich gern
(zerforschung.org)
Das Team von “Zerforschung” hat sich auf Reverse Engineering spezialisiert: das Auseinandernehmen von bereits bestehenden Systemen, um deren Funktionsweise zu untersuchen. Neuestes Produkt des Interesses: Die Audio-Chat-App Clubhouse, die auch wegen ihres mangelnden Datenschutzes ins Gerede gekommen ist. Nach einem Blick in den Quellcode der Anwendung stehe fest: “Jedes mal, wenn man das Invite-Tab öffnet, werden alle Telefonnummern aus dem Adressbuch hochgeladen.”
Zu den Datenschutzproblemen der App zwei Links aus dem Archiv: “Der Verbraucherzentrale Bundesverband wirft der neuen Social-Media-App gravierende rechtliche Mängel vor. In einer Abmahnung geht es auch um Datenschutz.” – Verbraucherschützer mahnen Clubhouse ab (zeit.de).
“Ein Hamburger Sicherheitsexperte hat dem SPIEGEL eine Reihe von Schwachstellen in der App Clubhouse demonstriert. Sie erlauben es, Nutzer gezielt auszusperren, massenhaft Daten abzufragen und zufällige Konten zu kapern.” – Clubhouse bietet Hackern zahlreiche Angriffsmöglichkeiten (spiegel.de, Patrick Beuth).

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4. RUMS, das Online-Magazin für Münster
(wdr.de, Hilka Sinning, Video: 3:35 Minuten)
In Münster sorgt ein junges Digital-Angebot für mehr journalistische Vielfalt in der Region. Das Online-Magazin “Rums” (für das auch BILDblog-Autor Ralf Heimann arbeitet) startete mitten im ersten Lockdown und konnte sich trotz der erschwerten Bedingungen behaupten. “Westart” hat das ambitionierte Projekt besucht, das bereits als Vorbild für neue Formen von Lokaljournalismus gehandelt wird.

5. Gemeinsam gegen Netflix
(faz.net, Conrad Heberling)
Der Erfolg der Streaming-Plattformen hat dazu beigetragen, die Dominanz der US-amerikanischen Filmwirtschaft zu verstärken: “Es scheint uns gleichgültig zu sein, dass wir mit unseren monatlichen Abogebühren dazu beitragen, dass diese Multis unsere deutsch-europäische Mediengesetzordnung unterlaufen und gigantische Umsätze und Gewinne machen, die sie nicht einmal in Deutschland, geschweige denn in Europa versteuern.” Conrad Heberling hat die Situation analysiert und überlegt, wie eine Lösung aussehen könnte.

6. Raus aus dem Kaiserreich
(sueddeutsche.de, Wolfgang Görl)
Die Bezeichnung der kunstgeschichtlichen Epoche Jugendstil geht zurück auf die von Georg Hirth 1895 in München gegründete illustrierte Kulturzeitschrift “Jugend”. Wolfgang Görl erinnert schwelgerisch an die für damalige Zeiten revolutionäre Kunst- und Literaturzeitschrift: “Von Anfang an begeistert die Jugend ihr Lesepublikum mit anspruchsvollen Layouts, man legt Wert auf preziös illustrierte Seiten und plakative Titelblätter, auf denen oft junge und schicke Menschen zu sehen sind, gestaltet in spielerisch verschnörkelten Linien und umflort von Blütendekor, mal in leichtstoffigen, dem Spiel des Windes folgenden Wallegewändern, mal nackt auf langmähnigen Pferden reitend, und es wimmelt nur so von Seejungfrauen und Sartyrn [sic], deren dekorative Körper sich räkeln und winden, während im verträumten Blick etwas pikant Frivoles aufblitzt.”

Gerangel um 86 Cent, Wende in der Wende, Spotifys Chartsmanipulation

1. Es geht um die Rundfunkfreiheit – und inzwischen um mehr
(mission-lifeline.de, Ruprecht Polenz)
Eigentlich hatten alle Bundesländer der Erhöhung des Rundfunkbeitrags zugestimmt, doch in Sachsen-Anhalt blockieren sowohl CDU als auch AfD das Vorhaben. Der ehemalige Generalsekretär der CDU Ruprecht Polenz kommentiert das Polit-Gerangel um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) und kritisiert dabei nicht nur die AfD, sondern auch das Timing der CDU in Sachsen-Anhalt: “Es bestand vor wenigen Monaten eine gute Gelegenheit, eine umfassende Diskussion über die Struktur des ÖRR zu führen, wenn man Änderungen herbeiführen wollte. Im September 2020 hat Sachsen-Anhalt den Medienstaatsvertrag ratifiziert – ohne größere Diskussionen oder Vorbehalte. Er regelt den allgemeinen Programmauftrag, die Zahl der Anstalten und der Programme. HIER hätte die CDU-Fraktion ihre Vorstellungen einbringen müssen. Das hat sie nicht getan.”

2. Wirkt der “Greta”-Effekt?
(taz.de, Reinhard Wolff)
Klimaaktivistin Greta Thunberg fungierte bei Schwedens auflagenstärkster Tageszeitung “Dagens Nyheter” (“DN”) für einen Tag als Gastchefredakteurin. Dies sorgte in den schwedischen Medien für geteiltes Echo. Einige Zeitungen kritisierten die Aktion, unter anderem als “Niederlage für den Nachrichtenjournalismus”. Thunbergs “DN”-Gastspiel war ein Besuch in der Redaktion vorausgegangen, bei dem sie der Zeitung ordentlich den Kopf gewaschen hatte: “Ihr sagt, ihr berichtet über die Klimakrise, aber das tut ihr nicht. Ihr berichtet über Klimaaktivisten mit Zöpfen und gelber Regenjacke, die ein paar unbequeme Sachen sagen, die Zitate bringen, die sich gut klicken. Aber das hat nichts mit der Klimakrise zu tun.”

3. Die Wende in der Wende – und die BRD-Medien
(medienblog.hypotheses.org, Michael Meyen)
Gabriel Wonn hat in seiner Masterarbeit die Berichterstattung von “Bild”, “Süddeutscher Zeitung”, “Spiegel” und “Tagesschau” zwischen dem 9. Oktober 1989 und der Volkskammerwahl am 18. März 1990 untersucht: “Vor ihnen ein Garten Eden. Hinter ihnen Stasiland: Eine Diskursanalyse über die Rolle der Westmedien im Wandlungsprozess der Wende” (PDF). Professor Michael Meyen kennt die Arbeit besonders gut, er war der offizielle Prüfer: “Wer den mit vielen Zitaten gespickten Ergebnisteil liest, kann gut nachvollziehen, weshalb sich die Stimmung in der DDR-Bevölkerung binnen weniger Monate so drastisch verändert hat – und wie hier der Grundstein für eine Folgeberichterstattung gelegt wurde, die uns die Anschluss-Lösung bis heute meist als selbstverständlich und alternativlos erscheinen lässt.”

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4. Christian Drosten: Die Stimme der Vernunft
(dwdl.de, Jan Freitag)
In der “DWDL”-Reihe “Bildschirmheldinnen & -helden 2020” geht es diesmal um Deutschlands bekanntesten Virologen Christian Drosten. Jan Freitag merkt an: “Charmante Belehrung mit gesenktem Zeigefinger und fotogenem Dackelblick – wäre Christian Drosten nicht so selbstgenügsam, er hätte das Zeug zum Eckart von Hirschhausen. Zum Glück ist ihm die Forschung wichtiger. SARS-CoV-2 wird nicht die letzte Pandemie bleiben.”

5. EU will Journalisten besser schützen
(verdi.de)
Die Europäische Kommission hat in Brüssel den “Aktionsplan für Demokratie” vorgestellt. Dabei geht es auch um die Rolle von Medien, genauer gesagt um “Maßnahmen zur Förderung freier und fairer Wahlen und einer starken demokratischen Beteiligung, zur Unterstützung freier und unabhängiger Medien und zur Bekämpfung der Desinformation”. Bislang sei der Aktionsplan nur eine umfangreiche Ankündigung. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Initiativen in Entwürfen und Gesetzen niederschlagen.

6. Hör mich an
(zeit.de, Silvia Silko)
“Spotify bietet Musikern an, sich in den Algorithmus des Streamingdienstes einzukaufen, um ihre Songs populärer zu machen. Früher nannte man so etwas Chartsmanipulation.” In ihrer Analyse erklärt Silvia Silko die Funktionsweise von Spotifys umstrittener “Pay-to-play”-Funktion und die daraus entstehenden Konsequenzen für den Musikmarkt.

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