könntet Ihr in Eurer Rubrik “Top-Themen” bitte endlich die Behauptung korrigieren, auf der Erde gebe es ab heute “6,5 Millionen Menschen”, die dort seit gestern abend steht?
Aber natürlich ist’s nicht weiter tragisch, wenn sich so ein Papst–Experte wie Andreas Englisch nicht mit künstlicher Besamung oder, sagen wir, mit der Geschichte der Primatenforschung auskennt. Muss er ja auch nicht, steht ja alles in der Zeitung. Genauer gesagt stand am Sonntag in der italienischen Zeitung “La Repubblica”, dass zuvor in der russischen Zeitung “Moskowskij Komsomolez” gestanden habe, was sich anderntags unter Englischs Namen auch in “Bild” wiederfand – nämlich (um es mit “Bild” zusammenzufassen):
Die Sache an sich ist nicht uninteressant (vor allem wo doch gerade “King Kong” im Kino läuft), wie erst jüngst die schweizerische “Le Temps” belegte, die ihrerseits wiederum durch die “New York Times” auf das Thema gekommen sein dürfte.
Ob das mit Stalin und den Affen-Menschen also tatsächlich die “Repubblica” “enthüllte”, wie “Bild”-Reporter Englisch gestern schrieb, wagen wir zu bezweifeln. Ob das darüber hinaus alles “jetzt” passierte, ist zumindest Auslegungssache. Die ZDF-Sendung “aspekte” jedenfalls berichtete schon im Juli 2004 über den russischen Forscher Ilja Iwanow bzw. darüber, “wie die Sowjetunion den idealen Sozialisten züchten wollte”, das US-Magazin “Fate” immerhin im April diesen Jahres, und der russische Wissenschaftler Kirill Rossiianov hat sich bereits Jahre vorher mit Iwanows Arbeit befasst und seine Forschungsergebnisse 2002 in einem 39-seitigen, aufschlussreichen Fachaufsatz veröffentlicht.
Machen wir’s also kurz: Laut Rossiianov kam es aus verschiedensten Gründen nie zur Züchtung irgendwelcher “Affen-Menschen”, andere Behauptungen in “Bild” erscheinen verglichen mit Rossiianovs Erkenntnissen zumindest abwegig.
Und dass Iwanow, wie “Bild” behauptet, “1931 in einem Arbeitslager in Kasachstan” starb, ist schlicht falsch. Wie man in der Encyclopædia Britannica, aber auch in “La Repubblica” (also der “Bild”-Vorlage) nachlesen kann, starb er erst 1932, genauer, am 20. März 1932, sechs Wochen nach seiner Entlassung aus dem Arbeitslager, einen Tag vor seiner Rückreise nach Moskau. Das ist tragisch.
PS: Den “Bild”-Artikel (nach einer “Repubblica”-Idee) mit einen Foto aus einem der “Planet der Affen”-Filme aus den 60er/70er Jahren zu illustrieren (siehe Ausriss oben) und direkt danebenzuschreiben, “Stalins perverse Träume nahmen vorweg, was der Hollywood-Streifen ‘Planet der Affen’ 2001 inszenierte”, ist hingegen einfach nur komisch.
Mit Dank an Daniel S., Thomas H. und Ron für die Hinweise sowie Michael B. für die Unterstützung.
Vielleicht irrt sich ja die Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité, wenn sie behauptet: “Der Daumen (…) besitzt lediglich zwei Fingerglieder.”
Dann wüssten wir vom zuständigen Bild.de-Redakteur aber gern, wo bitteschön sich an seinem Daumen das dritte der “drei Fingerglieder” befindet, von denen hier die Rede ist.
Schön, dass “Bild” heute ihren Lesern erzählt, was vor zwei und vor drei Tagen über diese Noëmi im Schweizer “Blick” gestanden war. Schließlich hatte der “Blick” zu berichten gewusst, dass Noëmi “Sex mit Superstar Robbie Williams” gehabt habe. “Internationale Medien wie die britische Zeitung ‘Sun’ und der TV-Sender ProSieben wollen jetzt die hübsche Zürcherin interviewen”, schrieb der “Blick”. Und siehe da, auch “BILD fragte nach”, so “Bild”. Nur richtig zugehört, wann es zum Geschlechtsverkehr gekommen sein soll, hatte “Bild” offenbar nicht, denn:
“Das ist jetzt zwölf Tage her”, steht wahrheitsgetreu im “Blick”.
“Das war vor zwei Jahren”, heißt es in “Bild”.
Mit Dank an Stefan G. und Sigrid N. für den Hinweis.
Ein schönes Foto ist das, mit dem “Bild” am gestrigen Dienstag einen Bericht über “Deutschlands erfolgreichste Panzerknacker” und deren Festnahme in der Ortschaft Malliß (Mecklenburg-Vorpommern) illustrierte. Dumm nur, dass das, was “Bild” danebengeschrieben hatte, gar nicht stimmt.
Die Gangster wollten nämlich mit dem abgebildeten Kompressor überhaupt kein Luft-Gas-Gemisch in den Geldautomaten leiten. Ganz im Gegenteil: Am Montag zeigte das “Schleswig-Holstein Magazin” des NDR beispielsweise in einem ausführlichen Bericht genau denselben Kompressor vorm Geldautomaten in der Sparkasse von Malliß wie “Bild” (siehe Screenshot rechts). Aber anders als “Bild” berichtet das Magazin wahrheitsgemäß:
“Das Sprengstoffkommando pustet mit Druckluft, um das Gas wieder aus dem Automaten zu bekommen.”
Mit Dank an Steffen R. und Klaus M. für die Anregung.
Heute hat “Bild” mal wieder die obere Hälfte der Titelseite und eine halbe Seite im Innenteil weitgehend frei geräumt. Für eine Geschichte von AttilaAlbert:
Und ignoriert man mal die Überschriften, ist vieles, was Albert da so über Abschwächung und Umpolung des Erdmagnetfelds schreibt, gar nicht mal so weit von der Realität, äh, Verzeihung, Realität entfernt. Dafür aber der vermeintliche Anlass der Geschichte um so weiter. So heißt es auf der Titelseite:
Dramatische Warnung von US-Forschern: Das Magnetfeld der Erde verschiebt sich schnell wie noch nie.
(Hervorhebungen von uns.)
Der Schutzschild der Erde wankt!
Wissenschaftler sind in größter Sorge: Das Magnetfeld, das uns umgibt, könnte schon bald zusammenbrechen.
(Hervorhebungen von uns.)
Bei den kürzlich von Forschern der Oregon State University vorgestellten Ergebnissen handelt es sich aber gar nicht um eine “dramatische Warnung”, das Magnetfeld der Erde verschiebt sich auch keineswegs “schnell wie noch nie”. Deshalb sind Wissenschaftler auch nicht “in größter Sorge” — eher im Gegenteil, wie sich hier nachlesen lässt.
Aber sagen wir es doch einfach mit den Worten von wissenschaft.de:
Jetzt gibt Joseph Stoner von der Oregon State University Entwarnung: Dass das Erdmagnetfeld unter ruckartigen Zuckungen leidet, ist ganz normal (…).
(Hervorhebungen von uns.)
Nachtrag, 14.55 Uhr:Zeit.de widmet sich übrigens in einem anschaulichen Artikel unter der Überschrift “Licht aus bei ‘Bild'” dem dortigen “Katastrophenalarm”. (Mehr zum Thema bzw. zum Gedankenexperiment “Was passiert, wenn das Erdmagnetfeld verschwindet?” findet sich hier.)
Der Staat Kalifornien lässt einem Mann, kurz bevor er ihn hinrichet, noch soviel Bewegungsspielraum, dass er seine Faust recken kann? Das ist nicht nur erstaunlich, es ist auch sehr unwahrscheinlich. Und da wir diese Behauptung nirgends außer in Bild.de gefunden haben, nehmen wir an: Es ist nie passiert.
Vermutlich hat Bild.de da wieder etwas durcheinander gebracht. In den Augenzeugenberichten von der Hinrichtung kommt zwar tatsächlich die beschriebene Geste vor. Aber die Faust gereckt haben einerodermehrere der fünf Unterstützer, die anwesend waren — laut “Contra Costa Times” konkret die Journalistin Barbara Becnel.
Anscheinend hat Bild.de die ganze Szene verwirrt. Angeblich soll Tookie nach der Geste mit der Faust auch noch leise “Tookie” gesagt haben. Warum? “Bild” weiß es nicht. Deutlich mehr Sinn ergibt die Beschreibung im “San Francisco Chronicle”, wonach es einer der Unterstützer war, der Williams auf diese Weise durch die Glasscheibe ansprach.
Auch dass Williams’ “Sterben” 35 Minuten dauerte, ist eine irreführende Aussage. Bild.de behauptet:
Es war ein langer Todeskampf für Tookie Williams. 35 Minuten dauerte es, bis das Gift in seinem Körper wirkte.
Vom Betreten der Hinrichtungszelle bis zu seinem Tod vergingen zwar rund 35 Minuten. Aber das hängt keineswegs damit zusammen, dass das Gift nur so langsam wirkte, wie Bild.de suggeriert. Alle anderen Quellen beschreiben, dass es sehr lange gedauert habe, bis eine Assistentin eine Vene in Williams’ linkem Arm gefunden hatte. Noch 17 Minuten nach Betreten der Zelle sei das nicht geschehen.
Bild.de behauptet weiter, dass vor Williams’ Todeskampf jemand gerufen habe: “Der Staat von Kalifornien hat einen unschuldigen Mann getötet.” Auch das behauptet niemand sonst. Nach allen Augenzeugenberichten riefen Williams’ Unterstützer diesen Satz erst beim Verlassen der Hinrichtung.
Bild.de fügt hinzu, dass Williams die Nachricht, dass Gouverneur Schwarzenegger sein Gnadengesuch abgelehnt habe, “nur mit einem Lächeln” zur Kenntnis genommen habe. Im Gegensatz dazu schreibt die “New York Times”, dass Williams nach Angaben von Jesse Jackson keineswegs nur gelächelt, sondern ihm gesagt habe: “Wir werden die Hoffnung nicht aufgeben.”
Falls Sie sich fragen, wie eigentlich die Geschichte um Klausjürgen Wussow weitergegangen ist, über den “Bild” gerade schrieb, dass er bei den Dreharbeiten zur letzten “Schwarzwaldklinik” im August so erschütternd krank und abwesend gewesen sei, obwohl die gleiche “Bild”-Zeitung nur dreieinhalb Monate zuvor von denselben Dreharbeiten berichtet hatte, dass sich bei Wussow eine Art Wunderheilung ereignet habe —
Seit vergangener Woche bleibt “Bild” bei der Variante, dass Wussow quasi schwer demenzkrank sei. Und schlachtet diese Diagnose nach allen Regeln der Kunst aus.
Montag, 5. Dezember.
Mark Pittelkau hat sich die “Schwarzwaldklinik” mit Wussows Ex-Frau Yvonne angesehen und behauptet, sie sei “in Tränen” ausgebrochen. “Was hat Witwe Scholz aus meinem Klaus gemacht?” lässt “Bild” sie in der Überschrift fragen und schreibt:
Die Gründe für den desolaten Zustand vermutet seine Ex-Frau in Wussows neuer Ehe mit Sabine (47), der Witwe des verstorbenen Boxers Bubi Scholz. Yvonne Wussow: “Ich weiß nicht, was diese Frau aus ihm gemacht hat. Bei mir war Klaus immer unter ärztlicher Kontrolle und topfit. Vielleicht bekommt er auch die falschen Medikamente.” (…)
Yvonne Wussow: “Ich hoffe nicht, daß die Frau Klaus noch so weit treibt, daß er ins Heim muß wie sein Vorgänger Bubi Scholz.”
Das ist eine bemerkenswerte Formulierung angesichts der Tatsache, dass Bubi Scholz mehrere Schlaganfälle erlitten hatte und an Alzheimer erkrankt war. “Bild” erwähnt diese Details nicht. Überhaupt, Details. “Bild” schreibt zum Foto:
“Wie Millionen anderer TV-Zuschauer schaute sich Yvonne Wussow (50) gestern ‘Die Schwarzwaldklinik’ an.”
Das Foto zumindest zeigt keineswegs, dass Frau Wussow die Sendung “wie Millionen anderer TV-Zuschauer” sah, sondern bereits vorab, tagsüber und auf einem Videoband — das mutmaßlich der “Bild”-Reporter mitgebracht hat.
Dienstag, 6. Dezember.
Iris Rosendahl hat sich die “Schwarzwaldklinik” mit Klausjürgen Wussow angesehen und fragt in der Überschrift: “Erkennt er sich selbst nicht mehr im TV?” Sie schreibt:
Er starrt auf den Bildschirm, sagt langsam: “Die Serie bedeutete mir viel” (….).
Wussow schaut noch mal auf den Fernsehschirm mit der “Schwarzwaldklinik”. Dann sagt er: “Das war mein Leben.” Und er weint…
Tja. Da würde man die Frage in der Überschrift doch einfach verneinen.
Mittwoch, 7. Dezember.
Die “Bild”-Zeitung bringt groß ein Foto, das sie am Vortag schon abgebildet hatte und das Wussow und seine Frau Sabine zeigt. Daneben hat “Bild” diesmal ein Foto gestellt, das Sabine in exakt der gleichen Pose mit ihrem früheren Mann Bubi Scholz zeigt. “Wie sich die Bilder gleichen”, schreiben Iris Rosendahl und Mark Pittelkau nun gemeinsam und stellen in der Überschrift eine perfide Frage:
Erleidet Wussow das gleiche Schicksal wie Bubi Scholz?
In dem Artikel stehen Sätze wie: “Wie schlimm es wirklich um Bubi stand, schien Sabine nie wahrhaben zu wollen (…).” Es ist leicht, aus den Beschreibungen einen massiven Vorwurf gegen Sabine Scholz zu lesen. Neben dem Foto von 1999 steht:
Sabine Scholz mit Box-Legende Bubi Scholz. Er starb im August 2000, allein in einem Pflegeheim.
Dabei steht im Text selbst:
Schlaganfälle, Operationen, Alzheimer — Sabine pflegte ihn bis zu seinem Tod.
[Die Ärzte] unterscheiden zwischen endogener Depression, die auf Gründe reagiert, die in der Seele liegen. Im Gegensatz zu extragener Depression, die durch äußere Faktoren ausgelöst werden kann — wie Trennung, Verletzung, Verlust. Rezidivierende (wiederkehrende) depressive Störungen (10 Prozent aller Depressionen), die über Jahre immer wieder auftreten, können aus beiden folgen.
Wir würden gern wissen, welche Ärzte die Redakteurin Uta Stiller dazu befragt hat, doch wir fürchten, die Antwort lautet: keinen.
1. Endogen ist griechisch und bedeutet “aus sich selbst heraus” oder “auf Veranlagung beruhend”. Analytisch ausgerichtete Theorien benutzen den Ausdruck, um zu beschreiben, dass es für die Depression keine erkennbare Ursache gibt, somit auch keine Gründe, auf die eine Depression “reagieren” könnte.
2. Mit der Seele hat das nicht viel zu tun, der Begriff ist in Psychologie und Psychiatrie ein wenig aus der Mode gekommen. Vielmehr wird endogen heute verwendet, um die Vermutung wiederzugeben, dass genetische Faktoren für die Erkrankung mitverantwortlich sein können. Dies entspringt der Beobachtung, dass die Störung in einigen Familien häufiger auftritt.
3. Extragene Depressionen gibt es nicht. Wahrscheinlich war mal wieder der “Bild”-Depressions-Experte nicht aufzufinden. Gemeint sind wohl exogene Depressionen. Exogen, ebenfalls aus dem Griechischen, meint “von außen verursacht”.
4. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Depressionen zu klassifizieren. Die am meisten verbreitete ist das Manual der Weltgesundheitsorganisation WHO namens ICD-10. Eine unspezifische Unterscheidung in endogen und exogen wird schon seit vielen Jahren nicht mehr verwendet.
5. Rezidivierende depressive Störungen sind laut ICD-10 durch “wiederholte depressive Episoden charakterisiert”. Außerdem haben “die schwereren Formen der rezidivierenden depressiven Störung viel mit den früheren Konzepten der manisch-depressiven Krankheit, der Melancholie, der vitalen Depression und der endogenen Depression gemeinsam”. Selbst bei diesen früheren Konzepten hatten sie nichts zu tun mit einer extragenen exogenen Depression.
P.S. Woher in dem “Bild”-Artikel die Furcht erregende Behauptung kommt, dass “mehr als die Hälfte aller Menschen in Deutschland, nämlich 65 Prozent” im Lauf ihres Lebens einmal an einer psychischen Störung erkranken, wissen wir auch nicht. Von hier vielleicht, doch landen zum Glück nicht alle Menschen im Laufe ihres Lebens im Altersheim. Vielleicht stammt sie auch aus dieser Studie, doch nicht alle Menschen sind bayerische Lehrer. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zumindest glaubt, dass es etwas weniger Menschen sind, die irgendwann einmal psychisch krank werden. Nämlich ungefähr 25 Prozent. Eine Zahl, die sich zum Beispiel auch im Zweiten Bayerischen Psychiatrieplan findet.