Archiv für Politisches

Dreisatz mit x

"Der Finanzminister von der SPD ist Merkels neuer Liebling"

So viel ist mal klar: Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück sind ganz dicke miteinander. Die “verstehen sich blendend”, er ist ihr neuer “Herzbube” und “mancher CDU-Minister wird blass vor Neid”, wie “Bild” heute weiß.

Wer nun aber glaubt, die “Bild”-Autoren Nikolaus Blome, Hanno Kautz und Rolf Kleine hätten sich da nur irgendwas zusammen fantasiert, um in ihrer hochbrisanten großen Seite-2-Geschichte, nach der Steinbrück der “neue Liebling der ‘Chefin'” sei, Zeilen zu schinden (“…weil er redet wie Merkel!”, “…weil er denkt wie Merkel!”, “…weil er offen kämpft”), der hat sich verrechnet. Die drei “Bild”-Männer haben da auch handfeste Insiderinfos für. Zum Beispiel diese:

"Beide lieben Mathematik."

Das weiß außer Blome Kautz und Kleine keiner. Im Gegenteil. Die meisten glauben ja immer noch, Steinbrück möge trotz seines Jobs als Finanzminister gar kein Mathe. Und das bloß, weil er unter anderem deswegen in der Schule sitzen blieb und dem WDR offenbar gesagt hat: “Mathe und Altgriechisch, das war nix für mich.”

Mit Dank an Adrian C. für den sachdienlichen Hinweis.

Heide Simonis verliert gegen “Bild”

“Bild” berichtete:

“Mit gesenktem Haupt steht Heide Simonis an der Salattheke, Einkaufen, um Frust zu bewältigen und zumindest für Sekunden wieder glücklich zu sein. Bei H & M kauft Simonis einen Hosenanzug und hat anschließend nicht einmal mehr Blicke für Schuhe übrig.”

Heide Simonis war im Frühjahr 2005, unmittelbar nach ihrer Abwahl als schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin offenbar von “Bild”-Fotografen massiv belagert und verfolgt worden. Dabei entstandene Fotos, auf denen Simonis in einem Einkaufszentrum, an einer Frischetheke und in einer Modeboutique zu sehen ist, hatte “Bild” anschließend unter der Überschrift “Danach ging Heide erst mal shoppen” abgedruckt und betextet (siehe Kasten).

Nach der Veröffentlichung hatte Simonis jedoch zwischenzeitlich erwirkt, dass “Bild” die Shopping-Fotos nicht weiter verbreiten darf (wir berichteten) und später, dass sie zumindest erfahren dürfe, was auf den bislang unveröffentlichten Fotos vom Tag nach ihrer Abwahl zu sehen ist. Zudem hatte Simonis auf Herausgabe der bisher unveröffentlichten Paparazzi-Fotos geklagt.

Doch der Bundesgerichtshof (BGH) entschied heute in einem Grundsatzurteil, “dass die Presse nicht verpflichtet ist, Prominenten unveröffentlichte Fotos zur Kenntnis vorzulegen, die ohne deren Einwilligung im Privatbereich entstanden”, wie es die Nachrichtenagentur AP zusammenfasst. Auch müsse “Bild” die Fotos nicht an Simonis herausgeben oder vernichten, entschied der BGH.

Die BGH-Vizepräsidentin Gerda Müller selbst sah im Urteil eine Entscheidung “von großer praktischer Tragweite” und betonte, “dass sich ein Politiker in einer solchen Situation auch unter Berufung auf sein Persönlichkeitsrecht nicht ohne weiteres der Berichterstattung entziehen kann”. Laut Müller dokumentieren die Shopping-Fotos von Simonis “einen Vorgang von historisch-politischer Bedeutung”.

Mit Dank an Dirty Harry für den Hinweis.

Was Alfred Draxler mit der Politik zu tun hat

Normalerweise ist Alfred Draxler ja Vize-Chefredakteur und Ober-Sportchef von “Bild”. In dieser Funktion zeichnete er in letzter Zeit für Artikel verantwortlich, die Titel trugen wie “Isst Uli Hoeneß künftig Scampi?”, “0:4 – Die Bayern-Schande. Wir sind schlecht, so schlecht, so schlecht!” oder “Richtet sich Schalke heute selbst hin?” Sport eben.

Am 7. Juni begegnete Draxler “Bild”-Lesern indes in etwas ungewohnter Umgebung. Er war einer der "Von Alfred Draxler"Autoren eines Textes über die Talkshow Anne Will. Der Artikel wurde bereits auf der Titelseite mit der Schlagzeile angekündigt: “Sieg für Pflüger: Anne Will muss sich entschuldigen”. Darin wurde dem Berliner Oppositionsführer Friedbert Pflüger, der zuvor in “Bild” die Absetzung von Anne Will gefordert hatte, viel Platz eingeräumt. Draxler schrieb:

Was für eine Blamage für Anne Will (42)! Und welch ein Erfolg für den Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger (53)! (…) Hintergrund: Berlins CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger hatte die Ablösung von Anne Will gefordert und war presserechtlich gegen sie vorgegangen – mit Erfolg!

Was also hatte der “Bild”-Sportchef Draxler plötzlich im Bereich Politik und Medien zu suchen?

Das NDR-Medienmagazin “ZAPP” hat eine mögliche Erklärung, die sich den “Bild”-Artikeln, in denen Pflüger eine so große Rolle spielt, ganz und gar nicht entnehmen lässt: Draxlers Ehefrau Martina Krogmann sitzt nicht nur für die CDU im Deutschen Bundestag, sie ist auch die Patentante von Friedbert Pflügers Sohn.

“Bild” verzichtet auf Urinprobe

Anscheinend ist es ja nicht so, dass “Bild” dieses kleine, nützliche Wort nicht kennte:

  • WER WIRD KANZLERKANDIDAT FÜR DIE BUNDESTAGSWAHL 2009? Dabei ist anscheinend längst alles klar: Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird’s!
  • Anscheinend wollen viele Frauen wahrgenommen werden als furzende, stinkende, schwitzende Urgeschöpfe.
  • Sie war die wildeste Pop-Diva der 80er – jetzt ist ihr anscheinend eher nach gediegenen Abenden: Sängerin Annie Lennox (53) war gemeinsam mit Ur-Rocker Mick Jagger (64) bei einem noblen Bankett in London.

Beliebt ist es bei “Bild” anscheinend aber nicht, das kleine Wort.

Kürzlich zum Beispiel, als die rechts-konservative “Junge Freiheit” zu berichten wusste, dass auf der Internetseite der Grünen Jugend Fotos vom 30. Bundeskongress zu sehen waren, auf denen u.a. drei junge Männer “offensichtlich eine Deutschlandfahne geschändet” hätten, hieß es in dem Bericht:

Unter den Bildern vom ersten Tag fanden sich bis gestern vier Fotos, auf denen drei Männer vor einer Deutschlandfahne stehen. Der Mittlere läßt dabei die Hosen herunter und uriniert anscheinend auf eine am Boden liegende Deutschlandfahne.

Doch als “Bild” die “Junge Freiheit”-Story anschließend weiterverbreitet, ist darin von einem Anschein keine Spur mehr:

"Grünen-Nachwuchs pinkelt auf Deutschland-Flagge!

Berlin - Drei junge Männer stehen im Kreis, lassen ihre Hosen herunter – und urinieren auf die deutsche Flagge. (...)"

Jedoch heißt es in einer Stellungnahme der Grünen Jugend zu der Entgleisung:

Bislang wurde von Augenzeugen klar bestätigt, dass auf die Deutschlandfahne nicht uriniert wurde, wie etwa von BILD berichtet wurde.

Und weil die sächsische NPD-Fraktion verbreitet, ihr Geschäftsführer Frank Ahrens habe Strafanzeige wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gestellt, schreibt “Spiegel Online”:

Sollte der Fall tatsächlich vor Gericht landen, werden die Details des Vorfalls beim Strafmaß (…) eine große Rolle spielen.

Gerichtsrelevante Fragen sind: Woher stammte die Fahne? Fand der Vorfall am Rande, während, vor oder nach dem Bundeskongress statt – wurden die Hosen also privat oder öffentlich heruntergelassen? Und schließlich: Pinkelten sie oder pinkelten sie nicht?

Dabei hatte “Bild” doch die letzte Frage schon beantwortet — aber anscheinend nur scheinbar.

*) Über die “Bild”-kritische Stellungnahme der Grünen Jugend heißt es in “Bild” übrigens nur: “Die Nachwuchsorganisation hat sich mittlerweile zu dem Vorgang geäußert. ‘Wir begrüßen, dass die Grüne Jugend sich eindeutig von dem Vorgang am Rande ihres Bundeskongresses distanziert hat’, sagt die Bundesgeschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Steffi Lemke, in BILD.”

Nachtrag, 7.6.2008: Die Grünen-Politikerin Julia Seeliger schreibt auf ihrer Homepage unter der Überschrift “Von der ‘Jungen Freiheit’ zu ‘Bild'” u.a. über ihren Versuch, “herauszufinden, wer denn mit dem ‘Pinkel-Vorwurf’ begonnen hatte”.

Fest-geklitterte “Zeit”-Geschichte

Nicolaus Fest, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, hat sich über einen Artikel in der “Zeit” geärgert. Das kommt in den besten Familien vor, und zum Glück hat Fest ja eine Kolumne auf Bild.de, in der er seinem Ärger gründlich Luft machen kann. Soweit, so unspektakulär.

Das Bemerkenswerte aber ist, dass es gleich zwei Möglichkeiten gegeben hätte, wie der Ärger von Nicolaus Fest zu vermeiden gewesen wäre. Erstens, wenn die “Zeit” nicht diesen Artikel geschrieben hätte. Zweitens, wenn Nicolaus Fest ihn verstanden hätte.

Fest zitiert aus dem “Zeit”-Artikel von Christoph Dieckmann:

“Gysis größtes Verdienst betrifft die deutsche Einheit. Es ist ihm maßgeblich zu verdanken, dass eine enorme Menge der staatsnahen DDR-Bevölkerung sich zur parlamentarischen Demokratie überreden ließ.”

Und kommentiert:

Aha. So war das also. Die Demonstranten in Leipzig, Dresden und Ost-Berlin wollten zunächst gar nicht die parlamentarische Demokratie, wollten kein selbst bestimmtes, ungegängeltes “Leben der Anderen”.

In Wahrheit waren sie, trotz “Wir sind ein Volk” und der überragenden Zustimmung zum Beitritt, im November 1989 gar nicht sicher, ob sie ihre verfallenden Städte, die Fürsorge der Stasi und die Bruderschaft mit den russischen Besatzungstruppen tatsächlich gegen Reise- und Meinungsfreiheit, D-Mark und Rechtstaatlichkeit eintauschen sollten.

Lange schwankten sie, ob sie wirklich Begrüßungsgeld nehmen, ob sie Golf statt Trabi fahren, ob sie das Grau ihrer Häuser wie ihres staatlich überwachten Lebens den Billionensubventionen der alten Bundesländer opfern sollten.

Er hat sich richtig in Rage geschrieben. Nur: Er hat nicht gemerkt, dass die “Zeit” gar nicht behauptet, Gysi habe das Volk in der DDR zur parlamentarischen Demokratie überredet. Die “Zeit” schreibt, Gysi habe einen großen Teil “der staatsnahen DDR-Bevölkerung” überredet. Sie spricht ausdrücklich von den SED-Mitgliedern und “Armee, Polizei, Geheimdienst”. Auf sie bezieht sich die Formulierung vom “überreden”.

Aber vielleicht hat Nicolaus “Hieb und Stich” Fest das gar nicht missverstanden, sondern missverstehen wollen. Denn als nächstes schreibt er über die DDR-Bürger:

Doch dann wurde ihnen, so Dieckmann, “im Dezember 1989, kurz vor Mitternacht, ein kurioser Heiland geboren” — Gregor Gysi.

Da hat Fest den Anfang des Satzes weggelassen. Weglassen müssen, denn sonst wäre aufgefallen, worauf sich die “Heiland”-Formulierung wirklich bezieht:

Die SED hatte vor der Wende 2,3 Millionen. Sie befehligte noch Armee, Polizei, Geheimdienst, als ihr im Dezember 1989, kurz vor Mitternacht, ein kurioser Heiland geboren wurde. Nur in tiefster Krise konnte dieser intellektuelle Entertainer Honecker und Krenz beerben.

Dieckmann behauptet nicht, dass Gysi der Erlöser für die DDR-Bürger war. Dieckmann behauptet, dass Gysi der Erlöser für die SED war — und begründet das u.a. damit, dass er “der PDS gewordenen SED [half], ihr Parteivermögen zu retten” und dank seiner “die PDS am 18. März 1990 bei den freien Wahlen 16,3 Prozent” erreichte.

Gegen Schluss schreibt Fest:

Irgendwann, so sagen Ältere, war DIE ZEIT mal eine ernst zu nehmende Zeitung.

Das Problem hat er bei seiner Zeitung natürlich nicht.

Der sächsische NPD-Eklat-Eklat

Im Sächsischen Landtag wurde heute Stanislaw Tillich (CDU) zum Ministerpräsidenten gewählt — und auch Bild.de berichtet:

Sein Kontrahent Johannes Müller von der NPD erhielt 11 Stimmen – drei mehr als seine Fraktion Sitze hat.

Diese drei Stimmen sorgen gerade in vielen Medien für voreilige Aufgeregtheit.

Bei Bild.de sorgen sie vor allem für eine Falschmeldung:

"Soviel ist sicher: Der NPD-Politiker erhielt drei Stimmen aus den Fraktionen von CDU, SPD, FDP, Linken oder den Grünen!"

Was man bei Bild.de offenbar übersehen hat: Im Sächsischen Landtag sitzen auch vier fraktionslose, ehemalige NPD-Mitglieder, von denen nach Aussage des Landtagssprechers drei ihre Stimme abgegeben haben.

Soviel ist sicher: Was Bild.de gerade für sicher hält, ist es nicht.

Mit Dank auch an Michael Z. und Thomas W.

Nachtrag, 13.16 Uhr: Während sich “Spiegel Online” inzwischen bei den Lesern für eigene Voreiligkeit entschuldigt hat, kommt man bei der “taz” leider zu einem ähnlich falschen Fazit wie Bild.de: “Das heißt: Er wurde er von mindestens drei Abgeordneten einer demokratischen Partei gewählt”, heißt es auf taz.de.

Nachtrag, 14.36 Uhr: Mittlerweise haben viele Nachrichtenseiten ihre Berichte “entschärft” oder wie taz.de klammheimlich komplett umgeschrieben (Nachtrag, 14.56 Uhr: und sich nachträglich immerhin auch eine Entschuldigung für “den Fehler” abgerungen), während Bild.de unbeirrt bei seiner (falschen) Darstellung bleibt.

Nachtrag, 16.22 Uhr: Später als so ziemlich alle anderen hat nun auch Bild.de den Artikel nachgebessert — bzw. (ähnlich wie z.B. taz.de) komplett neu geschrieben und enteklarisiert, aber (anders als z.B. “Spiegel Online”, taz.de und stern.de) ohne auch nur ansatzweise auf die frühere, falsche Darstellung hinzuweisen. Unter der Überschrift “Ein Sorbe regiert Sachsen” heißt es an der Stelle, an der zuvor die “Soviel ist sicher”-Formulierung stand, nun:

Außer acht NPD-Mitgliedern sind jedoch noch vier weitere ehemalige NPD-Fraktionsmitglieder als fraktionslose Abgeordnete im Landtag vertreten.

Der Verdacht, es könnten Mitglieder der CDU, SPD, FDP, Linken oder Grünen dem NPD-Kandidat ihre Stimme gegeben haben, wurde vollständig aus dem Text getilgt.

Wie Gegendarstellung Wirbel wird

Es steht zwar nicht “Gegendarstellung” über einem “Bild”-Artikel von gestern, der sich mit dem Grünen-Justizexperten Benedikt Lux beschäftigt, aber eigentlich ist es eine:

"Knast-Chef bedauert Wirbel um Grünen-Politiker"Die angebliche Affäre um Grünen-Rechtsexperte Benedikt Lux (26): Die Justizvollzugsanstalt Tegel hatte behauptet, Lux sei von einem Wärter ertappt worden, als er einem Häftling Baller-Spiele übergeben wollte. Jetzt stellt sich heraus: Diese Behauptung war falsch!

Und diese Behauptung war von “Bild” verbreitet worden – in einem Artikel am 7. März. Gestern schrieb “Bild” dazu:

Zuerst hatte Justizstaatssekretär Hasso Lieber (62) den Grünen im Rechtsausschuss gemaßregelt. Dann hatte JVA-Sprecher Lars Hoffmann (42) in BILD gesagt: “Videospiele sind nur in Ausnahmefällen erlaubt. Abgesehen davon gab es weder einen Antrag eines Insassen noch eine Genehmigung. Erst in der Anstalt, als Herr Lux die Spiele einem Insassen übergeben wollte, fiel das einem Wachhabenden auf.” Dabei war es ganz anders! Wie aus einer internen Erklärung des damals Wachhabenden, die BILD vorliegt, hervorgeht, teilte Lux dem Knast-Bediensteten von selbst mit, dass er die Spiele dabeihabe und sie gerne einem Insassen geben würde.

Nun ist es überhaupt kein Wunder, dass “Bild” diese vermeintlich “interne Erklärung des damals Wachhabenden” vorliegt. Und auch wenn “Bild” diesen Eindruck erweckt: Eine Exklusiv-Info im herkömmlichen Sinn ist das keineswegs. Die Erklärung war nämlich Beweismittel in einem Gegendarstellungs-Verfahren gegen “Bild”, das Lux nach dem Artikel vom 7. März angestrengt hatte – und zwar mit Ansage, wie Lux uns erzählt. Er habe “Bild” schon vor Erscheinen des Artikels angekündigt, dass er klagen werde, sollte “Bild” in ihrer Berichterstattung den falschen Eindruck erwecken, er habe versucht, die “Ballerspiele” ins Gefängnis zu schmuggeln.

“Bild” ließ Lux zwar unter der Überschrift “Grüner Abgeordneter bringt Knackis Ballerspiele in Knast” (der Artikel wurde bei Bild.de gelöscht) auch mit seiner Version zu Wort kommen (siehe Ausriss), doch die in “Bild” zitierten Aussagen des JVA-Sprechers, dass es keinen Antrag gegeben hätte und Lux von einem Wachhabenden mit den Video-Spielen quasi erwischt worden wäre, sind nun mal falsch.

Mitte April entschied das Gericht deshalb, dass Lux einen Anspruch auf Gegendarstellung hat. Da “Bild” die Gegendarstellung jedoch nur ungern habe abdrucken wollen, so Lux, habe er sich mit “Bild” geeinigt, das in einem weiteren Artikel richtig zu stellen. Mit dem von gestern sei er “zu etwa 70 bis 80 Prozent zufrieden”.

Offen bleibt, inwieweit neben dem “Knast-Chef” auch “Bild” den “Wirbel um Grünen-Politiker” bedauert. Den hat “Bild” zwar nicht von sich aus verursacht, aber ihm durch die Verbreitung der falschen JVA-Informationen den nötigen Aufwind gegeben.

Schlimm & schlimmer

Es ist eine erschreckende Zahl und ein hochemotionales Thema, aber der “Bild”-Bericht dazu ist geradezu vorbildlich:

Die Gewalt an Berlins Schulen reißt nicht ab. Körperverletzung, Bedrohung, Mobbing. Die Opfer: Schüler und immer mehr Lehrer.

Allein im vergangenen Schuljahr wurden 1735 Gewaltvorfälle gezählt. Zehn Prozent mehr als 2005/2006 (1573 Fälle). Schlimm! (…)

Dennoch sieht Bildungssenator Jürgen Zöllner (62, SPD) eine Besserung der Situation: “Die Zunahme der Meldungen ist nicht mehr so stark.” Im Schuljahr 2005/2006 wurden 76 Prozent (!) mehr Gewalttaten gemeldet. (…)

Seit 1992 sind Berlins Schulleiter verpflichtet, Gewaltdelikte zu melden — deutschlandweit einmalig. Doch kaum ein Direktor hielt sich daran, aus Angst, seine Schule könnte in ein schlechtes Licht geraten. Das hat sich offenbar geändert.

Schwer zu sagen, ob dieser “Bild”-Artikel vom 28. März 2008 journalistisch so unangreifbar war, dass er im Nachheinein durch die interne “Bild”-Qualitätskontrolle fiel. Jedenfalls vermeldet “Bild” heute, sechs Wochen später, dieselbe Entwicklung einfach noch einmal…

…diesmal allerdings nach den üblichen journalistischen Standards des Blattes.

Von “Bild” gestrichen:

“Die Zahlen spiegelten aber nicht die Gewaltentwicklung an den Schulen wider, sondern das Meldeverhalten der Schulen, betonte Staatssekretär Eckart Schlemm.”

Aus einer aktuellen Meldung der Nachrichtenagentur dpa (wo man offenbar auch nicht gemerkt hat, dass die Zahlen längst bekannt sind [pdf]), die “Bild” als Grundlage diente, hat das Blatt zum Beispiel die Information gestrichen, dass nach Angaben des Senats die Zunahme damit zusammenhängt, dass ein höherer Anteil der Gewaltdelikte gemeldet wird. Überhaupt hat “Bild” die wichtige Unterscheidung entfernt, dass es sich um die Zahl der gemeldeten, nicht der tatsächlichen Fälle handelt.

Von “Bild” gestrichen:

“Die Zahl von 2007 liege aber immer noch deutlich unter den Steigerungsraten von 1998 bis 2004.”

In derselben Meldung verbreitet dpa auch noch einmal einige Zahlen aus der (vor neun Wochen veröffentlichten) Polizeistatistik über die Kinder- und Jugendkriminalität insgesamt. Auch dabei gibt es einen leichten Anstieg. Allerdings liegen die Zahlen immer noch weit unter den Werten früherer Jahre. Diese Information hat “Bild” ebenfalls säuberlich aus der dpa-Meldung entfernt.

Wenn man sich die Entwicklung im Überblick ansieht, versteht man auch die besondere Form selektiver Wahrnehmung bei “Bild”. Hätte “Bild” auch bei der Polizeistatistik einen Fünf-Jahres-Vergleich gemacht wie bei der Gewalt an Schulen (Grafik links oben), hätte das Blatt nämlich einen deutlichen Rückgang von Jugendgewalt feststellen müssen (Grafik links unten).

Aber wie unrealistisch wäre das denn?

“Bild” ist der Meinung: Das ist Spitze!

Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder haben die Leute, die in “Bild” heute über das deutsche Steuerrecht geschrieben haben, sehr wenig Ahnung vom deutschen Steuerrecht. Oder sie haben sich entschieden, sich ihr Wissen über das deutsche Steuerrecht nicht anmerken zu lassen, um die von ihr befürworteten Vorschläge der CSU zu einer Steuerreform besonders überzeugend wirken zu lassen. Wir wissen nicht, was stimmt. Außer, dass das, was “Bild” schreibt, nicht stimmt.

Es geht um die Frage, ab welchem Einkommen der Höchststeuersatz von 42 Prozent gelten soll. “Bild” zeigt zur Veranschaulichung vier vermeintliche “Durchschnittsverdiener”: einen Angestellten, eine Lehrerin, einen Makler und einen Bauleiter, die angeblich zwischen 4400 und 4580 Euro brutto im Monat verdienen, und behauptet, dass sie damit laut Gesetz schon Spitzenverdiener seien. Denn, so “Bild”:

In Deutschland greift der Höchststeuersatz (42 %) schon ab einem Brutto-Einkommen von 4346 Euro/Monat (52.151 Euro im Jahr)!

Nee. Nicht ab einem Brutto-Einkommen in dieser Höhe. Sondern ab einem zu versteuernden Einkommen in dieser Höhe. Vom jährlichen Brutto-Einkommen der vier “Bild”-“Spitzenverdiener” sind mindestens der Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 Euro und Teile der gezahlten Sozialversicherungsbeiträge (mehrere Tausend Euro) abzuziehen, um das zu versteuernde Einkommen zu berechnen. Wenn die angegebenen Brutto-Gehälter stimmen, muss vermutlich keiner der von “Bild” Gezeigten tatsächlich den Spitzensteuersatz zahlen.

Überhaupt lässt “Bild” die angeblichen Spitzensteuersatz-Zahler so tun, als müssten sie ihr gesamtes Einkommen mit 42 Prozent versteuern. Tatsächlich gilt dieser Steuersatz nur für denjenigen Teil, der die Grenze von 52.151 Euro jährlich übersteigt. Realistischerweise zahlen die vier Betroffenen jeweils vielleicht rund 12.000 Euro Einkommenssteuer, was etwa 25 Prozent des zu versteuernden Einkommens entspricht — nicht über 22.000 Euro, wie “Bild” suggeriert.

Die Lehrerin und der Bauleiter fühlen sich zudem besteuert wie eine “Millionärin” bzw. ein “Top-Manager mit Millionen-Gehalt”. Dass für die in aller Regel ein noch höherer Steuersatz von 45 Prozent gilt (“Reichensteuer”), hat “Bild” ihnen offensichtlich nicht erzählt.

Aber es ging ja bei dem ganzen Artikel nicht darum, die Leser klüger zu machen.

Mit Dank an Peter R., Markus H., Oliver O. und Manuel L.!

YouTube überführt “BILD-Leser-Reporter”

Vor allem in Hamburg kam es am 1. Mai zu Ausschreitungen. Natürlich berichtet auch “Bild” über die “linken Chaoten” und “dumpfen Randalierer” — und zeigt online sogar allerlei Fotos von “BILD-Leser-Reportern”, die “Zeugen der sinnlosen Gewalt” geworden seien:

“Ein dritter Randalierer stopft das Tuch weiter in den Innenraum”? Naja. Zeugen der sinnlosen Gewalt, die ihre Aufnahmen nicht gleich an “Bild” geschickt haben, sahen die Szene irgendwie anders:

Mit Dank an, ähm, YouTube-Reporter diggernansy und an Bernd K.

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