Archiv für Politisches

Der Moslem an sich

Dies gleich vorne weg: Wir wollen hier gar nicht versuchen, herauszubekommen, ob diese Fotomontage, die “Bild” gestern ziemlich groß auf Seite zwei abdruckte, einer Horrorvision oder einer Wunschvorstellung von “Bild” entsprungen ist:

Denn darunter stand bloß dieser Satz:

Betende Moslems, dahinter der Reichstag: Diese Fotomontage symbolisiert das Problem der unterschiedlichen Kulturen in Deutschland

Abgedruckt hatte “Bild” die seltsame Montage jedenfalls, weil Umweltminister Jürgen Trittin angeblich einen “Moslem-Feiertag” forderte, was “Bild” zu folgender Titelschlagzeile veranlasste:

Beim Barte des Propheten. Schickt Trittin in die Wüste! Grünen-Minister will Moslem-Feiertag

Dass Trittin gar keinen Moslem-Feiertag will, sondern der “Welt” nur gesagt hatte, er sei “offen für einen islamischen Feiertag in Deutschland”, dass also die “Bild”-Zeitung gestern etwas behauptet hatte, das nicht stimmte, kann man hier und sogar in der heutigen “Bild” nachlesen.

Aber nachdem das geklärt ist, muss man sich die Art und Weise, wie “Bild” die sinnentstellende Schlagzeile aufbereitete, doch noch einmal genauer ansehen: Da wurde Trittin von “Bild” mit Bart und Turban abgebildet, bzw. heute noch einmal mit “islamischer Kopfbedeckung”, obwohl er selbst bekennender Atheist ist und andererseits viele Muslime durchaus ganz ohne Turban und Bart durch die Welt laufen. “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner wiederum hat noch ganz andere Klischees im Kopf und denkt beim Moslem erst mal an Kamele, obwohl es doch beispielsweise in Indonesien zwar 180 Millionen Muslime gibt, aber wahrscheinlich nicht mehr Kamele als, sagen wir im Allgäu. Dass darüber hinaus die von “Bild”-Kommentator Peter Boenisch gewählte Formulierung eines “Feiertags für Ausländer” die Sache wirklich trifft, nur weil die Zahl deutscher Muslime vergleichsweise gering ist, darf bezweifelt werden – zumal sich “Bild” offenbar nicht einmal sicher ist, ob in Deutschland nun 3,5 Millionen, 3,2 Millionen oder wie in der gestrigen Druckausgabe auf Seite zwei behauptet, 4,5 Millionen Muslime leben.

Kurzum: Schon möglich, diese alberne Fotomontage (oder die dazugehörige “Bild”-Berichterstattung) “symbolisiert das Problem der unterschiedlichen Kulturen in Deutschland”. Zu einer sachlichen Diskussion über die Integration von in Deutschland lebenden Muslimen hatte sie jedenfalls nichts beizutragen. Im Gegenteil.

Die treffende Überschrift

Bei langen Interviews kann es schon einmal schwer sein, eine knappe Überschrift zu finden, die dem ausführlichen Gespräch gerecht wird. Bei einem Kurz-Interview, das genau drei Fragen und Antworten umfasst, sollte das dagegen sogar ein “Bild”-Redakteur hinbekommen.

Testen wir das mal in der Praxis. Nehmen wir ein Interview, das “Bild” mit dem Finanzminister geführt hat.

BILD: Italien will eine SMS-Steuer einführen, um den Haushalt zu sanieren. Ein Modell für Deutschland?

Hans Eichel: Kommt nicht in Frage – wir wollen keine neue Steuer. Wo wir aber genauer hinsehen werden, ist der Internethandel. Da läuft zuviel an der Umsatzsteuer vorbei. Die Besteuerung des Internethandels muß auf europäischer Ebene geregelt und dann schärfer kontrolliert werden.

So, jetzt konzentrieren. Welche Überschrift würde passen?

(a) Eichel will neue Internet-Steuer
(b) Eichel will keine neue Internet-Steuer

Na? Okay, und hier ist die Antwort, die “Bild” gegeben hat:

Zum Hintergrund: Es geht darum, dass viele Händler im Internet keine Umsatz- oder Gewerbesteuer zahlen, obwohl dies ab einem gewissen Professionalisierungsgrad Pflicht wäre. Diese Grauzone will Eichel schließen — es geht aber keineswegs um eine “neue Steuer”, sondern um die klare Regelung und Durchsetzung längst bestehender Steuern. Das Finanzministerium hat inzwischen dementiert: “Bild” habe die Aussagen Eichels “verzerrt” wiedergegeben. Oder “übergeigt”, wie Kai Diekmann sagen würde.

Weil “Bild” die falsche Nachricht an die Agenturen gegeben hat, taucht die Meldung mit Quelle “Bild” auch in anderen Medien auf. Mit solchen Enten erhöht die “Bild”-Zeitung also ihren Status als meist zitierte und daher “mit Abstand wichtigste deutsche Tageszeitung”.

Danke an diverse Hinweisgeber! Mehr zum Thema auch bei “Spiegel Online”.

We (and he) are the Champions XVI

1.) Am gestrigen Mittwoch machte “Bild” mal nicht sich selbst (oder den Axel Springer-Verlag) zum “Gewinner” des Tages, sondern einen gewissen Wendelin Wiedeking, und schrieb dazu:

“Übrigens: Vergangenes Jahr ging die hohe Auszeichnung an BILD. BILD meint: Ein würdiger Nachfolger!”

(Stattdessen stand auf der “Bild”-Titelseite nur eine Kurzfassung dieser oder dieser oder dieser Version dieser Pressemitteilung über die “Axel Springer AG auf Erfolgskurs!”)

2.) Am heutigen Donnerstag hingegen macht “Bild” wiederum nicht sich selbst (usw.) zum “Gewinner” des Tages, sondern zum nunmehr achten Mal in diesem Jahr Helmut Kohl.

Schwule Lehrer

Endlich tut einmal jemand was gegen den Skandal, dass sogar Schwule, die ihre Perversion demonstrativ zur Schau stellen, einfach unsere Kinder unterrichten dürfen! Abnormale Lehrer können jetzt der “Bild”-Zeitung gemeldet werden, die sich dann um die Sache kümmert.

Ganz so unverblümt ist die neue Aktion Pranger von “Bild” natürlich nicht organisiert. Vorgeblicher Anlass ist der Auftritt eines Berliner Lehrers in der ARD-Show “Das Quiz”, in der er die Frage “Was wird mithilfe von Lackmus-Papier bestimmt?” falsch mit “Cholesterinwert” beantwortete, was ihn in den Augen der “Bild”-Zeitung von gestern zum “total blamierten” “Depp-Lehrer”, zum “Ahnungslosen” und zum “Skandal-Lehrer” macht. Wobei in dem Artikel dezent die Grenzen verwischen, worin genau der Skandal besteht: In der falschen Antwort oder in der Tatsache, dass der Lehrer schwul ist, eine Punk-Frisur trägt und sich geschminkt hat, bevor er ins Fernsehen gegangen ist.

Das ist ein Berliner Lehrer

steht in großen, fassungslosen Buchstaben über dem androgynen Gesicht des Kandidaten. Immer wieder betont der Artikel, dass der Referendar Alexander G. einen Freund hat und Augen und Lippen geschminkt sind.

Der junge Mann ist Berliner Lehrer! Er darf Kinder unterrichten!

In der Druckausgabe wird ihm auch noch Schwänzen vorgeworfen:

Unfaßbar, daß so ein Ahnungsloser unsere Kinder unterrichtet. Eigentlich — wie BILD erfuhr — ist er seit vier Wochen krank geschrieben!

Später “erfuhr” “Bild” noch eine Information, die es allerdings nur in die Online-Version der Geschichte geschafft hat:

Immerhin: Die Sendung wurde vorher aufgezeichnet.

“Immerhin”: Irgendwer bei “Bild” hat gemerkt, dass das in diesem Zusammenhang kein ganz unwesentliches Detail ist.

Heute dreht “Bild” die Geschichte weiter, und die Sache mit der falschen Antwort taucht nur noch in einem einzigen Satz am Rande auf. Wohin die Reise geht, macht die Überschrift neben einem weiteren Bild des Lehrers klar:

Kein Wunder, daß wir bei der PISA-Studie ganz hinten liegen…
Warum darf so ein Lehrer unsere Kinder unterrichten?

Weiter im Text:

Wie BILD erfuhr, tritt der Punk-Lehrer in seiner Freizeit bundesweit auch als Travestiekünstler “Loulou La Rouge” in Frauenkleidern auf! Warum darf so ein schriller Typ Kinder unterrichten?

Warum nicht, könnte man zurückfragen, aber das haben die Beschützer “unserer” Kinder, die “Bild” zitiert, natürlich nicht getan:

“In diesem speziellen Fall ist es ein schlechtes Image für die Schule, die Grenze der Individualität scheint hier überschritten.”

“Durch dieses Auftreten wird der Schulfrieden massiv gestört. In jeder Firma würde dieser Mann umgehend gefeuert!

“Ein Lehrer muß nicht täglich im Anzug zum Unterricht kommen. Aber eine saubere Jeans und ein gebügeltes Hemd sollten schon sein.”

(Dass der Referendar seine Hemden nicht bügelt oder die Jeans nicht wäscht, hatte bislang nicht einmal “Bild” behauptet.)

Also, klar ist: Solche Lehrer gehören ins Kino, aber nicht in die Schulen. Und deshalb endet der Artikel mit dem folgenden Aufruf:

Haben Sie auch so einen schrillen Typen an der Schule? Kennen Sie Lehrer, die sich gehen lassen?

Dann schreiben Sie an:

BILD Zeitung
Redaktion Nachrichten
Stichwort: „Lehrer“
Axel-Springer-Platz 1
20350 Hamburg

Und wenn einer von den so Vorgeführten dann seine Existenz verliert oder sich etwas antut, wird “Bild” in seiner ausführlichen Nachberichterstattung zu mehr Toleranz aufrufen. Versprochen!

Blutzoll

“Bild” spricht eine “Wahl-Empfehlung” aus. Für Bush. An wen sich diese “Empfehlung” richtet, womöglich an die 200.000 Amerikaner, die in Deutschland leben, wer weiß es. “Bild”-Ratgeber Hugo Müller-Vogg weiß dafür “zehn Gründe, warum es für Deutschland, die Welt und Amerika besser wäre, wenn George W. Bush Präsident bleibt.”

Am besten ist Punkt 3:

Unter Bush werden die USA als Supermacht weiterhin die Hauptlast in dem von den islamistischen Fanatikern einseitig erklärten “Heiligen Krieg” tragen – militärisch, finanziell und auch beim Blutzoll.

Anders gesagt: Die USA haben den Krieg zwar nicht angefangen, aber immer noch besser, Amerikaner sterben, als Deutsche.

Ist es das, was die Axel Springer AG meint, wenn sie alle Redakteure als einen von fünf Grundsätzen auf die “Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika” verpflichtet? Und wissen das die Amis, dass sie George W. Bush wählen sollen, damit sie auch weiterhin die “Hauptlast” des “Blutzolls” tragen dürfen? Weil das nicht nur für “Deutschland” und “die Welt”, sondern auch für “Amerika” besser wäre?

Wie sich Feindbilder verändern

Für “Bild” ist die PDS bisher stets die SEDNachfolgepartei gewesen. Und deren Mitglieder waren “die Rächer der SED”, “die alten Spalter, die Honecker-Nostalgiker, deren Vorgänger das freie Denken unterdrückten” und die “mit gnadenloser Anti-Reformhetze und Stimmungsmache gegen Kanzler Schröder” wetterten bzw. noch Schlimmeres.

Wenn allerdings “Deutschland jüngste Abgeordnete” Julia Bonk, 18 Jahre, gutaussehend “und derzeit wieder solo”, “in Pulli, Mini-Rock und schwarzen Strümpfen” bzw. mit “Schmollmund, roter Mähne, bauchfreiem T-Shirt” abgebildet werden kann, dann ist die “SED-Nachfolgepartei”, für die die “sexy Sächsin” im Landtag sitzt, plötzlich nur noch – “die PDS”.

Hofberichterstattung

Es ist noch keinen Monat her, da sagte Chefredakteur Kai Diekmann, “Bild” werde Konsequenzen aus dem sogenannten “Caroline-Urteil” ziehen und bis auf weiteres auf Homestories über Politiker verzichten. Wenn man nicht mehr kritisch über das Privatleben von Politikern berichten dürfe, sagte er dem “Focus”, wolle man es lieber gar nicht tun: “Wir müssen … beim Leser jetzt von vornherein jeden Anschein vermeiden, wir würden mit eingebauter Schere im Kopf nur noch Hofberichterstattung betreiben.” Laut “Bild” hätten die Straßburger Richter nämlich entschieden, “dass die Berichterstattung (z. B. Fotos) über Prominente nur noch mit deren Erlaubnis zulässig” sei.

Am Samstag hatte Gerhard Schröder einen Termin in Paderborn. Seine Mutter liegt dort im Krankenhaus. Sie konnte ihren Geburtstag nicht zuhause feiern, deshalb besuchte der Kanzler sie am Krankenbett, ohne Frau, Stief- und Adoptivtochter, dafür aber mit einem “prächtigen Herbststrauß”. Er trug ein “lässiges Polohemd, sportliches Jackett und eine Sporthose” und blieb eine Stunde.

Woher wir das alles wissen? Stand heute groß auf Seite 2 der “Bild”. Mit Foto vom Kanzler mit Herbstblumenstrauß. Ach, und er nennt seine Mutter “nur zärtlich ‘Löwe'” und liebt, wie sie, Pflaumenkuchen.

“Wir können gar nicht anders”, hatte der “Bild”-Chefredakteur noch gesagt, “als ab sofort zum Beispiel auf jedwede Art von HomeStorys über Politiker zu verzichten.” Aber der Kanzler ist ja auch in Hannover zuhause. Nicht in Paderborn.

Das alte Lied

Eigentlich ist die Überschrift “Gottschalk trommelt für deutschen Pop” ja ganz pfiffig. Meint das Wort “trommeln” doch u.a., dass jemand musiziert, was natürlich hervorragend zum “Pop” als Musikrichtung passt. Da es in dem zugehörigen “Bild”-Artikel aber um die gestern vorm Kulturausschuss des Bundestags diskutierte Frage nach einer Radio-Quote für deutschsprachige oder in Deutschland produzierte Musik geht, dürfte wohl eher die übertragene, umgangssprachliche Bedeutung von “trommeln” gemeint sein, die der Duden folgendermaßen definiert:

tro.m|meln [spätmhd. trumelen]: 1. a) die Trommel (1) schlagen: laut t.; Übertragung: weil die Gewerkschaften für die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich trommeln (ugs.; mit Eifer dafür Werbung, Propaganda machen…)

Gottschalks eifrige Werbung liest sich dann allerdings so:

Nur dass ein Titel deutsch gesungen wird, sollte ihm nicht das Recht geben, zwangsaufgeführt zu werden. (…) Quote für deutsche Produktionen geht in Ordnung – was die Sprache betrifft, hielte ich sie für bedenklich.

Vielleicht ist die Überschrift also doch viel weniger pfiffig als irreführend.

Schlagzeilt “Bild” zu schnell?

“Schießt unsere Polizei zu schnell?”, fragt “Bild” in großen Lettern neben der Abbildung eines SEK-Beamten mit “Waffe im Anschlag”. Denn: “In Gießen wurde ein 77-jähriger Rentner vom SEK getötet, der sich gegen die Zwangsräumung [seiner Wohnung] wehrte.” Mit einer Waffe, wohlgemerkt. Aber: “Schon das dritte Opfer dieses Jahr.”

“Im letzten Jahr töteten Polizisten bundesweit nur drei Menschen. Niedrigster Stand seit 30 Jahren. Und jetzt ist diese Zahl allein in Hessen eingestellt. Vermutung: Seit dem Mord an Radar-Polizist Günter K[.] (41) auf der A4 im Januar 2000 haben Hessens Ordnungshüter einen nervösen Finger” bzw. fühlen sich “als Freiwild”.

War der Tod des Kollegen womöglich

Noch mal zum Mitdenken: Seit dem Mord an Günter K. im Jahr 2000 sollen hessische Polizisten schneller zur Waffe greifen als vorher, obwohl 2003 “bundesweit nur drei Menschen” bei Polizeieinsätzen getötet wurden.

Gibt es denn Indizien, die eine solche Vermutung rechtfertigen?

Nein, sagt ein Sprecher des hessischen Innenministeriums: “Der Einsatz steht immer in Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Situationen für die Polizeibeamten oder Dritte.”

Nein, sagt auch “ein Schieß-Experte zu BILD”: “In Notwehrsituationen zielt man da hin, wo die Trefferwahrscheinlichkeit oder der [sic] Wirkung am höchsten ist (…).”

Nein, sagt außerdem der Sprecher des “sonst stets kritischen” Bunds Deutscher Kriminalbeamter: “Das Training [mit der Waffe] hat sich in den letzten Jahren stark verbessert (…).”

Dem hat auch “Bild” nichts mehr hinzuzufügen.

Blättern:  1 ... 42 43 44 ... 47