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Wahlkampf VII

Diese Frage auf Seite eins der “Bild” von heute lässt sich – zumindest soweit es die Wahl zum deutschen Bundestag betrifft – leicht und eindeutig beantworten. Nämlich mit Nein.

Türken können die Bundestagswahl nicht entscheiden, weil sie nicht wahlberechtigt sind. Wahlberechtigt ist gemäß Paragraph 12 Bundeswahlgesetz (BWG), wer das 18. Lebensjahr vollendet hat und Deutscher “im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes” ist. Dort steht u.a.:

Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist (…), wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt

“Bild” scheint aber irgendwie Probleme mit dem Bundeswahlgesetz zu haben. Und ganz erhebliche mit dem Grundgesetz. Das zeigt nicht nur die irreführende Aufmacher-Frage auf der Titelseite, das zeigt auch der heutige Kommentar von “Bild”-Autor Dirk Hoeren auf Seite zwei, der Ausdruck eines beunruhigenden Demokratieverständnisses ist. Er ist folgendermaßen überschrieben:

Kein Wahlkampf mit Minderheiten

Das ist erstaunlich, schließlich stand bisher noch nie in “Bild”, dass es verwerflich sei, um die Stimmen alleinerziehender Mütter, Großfamilien, Behinderter oder anderer “Minderheiten” zu werben. Schauen wir uns also Dirk Hoerens Kommentar etwas genauer an. Darin steht u.a. folgendes:

Deutsch-Türken dürfen am Sonntag mitwählen.

Hoeren unterteilt die Wahlberechtigten also in “Deutsch-Türken” und andere. Es gibt aber im Wahlrecht keine solche Unterscheidung: Wählen darf, wer Deutscher ist, ganz gleich, ob er aus Antalya oder aus Bielefeld stammt.

Und weiter schreibt Hoeren:

Sie entscheiden möglicherweise darüber, wer in den kommenden Jahren Deutschland regiert und wer nicht.

Und es mag Herrn Hoeren überraschen, aber nach dem Grundgesetz entscheidet jeder Wähler darüber, wer das Land regiert und wer nicht. Das nennt man übrigens Demokratie.

Und dann schreibt Hoeren:

Kein Wunder also, daß SPD und Grüne gezielt bei den Türkischstämmigen auf Stimmenfang gehen. Motto: Deine Stimme für SPD und Grüne ist eine Stimme für erleichterte Einbürgerungen und den EU-Beitritt der Türkei.

Hoeren wirft also SPD und Grünen vor, dass sie ihr politisches Programm dazu benutzen, Wähler zu überzeugen, ihnen ihre Stimme zu geben. Ja was denn sonst?! Das Grundgesetz nennt das Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung. Doch darauf mag Hoeren sich offenbar nicht verlassen und schreibt im Anschluss:

Wer die deutsch-türkische Minderheit derart für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert, erweist dem Zusammenleben von Deutschen und Türken einen Bärendienst.

Und dieser Satz hat es in sich, denn er sagt:

Wer um die Stimmen türkischstämmiger Wähler kämpft, macht nicht Wahlkampf, sondern er instrumentalisiert Wähler. Wer daraufhin SPD und/oder Grüne wählt, hat nicht frei seine Meinung gebildet, er hat sich instrumentalisieren lassen. Und Staatsangehörigkeit hin oder her, türkischstämmige Deutsche sind gar keine Deutschen, sie sind und bleiben — nach Ansicht von “Bild” — Türken.

Man kann Hoeren also so verstehen: Es geht nur dann in Ordnung, dass “Türken” in Deutschland wählen, wenn sie so wählen, wie es “Deutsche” tun — also mit, sagen wir, 40 Prozent Unions-Anteil. Und es geht nur dann in Ordnung, dass “Türken” in Deutschland wählen, solange “deutsche” Parteien davon absehen, ihre Interessen zu vertreten.

“Bild” wünscht sich also, im scharfen Kontrast zum Grundgesetz, dass die Interessen und die Stimmen türkischstämmiger Wähler in der deutschen Politik weniger zählen sollen als die deutschstämmiger Wähler. Vielleicht wünscht sich “Bild” aber auch nur, dass Angela Merkel gewinnt. Egal um welchen Preis.

Mit bestem Dank an Nils M.

Eskalierende Privatfehde

Seit einiger Zeit taucht Oskar Lafontaine in der Berichterstattung von “Bild” und “Bild am Sonntag” vor allem als “Luxus-Linker” auf, dessen Lebenswandel angeblich in krassem Gegensatz zu den Forderungen der Linkspartei steht. Die Frage, ob Lafontaine die Teilnahme am sogenannten “Wählerforum” der “Bild am Sonntag” davon abhängig gemacht hat, dass die Zeitung ihm die Anreise in einem Privatjet bezahlt, ist mittlerweile Gegenstand mehrerer gerichtlicher Auseinandersetzungen und größerer Schlagzeilen in der Zeitung (“Lafontaine lügt!”). Heute nun macht “Bild am Sonntag” mit der Schlagzeile auf:

Lafontaine im Privatjet zu Talkshow ...und das ZDF bezahlte

Und wer nach der Vorgeschichte diese Seite 1 liest, muss zu folgendem Schluss kommen: Wie im Fall von “Bild am Sonntag” hat Lafontaine anscheinend seine Teilnahme an der Talkshow “Berlin Mitte” von der Luxusanreise abhängig gemacht (“obwohl es auch Linienflüge gab”!) — nur dass das ZDF im Gegensatz zur “Bild am Sonntag” wohl bereit war, dieser Forderung nachzukommen. Was für ein unbelehrbarer, gieriger, verlogener Politiker!?

Erst im Klein(er)gedruckten verrät die “Bild am Sonntag” ihren Lesern, wie es wirklich war: Nicht Lafontaine, sondern das ZDF bestand auf dem teureren Flug. Ein Sendersprecher wird mit den Worten zitiert:

“Herr Lafontaine teilte uns Flugzeiten von Linienflügen mit — mit keiner der genannten Maschinen hätte er die Sendung pünklich und sicher erreicht. Die Redaktion prüfte Alternativen. Aber das Risiko einer Verspätung war zu groß.”

Auch der Sprecher der Linkspartei Hendrik Thalheim (von “Bild am Sonntag” als “Lafontaines Sprecher” bezeichnet) bestätigt diese Darstellung, indirekt ebenso ein von der Zeitung nicht genannter “TV-Insider”.

Ob Lafontaine nun ein verlogener “Luxus-Linker” ist oder nicht — die Anreise zur ZDF-Talkshow, die “Bild am Sonntag” einen “Luxus-Auftritt” nennt und von gleich zwei Fotografen mit Fotos im Paparazzi-Stil dokumentieren ließ, bestätigt diesen Vorwurf jedenfalls nicht.

Wir wissen nicht, wer in der eskalierenden Privatfehde zwischen “Bild am Sonntag” und Oskar Lafontaine die Wahrheit sagt. Die heutige Berichterstattung von “Bild am Sonntag”, die zu nichts anderem dient, als einen falschen Eindruck zu erwecken, ist jedenfalls alles andere als eine vertrauensbildende Maßnahme.

Nachtrag, 22.15 Uhr: Gegenüber dem “Tagesspiegel” widerspricht ZDF-Sprecher Alexander Stock der “Bild am Sonntag” ausdrücklich:

“Nach Rücksprache mit dem Landeskriminalamt und den Fluggesellschaften sowie nach Prüfung der verfügbaren Linienflüge stand fest, dass es keine andere Möglichkeit gab, dass Lafontaine rechtzeitig zu der Live-Sendung erscheint.”

Er sei von der “Bild am Sonntag” im übrigen falsch zitiert worden: Weder Lafontaine noch sein Büro hätten Flugzeiten durchgegeben. Der ganze Vorgang sei von der ZDF-Redaktion geplant, organisiert und durchgeführt worden.

Schwups II

Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat eine einstweilige Verfügung gegen “Bild” erwirkt. Es geht um die “Benzin-Wut”-Kampagne der Zeitung. In einem Interview in “Bild” vom 27. August hatte Trittin im Zusammenhang mit dem hohen Preis für Kraftstoff diverse Vorschläge aufgestellt, die die Zeitung auf ihrer Titelseite an mehreren Tagen auf eine einzige Forderung verkürzte: “ab und zu das Auto stehen lassen”. Am 31. August tauchten dann in “Bild” plötzlich die zusätzlichen Punkte Trittins wieder auf. “Bild” tat, als habe Trittin sie gerade erst auf Anfrage von “Bild” präsentiert, obwohl er sie bereits im ursprünglichen Interview formuliert hatte.

Das Landgericht Berlin untersagte “Bild” nun vorläufig, diese Darstellung wörtlich oder sinngemäß zu wiederholen. In einer weiteren einstweiligen Verfügung verpflichtete das Gericht “Bild”, eine Gegendarstellung Trittins zu dem Thema zu drucken.

Der Schnarch-Skandal von Lübeck II

Es gibt eine jahrzentelange “Bild”-Tradition, nach der — egal wie falsch ein Bericht war — Begriffe wie “Richtigstellung”, “Widerruf” oder “Korrektur” um jeden Preis zu meiden sind. Sogar in solchen Fällen, in denen selbst “Bild” es angebracht findet, die eigene Darstellung zu korrigieren. Wie die Redaktion dann vorgeht, zeigt beispielhaft der Fall des angeblichen Skandal-Knastes in Lübeck.

Am Mittwoch enthüllte “Bild” (wie berichtet) exklusiv und überregional die vermeintlich skandalösen Zustände in der Justizvollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof. Fotos dokumentierten, wie ein Gefangener über einen Zaun ausbricht, während eine Aufseherin die Füße hochgelegt hat und in der Sonne ein Buch liest.

An diesem Artikel ist, wie die “Lübecker Nachrichten” am Donnerstag berichteten, ungefähr alles falsch: Die Fotos sind mehrere Jahre alt, vermutlich zeigen sie nicht einmal einen Ausbruch oder überhaupt den Zaun, über den man ausbrechen müßte.

Am Freitag erschien nun in “Bild” (allerdings diesmal nicht bundesweit) ein weiterer Artikel zum Thema. Überschrift:

Carstensen macht JVA Lübeck jetzt zur Chefsache

Diese Zeile wird durch nichts im zugehörigen Text gedeckt. Und in der Realität gibt es, nach allem was man weiß, auch keinen Anlass für eine solche Maßnahme.

Der Artikel selbst ist eine waghalsige Mischung aus dem Richtigstellen der gröbsten Fehler und einer noch weitergehenden Verdrehung der Tatsachen. Die “Bild”-Autoren Bernd Prawitz und Martin Wichmann, die auch schon die Falschmeldung verantworteten, erwecken nun den Eindruck, als sei die CDU/SPD-Regierung durch den von “Bild” enthüllten erfundenen “Skandal” aufgerüttelt worden. Die Richtigstellung besteht darin, dass “Bild” nicht mehr behauptet, dass es einen aktuellen Fall gibt. Stattdessen wird dem “Bild”-Leser suggeriert, dass der Ausbruchsversuch entweder gar nicht stattgefunden hat, oder von der früheren grünen Justizministerin zu verantworten sei.

Aus einer Richtigstellung wird so eine perfide politische Unterstellung. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) wird mit den Worten zitiert:

“Die JVA ist jetzt sicher. Zustände wie unter der grünen Justizministerin gibt es nicht mehr. (…) Die Fotos sind lange vor meiner Amtszeit entstanden. Wenn Aufsichtsbeamte heute so ihre Pflicht vernachlässigen würden, wären sie morgen nicht mehr im Amt.”

Wohlgemerkt: “Bild” hat keinerlei Hinweis darauf, dass überhaupt Aufsichtsbeamte ihre Pflicht vernachlässigt haben. Oder in den Worten der Zeitung selbst:

Warum der Mann auf dem Foto über den Zaun klettert, wenn er doch sowieso im offenen Vollzug war, ist nicht geklärt.

P.S.: Erst nach mehreren Anfragen von uns hat Bild.de am heutigen Abend die Falschmeldung vom Mittwoch aus dem Online-Angebot entfernt.

Schlagzeile verhindert

Aus einem “taz”-Interview mit Walter Riester:

taz: Hat Rot-Grün sich von Medien-Coups steuern lassen?

Riester: Das mit den Medien-Coups ging am Beispiel der Pflicht-Riester-Rente so: Ein Bild-Redakteur rief an, dass morgen die Bild mit der Schlagzeile “Zwangsrente Riester” aufmacht. Nur wenn ich ihm ein Exklusivinterview gäbe, würde er die für den Folgetag geplante Schlagzeile “Wann fliegt Riester?” verhindern können. Und ich blöder Hund bin auch noch darauf eingegangen! Die Schlagzeile am Tag drauf lautete: “Wutwelle rollt auf Bonn”. Das war kaum besser.

Mit Dank an Jan H. für den Hinweis.

Schwups (Wahlkampf VI)

Es gibt einen ganz einfachen Weg, Steuern zu senken: Man senkt ganz einfach die Steuern. Wenn man die Einkommensteuer abschaffen würde, hätten die Menschen zum Beispiel gleich viel mehr Geld in der Tasche! Auf die gleiche Art könnten zum Beispiel auch Museen ihre Attraktivität steigern: Sie halbieren einfach die Eintrittspreise! Und wenn Privatsender endlich aufhören würden, so viel Werbung zu zeigen, hätte man viel mehr Spaß beim Filmegucken!

Und wenn Sie jetzt sagen, dass das doch Milchmädchenrechnungen sind, weil die Einnahmeausfälle jeweils an anderer Stelle wieder ausgeglichen werden müssten, dann sind Sie vermutlich kein “Bild”-Redakteur. “Bild” glaubt nämlich, dass man nur die Ökosteuer abschaffen muss, schon kostet der Sprit weniger, und alle sind glücklich.

Glauben Sie nicht, dass das so schlicht da steht? Aber ja:

Von 1,31 Euro für einen Liter Super kassiert der Staat rund 84 Cent Steuern, knapp zwei Drittel.

Würde der Ökosteueranteil (inkl. MwSt. 17,75 Cent) wegfallen, blieben ihm immer noch rund die Hälfte.

Und schwups würde Sprit 1,13 Euro kosten …

Und schwups ist der Artikel zuende, und irgendwie kommt der Gedanke nicht mehr vor, dass die über 16 Milliarden Euro, die aus der Ökosteuer jährlich in die Rentenversicherung fließen, dann ja auf eine andere Art finanziert werden müsste und zum Beispiel — schwups — der Beitrag zur Rentenversicherung deutlich stiege.

“Bild”-Autor und Hobby-Wissenschaftler Dr. Paul C. Martin formulierte in einem “Bild”-Kommentar den Gedanken leicht abgeschwächt, aber ähnlich schlicht:

Dabei müßten nur Mineralöl- und Ökosteuer ein klein wenig und vorübergehend gesenkt werden, bis das Schlimmste ausgestanden ist.

…und schon bliebe Deutschland eine Art Hungersnot erspart (Martin bezeichnet Benzin als “Grundnahrungsmittel” wie früher Brot).

So einfach ist das also. Viel einfacher als, sagen wir, über viele Tage das Thema der explodierenden Benzinpreise in “Bild” mit persönlichen und politischen Angriffen auf Jürgen Trittin zu verbinden, ohne gleichzeitig der Wahrheit Gewalt anzutun.

Am 27. August druckte “Bild” ein Interview mit “Verhör” von Trittin. Der Umweltminister sagte darin auf die Frage nach Wegen aus der Preisspirale, dass die Industrie sparsamere Autos entwickeln müsse und dass alternative Antriebe gefördert würden. Er griff die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer durch die Union an. Und den Verbrauchern empfahl er vier Möglichkeiten: sparsamere Autos fahren, mit Erdgasautos fahren, spritsparender fahren sowie “ab und zu das Auto stehen lassen”.

“Bild” kündigte das Interview “Verhör”auf der Seite 1 so an:

Zwei Tage später war dies auch die einzige Aussage, die von den Vorschlägen Trittins übrig geblieben war. Alle anderen vergaß die “Bild”-Zeitung, um (wieder auf Seite 1) ihre These von der “Wut auf Trittin” zu belegen. Angeblich waren “Millionen Autofahrer empört” über die (von “Bild” verkürzte) Aussage des Umweltministers. Immerhin 18 davon empörten sich tatsächlich in “Bild” und sagten Sätze wie: “Der soll mal seinen Dienstwagen stehen lassen.” “Bild” selbst nannte Trittins (von “Bild” verkürzte) Äußerung einen “blanken Hohn” für Pendler.

Wiederum zwei Tage später titelte “Bild” auf Seite 1: “Benzin-Wut — Und die Politiker reden Müll”. Abgebildet waren als Beleg vier Politiker mit vermeintlich indiskutablen Zitaten — ausschließlich Mitglieder der rot-grünen Koalition, sicherlich ein Zufall, da ja auch CDU/CSU die Öko-Steuer nicht abschaffen wollen.

Inzwischen schien auch “Bild” allmählich der Kraftstoff auszugehen, denn der Artikel bestand tatsächlich fast ausschließlich aus alten Zitaten. Der Schluss allerdings hielt eine Überraschung parat:

Umweltminister Jürgen Trittin, hatte erst am Samstag im BILD-Interview allen Autofahrern geraten, ab und zu das Auto stehen zu lassen. Gestern präsentierte er auf BILD-Anfrage ein Drei-Punkte-Programm.

Sind Sie auch so gespannt, welche Punkte der Umweltminister nach Tagen der “Bild”-Attacke endlich aus der Schublade zog? Richtig: Es waren inhaltlich exakt die, die er “Bild” schon vier Tage zuvor diktiert hatte, die dem Blatt aber irgendwie unterwegs abhanden gekommen waren: keine Erhöhung der Mehrwertsteuer, alternative Treibstoffe, sparsamere Autos.

Nein, auch damit ist die Geschichte noch nicht zuende. Um zu belegen, dass Trittin Wasser predigt und Wein trinkt, begleiteten ein “Bild”-Reporter und ein “Bild”-Fotograf den Grünen-Minister am Dienstag einen ganzen Tag lang (die Umstände erläutert Trittin im “Tagesspiegel”). Akribisch schrieb der Reporter am Donnerstag auf, wie viele Kilometer Trittin mit seinem Dienstwagen zurücklegte, obwohl er doch das Ab-und-zu-Stehenlassen propagierte (und “Bild” druckte reichlich Fotos beim Ein- und Aussteigen in den Wagen).

Bilanz der Trittin-Wahlkampftour für diesen Tag: rund 600 gefahrene Kilometer, davon 380 Kilometer mit der Bahn, 215 Kilometer mit der Dienstlimousine, die zuvor 220 Kilometer aus Bonn zum Bahnhof in Bielefeld anfahren mußte, um den Minister abzuholen.

Der eifrige “Bild”-Mann hätte sich die Arbeit sparen können. Denn Trittins Dienstlimousine hat keinen Tropfen Benzin verbraucht. Sie ist, wie “Bild” unauffällig in einer Klammer vermerkt, “für 3400 Euro Aufpreis auf Erdgas umgerüstet” worden. Und Trittins Vorschlag lautete ja: Entweder mal den Wagen stehen lassen oder zum Beispiel auf einen Erdgas-Wagen umsteigen. Aber das komplette Zitat hatte der “Bild”-Mann sicher gerade wieder nicht zur Hand.

“Schändliches Schmierenstück”

Die ehemaligen Bundesminister und SPD-Politiker Egon Bahr, Erhard Eppler und Hans-Jochen Vogel haben sich entschieden, einen Offenen Brief an den “Bild”-Chefredakteur und Herausgeber Kai Diekmann zu schreiben. Anlass dafür ist die gestrige “Bild”-Kolumne “Berlin intern” von Hugo Müller-Vogg (Überschrift: “So kam Willy Brandt an den Nobelpreis”), die von Bahr, Eppler und Vogel als “schändliches Schmierenstück” bezeichnet wird. Weiter heißt es in dem Brief an Diekmann:

“Sie sollten dafür sorgen, dass auch im Wahlkampf das Minimum von politisch-journalistischem Anstand nicht unterschritten wird.”

“Nachgerechnet”

“BILD hat nachgerechnet, wieviel Geld mehr im Monat die Einfach-Steuer von Kirchhof Arbeitnehmern bringen würde.”

So stand es am Dienstag in “Bild” – unter der Überschrift “Die Kirchhof-Steuer – Wieviel kommt da für mich raus?” und neben einer Tabelle mit vielen Zahlen: Brutto-Haushalts-Einkommen, bisherige Steuerbelastung, potentielle Kirchhof-Steuer, “Monatliche Entlastung in Euro”…

Aber was heißt das, wenn “Bild” schreibt, “BILD hat nachgerechnet…”? Heißt das, bei “Bild” haben sich ausgefuchste Steuerexperten hingesetzt und im Dienste des Lesers in mühevoller Kleinarbeit Steuerlasten kalkuliert? Nun, zunächst mal heißt das: Lesebrille aufsetzten! Denn unter die Tabelle hatte “Bild” einen itsybitsyklitzekleinen Hinweis gedruckt. Er lautet:

“Quelle: stern.de/Datev”

Und siehe da: Bei Stern.de gibt es für das “Kirchhof-Modell” einen vollautomatisierten, kostenlosen “Steuerrechner”. Und bei der Datev wiederum gibt es auf Anfrage detaillierte Excel-Tabellen zur Steuerbelastung als kostenlosen Service.

Mit anderen Worten: Wenn “Bild” schreibt “BILD hat nachgerechnet”, meint “Bild” damit womöglich: “Bild” hat in den Stern.de-Rechner ein paar Zahlen eingegeben, die Ergebnisse anschließend in eine Excel-Tabelle der Datev übertragen – und online sogar komplett auf den Quellen-Nachweis verzichtet.

Mit Dank an derpraktikant für die Inspiration.

“Bild”-Redakteur in Sommerloch gefallen

“Bild” berichtete gestern auf Seite 2 Ungeheuerliches. Beziehungsweise dies:

Die “Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland” (die kürzlich bereits einen anderen “Bild”-Bericht richtigstellen zu müssen glaubte) kommentiert die “Bild”-Meldung mit den Worten:

“Schon wieder ist ein Bildzeitungsredakteur ins Sommerloch gefallen.”

Zum Inhalt der “Bild”-Meldung heißt es dann eher schlicht:

“Das ist falsch.”
(Hervorhebung von uns.)

“Richtig” hingegen sei das “Gegenteil”.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.
 
Nachtrag, 26.8.2005
Inzwischen gibt es eine neue Pressemitteilung der EU-Kommision. Darin heißt es:

“Das Landgericht Berlin hat (…) im Wege einer einstweiligen Verfügung BILD zu einer Gegendarstellung verpflichtet.”

Außerdem heißt es in der Pressemitteilung:

“Übrigens: BILD hätte diese Ente durch simple Recherche (Nachfrage bei der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin oder Blick in das Amtsblatt der Europäischen Union) vermeiden können.”

Niels Annen studiert (Wahlkampf V)

Niels Annen ist 32 Jahre alt, SPD-Direktkandidat für den Deutschen Bundestag im Wahlkreis Hamburg-Eimsbüttel und studiert. Und “Bild” fragte in großer Aufmachung (am Samstag in der Hamburg-Ausgabe, am Montag in Berlin):

"Weiß dieser junge SPD-Politiker wirklich, was Arbeit ist?"

Wer’s nicht gelesen hat, kann das seit gestern nachholen, weil “Bild” noch einen zweiten, inhaltlich recht ähnlichen Artikel über “das SPD-Milchgesicht” veröffentlicht hat. Die Hauptfrage diesmal:

"Was bringt so einer im Bundestag?"

Und man könnte den Eindruck haben, die unabhängige und überparteiliche “Bild” ließe sich hier in ihrer Berichterstattung von der Opposition instrumentalisieren. Aber wir wollen nicht spekulieren. Halten wir uns lieber an die Fakten – und Fakt ist: “Bild” schrieb über Annen:

“Wenn er es jetzt in den Bundestag schaffen sollte, verdient er ca. 10.600 Euro!”

Weiter hieß es in “Bild”:

“Um die 10.600 Euro monatlich, die er dann verdienen würde, werden ihn seine Mitstudenten sicherlich beneiden.”

Auch im zweiten Annen-Text ist in “Bild” von der “Aussicht auf 10.600 Euro Diäten im Monat” die Rede – und das stimmt wieder nicht: Annen wird (wenn es ihm gelingt, am 18. September in seinem Wahlkreis mehr Wähler als die Direktkandidaten anderer Parteien davon zu überzeugen, ihm ihre Erststimme zu geben) wie jedes Mitglied des Bundestages, gemäß Artikel 48, Abs. 3 des Grundgesetztes eine “Diäten” genannte Abgeordnetenentschädigung von monatlich 7.009 Euro gezahlt bekommen. So will es das Gesetz. Zusätzlich dazu steht jedem (in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählten) MdB eine Kostenpauschale zu, über die es auf der Website des Bundestages heißt:

“Weil ein ‘MdB’ auch im Wahlkreis keinen Arbeitgeber hat (der ein Büro stellt, Reisekosten abdeckt und Kilometergeld bezahlt) […] gibt es die Kostenpauschale. Sie beträgt zur Zeit 3.589,00 Euro […]. In vielen Fällen reicht die Pauschale nicht aus. Höhere Ausgaben werden jedoch nicht erstattet, und sie können auch nicht steuerlich abgesetzt werden; denn für den Abgeordneten gibt es keine ‘Werbungskosten’.”

Man könnte also spekulieren, dass “Bild” einfach Abgeordnetenentschädigung und Pauschale zusammenaddiert hat. Aber wie gesagt: Das wollen wir ja nicht.

Mit Dank an Fiete S. und derpraktikant für die Hinweise.

Nachtrag, 25.8.2005:
Und wir sind gespannt, wann “Bild” sich in ähnlich großer Aufmachung über Philipp Mißfelder hermacht. Schließlich ist Mißfelder 26 Jahre alt, CDU-Direktkandidat im Wahlkreis 122 und studiert ebenfalls.

Mit Dank an Sven M. für den Hinweis.

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