Die “Bild am Sonntag” veröffentlicht heute folgenden Leserbrief:
Ein abwegiger Gedanke? Nicht wenn man in den letzten Tagen “Bild” gelesen hat.
Die “Bild”-Zeitung glaubt nämlich, dass in den vergangenen Jahren in Deutschland nicht ehrlich genug darüber diskutiert wurde, was “mit den Ausländern falsch läuft”. Sie hat das in dieser Woche mal geändert und aufgeschrieben, was Ausländer für unser Land wirklich bedeuten:
In Hamburgs Süden gibt es unbestreitbar einige Stadtviertel mit hohem Ausländeranteil. Als Beispiel für Ghettoisierung hat sich die “Bild”-Zeitung in ihrem aufrüttelnden und “ehrlichen” Aufmacher “7 Wahrheiten über Ausländer-Politik” allerdings ausgerechnet Steinwerder ausgeguckt:
Die Suche nach all den Ausländern, die sich hier abschotten und “oft nach ihren eigenen Gesetzen” leben, dürfte etwas länger dauern. Verstecken sie sich vielleicht zwischen den zehntausenden Containern am Terminal Tollerort? Im riesigen Trockendock Elbe 17? Oder auf dem Gelände des Klärwerks Köhlbrandhöft?
Offensichtlich, denn die Statistiker haben 2004 (siehe Ausriss) gerade einmal 16 Ausländer auf Steinwerder entdecken können (von 57 gemeldeten Einwohnern insgesamt).
Und die deutschsprachige Wikipedia weiß noch mehr über das neu entdeckte Ghetto:
Steinwerder ist fast vollständig als Freihafen ausgewiesen. Der Stadtteil besteht aus Hafen-, Industrie- und Gewerbeflächen. Wohngebiete gibt es hier nicht.
Ausgesprochen unkritisch interviewt “Bild” heute den umstrittenen Historiker Arnulf Baring, nennt ihn “Deutschlands klügster Kopf” (obwohl man ihn mit derselben Logik auch den “naivsten Kopf Deutschlands” nennen könnte) und macht ihn zur Titelschlagzeile (siehe Ausriss).
Im (…) Interview erklärt der Historiker Arnulf Baring, der Deutschland schon vergangenes Jahr über Notverordnungen (!) regiert sehen wollte, dann jenen Satz, der seit dem Hilferuf der Rütli-Schule an jedem Stammtisch zu hören ist: “Multikulti ist gescheitert.” Schuld daran sind — so sehen es die Konservativen — natürlich die “Multikulti-Befürworter”, also jene rot-grünen Dummdeutschen, die in den vergangenen Jahrzehnten immer brav und arglos zwischen kurdischem Volksfest (vermutlich heimliche Terroristenversammlung) und libanesisch geführtem Italiener-an-der-Ecke (Schnauzbart, sehr suspekt) hin- und hergependelt sind. Freilich ohne zu merken, wie der Kurde und der südländische Kellner heimlich ihre blitzenden Messer wetzen, schlecht über unsere deutschen Frauen reden und hinter unserem Rücken ein unfriendly Takeover der Bundesrepublik vorbereiten. Wie gut, dass uns Arnulf Baring gerade noch rechtzeitig gewarnt hat!
Es ist deshalb höchste Zeit, mit ein paar Mythen aufzuräumen: Weder Rot-Grün oder die naiven Multikulti-Befürworter tragen die Hauptschuld an der jetzigen Integrationsmisere. Der Mann heißt Helmut Kohl. (…)
Auch ein Massenblatt wie die “Bild”-Zeitung könnte mit ihrer klaren Sprache hilfreich sein. Auf Ausgaben, in denen Kampagnen gegen erfolgreiche Schauspielerinnen türkischer Herkunft gefahren werden oder ein Arnulf Baring von der Leine gelassen wird, können wir dagegen verzichten.
Am Dienstag vergangener Woche kündigte Bundestagspräsident Norbert Lammert an, den Fraktionen vorzuschlagen, dass die Diäten der Bundestagsabgeordneten in den nächsten Jahren um den gleichen Prozentsatz steigen sollen wie die Einkommen der übrigen Erwerbstätigen.
Gestern machte er diese Ankündigung wahr. Weil die Einkommen in Deutschland im vergangenen Jahr im Schnitt um 1,3 Prozent gestiegen sind, sollen auch die Abgeordneten 1,3 Prozent mehr bekommen.
Und Bild.de schafft es, einen Artikel über diese Umsetzung einer Ankündigung mit den Worten einzuleiten:
Schlechtes Gewissen oder Rückbesinnung zur Bescheidenheit?
Eine Frage, die schlicht keinen Sinn ergibt. Sie suggeriert, dass sich die Abgeordneten in den vergangenen Jahren sehr viel mehr “gegönnt” haben. Tatsächlich haben die Abgeordneten in den vergangenen beiden Jahren auf eine Diätenerhöhung verzichtet (“Nullrunde”).
Mit anderen Worten: Die “Bild”-Zeitung ist immer noch nicht bereit, den von ihr seit Jahren geführten und seit einigen Wochen intensivierten Kampf für eine grundsätzliche Neuregelung von Politiker-Diäten und -Alterversorgung mit fairen Mitteln zu führen.
Bild.de schreibt:
Allerdings sind 1,3 Prozent von 7000 Euro immer noch deutlich mehr Geld als 1,3 Prozent eines durchschnittlichen Angestellten-Einkommens von 1800 Euro.
Der Satz beschreibt nicht nur bedeutungsschwanger, was doch nur grundlegendes Prinzip der Prozentrechnung ist. Er ist auch falsch. Denn das durchschnittliche Angestellten-Einkommen betrug im vergangenen Jahr nach Angaben des Statistischen Bundesamtes3452 Euro.
Woher Bild.de die Zahl 1800 Euro hat, wissen wir nicht. Von der Größenordnung her könnte es sich allenfalls um das Nettoeinkommen handeln. Aber ist es denkbar, dass “Bild” einfach das Brutto-Einkommen eines Abgeordneten mit dem Netto-Einkommen eines Angestellten vergleicht, um besonders krasse Unterschiede zu produzieren?
Was macht eine Zeitung wie “Bild” mit unliebsamen Tatsachen? Ignorieren? Muss nicht. Ins Gegenteil verdrehen geht auch.
Der Ältestenrat des Bundestags hat gestern einstimmig (ohne den Namen der Zeitung zu nennen) die “Bild”-Kampagne gegen Bundestagspräsident Norbert Lammert gerügt. Die Überschrift der Erklärung lautet: “Ältestenrat weist Angriffe auf den Bundestagspräsidenten zurück.” Diese Angriffe seien “im Ton verletzend und sachlich unbegründet”. Und weiter:
Das Verfahren [mit dem die Diäten festgesetzt werden] ist grundsätzlich öffentlich, nachvollziehbar und für jedermann transparent. Die öffentliche Auseinandersetzung und Begleitung der Debatte über verschiedene Lösungsmöglichkeiten ist ausdrücklich erwünscht.
Respekt vor demokratischen Entscheidungen — und dieser schließt die Achtung demokratischer Verfahrenswege und Zuständigkeiten ein — ist unerlässlich für das Funktionieren und die Akzeptanz einer Demokratie. Diese leidet, wenn Parlamentariern unter Aufbietung fragwürdiger publizistischer Methoden Festlegungen aufgenötigt werden sollen, bevor ihnen überhaupt die notwendige Entscheidungsgrundlage vorliegt. Der “publizistische Pranger” ist kein Instrument demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.
Der Ältestenrat bittet daher um Mäßigung im Ton, Sachlichkeit in der Auseinandersetzung und konstruktive Begleitung des demokratischen Entscheidungsfindungsprozesses.
(Hervorhebungen von uns.)
Und so “berichten” die “Bild”-Redakteure Stefan Ernst und Dirk Hoeren heute über diese einstimmige Kritik an der “Bild”-Berichterstattung:
Der Bundestags-Ältestenrat begrüßte die öffentliche Diäten-Diskussion. Eine Begleitung der Debatte sei “ausdrücklich erwünscht”, hieß es gestern in einer einstimmig gefaßten Erklärung. Zugleich wies der Ältestenrat eine angebliche Presse-Kampagne zurück: “Der ‘publizistische Pranger’ ist kein Instrument demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.”
Nachtrag, 18.00 Uhr. Nobert Lammert begann die heutige Plenarsitzung damit, dass er die Kernsätze des Ältestenrates zitierte, und fügte hinzu:
Da die betroffene Zeitung heute aus dieser Stellungnahme des Ältestenrates die Mitteilung macht, der Ältestenrat begrüße die öffentliche Debatte, dachte ich, es wäre sowohl zur Information der Öffentlichkeit wie zur Urteilsbildung des Hauses angemessen, auf den vollständigen Zusammenhang hinzuweisen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Im Hintergrund ein Wirbelsturm, im Vordergrund ein lachender Umweltminister Sigmar Gabriel und darunter die gewaltige Schlagzeile: “Minister verhöhnt Hamburger Tornado-Opfer”. So machte die “Bild”-Zeitung gestern in Hamburg auf.
Und behauptete:
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel in Berlin macht Späße über den Tornado! (…) In der gestrigen Haushaltsdebatte im Bundestag (es ging um den Klimawandel) witzelte er über den Tornado, der durch Hamburgs Süden fegte: “Das wird wohl eher etwas mit den Nachwirkungen der Ereignisse, in die der Justizsenator verwickelt war, zu tun gehabt haben.”
“Bild” nannte das im Stabreim eine “peinliche Politiker-Panne” — und hätte, wenn es so gewesen wäre, womöglich recht.
Heute greift “Bild” das Thema auch bundesweit auf und macht Gabriel zum “Verlierer des Tages”:
(…) Im Bundestag sagte er, die Katastrophe werde “wohl eher etwas mit den Nachwirkungen der Ereignisse, in die der Justizsenator verwickelt war, zu tun gehabt haben.”
BILD meint: Ganz schnell entschuldigen!
Und hätte, wenn es so gewesen wäre, womöglich recht.
Aber die Sache war ein bisschen anders. Gabriel hatte sehr ernsthaft über die Bedeutung des Klimaschutzes und die Gefahren des Klimawandels geredet und dann gesagt:
Letztens hatten wir in Hamburg einen Tornado. Ich weiß nicht, ob es so etwas schon einmal gab und ob das etwas mit dem Klimawandel zu tun hat.
An dieser Stelle wurde er von mehreren Zwischenrufen unterbrochen, die er nicht verstand. Er fragte nach, und der CDU-Abgeordnete Steffen Kampeter machte eine vermutlich witzig gemeinte Bemerkung:
Die Frage ist, ob das etwas mit den Mehrheitsverhältnissen in Hamburg zu tun hat!
Auf diesen Zwischenruf hin antwortete Gabriel:
Das wird wohl eher etwas mit den Nachwirkungen der Ereignisse, in die der Justizsenator verwickelt war, zu tun gehabt haben.
Was genau Kampeter und Gabriel meinten, wie Kampeter vom Tornado auf die “Hamburger Mehrheitsverhältnisse” kam und Gabriel von den Hamburger Mehrheitsverhältnissen auf die Entlassung des Justizsenators am Montag, bleibt auch nach Lektüre des stenografischen Berichts schleierhaft.
Aber die “Bild”-Zeitung verschweigt ihren Lesern den Zusammenhang: dass sich Gabriel nicht direkt auf den Tornado bezog, sondern auf eine Bemerkung über die “Hamburger Mehrheitsverhältnisse”. Dabei muss ihr der tatsächliche Ablauf bekannt gewesen sein. Denn Gabriels Satz lautete wörtlich (wie auf dem Video von der Sitzung zu sehen ist) etwas anders. “Bild” zitiert aus der redigierten Version im stenografischen Bundestags-Protokoll. Und in diesem Protokoll ist auch der vorhergehende Zwischenruf dokumentiert.
Gestern veröffentlichte “Bild” folgenden Leserbrief:
Natürlich könnte man Manfred König erklären, dass er etwas missverstanden hat. Dass Informationen über Lammerts Nebentätigkeiten seit Jahren für jeden nachzulesen waren. Dass Lammerts Nebeneinkünfte nichts mit der täglichen “Bild”-Nachfrage nach Plänen für die Diäten- und Pensions-Reform zu tun haben. Und noch vieles mehr.
Aber andererseits wissenwirja, wie es kommen konnte, dass Manfred König all das missverstanden hat.
Es ist also nicht nur so, dass die “Bild”-Zeitung ihre Leser in die Irre zu führen versucht. Sie demonstriert auch noch gerne, wenn es ihr gelungen ist.
Die “Bild”-Zeitung berichtet heute, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert ihr angesichts ihrer unakzeptablenKampagne eine “unakzeptable Kampagne” vorgeworfen habe:
Lammert sprach sogar von “Vorführung und Nötigung des Bundestages”.
Auch der zugehörige “Bild”-Kommentar erweckt den Eindruck, es sei allein Lammert gewesen, der “Bild” diese Vorwürfe gemacht habe. Dem ist nicht so. (Auch wenn FDP-Chef Guido Westerwelle die Zeitung in Schutz nimmt.) Im selben Interview Lammerts, aus dem “Bild” zitiert, sogar im selben Satz betont der Bundestagspräsident, dass er mit seiner Kritik nicht alleine sei:
… zumal gestern Abend alle Fraktionen sich ausdrücklich von dieser Kampagne der “Bildzeitung” distanziert haben und gerade die damit offenkundig beabsichtigte Vorführung und Nötigung des Bundestages als in der Form und in der Sache vollständig unakzeptabel zurückgewiesen haben.
(Hervorherbung von uns.)
Die “Bild”-Zeitung verschweigt auch, dass der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß ihre Art der Berichterstattung gestern im Bundestag zum Thema machte. Laut Protokoll der Plenar-Sitzung sagte er:
Lieber Herr Präsident Lammert, Sie begrüße ich heute Morgen besonders freundlich, weil ich finde, dass Sie Opfer einer üblen Kampagne der Zeitung mit den großen Buchstaben sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Parteiübergreifend sind wir der Auffassung, dass sich die Politik nicht alles gefallen lassen darf, wenn so gemobbt wird wie hier im Einzelfall geschehen. Das ist auch nicht der erste Fall. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Oskar Lafontaine (DIE LINKE))
Dirk Hoeren, bei “Bild” für Renten-Lügen zuständig, demonstriert heute auf Seite 1 des Blattes die hohe Kunst der Desinformation. Unter der Überschrift “8377 Euro! Luxus-Pension für Bundestags-Präsidenten” schreibt er:
Gestern abend Spitzengespräch bei Bundestagspräsident Norbert Lammert (57/CDU, Foto) über die Neuordnung der Diäten und Pensionen für Abgeordnete. Lammert selbst hat ab 2009 einen Pensions-Anspruch von 8377,50 Euro.
Der erste Satz ist korrekt. Der zweite Satz ist korrekt. Schreibt man beide so hintereinander, entsteht ein Eindruck, der vollständig falsch ist. Der sich aber zufällig genau mit dem Eindruck deckt, den die “Bild”-Zeitung seit mehreren Tagen in einer Kampagne gegen Lammert zu erwecken versucht.
Richtig ist, dass Lammert gestern mit den Fraktionschefs darüber sprach, wie die Diäten und Pensionen der Bundestagsabgeordneten geregelt werden sollen. Er machte bei dieser Gelegenheit auch eigene Vorschläge. Den Zorn der “Bild”-Zeitung hatte sich Lammert nicht zuletzt dadurch zugezogen, dass er darauf bestand, diese Vorschläge zuerst mit den gewählten Volksvertretern zu besprechen und nicht zuerst mit dem selbsterklärten “LEITMEDIUM” der Republik.
Richtig ist vermutlich auch (wir haben das nicht überprüft), dass Lammert ab 2009 einen Anspruch auf mehrere Tausend Euro Pension haben könnte. Das kann man, wenn man weiß, wie es geht, immer schon selbst ausrechnen. Die Zahl als solche ist also keine Neuigkeit. Im Gegenteil: Sie stimmt nur, wenn die jetzige Pensions-Regelung beibehalten wird. Thema des Gesprächs bei Lammert war aber ja gerade die umstrittene Frage, ob diese Regelung beibehalten werden soll.
“Bild”-Redakteur Dirk Hoeren montiert die beiden bekannten und korrekten Tatsachen geschickt so, dass es aussieht, als sei die “Luxus-Pension” von Lammert ein Ergebnis des Spitzengesprächs bei Lammert. Das ist grober Unfug.
Die “Bild”-Zeitung arbeitet in diesen Tagen offenbar gezielt daran, das Ansehen von Bundestagspräsident Norbert Lammert zu beschädigen. Begonnen hat sie damit exakt zu dem Zeitpunkt, als sich Lammert weigerte, in einem von “Bild” gewünschtem Sinne auf von “Bild” gestellte Fragen zu antworten.
Sicher wäre es falsch, das Vorgehen von “Bild” im juristischen Sinne als “Erpressung” zu bezeichnen. Es ist eher so, dass die “Bild”-Zeitung demonstriert, über welche Mittel sie verfügt, um Politikern und anderen Menschen, die nicht bereit sind, sich auf ihre Spielregeln einzulassen, das Leben schwer zu machen.
Die “Bild”-Zeitung greift dazu nicht zu eindeutigen Lügen. Sie verkürzt Tatsachen nur, stellt abwegige Zusammenhänge her, spekuliert vielsagend und führt ihre Leser in die Irre. Die Wahrheit bleibt dabei auf der Strecke.
Es ist mühsam, all die Kleinigkeiten geradezurücken, die die “Bild”-Zeitung in ihrer Kampagne gegen Lammert schief darstellt. Aber da müssen wir jetzt durch.
Am Samstag enthüllte “Bild” (in einigen Ausgaben als Aufmacher auf dem Titel) scheinbar, dass Lammert einen Nebenjob für 25.000 Euro hat. Und geschickt ist schon, wie “Bild” immer das Monatseinkommen als Bundestagspräsident dem Jahreseinkommen durch den Aufsichtsratsposten bei der Ruhrkohle AG (RAG) gegenüberstellt und dadurch die zweite Zahl größer erscheinen lässt, als sie ist:
14 018 Euro/Monat erhält er für den politischen Spitzenjob. Jetzt wird bekannt: Zusätzlich kassiert Lammert als Aufsichtsrat des Essener Kohle-Konzerns RAG 25 000 Euro/Jahr!
Das wird “jetzt” bekannt? Nun ja: Dass Lammert als Aufsichtsrat für die RAG arbeitet, ist so lange bekannt, wie er es macht. Es lässt sich u.a. auf den Internetseiten sowohl der RAG als auch des Deutschen Bundestages nachlesen. Der genaue Betrag von 25.000 Euro scheint öffentlich zwar noch nicht genannt worden. Aber die Größenordnung war klar: Laut RAG-Geschäftsbericht 2004 beliefen sich “die Aufwendungen für die Vergütung des Aufsichtsrats auf 672.214,25 €” — bei 21 Aufsichtsratsmitgliedern und der Annahme, dass die Vorsitzenden etwas mehr bekommen, hätte man Lammerts Anteil annähernd korrekt schätzen können. Im Zusammenhang mit Lammerts Vorgängerin im Aufsichtsrat, Anke Fuchs, schrieb “Bild” schon am 20. September 1995: “Ein Aufsichtsratsposten bringt nicht unter 20 000 Mark, bisweilen bis zu 100 000 Mark im Jahr.”
“Bild” fragt weiter:
Der Parlamentspräsident als Aufseher eines Großkonzerns — geht das überhaupt?
Rein rechtlich schon. Den Job hatte Lammert schon vor seiner Wahl zum Parlamentspräsidenten…
Das ist, wie so vieles, korrekt und doch nicht treffend. Als Lammert den Job antrat, war er nämlich schon Bundestags-Vize-Präsident. Der Eindruck, er habe den Aufsichtsratsposten noch aus einer Zeit, als er im Bundestag noch nicht in verantwortlicher Position war, und weigere sich seitdem, ihn aufzugeben, ist also falsch.
Weiter schreibt “Bild”:
Den Job hatte Lammert (…) auch offiziell bei Amtsvorgänger Thierse angemeldet. Aber: Nach den neuen Bestimmungen müßte Lammert, wie alle Bundestagsabgeordneten mit einem Nebenjob, Angaben über die Einnahmen daraus veröffentlichen.
Doch die entsprechende Regelung hat Lammert in seiner Funktion als Bundestagspräsident vorerst auf Eis gelegt.
Das “Aber” im zweiten Satz ist ohne Sinn. “Bild” versucht einen Zusammenhang zu konstruieren zwischen den Nebeneinkünften Lammerts und seinem Beschluss, die Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten aufgrund eines laufenden Verfahrens vorerst nicht zu veröffentlichen. Worin dieser Zusammenhang bestehen soll, lässt “Bild” offen. Denn ganz unabhängig von der Veröffentlichungspflicht war Lammerts Tätigkeit, wie gesagt, bekannt und die Größenordnung der Vergütung auch. Und nach der neuen Regelung, die derzeit auf Eis liegt, müsste er auch keine genaue Zahl angeben, sondern nur, dass er von der RAG im Monat zwischen 1000 und 3500 Euro bekommt.
Weil Lammert angibt, die Vergütung für seinen Aufsichtsratsposten einer “gemeinnützigen Stiftung” zugute kommen zu lassen, beschäftigt sich “Bild” heute mit der Frage, ob es sich dabei vielleicht um die von Norbert Lammert gegründete “Norbert-Lammert-Stiftung” handele. “Bild” kennt zwar die Antwort nicht, findet es aber “merkwürdig”, dass Lammert das nicht ausdrücklich ausschließen, sondern gar nichts dazu sagen will. “Bild” schreibt:
Das ist das gute Recht des Bundestagspräsidenten!
Aber er hätte ausschließen können, daß die Spende oder Teile davon an die beiden Stiftungen gehen, in denen er Führungsfunktionen inne hat. Damit hätte er möglichen Spekulationen die Grundlage entzogen, Lammert spende an Lammert …
Da scheint wieder die alte “Bild”-Logik durch, die schon gegenüber Joschka Fischer und Jürgen Klinsmann galt: Wer nicht ausdrücklich die “Bild”-Unterstellungen gerade rückt, muss damit leben, dass “Bild” sie als wahr annimmt.
Auf geschickte und perfide Weise bringt “Bild” die “möglichen Spekulationen” überhaupt erst selbst in die Welt und tut so, als wäre es anrüchig, wenn Lammert wirklich für seine eigene Stiftung spendete. Das ist grob irreführend. Denn selbst wenn, würde das nicht bedeuten: “Lammert spendet an Lammert”. Die Mittel würden nicht Lammert zugute kommen, sondern ausschließlich gemeinnützigen Zwecken (“Bild” selbst spricht von Projekten in Vietnam und Bolivien). Lammert könnte allenfalls entscheiden, für welche Zwecke das Geld eingesetzt wird. Aber das kann er ja ohnehin schon: Es ist sein Geld, das er völlig legal für seine Aufsichtsratstätigkeit von der RAG bekommt. Für welchen gemeinnützigen Zweck er es ausgibt, ist so oder so seine Entscheidung. Wenn Norbert Lammert das Geld der Norbert-Lammert-Stiftung spendet, ist daran nichts Anrüchiges. Klingt merkwürdig, ist aber so.
Schließlich fragt “Bild” den Bundestagspräsidenten heute: “Warum hat keiner ihrer Vorgänger eine derart hochdotierte Nebentätigkeit ausgeübt?” Interessante Frage. Gegenfrage: Welches Amt hatte Anke Fuchs über viele Jahre inne, während sie die exakt selbe hochdotierte Nebentätigkeit wie Lammert ausübte? Sie war Bundestags-Vize-Präsidentin.