Sagen wir’s so: “Nach BILD-Informationen” ist es Hamburgs SPD-Fraktionschef Michael Neumann, in Wirklichkeit wird es der “Zeit”-Herausgeber Michael Naumann.
Mit Dank an Olaf J. für den Hinweis und die Inspiration zur Überschrift sowie Yasemin Y. für den Scan.
Die letzte große Renten-Schock-Tabelle auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung liegt locker mehrere Tage zurück. Das konnte so nicht bleiben.
Und so überrascht “Bild”-Renten-Lügen-Experte Dirk Hoeren gemeinsam mit zwei Kollegen heute mit dem Versprechen, “zum ersten Mal die wirklichen Zahlen” zu nennen. Sie sind — natürlich — höchst beunruhigend und lassen “Bild” rhetorisch fragen: “Kann man von dieser RENTE leben?”
Die Zahlen, die “Bild” veröffentlicht, geben an, wie viel Geld die Rentner in Deutschland zur Zeit durchschnittlich ausgezahlt bekommen — sortiert nach Altersgruppen, West und Ost, Mann und Frau. Und, um es klar zu sagen: Sie stimmen in dem Sinne, dass sie statistisch korrekt sind.
Ob sie “wahr” oder “wirklich” sind, ist eine andere Frage. Aussagekräftig oder von irgendeiner tatsächlichen Relevanz sind diese Durchschnittswerte jedenfalls nicht. Sie beinhalten nämlich sämtliche Rentenansprüche — auch die vielen Kleinrenten von Menschen, die nur kurze Zeit berufstätig waren, von Müttern, die nie berufstätig waren, von Beamten, die am Anfang ihres Berufslebens kurz als Angestellte gearbeitet haben. Ein solcher Beamter würde natürlich vor allem von seiner Beamtenpension leben. In die “Bild”-Rechnung geht aber nur seine winzige gesetzliche Rente ein, die den Durchschnitt entsprechend senkt.
Dieser Durchschnitt ist deshalb sehr wenig aussagekräftig. Und schon gar nicht lässt er Aussagen darüber zu, von wieviel Geld die Menschen “leben” müssen — neben Beamtenpensionen fehlen zum Beispiel auch Betriebsrenten oder die eigenständige Versorgung freiberuflicher Rechtsanwälte, Ärzte oder Architekten in der Rechnung.
In der Fortsetzung des Artikels auf Seite 2 deutet “Bild” immerhin die Unzulänglichkeit der Durchschnittszahlen an und schreibt:
Warum gibt es so wenig [Rente]?
Weil immer mehr Senioren in Rente gehen, die arbeitslos waren und deshalb nicht genug in die Rentenkasse einzahlen konnten.
Das ist zwar in anderer Hinsicht wieder grob irreführend, denn die größere Zahl von ehemals arbeitslosen Rentnern senkt natürlich nicht die Rentenansprüche der anderen. Sie senkt aber natürlich die Durchschnittszahlen von “Bild”.
Dennoch spricht “Bild” diesen Zahlen wider besseres Wissen eine Aussagekraft zu, die sie nicht haben, und überschreibt den Seite-2-Artikel mit den Worten:
Richtig hätte die Überschrift lauten können:
BILD nennt die wahren Zahlen Aber wer das ganze Leben gearbeitet hat, bekommt fast immer mehr
Am 19.1.2007 (also ausgerechnet wenige Tage vor einer wichtigen parteiinternen Wahl) stellte die “Bild”-Zeitung in einer kleinen “BILD-Exklusiv-Story” über den brandenburgischen CDU-Politiker Sven Petke die Frage: “Ist Petke ein Raffke?” Und schaut man sich den damaligen “Bild”-Artikel [pdf] an, hat man den Eindruck, “Bild” beantworte die Raffke-Frage mit einem klaren Ja. Aber das war offenbar ein Fehler.
Nach Lektüre der heutigen Gegendarstellung Petkes zum damaligen “Bild”-Artikel nämlich ist der Eindruck, den “Bild” erweckt, plötzlich ein ganz anderer, geradezu gegenteiliger. Denn Petke nennt fast alles, was “Bild” ihm damals vorwarf, “unzutreffende Darstellungen” — und in einer “Anmerkung der Redaktion” fügt “Bild” nur hinzu:
Wir haben zwar nur noch 13 Jahre, um die Erde zu retten (siehe “Bild” vom 23.2.). Aber “Bild” hält nicht mal 14 Tage durch und titelt heute:
Und wer ist Schuld? Unsere Politiker natürlich, die sich mit immer neuen Vorschlägen zur Rettung der Erde überschlagen! So jedenfalls steht’s heute in “Bild”:
Jetzt überschlagen sich unsere Politiker mit immer neuen Vorschlägen zur Rettung der Erde! Aber sind alle auch wirklich sinnvoll?
Umweltexperten und Spitzenpolitiker aller Parteien plädieren für mehr Urlaub in Deutschland – statt Flugreisen in alle Welt. Im Klartext: Wir sollen auf Mallorca verzichten!
(…) DOCH RETTE ICH WIRKLICH DIE ERDE, WENN ICH NICHT MEHR IN DEN URLAUB FLIEGE?
(…) Der Flugverkehr verursacht laut Touristikbranche gerade mal ein Prozent des weltweiten Ölverbrauchs.
Aha! In letzter Zeit las sich das noch ganz anders. Da überschlug sich “Bild” mit immer neuen Vorschlägen zur Rettung der Erde (siehe hier, hier und hier) und u.a. mit diesem:
Vermutlich bastelt man bei “Bild” schon emsig an einer großen “Klima-Wut”-Kampagne.
Nachdem “Bild” gestern “im Namen der Kinder” zehn Forderungen “für eine bessere Familienpolitik” aufgestellt hatte, findet sich heute diese Überschrift auf der Seite zwei:
Jetzt gibt es prominente Unterstützung aus der Politik!
Diese “Unterstützung” besteht aus den Ex-Familienministerinnen Renate Schmidt und Christine Bergmann sowie dem NRW-Familienminister Armin Laschet. Schmidt und Bergmann fänden “familienfreundliche Arbeitszeiten nötig”, heißt es, und Schmidt plädiere auch “für das von BILD vorgeschlagene Familienwahlrecht” (“Ich bin für ein Wahlrecht von Geburt an”). Außerdem unterstütze Laschet “ausdrücklich die BILD-Forderung nach einem Familiensplitting”. Und all das ist gar nicht mal falsch. Aber komplett irreführend.
Denn Schmidt, Bergmann und Laschet unterstützten die “Bild”-Forderungen schon lange bevor “Bild” sie gestern aufstellte und völlig unabhängig von “Bild”. So steht das Familiensplitting, das der CDU-Politiker Laschet “ausdrücklich” unterstützt beispielsweise schon seit 1994 im CDU-Grundsatzprogramm [pdf]. Christine Bergmanns Forderungen nach familienfreundlichen Arbeitszeiten stammennochaus ihrer Amtszeit als Familienministerin (1998-2002). Und Renate Schmidt kündigte beispielsweise im November 2002 an, sich für familienfreundliche Arbeitszeiten einzusetzen. Im Jahr 2003 brachte sie außerdem, zusammen mit 46 weiteren Abgeordneten, einen Antrag auf “Wahlrecht von Geburt an” in den Bundestag ein (der allerdings abgelehnt wurde). Seit Januar dieses Jahres bereitet sie einen neuen Antragauf Kinderwahlrecht vor.
Insofern hätte die gestrige “Bild”-Überschrift also nicht nur so aussehen können:
Wie berichtet, war es “Bild” ja bereits gestern irgendwie wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem heute an Jürgen Klinsmann verliehenen Bundesverdienskreuz am Bande um “die unterste Stufe” handele. Und heute schreibt “Bild” noch einmal:
Das Verdienstkreuz am Bande ist die unterste Stufe (von acht).
Doch was gestern nur merkwürdig war, ist heute schlicht falsch: Klinsmanns Verdienstkreuz ist zwar das kleinste der Verdienstkreuze, aber wenn “Bild” heute auch noch die Gesamtzahl der Stufen mitteilen zu müssen glaubt, hätte ein wenig Recherche vielleicht nicht geschadet. Denn laut Bundespräsidialamt [pdf] wird der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich “in acht verschiedenen Stufen verliehen”, doch “die unterste Stufe” ist die so genannte Verdienstmedaille.
“Bild” berichtet heute über eine “schockierende AOK-Studie”, nach der Kassenpatienten “bis zu 4 Wochen warten” müssen. Im Text schreibt “Bild”:
(…) jetzt ist schwarz auf weiß bewiesen (…). Eine Studie des Wissenschaftsinstituts der AOK (WIdO) ergab jetzt: (…) (Hervorhebung von uns)
Und mit “jetzt” muss “Bild” wohl Anfang Januar meinen. Denn bereits vor rund sechs Wochen wurden die Ergebnisse der Studie im “WIdO-Monitor” [pdf] offiziell vorgestellt, worüber damals auch verschiedeneMedienberichtet hatten (wie übrigensauchschon im November 2006, als viele Zahlen aus der Studie bereits in einer Pressemitteilung bekannt gegeben worden waren).
Dass “Bild” daraus heute sogar eine Titel-Schlagzeile macht (siehe Ausriss), könnte daran liegen, dass die Ergebnisse der Studie jetzt noch einmal (und erstmals in gedruckter Form) als “Beilage der Zeitschrift ‘Gesundheit und Gesellschaft'” veröffentlicht wurden, wie man uns beim WIdO sagt.
Aber natürlich hat so eine verspätete “Bild”-Schlagzeile auch ihr Gutes. Zumindest für “Bild”. Denn so können auch verschiedene Nachrichtenagenturen das Thema (wieder)entdecken — und dazu beitragen, dass “Bild” als meistzitierte Zeitung Deutschlands gilt.
Mit Dank an Bastian B. und Michael P. für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 22.2.2007(Mit herzlichem Dank an Stammleser Dirty Harry): “Bild” hatte am 4.11.2006 doch schon einmal über die Ergebnisse der “WIdO”-Studie berichtet — sogar auf der Titelseite. Allerdings in einer kleinen 14-Zeilen-Meldung.
Gestern abend war Dirk Hoeren, “Bild”-Experte für Politiker–Pensionen und –Gehälter, für Renten–Lügen, Krankenkassenbeiträge oder Vogelgrippe-Impfungen, zu Gast in der Sendung“Hart aber Fair”. Es ging um Steuern und Abgaben. Als “Hart aber Fair”-Moderator Frank Plasberg Hoeren mit gewissen Inkonsistenzen in der “Bild”-Berichterstattung konfrontierte und fragte, wie denn die Forderungen nach weniger Steuern auf der einen und nach mehr Staat auf der anderen Seite zusammen passten, ergab sich dieser kurze Dialog:
Hoeren: Das passt sehr gut zusammen, weil der Eindruck entsteht, dass Steuern gleich Staat und Staat gleich Steuern sind. Das ist ja nicht unbedingt der Fall. “Bild” spricht eine klare Sprache. Es gibt in Deutschland keine Volksabstimmungen und auch keine Volksbefragungen, “Bild” ist mit zwölf Millionen Lesern am Tag so was wie die tägliche Volksbefragung, der tägliche Volksentscheid. (Gemurmel im Publikum und in der Runde)
Plasberg: Entschuldigung, darf ich noch mal an unsere Frage erinnern: Heißt das, dass wir auch so einäugig sind als Bürger (…)? Das kann ja sein, dass Sie tatsächlich nur unsere eigene Schizophrenie wiedergeben…
Hoeren: Also, da würde ich Ihnen jetzt nicht unbedingt widersprechen.
Wenn CSU-Politiker Väter werden, erzählt “Bild” das gerne weiter. Wenn beispielsweise Horst Seehofer angeblich ein “Baby mit heimlicher Geliebten” hat, kann “Bild” das gar nicht groß und exklusiv genug vermelden. Aber es geht auch eine Nummer kleiner:
Sogar die Tatsache, dass Seehofers Parteikollege Markus Söder anscheinend mal wieder ein Baby mit seiner Ehefrau bekommt, war “Bild” vergangene Woche zumindest in der Münchner Ausgabe eine größere Schlagzeile wert (siehe Ausriss).
Dumm nur, dass sie nicht stimmt. Wie man beispielsweise bei CSU.de nachlesen kann, hat Söder bereits drei Kinder — genauer (wie z.B. “Bunte” und “Abendzeitung” berichten — und wie es dann auch irgendwo im Artikel zur falschen “Bild”-Schlagzeile steht): ein uneheliches Kind “aus einer früheren Beziehung” und zwei weitere Kinder mit seiner jetzigen Ehefrau.
An der Vaterschaft welches dieser drei Söderkinder “Bild” zweifelt, ist uns nicht bekannt.
Sie sind oft klein und unscheinbar, bloßer Kitt zwischen Satzteilen. Aber es wäre ein Fehler, Konjunktionen gering zu schätzen. Franz Josef Wagner weiß das. Als er noch Chefredakteur der Berliner Boulevardzeitung “B.Z.” war, verdankte er der Konjunktion “aber” diese legendäre Überschrift:
Pandabärin unfruchtbar — aber Schumi zweites Baby
Lustig.
Wir wissen nicht, ob sie in der “Bild”-Redaktion gestern auch gelacht haben, als ihnen ein ähnlicher Trick mit einer anderen Konjunktion für die heutige Schlagzeile einfiel:
Weniger lustig, aber viel wirkungsvoller.
Denn wer liest schon bis ganz ans Ende der zugehörigen, fast ganzseitigen “Bild”-Berichterstattung, um dort zu erfahren, dass es gar keinen Zusammenhang zwischen der Gerichtsentscheidung und dem “Kollaps” der Witwe von Hanns-Martin Schleyer gibt. Dass es ihn nicht einmal geben kann, weil Frau Schleyer laut “Bild” bereits “am Freitag, drei Tage vor der Entscheidung des Stuttgarter Oberlandesgerichts” ins Krankenhaus eingeliefert wurde.