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Recht und Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist für “Bild” eine wichtige Sache. Als am 30. Januar 1995 Walter Dräxler vom Vorwurf freigesprochen wurde, die 16-jährige Melanie aus Kulmbach ermordet zu haben, berichtete die “Bild”-Zeitung groß über den Fall und ließ wenig Zweifel daran, dass sie das Urteil für ungerecht hielt.

Melanie nach Disco erstochen -- Freispruch!

lautete eine “Bild”-Überschrift am 31. Januar 1995, die geschickt den Eindruck erweckte, als sei nicht ein Unschuldiger freigesprochen worden, sondern der Täter.

Am Tag darauf war das Thema der Aufmacher auf Seite 1 von “Bild”. Die Schlagzeile lautete:

Melanies Tod bleibt ungesühnt -- die Eltern: Gott, strafe ihren Mörder

Auf Seite 3 lautete die “Bild”-Überschrift:

Melanies Vater: “Wir haben auf Gerechtigkeit gehofft”

Auch im Artikel selbst erweckte “Bild” den Eindruck, man habe den Mörder laufen lassen müssen:

Jetzt steht fest: Kein Richter wird die Tat je sühnen. Der einzige Mordverdächtige mußte freigesprochen werden — aus Mangel an Beweisen.

Und was das Indiz angeht, das auf Dräxler als Täter hindeutete, war “Bild” an entscheidender Stelle ungenau:

Einziger Beweis: Faserspuren von Melanies Anorak klebten an seiner Jeansjacke. Ein Gutachter: “Sie könnten auch von einem anderen Anorak stammen.”

Tatsächlich klebten keine Faserspuren von Melanies Anorak an Dräxlers Jeansjacke. Der Freispruch war, auch wenn “Bild” damals den gegenteiligen Eindruck erweckte, richtig und gerecht. Walter Dräxler wurde Opfer eines Rufmordes, an dem nicht nur “Bild”, sondern auch die Polizei und andere Medien mitwirkten.

Das war vor zehn Jahren. Inzwischen hat ein anderer den Mord an Melanie gestanden: Stefan K. Gefasst wurde er, nachdem er im vergangenen Jahr ein weiteres junges Mädchen getötet haben soll: seine Nichte Julia. Beide Fälle werden seit gestern vor dem Landgericht Bayreuth verhandelt — und in “Bild” geht es deshalb wieder um Gerechtigkeit. In einem Kommentar schreibt Willi Schmitt:

Recht ist eine verzwickte Sache. Der Sache wird es manchmal nicht gerecht. Und zu oft leidet das Rechtsempfinden der normalen Menschen — sie verlieren allmählich das Vertrauen in die Justiz.

Für diesen angeblichen Vertrauensverlust ist die “Bild”-Zeitung maßgeblich mitverantwortlich. Diesmal deutet sie schon an, dass das Urteil nicht gerecht ausfallen werde, bevor es überhaupt gesprochen wurde. “Bild”-Kommentator Schmitt empört sich, dass der Fall vor der Jugendstrafkammer behandelt wird:

Also Jugendstrafrecht, höchstens 10 Jahre für zwei Morde.

Das ist falsch. Die Höchststrafe von zehn Jahren betrifft ausschließlich den Fall Melanie, zu dessen Zeitpunkt der Angeklagte noch ein Jugendlicher war. Um den Fall Julia wird es erst später im Prozess gehen, und auch eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht ist möglich. In diesem Fall droht ihm eine lebenslange Haft ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung. Erst in seinem Urteil entscheide das Gericht, welches Strafmaß den Angeklagten erwartet, sagte ein Gerichtssprecher: ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird oder eine Jugendstrafe plus eine Erwachsenenstrafe verhängt wird.

Die “Bild”-Zeitung ignoriert das: Sie hat das Wort “zunächst” im Zusammenhang mit der Verhandlung nach Jugendstrafrecht, das sich in fast allen anderen Berichten zum Prozess findet, in ihrem Kommentar und dem zugehörigen Artikel einfach weggelassen.

“Bild”-Kommentator Schmitt reimt zum Finale fröhlich:

Zu Ende gedacht hieße das doch: Stell als Jugendlicher was an, dann bist du später vor Gericht viel besser dran.

Das ist nicht nur falsch, das ist grotesk irreführend.

Die Überschrift über Schmitts Kommentar lautet übrigens:

Gerechtigkeit, aber für die Opfer!

Das ist ein merkwürdiges Verständnis von Gerechtigkeit. Es hätte vor zehn Jahren beinahe einen Unschuldigen ins Gefängnis gebracht.

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PR für Scientology (II)

Heute ist der letzte Teil einer “Bild”-Serie von Norbert Körzdörfer über Tom Cruise erschienen. Mit grenzenloser Bewunderung hat der “Bild”-Reporter drei Tage nacheinander jeweils ganzseitig vor allem immer wieder eines beschrieben: Wie der Schauspieler es geschafft hat, “von ganz unten nach ganz oben” zu kommen.

An einer Stelle lässt Körzdörfer Cruise erklären, was seinem Leben die entscheidende Wendung gegeben hat:

“Erst ein Lerntechnik-Buch von Ron Hubbard († 1986, Gründer von ‘Scientology’, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird) hat aus mir einen neuen Menschen gemacht! Sonst wäre ich nicht das, was ich heute bin… Alle fragen: ‘Wie hast du das geschafft?’ So! Lernen, lernen, lernen! Soll ich lügen?”

Es gibt in den vielen Hundert Zeilen der Serie keine einzige Stelle, an der Körzdörfer den Hauch eines Zweifels erkennen lässt an dem Weg, den Tom Cruise gegangen ist, keine Nachfrage, keine Distanz. Im Gegenteil. Bevor Körzdörfer sich von Cruise verabschiedet (“Wir umarmen uns. Wir lassen uns los. Wir gehen unsere Wege”), urteilt er:

Tom steht zu dem Weg, den er gegangen ist. Er lügt nicht. Er verbirgt nichts.

Körzdörfers Bewunderung beschränkt sich nicht auf den Hollywood-Star Cruise, sie bezieht sich auf den ganzen Menschen, den er als in jeder Hinsicht bewundernswert beschreibt. Wer alle Teile der Serie liest, muss zu dem Schluss kommen, dass das Erfolgsgeheimnis von Cruise Scientology ist. Nur an zwei Stellen erwähnt Körzdörfer den Namen dieser Organisation — beide Male im denkbar positivsten Zusammenhang. Der eine Satz ist der oben zitierte. Darin bleibt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht nur unerklärt; der Hinweis darauf wird auch so versteckt, dass er die Botschaft kaum verstellt: “[Die Scientology-Methode] … hat aus mir einen neuen Menschen gemacht”. Der zweite Satz lautet so:

Er kämpft als Vater, Star – und “Scientologe” – gegen Psychopillen für Schüler, gegen Drogen, gegen Kriminalität!

Scientologen, so vermittelt Körzdörfer in “Bild”, werden aus unerfindlichen Gründen vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet, dabei machen sie aus erfolglosen Menschen erfolgreiche Menschen und kämpfen gegen das Böse in der Welt.

Wenn Scientology für viel Geld einen Artikel in Auftrag gegeben hätte, der das Wirken und Wesen der Organisation in einem grenzenlos positiven Licht zeigen soll — er hätte nicht besser ausfallen können als diese “Bild”-Serie.

Cruise selbst mischt konsequent Werbung für seinen neuen Film mit Werbung für Scientology. Laut “Berliner Zeitung” bestand er beim Dreh darauf, ein Scientology-Info-Zelt aufstellen zu lassen; “beinah alle Journalisten, die ein Interview mit ihm führen wollten, [mussten] erst eine vierstündige Besichtigungstour durchs Scientology-Quartier bewältigen.” Während der Europapremiere in Berlin wurde “auf der anderen Straßenseite derweil an einem Stand Werbung für Schriften des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard gemacht”, schreibt die “Berliner Morgenpost”. Welche Bedeutung die Organisation für sein Leben hat, geht auch aus einem erstaunlichen Interview im aktuellen “Focus” hervor.

Am Montag, als der erste Teil der Serie mit einer fast werblichen Beschreibung der Arbeit der umstrittenen Scientology-Organisation “Narconon” erschien, haben wir “Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich telefonisch und in zwei E-Mails um eine Stellungnahme gebeten. Wir schilderten den Fall und stellten folgende Fragen:

  • Warum wirbt “Bild” für Scientology?
  • Warum verschweigt “Bild” die Gefahren von Narconon?
  • Hält “Bild” Scientology für eine unbedenkliche Organisation?
  • Hält “Bild” Narconon für ein unbedenkliches Verfahren?
  • Was antwortet “Bild” dem naheliegenden Vorwurf, sich für einen “Exklusiv”-Besuch bei Tom Cruise für Scientology-PR missbrauchen zu lassen?

“Bild” hat darauf nicht geanwortet.

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“Bild” rühmt Scientology-Organisation

Eigentlich sollte der Name “Scientology” bekannt genug sein, um jeden Journalisten zu warnen. Um ihn dazu zu bringen, ein bisschen zu recherchieren, bevor er sich auf ein “exklusives” Interview mit einem bekennenden Scientology-Mitglied einlässt. Damit er nicht durch Unbedarftheit Teil der PR-Maschine einer Organisation wird, die laut Verfassungsschutz ein “gut funktionierendes Unternehmen” ist, “das vor allem das rücksichtslose Gewinnstreben zur Handlungsmaxime erklärt hat und auch danach verfährt” und dessen Praktiken nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes 1995 als “menschenverachtend” und für Betroffene “gesundheitsgefährdend” zu werten sind.

“Bild”-Reporter Norbert Körzdörfer hätte vor seinem Besuch bei Tom Cruise nicht viel im Internet recherchieren müssen, um das herauszufinden. Er hätte auch in irgendeinem Archiv nachlesen können, was von der Organisation “Narconon” zu halten ist, deren Center in Oklahoma er mit Cruise besuchte — Körzdörfer nennt es treuherzig ein “Drogen-Rehabilitationszentrum”.

Der “Spiegel” berichtete 1991:

Die geschäftstüchtige Scientology-Sekte verdient zunehmend am Elend von Süchtigen. Der Tarnverein Narconon bietet eine Therapie an, die nach Ansicht von Suchtexperten und Fachärzten nicht nur nutzlos, sondern auch gesundheitsschädlich ist. Ehemalige Narconon-Patienten sprechen von folterähnlichen Ritualen. (…)

Mit untauglichen Methoden versuchen sich Anhänger der weltweiten Psycho-Sekte Scientology (…) im Rauschmittel-Entzug. Das Ergebnis ist meist nur neue Abhängigkeit: Statt Koks oder Heroin verabreicht Narconon die Seelen-Droge Scientology.

Die “FAZ” zitierte 1997 den Bayerischen Innenminister Günther Beckstein:

(…) die [Scientology-]Unterorganisation “Narconon” behaupte, jungen Rauschgiftabhängigen helfen zu können. In Wirklichkeit gehe es darum, die Eltern auszubeuten, sie und ihre Kinder aber einfach fallenzulassen, wenn kein Geld mehr da sei.

Die “Welt”, eine Schwesterzeitung von “Bild”, schrieb 2002, dass der Berliner Drogenbeauftragte bereits 1978 “eindringlich vor Narconon” gewarnt habe:

So bestehe unter anderem die “Gefahr einer irrationalen Anpassung an die hausinterne Hierarchie” des Programms.

Und als der “Spiegel” am 25. April 2005 ein Interview mit Tom Cruise führte (englische Version), kam es zu folgendem Wortwechsel:

Cruise: Ich bin ein Helfer. Ich selbst habe zum Beispiel Hunderten Leuten geholfen, von Drogen loszukommen. Wir bei Scientology haben das einzig erfolgreiche Drogen-Rehabilitationsprogramm der Welt. Es heißt Narconon.

SPIEGEL: Das stimmt nicht. Unter den anerkannten Entzugsverfahren taucht Ihres nirgends auf; unabhängige Mediziner warnen davor, weil es auf Pseudowissenschaft beruhe.

Cruise: Sie verstehen nicht, was ich sage. Es ist eine statistisch erwiesene Tatsache, dass es nur ein erfolgreiches Drogen-Rehabilitationsprogramm gibt in der Welt. Punkt.

SPIEGEL: Bei allem Respekt: Wir bezweifeln das, Mr. Cruise.

Nun aber durfte “Bild”-Reporter Norbert Körzdörfer Tom Cruise besuchen — “exklusiv. Live. In Amerika.” Schon vor zwei Wochen ließ er sich glücklich mit Cruise fotografieren (siehe Ausrisse) und schwärmte außerordentlich vom Treffen mit dem “begehrtesten Mann des Planeten”, dem “Star der Stars, Hollywoods Nr. 1”, einer “Ikone der Jetzt-Zeit”, “mit einer Aura emotionaler Intelligenz”. Jetzt nennt Körzdörfer Cruise u.a. “Ein Mann! Eine Ikone!”, “Hollywoods Mega-Star Nr. 1”, “Mega-Weltstar Nr. 1”, “Mehr Mensch als Star”, “den ‘5-Milliarden-Dollar-Mann’ (Einspielergebnisse)”:

Er kämpft als Vater, Star – und “Scientologe” – gegen Psychopillen für Schüler, gegen Drogen, gegen Kriminalität!

Nur in einer Klammer schreibt Körzdörfer, dass Scientology “in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet” wird — erklärt aber nicht einmal im Ansatz, warum das so ist und was Scientology überhaupt ist. Dann zitiert Körzdörfer Cruise mit den Worten: “Ich will das Richtige tun. Ich will helfen! Komm mit!” Der Artikel geht wie folgt weiter:

Tom schlüpft in seine beige „Belstaff“-Lederjacke. Ein Jeep bringt uns zum “Narconon”-Center (Drogen-Rehabilitationszentrum).

Tom führt mich. Tom zeigt die Krankenzimmer. Die Helfer. Und die traurigen Augen der Patienten, die freiwillig gekommen sind, um aus ihrer eigenen Drogenhölle auszubrechen.

Diese Augen lächeln, wenn sie Tom Cruise sehen: “80 Prozent dieser Menschen schaffen es, die Drogen zu besiegen… ”

Tom schreitet wie ein Cowboy durch diese Gänge der schmerzenden Hoffnung. Seine Körpersprache atmet Demut. Er lauscht. Ernst. Er preßt seine Lippen zusammen. Er nickt. Er ballt die Faust: “Ihr schafft das!” Seine Augen lächeln zurück.

Tom ist kein Gott. Er ist verdammt menschlich. Er ist der Action-Star seines eigenen Lebens – live: “Es gibt so viel Leid! Ich muß helfen. Wenn ich am Ende des Tages meine Kinder sehe, will ich etwas Gutes getan haben…”

Man könnte nun staunen über die Naivität des “Bild”-Reporters, wenn da nicht ein Wort in diesem Text wäre, das darauf hindeuten könnte, dass er die Vorwürfe gegen “Narconon” sehr wohl kennt. Es ist das scheinbar überflüssige Wort “freiwillig” in dem Satz: “Und die traurigen Augen der Patienten, die freiwillig gekommen sind, um aus ihrer eigenen Drogenhölle auszubrechen.” Man könnte auf den Gedanken kommen, dass Körzdörfer nicht versehentlich, sondern wissentlich Werbung für Scientology macht.

Wir haben die “Bild”-Zeitung heute gegen 14 Uhr um eine Stellungnahme gebeten, aber bislang keine Antwort erhalten. Weiterführende kritische Auseinandersetzungen mit “Narconon” finden sich hier, hier, hier und hier. Danke an Jan T. und andere Hinweisgeber.

Nachtrag 28. Juni. Übrigens hatte auch Christiane F. (“Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”) Narconon-Erfahrungen.

Alle Hervorhebungen in den Zitaten von uns.

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Betr.: “Thai-Hure boxt deutschen Sex-Tourist k.o.”

“Die Zeit” berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe unter dem Titel “Zum Abschuss freigegeben” über Menschen, die zu “Medienopfern” werden. Es geht — natürlich — auch um “Bild”, unter anderem um Friedrich F.:

Friedrich F., 53 Jahre alt. Der gebürtige Bayer lebt seit geraumer Zeit in Thailand, in einem kleinen Bungalow im Urlauberparadies Pattaya. (…)

Vergangenen Sommer ist der Deutsche in seinem Bungalow von zwei Unbekannten überfallen und ausgeraubt worden. Das Opfer wurde dabei verprügelt, das Gesicht war voller Blutergüsse und Schwellungen. Als Friedrich F. zur Polizeistation kam, sei da “ein Haufen Reporter” gewesen. Keiner habe mit ihm gesprochen, sagt er, aber es seien Fotos von seinem zerschundenen Gesicht gemacht worden. Eines davon fand den Weg zur Bild-Zeitung. Und die kolportierte eine passende Geschichte dazu, Überschrift: Thai-Hure boxt deutschen Sex-Tourist k. o. Im Text heißt es, “Geschäftsmann Friedrich F.” habe “ein Thai-Mädchen” engagiert und ihr “viel Geld für ein privates Pornovideo” versprochen. Nach dem Sex habe F. nicht zahlen wollen. Wie von Sinnen habe dann “die Hure” auf ihn eingeschlagen. “Vergeblich versuchten andere Prostituierte und die Bordellchefin dazwischenzugehen.” In das Foto mit F.s malträtiertem Gesicht hat Bild noch vier spärlich bekleidete thailändische Prostituierte im Hintergrund montiert.

Die Mutter von Friedrich F. in Bayern hatte den Bericht als Erste entdeckt. Ihr fiel niemand anderes ein als Günter Wallraff, an den sie sich wenden konnte. Der vermittelte den Hamburger Anwalt Helmuth Jipp. Eine Unterlassungserklärung habe Bild schon abgegeben, sagt er, nun wolle er noch auf Widerruf klagen und ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro für seinen Mandanten erstreiten. Das Landgericht Hamburg hat Friedrich F. dafür Prozesskostenhilfe bewilligt — was das Gericht nicht getan hätte, hielte es die Klage für aussichtslos. (…) Zur Stützung [der eigenen] Version hat Bild inzwischen einen Journalisten für eine “Nachrecherche” nach Thailand geschickt; er soll belegen, dass sich alles so, wie beschrieben, oder zumindest so ähnlich zugetragen habe. Dabei behält Bild sich vor, die Kosten der Recherche bei F. mittels einer “Widerklage” einzutreiben. Opferanwalt Jipp weist darauf hin, dass die umstrittenen Filme von der örtlichen Polizei bislang nicht gefunden wurden, auch sei das gegen F. eingeleitete Verfahren mittlerweile eingestellt worden. “Die Filme gibt es nicht.”

Chefredakteur der “Zeit” ist übrigens Giovanni di Lorenzo, über dessen Privatleben “Bild” gestern rein zufällig groß und faktenarm auf Seite 1 berichtete.

Nachtrag, 10. Juni: Giovanni di Lorenzo hat nach Informationen von fairpress.biz vor Gericht durchgesetzt, dass “Bild” nicht über seine angebliche Beziehung berichten darf.

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Symbolfoto VIII

Am Mittwochabend stürzte bei einem Auftritt von Schlagersängerin Nicole in Lüdenscheid eine Beleuchtungskonstruktion ins Publikum. Und, um es positiv zu formulieren: Das Foto, das “Bild” dazu am Freitag abdruckt, zeigt tatsächlich Nicole und nicht Plumpaquatsch, und das grenzt angesichts dessen, was “Bild” im übrigen über den Unfall schreibt, an ein Wunder.

Um zu illustrieren, was passierte, zeigt das Blatt dieses Foto:

Darunter steht:

Dieser Beleuchtungsträger stürzte ins Publikum, verletzte acht Menschen.

“Dieser Beleuchtungsträger” hat mit dem ganzen Unfall nichts zu tun. Umgekippt ist eine Traverse, die auf zwei Stativen befestigt war, die links und rechts vor der Bühne standen (genauer nachzulesen hier). Die Scheinwerfer hingen also oben quer über der Bühne. Die betroffene Konstruktion ist der, die “Bild” zeigt, nicht einmal ähnlich.

Zu dem Unglück kam es, weil Unbekannte an den beiden Stativen jeweils zwei von vier Fußstützen abmontiert hatten, und zwar die, die in den Zuschauerraum hineinragten. Möglicherweise geschah das in böser Absicht. Die naheliegendste Erklärung aber ist, dass jemand sie einfach für Stolperfallen hielt. Diese Möglichkeit fehlt in “Bild” komplett.

“Bild” beschreibt den Vorfall außerdem so, als sei das Gerüst mit großer Geschwindigkeit in die Zuschauer gestürzt (“kracht auf einen Tisch”). Dabei senkte sich die Konstruktion, weil sie teilweise noch gehalten wurde, langsam nach unten, wie in Zeitlupe, und verletzte mehrere Menschen. Die “Westfälische Rundschau” beschreibt es so: “Zudem reckten mehrere Zuschauer ihre Arme hoch und versuchten, die Verstrebungen abzubremsen.” Auch in der “Bild”-Zeitung kommt die Zeitlupe vor, aber nur in einem Zitat von Nicole, das klingt, als habe die Dramatik ihre Wahrnehmung verzerrt:

“Alles passierte wie in Zeitlupe. Überall waren Schreie und Blut.”

In einem weiteren Artikel am Samstag stimmen zwar ein paar mehr Fakten über den Unfallhergang. Dafür geht aber die Fantasie vollends mit “Bild” durch.

Wollte ein Irrer Nicole töten?

lautet nun die Überschrift. Und im Text (online unter der bezeichnenden Adresse “…/nicole__anschlag.html”) heißt es:

Jetzt kommt ein furchtbarer Verdacht auf: Trachtet etwa ein Irrer Nicole nach dem Leben?

“Bild” kann im Text niemanden aufbieten, der diesen “furchtbaren Verdacht” äußert. Kein Wunder: Dieser “Irre” müsste schon ganz besonders irre sein. So irre, dass er, um jemanden umzubringen, der auf einer Bühne steht, die Gerüstkonstruktion so sabotiert, dass sie gar nicht auf die Bühne fallen kann.

Danke an Tobias N. für den Hinweis!

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Unfallforscher ermitteln

Politiker fordern exklusiv in “Bild” ein Rauchverbot am Steuer, und “Bild” weiß warum:

Unfallforscher ermittelten, daß ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h mindestens 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallengelassenen Kippe sucht.

Ja Wahnsinn, was moderne Wissenschaft heute alles erforschen kann.

Gut, den Anfang der Rechnung könnte jeder Siebtklässler mit einer Vier in Physik machen: 50 Kilometer pro Stunde = 50.000 Meter pro Stunde = 13,89 Meter pro Sekunde.

Normalerweise legt ein Auto, das mit 50 km/h fährt und nicht gebremst wird, also fast 14 Meter in der Sekunde zurück. Wenn eine Kippe fallengelassen wird, erhöht sich diese Strecke allerdings laut “Bild” laut “Unfallforschern” auf mindestens 14 Meter.

Jetzt würden wir natürlich gerne die Unfallforscher fragen, wie diese Beschleunigung zustande kommt: Ob das Fallen der Kippe zum Beispiel eine Änderung im Raum-Zeit-Kontinuum auslöst oder ob diese Forschung vielleicht auch Fälle berücksichtigt, in denen die Kippe auf das Gaspedal fällt.

Aber vielleicht ist das alles doch weniger ein Thema für Unfallforscher als für “Bild”-Zeitungs-Forscher.

Übrigens: “Spiegel Online” hatte in seinem Bericht über das Thema zunächst wenigstens den “mindestens”-Fehler von “Bild” korrigiert und geschrieben:

Nach Angaben von “Bild” ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde etwa 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallen gelassenen Zigarette sucht.

Inzwischen hat dort jemand den Irrsinn bemerkt und durch die schlichte Formulierung ersetzt:

Fährt ein Auto mit einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde, legt es umgerechnet knapp 14 Meter pro Sekunde zurück.

In der aktuellen Fassung des Artikels fehlt die Rechnung ganz.

Danke an die vielen Hinweisgeber!

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Die “hübsche Schülerin aus Cottbus”

Nachdem gestern vorm Landgericht Cottbus die mutmaßliche Vergewaltigung einer Minderjährigen durch fünf junge Männer verhandelt wurde, hat sich “Bild” entschieden, darüber zu berichten. Bei Bild.de wiederum hat man sich entschieden, den “Bild”-Bericht (wie schon bei letzten Gerichtstermin vor drei Wochen) im Wortlaut zu übernehmen. Und wie schon vor drei Wochen haben sich “Bild” und Bild.de außerdem dafür entschieden, die Berichterstattung mit einem Foto der “hübschen Schülerin aus Cottbus” (“Bild”) zu illustrieren, ihr Gesicht aber unkenntlich zu machen, was man rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst nennen könnte. Schließlich geht es um den Fall – und nicht darum, wie das Opfer aussieht.

Konterkariert wird diese an sich begrüßenswerte Entscheidung, die Identität des mutmaßlichen Opfers zu schützen, von Bild.de allerdings durch die bodenlose Dummheit Entscheidung, das Foto der Schülerin in den entsprechenden Ankündigungen (O-Ton: “Sie hielten mich fest, zerrten meinen Slip herunter”) sowohl auf der Start- als auch auf Nachrichten-Seite von Bild.de abzubilden, dort allerdings auf jegliche Unkenntlichmachung des Fotos zu verzichten…

Mit Dank an Sebastian L. und andere für den Hinweis.

Nachtrag, 13:37:
Na, so was: Inzwischen hat Bild.de das Foto in den Ankündigungen dann doch notdürftig mit einem schwarzen Balken unkenntlich gemacht.

Nachtrag, 8.4.2004, 11:04:
Wie arglos skrupellos fahrlässig gewissenhaft die Identitätsschützer im Hause “Bild” allerdings vorgehen, zeigt sich indes darin, dass das ursprüngliche, offenbar versehentlich veröffentlichte Foto des “hübschen” Opfers bei Bild.de auch jetzt noch mühelos auffindbar ist.

Nachtrag, 8.4.2004, 15:00:
Nach Aufforderung hat Bild.de das unverfremdete Originalbild schließlich doch noch vom Server genommen.

Mit Dank an Andi K., Werner G., Tobias K., und andere dafür.

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Es geht auch ohne “Bild”

Nach BILD-Bericht: Schumi bricht Urlaub ab

Die Überschrift in der heutigen “Bild” klingt beeindruckend, irgendwie einflussreich und, hey, wichtig-wichtig. Schließlich hatte “Bild” doch am vergangenen Samstag öffentlich gefragt:

“Und was macht Schumi? Urlaub in Dubai…”

Weiter hieß es am Samstag:

“Mensch, Schumi – warum machst du jetzt bloß Urlaub? Ist das wirklich das richtige Zeichen, wenn Ferrari in der schlimmsten Krise seit Jahren steckt?”

Und weil das so allerliebst gefragt war, steht’s im Anschluss an die obige Schlagzeile auch heute nochmal in der “Bild”:

“‘Warum macht Schumi jetzt Urlaub?’ hatte BILD am Samstag gefragt.”

Und wie als Antwort schreibt “Bild” im Anschluss:

“Noch am selben Tag stieg Michael Schumacher (36) in Dubai in seinen Privat-Jet und flog nach Fiorano/Italien.”

Doch bevor man sich allzu lange mit der Frage aufhält, ob die Formulierung “Nach BILD-Bericht: Schumi bricht Urlaub ab” nun tatsächlich einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen “BILD-Bericht” und “Schumi” herstellen (also nach im Sinne von wegen) oder bloß irreführenderweise suggerieren will (also nach im Sinne von später als), muss man wohl feststellen, dass es zwischen Schumachers angeblichem Urlaubsabbruch und der “Bild”-Berichterstattung überhaupt keinen Zusammenhang gibt.

Im Gegenteil: Wie es scheint, hat da eine schlecht informierte “Bild”-Redaktion offenbar bloß Quatsch, Unsinn, eine Lüge hingeschrieben. Denn am Erscheinungstag des “BILD-Berichts” (Samstag) war Schumacher, wie seine Sprecherin Sabine Kehm auf Anfrage bestätigt, längst in Fiorano/Italien. Der “große Funktions-Test am neuen F2005”, für den Schumacher, angeblich nach Erscheinen des “BILD-Bericht”, seinen Urlaub abbrach (genauer übrigens: unterbrach), begann am Samstag um 9 Uhr, Schumacher selbst war bereits um 8.30 Uhr vor Ort und schon am Freitagabend, also vor Erscheinen des “BILD-Berichts”, angereist.

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Schreck lass nach!

Die Pointe kommt am Schluss.

Die Feuerameise hingegen kommt aus den Feuchtgebieten des brasilianischen Pantanal …

… und ist in den USA ein Problem. Vor ungefähr einem Jahr stand in der NZZ mal ein interessanter Artikel, der sich mit dem Schaden und Nutzen (!) der Solenopsis invicta (engl.: fire ant) befasste, die “Zeit” weiß momentan auch Aufschlussreiches zu berichten. Außerdem haben sich internationale Wissenschaftler ausführlich mit der möglichen Verbreitung der Ameisenart befasst, die nur unter bestimmten klimatischen Bedingungen überleben kann, und u.a. herausgefunden, dass die Tiere rein theoretisch auch rund ums Mittelmeer, in einigen Gebieten nahe des Schwarzen und des Kaspischen Meeres, entlang der Südwestküste Frankreichs sowie an manchen Stellen Südenglands überleben könnten. “Möglich, aber eher unwahrscheinlich” sei es zudem, dass sie in Städten oder an anderen künstlich beheizten Orten überleben und sich während ungewöhnlich warmer Jahre auch mal in die Umgebung ausbreiten. Insgesamt aber sei es in Europa schlicht zu kalt für die Feuerameise.
(Soweit der aktuelle Forschungsstand.)

“Bild” allerdings hält das nicht davon ab, in ihrer Dienstagsausgabe groß, sehr groß (und online) folgende Überschrift zu dichten:
Feuerameisen überfallen Europa
Weiter heißt es in “Bild” recht vage und pauschal:

“Jetzt schlagen Forscher Alarm: Die winzigen Killer (1–6 mm) sind auf dem Sprung nach Europa.”

Und nachdem “Bild” sogar einen “Grund” für ihre Schreckensmeldung gefunden hat (O-Ton: “die globale Klimaerwärmung”), wird noch ein Satz aus einem Aufsatz des Zoologen Michael Kaspari von der University of Oklahoma herbeizitiert, der mit den Worten “Wo sie eingeschleppt werden…” beginnt und entsprechend allgemein gehalten ist. Gleichwohl ist der Feuerameisen-Experte Kaspari für “Bild” eine gute Wahl, denn er ist wirklich einer.

Befragt man jedoch Michael Kaspari von der University of Oklahoma persönlich, ist er verblüfft über die “Bild”-Feuerameisenberichterstattung und seine Rolle als “Bild”-Kronzeuge. Er sagt:

Ich weiß von keiner Erhebung, wonach Feuerameisen Europa überfallen. Unsere Studien legen zwar nahe, dass eine massive globale Klimaerwärmung im Laufe der Zeit – durch die daraus resultierende Abnahme der Ameisengröße und Zunahme der Ameisenzahl einer Kolonie – ihre Verbreitung begünstigen könnte. Aber es gibt meines Wissens keinerlei unmittelbare Gefahr für Europa.

Schluss.

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Ohne Rücksicht auf die Wahrheit

Im Sommer 2002 kam es in einem Zweifamilienhaus in Burladingen, in der Nähe von Tübingen, zu einem Familienstreit. Das Haus gehört dem Sohn, der mit seiner Familie im Erdgeschoss lebte; im Obergeschoss wohnten seine Mutter und sein Stiefvater. Vom Balkon aus bewarfen beide einen Gast des Sohnes mit einer Bierflasche und einem Aschenbecher und beschimpften ihn heftig.

Nach weiteren ständigen Streitereien kündigte der Sohn seinen Eltern im Juli 2004 und setzte die Räumung der Wohnung vor dem Amtsgericht Hechingen durch. Entscheidend für dessen Urteil war der Vorfall zwei Jahre zuvor. Laut “Zollernalbkurier” ging die Mutter daraufhin zur “Bild”-Zeitung. Die veröffentlichte in ihrer Stuttgarter Ausgabe in großer Aufmachung eine herzzerreißende Geschichte über die guten Eltern, die ihr Leben lang alles für ihren Sohn getan haben, und nun zum Dank von ihrem Sohn und der unbarmherzigen Schwiegertochter auf die Straße gesetzt werden. Den entscheidenden Vorfall mit Bierflasche und Aschenbecher erwähnte “Bild” nicht. Die Schlagzeile lautete:

Die Herzlosigkeit des Sommers

Illustriert wurde der Artikel mit einem Foto des Hauses der Familie, einem großen Portraitbild des Sohnes in Anzug und Fliege (mit schwarzem Balken über den Augen) und einem Foto von den Eltern in ärmlicher Kleidung.

Der Sohn klagte wegen dieser Berichterstattung gegen den Springer-Verlag als Herausgeber der “Bild”-Zeitung — und bekam am vergangenen Freitag Recht. Laut “Südwest Presse” (nachzulesen auch hier) wurde die “Bild”-Reporterin vom Landgericht Tübingen “in scharfer Form” gerügt:

Sie habe (…) in grober Weise gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. (… Bei dem Artikel) sei es der Verfasserin nur auf die “Story” angekommen, “ohne Rücksicht darauf, ob diese Story der Wahrheit entspricht”.

Das Gericht sah darin eine gravierende Verletzung des Persönlichkeitsrechts, weil “Bild” ihn als “herzlosen und unbarmherzigen Unhold” öffentlich in einer Auflage von 400.000 Exemplaren an den Pranger stellte, ohne die Hintergründe des Streits untersucht zu haben. Springer muss dem Sohn 10.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Danke an Marvin W. für den Hinweis!

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