Archiv für Merkwürdiges

Symbolfoto XXXIV

“Elite-Soldaten holen Geiseln raus”, schreibt “Bild” heute und will die tolle Geschichte natürlich auch bebildern. Naturgemäß sind bei solchen geheimen Unternehmen jedoch keine Pressefotografen dabei. Die “Bild”-Redaktion hat sich deshalb mal wieder für ein Symbolfoto entschieden (siehe Ausriss), das sie wie folgt betextet:

"Elitesoldaten der Engländer und Amerikaner befreiten die Geiseln. Das Foto zeigt eine US-Einheit, die mit dem Hubschrauber bei der Offensive in der vergangenen Woche abgesetzt wurde."

Die Betextung des Fotos ist Unsinn: Ob und inwieweit an der Aktion überhaupt “Amerikaner” beteiligt waren — wer weiß. (In der britischen “Times” heißt es: “The force consisted mainly of SAS troopers, backed by about 50 soldiers from the 1st Battalion The Parachute Regiment and Royal Marines — all members of the Special Forces Support Group codenamed Task Force Maroon.” Kurzum: Es waren “mainly” Briten.) Und dass die “Offensive in der vergangenen Woche”, mit der “Bild” glaubt, den aktuellen Artikel illustrieren zu müssen, nichts mit die Befreiung dreier britischer Geiseln zu tun hat, lässt das Blatt zumindest unerwähnt.

Bedauerlicherweise zeigt die von “Bild” als Symbolfoto verwendete Abbildung jedoch nicht einmal die “Offensive in der vergangenen Woche”. Es handelt es sich dabei vielmehr um eine Aufnahme, mit der bereits die Nachrichtenagentur AFP am 16. März 2006 symbolhaft die an diesem Tag begonnene Offensive der US-Armee bei Samarra zu illustrieren versuchte, zu der es bis dahin ebenfalls keine Fotos gab.

Das von “Bild” also abermals als Symbolfoto verwendete Symbolfoto zeigt US-Soldaten der 1. Gepanzerten Division*, die am 26. August 2005 nahe Bagdad eine Landezone sicherten. Die Agentur AFP, die “Bild” selbst als Quelle nennt, wies bei Veröffentlichung ausdrücklich darauf hin — “Bild” nicht.

*) Nachtrag, 26.3.2006: Eine “Armored Division” ist natürlich keine “Gepanzerte Division”, wie wir schrieben, sondern eine “Panzerdivision”.

Mit Dank an Christoph P. für die Korrektur.

“Bild” findet Sexualstraftäter sexy II

Wenn’s im Hause “Bild” irgendwo schöne Frauen zu gucken gibt, setzt bei den Mitarbeitern offenbar der Verstand aus. Anders jedenfalls ist die Berichterstattung über die “schöne Sex-Lehrerin”, die “schöne Sex-Lehrerin”, die “blonde Sex-Lehrerin” bzw. “schöne Frau” Debra Lafave eigentlich nicht zu verstehen. Nachdem es Bild.de bereits im November letzten Jahres nicht gelungen war, sachlich über den Fall Lafave zu berichten, wird Lafaves Tat aus aktuellem Anlass von Bild.de auch heute wieder heruntergespielt und verfälscht.

Bild.de schreibt, Lafave sei “angeklagt wegen sexuellen Mißbrauchs”. Zwei Mal sogar schreibt Bild.de das.

Und mag sein, die “schöne Sex-Lehrerin” der “Prozeß-Wirrwar” um Lafave hat Bild.de verwirrt. Tatsache ist aber: Debra Lafave ist nicht “angeklagt” — erstens, weil aktuell eine Klage fallengelassen wurde, und zweitens, weil Lafave, die nach Angaben ihres Anwalts an einer “ernstzunehmenden Geisteskrankheit” leide, als “sexual offender” (auf deutsch: Sexualstraftäterin) bereits rechtskräftig verurteilt ist! Das Urteil hat nach wie vor ohne Einschränkung Bestand, egal, ob’s Bild.de passt oder nicht.

Robin Hood für ganz Arme

“Bild” hat sich was ausgedacht. Sie will angeblich die “Rentenlügner” verklagen. Und das macht sie heute zum Seite-1-Aufmacher. Der Text dazu auf Seite zwei beschäftigt sich dann ein wenig mit Norbert Blüm und mit Gerhard Schröder, um mit folgenden Worten zu schließen:

BILD wird eine renommierte Anwaltskanzlei beauftragen, gegen mögliche Versäumnisse und offenkundige Lügen verantwortlicher Rentenpolitiker juristisch vorzugehen! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!

Offen bleibt allerdings, wen “Bild” eigentlich genau “verklagt” (siehe Ausriss). Norbert Blüm, weil er 1986 Plakate geklebt hat? Oder Gerhard Schröder, weil er 1998 versprach den demographischen Faktor bei der Rentenversicherung abzuschaffen, das tat und dann feststellte, dass das ein Fehler war?

Auch sonst scheint “Bild” in Rechtsdingen nicht allzu firm. So scheint sie den Unterschied zwischen Zivilrecht und Strafrecht nicht so recht zu kennen. Also: Im Zivilrecht würde man tatsächlich jemanden verklagen, doch der Staatsanwalt hätte nichts damit zu tun. Im Strafrecht wiederum kommt zwar der Staatsanwalt zum Einsatz, doch man kann niemanden verklagen (sondern lediglich anzeigen). Aber Schwamm drüber.

Georg Gafrons Kommentar befasst sich mit demselben Thema, und er endet so:

BILD will es genau wissen: Kann man wirklich nichts gegen den jahrelangen, systematischen Rentenbetrug der Politik tun? Darum werden jetzt die Renten-Lügner verklagt!

Und es mag ja ganz rührend sein, wie “Bild” sich hier als “Anwalt des Volkes” inszeniert, aber wir müssen den Kampf “für Sie” (siehe Ausriss) leider bremsen. Denn wir wissen zufällig, wie der Dresdner Notar Peter Horn de la Fontaine die Fragen, die “Bild” hier scheinbar so sehr bewegen, beantwortet.

Frage eins:

Dürfen Politiker uns ungestraft belügen?
Horn de la Fontaine:
Leider ja. Sie können von ihrem Arbeitgeber – den Bürgern – weder haftbar gemacht noch entlassen werden, allenfalls abgewählt werden.

Frage zwei:

Kann ich Politiker wegen ihrer Lügen bei Polizei oder Staatsanwaltschaft anzeigen?
Horn de la Fontaine:
Nein! Es gibt keinen einzigen Paragraphen in unseren Gesetzen, der Lügen von Politikern oder falsche Wahlversprechen unter Strafe stellt. Einzige Ausnahme: Falschaussagen von Politikern vor Gericht oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß.

Frage drei:

Kann ich Politiker wegen Lügen bei Gericht verklagen?
Horn de la Fontaine:
Nein. Eine solche Klage würde sofort abgewiesen. Was kein Gesetz verbietet, kann kein Gericht bestrafen.

Damit wäre das dann wohl geklärt.

Na ja, eines vielleicht noch: Wir haben Horn de la Fontaine nicht selbst befragt, damit er die “Bild”-Geschichte gerade rückt. Das hatte “Bild” nämlich schon erledigt. Am 10. November 2005:

Mit Dank an Christian S. für den sachdienlichen Hinweis.

Fortsetzung folgt …

Mehr dazu hier, hier, hier und hier.

Kurz korrigiert (68)

Quizfrage: Wie alt ist die Frau des baden-württembergischen Staatsministers Willi Stächele?

Für den Samstag loste der Ziehungsbeamte von “Bild” diese Zahl aus:

Und für heute diese:

Tatsächlich ist sie 50, zumindest versicherte man uns dies im Staatsministerium. Im Juni wird sie 51.

Dank an Axel H.

Nachtrag, 19.25 Uhr. Bild.de hat aus beiden Artikeln sämtliche Klammer-Zahlen, die man mit Altersangaben hätte verwechseln können, entfernt.

“Bild” entdeckt Esel

"Entdeckt!"

Genau so steht es heute in “Bild”. Und weiter? Weiter heißt es dort, der “1. Rasta-Esel”, von dem die kleine Meldung handelt (siehe Ausriss), sei eigentlich ein Poitou-Esel, also “die (…) älteste Eselart der Welt”, was angesichts der “Entdeckt!”-Überschrift zunächst vielleicht ein wenig rätselhaft klingen mag, zumal diese Esel-Rasse laut Wikipedia doch bereits “seit dem 11. Jahrhundert bekannt” und “in Südwestfrankreich verbreitet” ist.

Ganz am Ende der “Bild”-Meldung findet sich dann aber doch noch versteckt die Auflösung der roten, rätselhaften Überschrift (siehe Ausriss).

Denn entdeckt wurde der Esel von der “Bild”-Zeitung — im Angebot irgendeiner Fotoagentur!

Mit Dank an Mike S. für Scan und Inspiration.

“Bild” sorgt für “Skandal”

Weil die norwegische Sportlerin Kari Traa zur Zeit erfolgreich an den Olympischen Winterspielen teilnimmt, druckt “Bild” heute im Sportteil unter der Überschrift “Skandal um Norwegerin” ein großes Foto von ihr (s. Ausriss).

Ganz klar ist allerdings nicht, was den behaupteten “Skandal” eigentlich ausmacht. So schreibt “Bild” zwar über das Foto (“Eine junge hübsche Frau, die sich die Hand in den nackten Schritt hält.”), es zeige “keine Erotik à la Playboy”, erklärt aber nicht, worin genau der Unterschied zur “Erotik à la Playboy” nach Ansicht von “Bild” bestehen soll.

Noch weniger allerdings erklärt “Bild”, woher das Foto stammt. Denn ursprünglich gehört es nur zu einer Fotostrecke für ein norwegisches Trendsportmagazin namens “Ultrasport” und zierte dessen Titelseite bereits in der Dezember-Ausgabe 2001 (s. Ausriss).

So gesehen, hätte “Bild” der Sportlerin Kari Traa also auch schon anlässlich ihres Olympia-Siegs bei den Winterspielen 2002 eine “Luder-Gold”-Medaille verleihen können – weshalb wir den Eindruck nicht loswerden, dass die zuständige “Bild”-Redaktion jetzt bloß irgendwo ein über vier Jahre altes, öffentlich zugängliches und offenbar jugendfreies Foto entdeckt hat und mal wieder nicht einfach nur schreiben wollte, wie rattenscharf man’s findet.

Stattdessen schreibt “Bild” lieber, dass es “nach Hardcore schmeckt”. Und den angeblichen “Skandal”, nun ja, verbreiten andere Medien trotzdem fleißig weiter.

Mit Dank an James für die Inspiration.

Sind immer die andern III (b)

Wir wissen es ja schon: Nachdem “Bild” zunächst die Tatsachenbehauptung aufgestellt hatte, Joschka Fischer wandere nach Amerika aus usw., druckte “Bild” am nächsten Tag die Schlagzeile “Fischer: Ich wandere nicht aus”, was daran lag, dass Fischer die Auswanderungsnachricht von “Bild” heftig dementiert hatte. Außerdem hatte “Bild” versucht, die eigene, offenbar falsche Berichterstattung so darzustellen, als sei sie den Berichten in anderen Zeitungen vergleichbar gewesen, obwohl sie das (wir berichteten) nicht war.

Wie es scheint, hat “Bild” jetzt aber den eigentlich Schuldigen für die eigene, offenbar falsche Berichterstattung über Joschka Fischer ausgemacht: Joschka Fischer selbst.

Laut Handelsblatt.com gibt’s einen Brief des “Bild”-Chefredakteurs Kai Diekmann, worin er sich bei Fischer beschwere, dass dieser bezüglich seiner USA-Pläne eine Stellungnahme gegenüber der “Bild”-Zeitung abgelehnt habe. Tatsächlich berichtet auch die “Süddeutsche Zeitung”, Fischer habe (mit Blick auf die Anfrage eines “Bild”-Redakteurs) gesagt: “…wenn ein gewisser Herr Einar Koch bei mir anruft, dann kann die Welt zusammenstürzen, da würd’ mir eher die Hand abfallen, als dass ich das Telefon abnehmen würde” — was wiederum anscheinend “Bild”-Chef Diekmann “nicht nachvollziehbar” finde.

Und in der heutigen “Bild” mündet eine “Bild”-Kolumne von Hugo Müller-Vogg in die Frage:

“Nur über die Nebentätigkeit des Abgeordneten Fischer soll nicht berichtet werden dürfen?”

Jedoch belässt es Müller-Vogg nicht bei solch irreführender Rhetorik. (Soweit bekannt, hat schließlich niemand irgendwen daran gehindert, “über die Nebentätigkeit des Abgeordneten Fischer” zu berichten — auch Joschka Fischer nicht.) Nein, wie sein Chef Diekmann tut sich auch Müller-Vogg offenbar schwer damit, dass Fischer “bei der Überprüfung von Meldungen über ihn jede Mitarbeit” verweigert habe. Dabei hätte, so Müller-Vogg, eine wahrheitsgetreuere Berichterstattung doch “gleich so in den Zeitungen stehen können — wenn Fischer nur gewollt hätte”.

Das mag stimmen. Doch zeugt die Argumentation, gelinde gesagt, von einem seltsamen journalistischen Selbstverständnis: Wenn wir das richtig verstehen, bedeutet sie doch im Umkehrschluss nichts anderes, als dass eine Zeitung wie “Bild” 1.) nur dann wahrheitsgetreu berichten könne, wenn die betroffenen Personen mit “Bild” kooperieren und 2.) eine Zeitung wie “Bild” immer dann die Unwahrheit behaupten dürfe, wenn ihr die “Beihilfe zur Wahrheitsfindung” (Müller-Vogg) verweigert wird. In Müller-Voggscher Rhetorik also als Frage formuliert: Klingt das wie ein Armutszeugnis für den investigativen Journalismus, dessen sich “Bild” so gerne rühmt?

Mit Dank auch an Nikolai S. und Frank B.

Eines der größten Geheimnisse Russlands

KGB-Akten geöffnet! Dieser berühmte Kosmonaut gestand: "Ja, es gibt UFOs!"

Ja, so steht es heute in “Bild”. Und weiter?

“Seine Aussage gehörte zu den größten Geheimnissen Rußlands: ‘Ja, ich habe ein UFO gesehen!’ Das berichtete Pavel Popovich (heute 75), einer der angesehensten Kosmonauten des Sowjetreiches, dem KGB. (…) Erst jetzt sind die Akten freigegeben: 124 Seiten brisantes Geheimwissen, verschlossen in einem blauen Ordner.”

Aha.

Tatsache ist: Selbst wenn Popowitschs Ufo-Sichtung im Jahr 1978 zu den größten Geheimnissen Russlands gehört haben sollte, ist sie schon länger bekannt, als “Bild” glaubt: Bereits 2002 wurde seine Schilderung als Video auf einem UFO-Kongress gezeigt, 2003 in der russischen Zeitung “Komsomolskaja Prawda” zitiert und nun (also vor anderthalb Wochen) auch in der “Prawda”.

Tatsache ist außerdem, dass Popowitschs Aussage mit dem “Blauen Ordner” des KGB nichts zu tun hat, weil die Akte nur sowjetische Ufo-Sichtungen der Jahre 1982 bis 1990 auflistet. Die eigentliche Neuigkeit der “Prawda”-Meldung besteht ohnehin darin, dass Popowitsch die KGB-Akten nun offiziell der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe.

Denn, dass das Italienische Zentrum für Ufo-Studien (CISU) schon 2003 darauf hinwies, dass der sog. “Blaue Ordner” bereits 1995 vollständig übersetzt als Anhang eines Buches (Roberto Pinotti, “UFO: Top Secret”, Bompiani, 436 S.) veröffentlicht worden sei, und dass seitdem ausführlich aus den Akten zitiert wurde, ist dummerweise auch eine Tatsache.

Aber okay, immerhin ist die Online-Version des Artikels bei Bild.de noch abwegiger. Dort heißt es nämlich über den ukrainischen Kosmonauten, der mal ein Ufo gesehen haben will:

Der berühmte russische Kosmonaut Pavel Popovich gibt zu: "Ja, ich habe Ufos gesehen"

Mit Dank an Robert B. und andere für die Anregung sowie Kati und Mandy fürs Russisch.

Überschrift gerettet

Ein wenig rätselhaft ist es ja schon, dass “Bild” (wie viele andere Medien auch) ausführlich aus einem Interview zitiert, das Jürgen Chrobog nach der Geiselnahme seiner Familie im Jemen gegeben hatte, und sogar Chrobogs heftiges Dementi mancher Kommentare berücksichtigt, aber (anders als viele andere Medien) einen Satz Chrobogs nicht erwähnenswert findet.

Er lautet:

“Ich hatte auch nie den Eindruck, dass wir wirklich in Lebensgefahr standen.”

Allerdings hätte die “Bild”-Behauptung, die Familie sei während ihrer Geiselnahme zwei Mal “in höchster Lebensgefahr” gewesen, unter Berücksichtigung des zitierten Chrobog-O-Tons auch verdammt unpassend gewirkt — und die “Bild”-Headline natürlich irgendwie übergeigt.

Sie lautet nämlich:

"Familie Chrobog fürchtete um ihr Leben"

Mit Dank an Christian S. und andere für den Hinweis.

Nachtrag, 3.1.2006:
Der Vollständigkeit halber (und mit Gruß an Tobias R.) sei darauf hingewiesen, dass auch die Nachrichtenagentur dpa im Zuge ihrer Berichterstattung über die Rückkehr der Chrobogs einige Äußerungen kurzzeitig und irreführenderweise dahingehend interpretiert hatte, dass sie “übersetzt in Alltagssprache” bedeuten würden, Chrobog habe mehrfach um sein Leben und das seiner Familie gefürchtet, diese Interpretation in anschließenden Meldungen jedoch unter Berücksichtigung des anderslautenden Chrobog-Zitats nicht weiter verfolgte.

“Bild”-Chef zieht Begehr zurück

Das wird jetzt etwas länger, denn…

… in einem Dossier über die “Großmacht Springer” hatte sich die “Zeit” am 11. August unter anderem folgende Frage gestellt:

“Ist es Vorsatz, wenn ein Foto so beschnitten wird, dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin als Schlagstock angesehen werden kann (…)?”

Hintergrund dieses Satzes war die Veröffentlichung eines Fotos in der “Bild”-Zeitung vom 29.1.2001. Zu sehen war darauf Jürgen Trittin im Jahr 1994 am Rande einer Demo. Die Aufnahme stammte ursprünglich von Sat.1 und erschien 29.1.2001 auch im “Focus”. “Bild” hatte behauptet, in der Hand eines (unmittelbar neben Trittin abgebildeten) Demonstranten befinde sich ein Schlagstock, obwohl es sich dabei nur um ein Seil handelte, wie sowohl bei Sat.1 als auch im “Focus” deutlich zu erkennen war — nicht jedoch in dem von “Bild” abgedruckten Ausschnitt des Fotos. Nachdem der grobe Fehler öffentlich geworden war, druckte “Bild” eine Richtigstellung und Kai Diekmann, damals seit vier Wochen “Bild”-Chefredakteur, sagte dem “Spiegel”(hier für 50 Cent, Gratisauszüge hier): “Wir sind am Sonntag im Vorabexemplar von ‘Focus’ auf das Foto gestoßen und haben es abgescannt, weil wir das Original nicht besorgen konnten. Die Ausdrucke, mit denen wir dann gearbeitet haben, waren Kopien von Kopien und entsprechend schlecht, so dass die Fortsetzung des Seils nicht erkennbar war.” Zuvor referierte bereits die “Berliner Zeitung” Diekmanns Erklärung mit dem Worten: “Deshalb habe man das Foto für den Druck beschnitten.” Das war vor dreieinhalb Jahren und nicht schön.

“Bild”-Chef Diekmann ist seither mehrfach gerichtlich gegen Berichte anderer Medien vorgegangen, die fälschlicherweise behauptet hatten, “Bild” habe Trittin “einen Schlagstock in die Hand montiert” bzw. “in die Hand gedrückt”. Sowohl die “Berliner Zeitung” als auch die “taz” entschieden sich allerdings, den unabwendbaren Abdruck einer entsprechenden Gegendarstellung Diekmanns ausführlich zu kommentieren.

Was indes die “Zeit” anbelangt, könnte man einwenden, auch die Behauptung, “dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin als Schlagstock angesehen werden kann” sei sachlich falsch, weil Trittin selbst das Seil auf dem Foto gar nicht anfasst. “Bild”-Chef Diekmann allerdings nahm Anstoß an einem anderen Aspekt des “Seil”-Satzes. Nach unseren Informationen hieß es in einer Gegendarstellung, deren Abdruck er von der “Zeit” forderte, “Bild” ” habe “niemals ein Foto so beschnitten”, dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin hätte als Schlagstock angesehen werden können: Der Fehler von “Bild” habe darauf beruht, “dass allein aufgrund der schlechten Bildqualität eine verfälschende Bildunterschrift zugeordnet wurde”.

Allerdings weigerte sich die “Zeit”, die Gegendarstellung zu drucken. Und das mit gutem Grund. Schließlich handelt es sich ja bei dem Trittin-Foto in “Bild” zweifelsfrei um einen Ausschnitt des “Focus”-Fotos, auf dessen Original der “Schlagstock” eindeutig als Seil zu erkennen ist. Und so zitiert auch der “Stern” in seiner aktuellen Ausgabe einen “Bild”-Sprecher mit der Aussage: “Der Chefredaktion lag lediglich ein Schwarzweiß-Scan vor, auf dem die Ränder des Fotos schwarz waren. Diese Ränder wurden beim Einstellen des Scans ins Layout … selbstverständlich nicht berücksichtigt.”

Und das ist umso erstaunlicher, als Kai Diekmann doch gegenüber der Pressekammer des Landgerichts Hamburg im August 2005 eine “eidesstattliche Versicherung” abgegeben hat, in der es ausdrücklich heißt, man habe die Abbildung zwar “unzutreffend betextet”, aber:

“Das Foto (…) ist in keiner Weise ‘beschnitten’ worden.”

Das Gericht verlangte daraufhin Ende August zwar zunächst in einer Einstweiligen Verfügung von der “Zeit”, den strittigen “Seil”-Satz aus der Online-Version des Dossiers zu tilgen. Dort fehlt er noch immer, dürfte nach unseren Recherchen aber alsbald wieder in den Text eingefügt sein, denn…

… nachdem die “Zeit” Mitte September Widerspruch angekündigt hatte, nahm Diekmann kurzerhand seinen Antrag zurück, verzichtete freiwillig auf die Ansprüche aus der Einstweiligen Verfügung und muss sämtliche Verfahrenskosten tragen.

Wie es zu Diekmanns überraschenden Sinneswandel kam, entzieht sich unserer Kenntnis. Im “Stern” heißt es, an der Richtigkeit der Eidesstattlichen Versicherung* Diekmanns seien “Zweifel angebracht”.

*) “Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.”
(§ 156 StGB)

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