Archiv für Bild.de

Achse der Intransparenz

Joachim Nikolaus Steinhöfel, geboren 1962 in Hamburg, ist einer der profiliertesten deutschen Juristen.

So, so.

Schon 2004 stelle das Handelsblatt fest: “Fast 200 Fälle hat er zum BGH hoch prozessiert, rund 70 Prozent davon gewonnen.”

Sieh an.

Er erwirkte die erste, jemals erlassene einstweilige Verfügung wegen Löschungen auf Facebook und hat sich wie kaum ein anderer Jurist um die Meinungsfreiheit verdient gemacht.

Aha.

Steinhöfel moderierte Sendungen für RTL und RTL 2, trat als Werbe-Testimonial für Europas größten Anbieter von Unterhaltungselektronik und als Sachverständiger im Bundestag auf.

Sag bloß.

1999 gewann er den Werbepreis “Effie” in Silber.

Oho.

Für BILD schreibt er im Abstand von zwei Wochen über die Abgründe von Gegenwart und Gesellschaft.

Okay.

Das da oben ist der Autorentext, der unter der “Bild”-Kolumne “RECHT KLAR!” von Joachim Steinhöfel zu finden ist. Auch unter der aktuellen Ausgabe:

Screenshot Bild.de - Eurowings und Co - Moral heucheln und Denunzianten gehorchen

Steinhöfel schreibt darin über Firmen, die aus freien Stücken die Ausspielung ihrer eigenen Online-Werbeanzeigen auf Websites gestoppt haben, nachdem Twitter-User diese Firmen auf die Inhalte der Websites aufmerksam gemacht hatten.

Oder wie Joachim Steinhöfel es ausdrückt: Es geht um Unternehmen, die sonst keine “Berührungsängste” beim “Geld von Kinderschändern, Vergewaltigern oder Antisemiten” hätten (“Man kann bei Millionen von Kunden schließlich nicht jeden überprüfen.”) und die nun vor “anonymen Verleumdern”, vor “anonymen Denunzianten mit rechtlich fragwürdigen Boykottaufrufen” einknicken würden.

Steinhöfel zitiert auch vier konkrete Fälle, wie diese Unternehmen bei Twitter reagiert haben:

“Wird sofort geprüft. Sind dran!”, Kaufland.

Es geht dabei um eine Werbeanzeige auf der Website “Achse des Guten”.

“…vielen Dank für den Hinweis. Wir haben die [Werbung] sofort gestoppt,” Aktion Mensch.

Es geht dabei um eine Werbeanzeige auf der Website “Achse des Guten”.

“…für alle Werbeaktivitäten geblacklisted”, Eurowings.

Es geht dabei um eine Werbeanzeige auf der Website “Achse des Guten”.

“Wir werden den Fall prüfen und unsere Blacklist überarbeiten”, Audi.

Es geht dabei um eine Werbeanzeige auf der Website “Achse des Guten”.

Dass es ausschließlich um die “Achse des Guten” geht, erwähnt Joachim Steinhöfel in seinem Text merkwürdigerweise nicht. Und es ist leider auch nirgends zu lesen, dass Steinhöfel selbst Autor der “Achse des Guten” ist und sie als Anwalt rechtlich vertritt. Auch im oben zitierten, recht ausführlichen Autorentext war für einen Transparenzhinweis kein Platz.

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“Bild” spielt arm gegen ganz arm aus

Das geplante Bürgergeld, das am morgigen Mittwoch vom Kabinett beschlossen und kommendes Jahr das bisherige Arbeitslosengeld II (auch Hartz IV genannt) ablösen soll, sei eine Demotivation für Geringverdiener, findet der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Unter anderem die Erhöhung von 53 Euro pro Monat beim Bürgergeld im Vergleich zum Hartz-IV-Satz mache es für Personen mit niedrigem Einkommen unattraktiver, weiterhin arbeiten zu gehen.

Die “Bild”-Redaktion sieht es ganz ähnlich wie der Handwerks-Präsident:

Screenshot Bild.de - Hartz-Irrsinn - Wer arbeitet, ist künftig der Dumme

“Bild”-Reporter Albert Link hat dafür auch eine passende Rechnung parat:

Rechenbeispiel: Beziehen in einer Familie (zwei Kinder zwischen 6 und 13) beide Partner Bürgergeld, dann summieren sich die Leistungen auf 902 Euro (zwei Erwachsene) plus 696 Euro für die Kinder – also 1598 Euro. Einem verheirateten Maler (gesetzlich versichert, kein Kirchen-Mitglied) mit zwei Kindern bleiben z. B. in Berlin von 2500 Euro Monatslohn im besten Fall 1967,12 Euro netto (Alleinverdiener, Berechnung: gehalt.de).

Doch weil er davon – anders als Bürgergeld-Bezieher – Miete und Heizkosten tragen muss, lohnt sich das Aufstehen für ihn NICHT mehr.

Bei der “Bild”-Rechnung fehlt allerdings was. Die Familie des Malers bekommt für jedes der zwei Kinder Kindergeld. Das sind aktuell 219 Euro pro Kind, zusammen also 438 Euro pro Monat. Diese Summe fehlt in Links Rechnung gänzlich. Die Familie mit dem Bürgergeld bekommt die 438 Euro theoretisch zwar auch, sie werden allerdings praktisch komplett als Einkommen bei den Leistungen für die Kinder angerechnet. Oder anders gesagt: Bei der Familie mit Bürgergeld gibt es das Kindergeld nicht obendrauf.

Allerdings fehlen in der “Bild”-Rechnung auch auf der Seite der Bürgergeld-Empfänger verschiedene Posten. So werden zumindest aktuell bei Hartz-IV-Berechtigten unter anderem die Kosten für die Kranken- und Pflegeversicherung übernommen (beim Maler sind die in der “Bild”-Rechnung mit drin), und es fällt der Rundfunkbeitrag weg. Dass bei Leistungsempfängern die Heizkosten immer in Gänze übernommen weden, ist wiederum nicht so eindeutig, wie “Bild” es wirken lässt. Es müsse sich dafür um einen “angemessenen” Verbauch handeln, so die Vorschrift.

Der Vergleich zwischen Bürgergeld-Beziehern und Familien mit geringem Einkommen ist also deutlich komplexer als von “Bild” dargestellt. Und sowieso pickt sich Albert Link einen speziellen Fall heraus: zwei Erwachsene, zwei Kinder, beim Bürgergeld beide Erwachsene als Bezieher, der Beispiel-Maler ist Alleinverdiener. Die zumindest theoretisch vorhandene Möglichkeit, dass auch die Ehefrau oder der Ehemann etwas dazuverdienen kann, kommt in der “Bild”-Rechnung nicht vor. Und auch gerade die zwei Kinder machen in dem Beispiel einen großen Unterschied. Für sie gibt es beim Bürgergeld zusätzliches Geld, bei Arbeitnehmern (neben dem Kindergeld, das “Bild” ja aber weglässt) hingegen nicht. Die Auswirkung wird deutlich, wenn man die Kinder sukzessive aus der Rechnung nimmt: Hätten die zwei Vergleichsfamilien jeweiles nur ein Kind, dann wäre der Unterschied nicht 1.598 Euro (Bürgergeld) zu 1.967 Euro (Maler), sondern 1.250 Euro zu 1.967 Euro. Wären die Erwachsenen kinderlos, läge der Unterschied bei 902 Euro zu 1.958 Euro (Veränderung durch den etwas höheren Beitrag für die Pflegeversicherung). Und würde es sich beim Bürgergeld-Bezieher und beim Maler um Singles handeln, betrüge der Unerschied 502 Euro zu 1.737 Euro (Veränderung durch die geänderte Lohnsteuerklasse).

Die “Bild”-Redaktion präsentiert ihrer Leserschaft aber nur das Beispiel der vierköpfigen Familie, erklärt das alles zum “HARTZ-IRRSINN” und stellt das geplante Bürgergeld zumindest implizit als zu hoch dar. Sie spielt einmal mehr arm gegen ganz arm aus. Dass es aber auch andersrum sein könnte, dass also nicht das Bürgergeld zu hoch ist, sondern viele Löhne viel zu niedrig sind, darauf wollen sie bei “Bild” offenbar nicht kommen.

Mit Dank an Michel T. für den Hinweis!

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Bei “Bild” ist “das Ausland” konservativ

Es sei der “AKWahnsinn”, schreibt “Bild” zu den Plänen von Robert Habeck. Der Wirtschaftsminister “druckst und trickst sich um die AKWende”, es sei “Habecks mieser Atom-Poker”, “Habecks MIESES SPIEL mit unserem Strom”, und “BILD ENTLARVT”: “Habecks größte AKWidersprüche”.

Wir haben das leichte Gefühl, in der “Bild”-Redaktion finden sie Robert Habecks Entscheidung, die drei in Deutschland noch laufenden Atomkraftwerke nicht weiter Strom produzieren zu lassen, sondern lediglich zwei davon als Notreserve zu behalten, nicht so gut. Um der eigenen Leserschaft zu zeigen, dass “unsere Nachbarn” sowie “das Ausland” das ganz genauso sehen, haben “Bild” und Bild.de mal bei EU-Politikern nachgefragt, was die von Habecks Plan halten:

Screenshot Bild.de - Verrat an Nachbarländern - EU-Politiker entsetzt über Habecks Atom-Irrsinn

“Entsetzt” zu Wort kommen:

  • ein polnischer EU-Abgeordneter der nationalistischen und konservativen PiS,
  • ein tschechischer EU-Abgeordneter der konservativen ODS,
  • eine niederländische EU-Abgeordnete der christdemokratischen CDA,
  • ein deutscher EU-Abgeordneter der konservativen CSU,
  • ein weiterer deutscher EU-Abgeordneter der konservativen CSU,
  • ein deutscher EU-Abgeordneter der konservativen CDU
  • und noch ein deutscher EU-Abgeordneter der konservativen CDU.

Ausgesprochen ausgewogen.

Mit Dank an anonym für den Hinweis!

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Don’t Truss “Bild”

Liz Truss, bisher Außenministerin Großbritanniens, wird neue Parteichefin der Tories und damit auch britische Premierministerin. Sie setzte sich bei einer parteiinternen Abstimmung gegen ihren Konkurrenten, den früheren Finanzminister Rishi Sunak, durch. Damit folgt Truss auf Boris Johnson, der Anfang Juli seinen Rücktritt als Tory-Chef bekannt gab und gleichzeitig ankündigte, auch als Premier zurücktreten zu wollen, sobald es eine neue Parteispitze gibt. Zuvor hatten Dutzende Regierungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ihr Amt aufgegeben, auch und vor allem aus Protest gegen Johnson.

In “Bild” und bei Bild.de stellt heute Alexander von Schönburg Truss der Leserschaft vor:

Ausriss Bild-Zeitung - Boris-Nachfogerin Liz Truss - Queen muss sie zur Premierminsiterin machen

Der “Bild”-Autor hat wirklich Überraschendes herausgefunden:

Truss war eine der Tory-Rebellen, die Boris Johnson (58) im Juli gestürzt haben.

Damit weiß Alexander von Schönburg mehr über Liz Truss’ Rolle beim Sturz Boris Johnsons als Liz Truss selbst. Die sprach eine Woche nach Johnsons Rücktrittsrede von ihrer großen Loyalität gegenüber ihrem Premier:

Speaking on her relationship with Boris Johnson, Ms Truss said she was “loyal person” and remains “loyal” to him despite a series of scandals triggering mass resignation of senior ministers and parliamentary private secretaries.

“I am a loyal person. I am loyal to Boris Johnson. I supported our Prime Minister’s aspirations and I want to deliver the promise of the 2019 manifesto.”

Diese Loyalität habe sie davon abgehalten, ihr Amt als Außenministerin niederzulegen. Dass Liz Truss dieses Amt bis zuletzt unter Noch-Premier Johnson weiterführen konnte, ist vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass sie nicht zu diesen “Tory-Rebellen” gehörte. Genauso ihr Vorschlag, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufzulösen, der sich mit möglichen Lügen Johnsons gegenünber Abgeordneten beschäftigt. Und auch sonst schreiben alle nur von Liz Truss’ Treue gegenüber Boris Johnson. Alle, außer Alexander von Schönburg und “Bild”.

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“BILD ist mitgelaufen”, leider

“Wir betreiben hier keinen Elends-Tourismus, Drogenkranke werden nicht vorgeführt.”

Das sagen die zwei Männer, die in Frankfurt am Main für Interessierte eine Führung durch das Bahnhofsviertel anbieten, durch jene Gegend also, die auch und vor allem für ihre offene Drogenszene bekannt ist. Der Titel der Tour: “Crack, Koks, Heroin im Bahnhofsviertel – Warum Frankfurt auch ‘Crack-City’ heißt”.

Das Zitat der beiden stammt aus einem großen Artikel, der am vergangenen Freitag in der Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de erschienen ist. Der Ansatz, vorhandene Probleme sichtbar zu machen und die üble Situation der Drogenkranken zu thematisieren, dabei aber keinen Elends-Tourismus fördern und niemanden vorführen zu wollen, ist sehr lobenswert. Ob die “Bild”-Redaktion den gleichen Ansatz verfolgt, da haben wir allerdings Zweifel.

Bereits in der Überschrift klingt es stark nach Elends-Tourismus:

Ausriss Bild-Zeitung - Neue Tour führt in den Drogensumpf im Bahnhofsviertel - Ausflug ins Elend
Screenshot Bild.de - Neue Tour in den Frankfurter Drogensumpf - Crack, Koks, Heroin! 25-Euro-Ausflug ins Elend - Bild ist mitgelaufen

Im Artikel gibt es mehrere Fotos, auf denen Süchtige entweder gerade Drogen konsumieren oder anscheinend kürzlich konsumiert haben und nun benommen auf der Straße sitzen. Was gut ist: Die “Bild”-Redaktion hat alle Gesichter verpixelt oder so fotografiert, dass sie verdeckt sind (wobei wir vermuten, dass das nähere Umfeld der Personen sie durch andere, nicht verpixelte Merkmale trotzdem identifizieren können dürfte). Was hingegen schlecht ist und doch stark nach Vorführen von Drogenkranken aussieht: die dazugehörigen Bildunterschriften. Zu einem Foto eines Mannes, der in einem Hauseingang liegt, schreibt Bild.de beispielsweise:

Das Frankfurter Bahnhofsviertel: Elends-Gestalten, wo man hinblickt

Und noch etwas hämischer zu einem Foto eines Mannes, der offenbar zugedröhnt auf einer Treppe liegt:

Crack-Süchtiger am Ziel seiner Träume…

Einer der zwei Tour-Guides sagt gegenüber “Bild” noch: “Wir wollen eine Lanze für diese Leute brechen.” Auch das ist sehr lobenswert. Aber vielleicht sollte man dann beim nächsten Mal nicht “Bild” mit auf Tour nehmen.

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Balken für den Verdächtigen, Pixel für das Kind, nichts für das Opfer

In Hamburg läuft seit Donnerstag ein Prozess gegen einen Mann, der im Februar dieses Jahres seine damalige Lebensgefährtin erstochen haben soll. Ob der Tatverdächtige überhaupt voll schuldfähig ist, ist wegen einer möglichen posttraumatischen Belastungsstörung bislang nicht sicher.

Bild.de und die Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichten heute größer über den Prozessauftakt. Während im Text mehrere “soll”s noch die Unschuldsvermutung garantieren, gibt es auf der Bild.de-Startseite schon einen Schuldspruch:

Screenshot Bild.de - Mutter (25) seiner Tochter mit acht Stichen getötet! - Plötzlich rammte M. (35) ihr das Messer in den Hals

Sowohl online als auch in der gedruckten Zeitung zeigen die “Bild”-Medien das Gesicht des Opfers ohne irgendeine Verpixelung. Der Tatverdächtige hat einen Augenbalken verpasst bekommen. Beim Kind der beiden wurde das Gesicht von “Bild” verpixelt. Alle weiteren Unkenntlichmachungen im Screenshot oben stammen von uns.

Als Quelle des Fotos, das Bild.de auch schon im Februar verwendet hat (auch damals mit Augenbalken für den Verdächtigen, Verpixelung für das Kind, nichts für das Opfer), gibt die Redaktion “Foto: Repro:” sowie den Namen des “Bild”-Reporters an. Das ist in solchen Fällen häufig ein Hinweis darauf, dass der jeweilige Fotograf ein von Trauernden in der Öffentlichkeit aufgestelltes Bild abfotografiert hat. In einem ähnlichen Fall, nachdem “Bild” Fotos von Opfern des Germanwings-Unglücks auf einem Marktplatz abfotografiert und veröffentlicht hatte, erkannte der Deutsche Presserat darin einen Verstoß gegen den Pressekodex: Die “Bild”-Redaktion erhielt eine Rüge, weil das Aufstellen der Fotos, auch wenn es an einem öffentlichen Ort passierte, “nicht für die Medienöffentlichkeit und ohne Zustimmung der Abgebildeten oder Angehörigen” geschah.

Eine Fotoauswahl zum Protestieren

Das Meinungsforschungsinstitut INSA hat vor wenigen Tagen eine Umfrage zu den Folgen der Preissteigerungen bei den Heiz- und Energiekosten durchgeführt. Die Auftraggeberin: die Redaktion der “Bild am Sonntag”. Dort konnte man vor zwei Tagen, genauso wie bei Bild.de, die Ergebnisse nachlesen:

Und auch 65 Prozent der Menschen in Deutschland rechnen mit Massenprotesten und Unruhen im Herbst und Winter (INSA, 1001 Befragte am Freitag).

Ein Grund: 51 Prozent haben Angst, dass sie im Winter ihre Rechnung nicht mehr bezahlen können. 56 Prozent geben an, dass sich ihre wirtschaftliche Situation in diesem Jahr verschlechtert hat.

Die Bebilderung des Artikels ist online und in der gedruckten “BamS” identisch – und bemerkenswert:

Screenshot Bild.de - Wegen Energiekrise - Deutsche befürchten Massenproteste und Unruhen

Auf dem Foto zu sehen sind Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten. In der dazugehörigen Bildunterschrift steht:

Protest gegen Flüssiggas in Wilhelmshaven: Die Aktivisten besetzten die Baustelle, zeigten Transparente mit Slogans wie “Sauberes Gas ist eine Lüge”

Auch im Artikel geht es erstmal nur und ausführlich um Klima-Proteste. Erst spät (und auch nur dieses eine Mal) werden mögliche Demonstrationen von “unzufriedenen Bürgern” erwähnt:

Deutschland drohen ungemütliche Wochen und Monate! Bereits an diesem Wochenende schlugen Klima-Aktivisten zu:

► In Wilhelmshaven besetzten am Freitag mehrere Hundert Anhänger der Gruppe “Ende Gelände” die Baustelle für das geplante Terminal, worüber Deutschland ab Winter mit dem dringend benötigten Flüssiggas versorgt werden soll.

► Gestern legten etwa 400 Klima-Aktivisten den Hamburger Hafen lahm, besetzten die einzige Bahnstrecke zum Containerterminal.

Ist das nur der Anfang für einen “heißen Herbst”, in dem Klima-Aktivisten gegen Gas-Importe und die reaktivierten Kohlekraftwerke sowie unzufriedene Bürger gegen die Explosion der Energiekosten demonstrieren?

Direkt im Anschluss leitet der Text zur INSA-Umfrage über:

Vor “Volksaufständen” hatte Außenministerin Annalena Baerbock (41, Grüne) gewarnt. Und auch 65 Prozent der Menschen in Deutschland rechnen mit Massenprotesten und Unruhen im Herbst und Winter (INSA, 1001 Befragte am Freitag).

Wir haben bei INSA nachgefragt, wie die genauen Formulierungen der Umfrage lauteten, auf der der Artikel von Bild.de und “BamS” basiert. Die Antwort:

1. Erwarten Sie aufgrund der aktuellen Preissteigerungen Massenproteste bzw. soziale Unruhen in Deutschland im kommenden Herbst und Winter?
2. Hat sich Ihre persönliche wirtschaftliche Situation in diesem Jahr (eher) verbessert, (eher) verschlechtert oder ist sie in etwa gleich geblieben?
3. Haben Sie persönlich Angst, dass Sie im Winter Ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können?

In der Befragung ging es an keiner Stelle um Klima-Proteste, sondern um die Folgen “der aktuellen Preissteigerungen”. Oder anders gesagt: Die Klima-Aktivisten, die die “Bild”-Medien zeigen und über die sie schreiben, haben nichts mit den befürchteten “Massenprotesten und Unruhen” zu tun. Nur “Bild am Sonntag” und Bild.de stellen diese Verknüpfung her.

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Kurz korrigiert (538)

In ihrer Berichterstattung über das Attentat auf den Autor Salman Rushdie versucht die “Bild”-Redaktion, ihrer Leserschaft auch zu erklären, was eine Fatwa ist. In der gedruckten “Bild” erschien gestern extra ein Infokasten zum Thema:

Ausriss Bild-Zeitung - Fatwas auch gegen Frauen

Bei Bild.de ist dieselbe Erklärung im Artikel eingebaut. Im Print wie online steht unter anderem:

“Fatwas” sind zwingende Rechtsverordnungen, die in islamischen Ländern wie Gesetze gelten.

Der Journalist Yassin Musharbash bezeichnet diese Aussage bei Twitter als “eindeutig zu grobkörnig”, und wir würden ergänzen: Sie ist in ihrer versuchten Allgemeingültigkeit schlicht falsch.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung etwa schreibt zu Fatwas:

Eine fatwa ist ein Rechtsgutachten eines islamischen Rechtsgelehrten, das in Bezug auf ein bestimmtes Problem ein nicht bindendes Gutachten auf Grundlage der Quellen der Scharia darstellt.

Und auch die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt in ihrem “Kleinen Islam-Lexikon”:

Fatwa, arabisch für Rechtsgutachten, in dem der Mufti ein bestimmtes Problem unter Berücksichtigung des islamischen Rechts beantwortet. Das Gewicht eines derartigen Gutachtens beruht grundsätzlich auf der persönlichen Autorität seines Ausstellers. Die vertretene Rechtsauffassung ist deshalb im Unterschied zu einem Gerichtsurteil nur für denjenigen bindend, der diese Autorität anerkennt.

Im sunnitischen Islam ist es beispielsweise möglich, dass jemand eine Fatwa einholt und, sollte er damit nicht zufrieden sein, den nächsten Mufti konsultiert. Die Unterscheidung zwischen der Bedeutung von Fatwas im sunnitischem beziehungsweise im schiitischem Islam fehlt bei “Bild” gänzlich. Sie ist auch keine Marginalie. Es gibt mehrere Länder, in denen der sunnitische Islam Staatsreligion ist; außerdem gehören die in Deutschland lebenden Muslime mehrheitlich dem sunnitischen Islam an.

Es gibt Fatwas zum Thema Beten, Fatwas zum Fasten, Fatwas zum Rauchen, Fatwas zu ganz alltäglichen Fragestellungen, aber eben auch Tötungsaufrufe wie im Fall von Salman Rushdie. Dazu schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung:

Der Tötungsaufruf gegen den Schriftsteller Salman Rushdie wurde vom damaligen Ayatollah Khomeini in Form einer Fatwa erlassen. Die große Beachtung, die dieser Aufruf fand, rührte daher, dass Khomeini zu Lebzeiten eine hohe Stellung im schiitischen Islam einnahm.

Das kommt durch die Autorität Khomeinis im Iran sicherlich schon an eine gesetzesähnliche Bedeutung heran. Aber das gilt eben nicht, wie “Bild” es darstellt, für alle Fatwas überall. So kann es verschiedene Fatwas zur selben Frage geben, die sich inhaltlich widersprechen. Wären diese dann “zwingende Rechtsverordnungen, die in islamischen Ländern wie Gesetze gelten”, wäre das bei der praktischen Umsetzung ausgesprochen schwierig.

Gesehen bei @abususu.

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Gibt es bei “Bild” einen Zwang, in der Mittagspause Weißwurst zu essen?

Nein, gibt es nicht. Aber fragen kann man ja mal, auch wenn man es eigentlich besser weiß. So, wie hier:

Screenshot Bild.de - Live im Fernsehgarten - Deutet Andrea Kiewel hier Genderzwang im ZDF an?

… titelte die “Bild”-Redaktion gestern groß auf der Bild.de-Startseite. Zuvor sprach Moderatorin Andrea Kiewel im ZDF-“Fernsehgarten” von “Singer-Songwriter*innen”, also mit Gender-Pause. Und sagte anschließend mit Blick ins Publikum: “Nicht das Gesicht verziehen. Ich muss.”

Da war natürlich was los in den Sozialen Netzwerken: Schreibt das ZDF etwa das Gendern vor? Und auch Bild.de fragte auf der Startseite empört mit. Dabei weiß die Redaktion zu diesem Zeitpunkt schon längst, dass es einen derartigen “GENDERZWANG” nicht gibt – es steht eindeutig im dazugehörigen Artikel:

BILD fragte nach. Das ZDF dementierte: “Es gibt keine Anweisung zum Gendern im ‘ZDF-Fernsehgarten’. Andrea Kiewel ist es ein persönliches Anliegen, alle anzusprechen, daher verwendete Sie die Formulierung ‘Singer- und Songwriter*innen’ im Zusammenhang mit ‘muss’.”

Gegenüber BILD stellte Kiewel am Sonntag klar: “Niemand, nicht das ZDF und sonst auch niemand, sagt mir, dass ich gendern muss. Ich benutze den männlichen und weiblichen Plural schon seit langer Zeit, weil ich es unbedingt will und es mir sehr wichtig ist. Es liegt mir am Herzen. Und so meinte ich es auch in der Live-Sendung. Kann schon mal vorkommen, dass in einer zweistündigen Live-Sendung nicht jedes Wort maßgeschneidert passt. Aber es ist so. Ich will es. Ich muss es nicht.”

Kiewel trotzig: “Alles, was ich sage oder schreibe, mache ich aus tiefster Überzeugung. So bin ich. Eine Frau, der das -innen am Herzen liegt. Aber auch wichtig: Jeder soll es so machen, wie er oder sie es für richtig hält.”

Aber fragen (und auf der Wutwelle mitsurfen und so Klicks einsammeln) kann man ja mal.

Auf der Titelseite der heutigen “Bild”-Zeitung versucht die Redaktion übrigens noch einmal, möglichst zweideutig zu berichten:

Ausriss Bild-Titelseite - Andrea Kiewel über ihre Gender-Sprache im Fernsehgarten - Ich muss

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“Freiheit für die Ukraine”, Trikotverkäufe für “Bild”

“Der Ball rollt, der Rubel rollt – aber jetzt rollen auch die Panzer”, schreibt “Bild”-Sportchef Walter M. Straten heute und meint damit die Sponsoringtätigkeiten des staatlich kontrollierten, russischen Erdgaskonzerns Gazprom im Fußballgeschäft. Unerträglich sei das, so Straten: “Wir müssen im TV zur Champions-League-Hymne die Werbung von Gazprom sehen, während Putins Truppen in die Ukraine einmarschieren.”

Und da ist ja nicht nur die Champions-League-Hymne. Seit vielen Jahren ist Gazprom auch Trikotsponsor des FC Schalke 04. Walter M. Straten: “Wir werden die Schalker in ihren Gazprom-Trikots erleben, so als wäre der Konzern ein ganz normaler Werbepartner seit 2007 – und nicht ein Finanzier der russischen Staatsmacht. Damit auch des Krieges.” “Bild” fordert daher:

 Kein Schalker Trikot mit dem Gazprom-Schriftzug. Klebt ihn einfach ab. Das wäre ein starkes Symbol.

Während der FC Schalke 04 und der Fußballverband Uefa laut Straten aber jetzt schon versuchen, sich mit “verlogenen”, “pflaumenweichen Erklärungen herauszuwinden”, macht “Bild” bei der ganzen Sache nicht mehr mit:

BILD macht bis auf Weiteres Schluss mit Putins Trikot-Werbung!

Wir überkleben das Logo in der Zeitung und im Internet mit der Forderung: Freiheit für die Ukraine!

Das verkündet die Redaktion heute öffentlichkeitswirksam in der Zeitung:

Ausriss Bild-Zeitung - Russland-Einmarsch in der Ukraine - Bild macht Schluss mit Putns Werbung

Und online bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Bild macht Schluss mit Putns Werbung

Das ist konsequent. Geht es hingegen ums Geldverdienen, ist “Bild” nicht so konsequent.

Im auf der Bild.de-Startseite verlinkten, Springer-eigenen “BILD SHOP” kann man zwischen “Volks-Akku” und Blumenzwiebeln auch Fußballtrikots kaufen. Unter anderem diese hier:

Screenshot Bild-Shop - Es ist ein Angebot für ein Schalke-Trikot mit dem Trikotsponsor Gazprom zu sehen

In seinem flammenden Appell schreibt Walter M. Straten: “Wenn Putin das Nachbarland überfällt und ihm jedes Existenzrecht abspricht, ist jede Grenze überschritten! Der Fußball kann nicht ungerührt weiter kassieren, solange Putin Krieg führt.” Der Springer-Verlag offenbar schon.

Mit Dank an Christian für den Hinweis!

Nachtrag, 12:10 Uhr: Der Springer-Verlag hat die Schalke-Trikots mit der Gazprom-Werbung nun aus dem Shop genommen.

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