In Kroatien, in Montenegro, in Griechenland, in Italien, in Frankreich und in Portugal gibt es derzeit heftige Waldbrände. Die Feuer bedrohen viele Menschen, ihre Häuser und Existenzgrundlagen. In der Nähe von Neapel soll ein Mann in den Flammen ums Leben gekommen sein.
Auch die “Bild”-Medien berichten über die Brände. Doch ihre Mitarbeiter interessieren sich nur am Rande für die Einwohner der betroffenen Länder. Es geht ihnen nicht um die tragische Situation der Menschen vor Ort, um deren Probleme und Überlebenskampf. Auf der Bild.de-Startseite geht es um “uns”, die deutschen Urlauber:
Der dazugehörige Artikel beginnt so:
Wald- und Buschfeuer schrecken Touristen in vielen Urlaubsregionen Europas auf. In mehreren Ländern gibt es Wald- und Buschbrände, in Italien starb ein Mann auf der Flucht vor den Flammen, Badegäste flohen vor den Rauchwolken.
Neu ist in diesem Jahr, dass die “Bild”-Redaktion ihre Leser — statt ihnen zu raten, möglichst schnell das Weite und einen sicheren Ort zu suchen — munter auffordert, “Urlaubsfotos aus der Flammenhölle” aufzunehmen und ihr zu schicken:
WERDEN SIE ZUM LESER-REPORTER!
Sind auch Sie im Urlaub und von der Flammenhölle betroffen? Schicken Sie uns Ihre Fotos! Die 1414-Redaktion will IHR exklusives Foto und zahlt bis zu 250 Euro.
Laden Sie Ihre Fotos und Videos HIER hoch oder mailen Sie diese an [email protected].
… vorausgesetzt, Sie überleben Ihren Einsatz als “LESER-REPORTER”.
Das Traurige an der ganzen Sache: Die Leute machen auch noch mit. “Bild” und Bild.de präsentieren heute die ersten Einsendungen ihrer tapferen Feuerfotografen:
Gestern hat der Bundestagswahlkampf richtig begonnen. Denn seit gestern steht auch das Wahlprogramm der “Bild”-Zeitung. Ja, doch, richtig gelesen: Die “Bild”-Zeitung hat jetzt auch ein Wahlprogramm:
Die Redaktion schreibt zu ihrer Aktion:
In zehn Wochen hat Deutschland die Wahl. CDU-Merkel oder SPD-Schulz? Kommen AfD und FDP in den Bundestag? Was wird aus Grünen und Linkspartei? Die Parteien bitten die Bürger um Vertrauen. Werben für ihre politischen Pläne. Aber die Programme bleiben seltsam blass. Darum erscheint heute das BILD-Wahlprogramm: mit Punkten, die besonders wichtig für Deutschland sind — und mit vielem, das die Parteien sich nicht trauen zu fordern oder erst gar nicht ansprechen. BILD ist keine Partei — aber das BILD-Wahlprogramm soll zeigen, worum es gehen muss bei der Bundestagswahl am 24. September.
Fast auf einer kompletten Doppelseite präsentiert “Bild” die Punkte, “die besonders wichtig für Deutschland” sein sollen:
Die einzelnen Themenschwerpunkt sind immer gleich aufgebaut: Das empörte “ES KANN DOCH NICHT SEIN …” leitet alles ein. Dann folgt eine These, die “Bild” als Tatsache verkauft. Und ein Satz, der mit “Darum” anfängt, erklärt, wie alles besser werden kann.
So sieht das dann zum Beispiel aus:
Schaut man sich die 25 Wahlprogrammpunkte an, stellen sich einem gleich mehrere Fragen. Etwa: Warum fordert “Bild” etwas, das längst beschlossen ist?
Man fragt sich auch — vorausgesetzt, es handelt sich um ein ansatzweise ernst gemeintes Gesamtpaket von “Bild”: Hat irgendjemand an eine mögliche Finanzierung gedacht? Oder sind das alles nur platte populistische Parolen? Die “Bild”-Redaktion ist sonst immer vorne mit dabei, wenn Politiker und Parteien für realitätsferne Wahlversprechen kritisiert werden. Erst heute bezeichnete sie Martin Schulz’ “Chancen-Konto” als “heiße Luft”, auch weil es “schlicht unbezahlbar” sein könnte. Wenn sie aber selbst mal ein Wahlprogramm aufstellt, scheint alles auf einmal möglich: “Bild” fordert eine staatliche Entschädigung für jeden, bei dem mehr als einmal eingebrochen wurde. “Bild” fordert kostenlose Klassenfahrten für alle Schüler in Deutschland. “Bild” fordert deutschlandweite Vollversorgung mit Breitband-Internet. “Bild” fordert eine kostenlose Nachbesserung für jedes Euro-5-Diesel-Auto. “Bild” fordert mehr Richter und Ermittler. “Bild” fordert einen Rechtsanspruch auf Ganztags-Betreuung für Grundschüler. “Bild” fordert einen staatlich finanzierten Aufschlag auf die Rente, wenn Rentner sich freiwillig engagieren. “Bild” fordert Erklär-Sprechstunden im Finanzamt. “Bild” fordert mehr Material für die Bundeswehr. “Bild” fordert mindestens 20.000 zusätzliche Polizisten. “Bild” fordert aber auch Steuer-Rückerstattungen.
Vor allem aber fragt man sich: Haben an dem “Bild”-Wahlprogramm Vertreter der AfD mitgeschrieben? Nur ein paar Beispiele: Asylsuchende und Zuwanderer sollen sich “nach unseren Regeln richten”. Burka-Verbot für hier lebende Menschen. Ausreisepflicht für Touristinnen in Burka. Flüchtlingsströme aus Afrika stoppen. “GEZ-Gebühren” kürzen. Ein dreimonatiger “Dienst am Gemeinwesen”, um “dem eigenen Land zu dienen”.
Und die AfD? Die jubelt angesichts dieser gestern millionenfach gedruckten Steilvorlage durch “Bild”. Die Bundespartei twittert:
Auch der Berliner Landesverband findet die “Bild”-Aktion ganz toll:
Und Uwe Junge, Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Rheinland-Pfalz, scheint ganz erleichtert zu sein, nachdem er schon so lange auf die Schützenhilfe durch “Bild” gewartet hat:
In Deutschland kann es gefährlich sein, einen Namen zu haben. Denn es gibt die “Bild”-Medien, und denen reicht manchmal schon ein Name, um eine lebendige Person zur getöteten Person zu erklären.
Am vergangenen Mittwoch berichteten die “Bild”-Print-Ausgabe aus Sachsen-Anhalt und Bild.de von einem SEK-Einsatz in Thale. Ein Mann hatte Familienmitglieder bei einem Streit mit einer Waffe bedroht und verschanzte sich anschließend in seinem Zimmer. Das SEK stürmte die Wohnung. Der Mann schoss auf die Einsatzkräfte, traf einen von ihnen. Die Beamten schossen zurück. Der Mann starb.
Das Sachsen-Anhalt-Team von “Bild” brachte am nächsten Tag einen großen Artikel über den “Kalaschnikow-Mann”:
Die Unkenntlichmachung beim Foto des Mannes oben rechts stammt von uns. “Bild” druckte es ohne jegliche Verpixelung oder Augenbalken und schrieb dazu:
Feuerte auf das SEK: Daniel H. (28). Jetzt ist er tot
Als “Quelle” gab “Bild” “FACEBOOK” an.
Das Problem dabei: Auf dem Foto ist tatsächlich Daniel H. zu sehen, aber ein anderer Daniel H. Der Mann, den “Bild” und Bild.de zeigten, heißt nur zufällig genauso wie der “Kalaschnikow-Mann”. Er hatte aber nie etwas mit einem SEK-Einsatz zu tun und ist völlig lebendig.
Die Mitarbeiter der “Bild”-Medien bemerkten später auch, dass da etwas nicht stimmt. Sie veröffentlichten online und in der Print-Ausgabe jeweils eine “Richtigstellung”:
Nicht auf Anhieb gefunden? Dort oben rechts hat sie sich versteckt hat “Bild” sie versteckt:
Vor der Veröffentlichung des Fotos des falschen Daniel H. hat die “Bild”-Redaktion übrigens vergessen, diesen internen Hinweis zu löschen:
Wir hätten auch noch eine Bitte an die Fotosammler der “Bild”-Medien: Lasst eure Internet-Beutezüge doch endlich mal sein. Ihr langt dabei zuoftdaneben.
Seit gestern läuft die Frauen-Fußball-Europameisterschaft, und jetzt gerade bestreitet auch das deutsche Team sein erstes Spiel. Bei Bild.de gab es heute, als eine Art Einstimmung auf das Turnier, schon mal einen Überblick mit den schönsten Spielzügen der vergangenen Wettbewerbeden schönsten Toren aller Zeiten den schönsten Bikini-Fotos der Teilnehmerinnen:
Vor allem bei Instagram zeigen sich die Stars der Frauen-EM von ihrer ganz privaten Seite — und die kann sich sehen lassen!
Ohne Trikot, Stutzen und Fußballschuhe setzen die Mädels auf Bikinis, Kleider und Highheels. BILD zeigt das Instagram-Album der besten Fußballerinnen Europas. Das sind die schönsten Seiten der Frauen-EM!
Die Bild.de-Mitarbeiter hätten zum Start eines solchen Turniers nun wirklich über so vieles berichten können, selbst wenn sie sich mal nur aufs Sportliche beschränkt hätte. Stattdessen haben sie lieber auf Klischees, Bikinis, Kleider und High Heels gesetzt.
Ach, und wo wir schon bei eurer Berichterstattung zur Frauen-Fußball-EM sind, liebe Bild.de-Strandfiguren, eine kleine Anmerkung: Auf diesem Foto …
… sind nicht Anja Mittag und Linda Dallmann zu sehen, sondern Anja Mittag und Leonie Maier.
Die Aufnahme stammt aus einem Artikel mit der Überschrift:
Wie wäre es für den Anfang mit etwas mehr Respekt für ihre Leistungen auf dem Platz, eine Bewertung nach sportlichen Gesichtspunkten und etwas weniger vom üblichen “Bild”–Frauenbild, dem der Sabber aus dem Mundwinkel läuft?
Mit Dank an Dirk, Mark L., Timo W., Lukas H. und @JanisHue für die Hinweise!
Am Samstag ließ die Redaktion Dampf ab — ihr war nämlich aufgefallen, dass im Supermarkt alles, was mit Milch zu tun hat, in letzter Zeit teurer geworden ist:
Diese Preise sind echt gebuttert! Quark, Sahne und Milch sind im letzten Jahr um ein Viertel teurer geworden, Butter sogar um knapp 60%!
Ein Experte erklärt in dem Artikel, dass “‘die Zahl der Milchbetriebe und der Kühe'” zurückgegangen sei, daher sinke auch die Milchmenge. “Zudem steige die Nachfrage, insbesondere für die Käse-Erzeugung”, erklärt “Bild” dann noch.
Folge: Die Bauern bekommen von den Molkereien inzwischen 33,3 Cent/kg Kuhmilch, zehn Cent mehr als vor einem Jahr.
“Vor einem Jahr” ist ein gutes Stichwort. Im Mai 2016 schrieben die “Bild”-Medien von der “MILCH-SAUEREI” und berichteten über den historisch niedrigen Milchpreis:
Er fällt und fällt und fällt: Der Milchpreis ist bundesweit auf ein Rekordtief gefallen! Molkereien zahlen den Bauern zum Teil nur noch 19 Cent je Kilogramm — so wenig wie nie!
Und sie zeigten, wie hoch der Milchpreis sein müsste, damit sich das Melken überhaupt lohnt:
Wegen eines Überangebots sind aktuell die Milchpreise in ganz Europa im Keller. Um kostendeckend wirtschaften zu können, brauchen deutsche Milchbauern im Schnitt etwa 40 Cent je Kilogramm. Dieser Stand wurde zuletzt 2014 erreicht. Oft geraten gerade jene Bauern in Existenznot, die noch “glückliche Kühe” auf der Weide haben.
14 Monate später interessiert die “Bild”-Medien all das überhaupt nicht mehr. Dass “33,3 Cent/kg Kuhmilch” immer noch weniger sind als “40 Cent je Kilogramm” scheinen die Redakteure bei all ihrem Ärger am Kühlregal übersehen zu haben.
Winfried Bausback hat dann offenbar noch einmal darüber nachgedacht, ob es wirklich so toll ist, wenn Zeitungsredaktionen oder Privatpersonen oder sonst wer, der nicht zur Exekutiven des Landes zählt, öffentliche Fahndungsaufrufe in Umlauf bringt. Knapp zwei Tage nach seinem ersten Posting zum Thema schreibt er:
Die Aussage eines bayerischen Justizministers soll “in so einer Debatte” laut Julian Reichelt ja “auch nicht ganz irrelevant” sein.
Während und nach den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg gab es einige Festnahmen. Unter anderem wurden 13 Personen in der Nacht von Freitag auf Samstag von der Polizei in Gewahrsam genommen, weil man sie verdächtigte, von einem Hausdach Steine und einen Molotow-Cocktail auf Polizisten geschmissen zu haben.
Diese 13 Personen sind nun alle wieder frei. Und die “Bild”-Medien “wütend”:
Jetzt sind alle — elf Männer und zwei Frauen – wieder frei. Das macht wütend!
Begründung: Die Personen wurden zwar vor Ablauf der Frist zum Gericht gebracht — doch es blieben den Richtern nur zweieinhalb Stunden für Vernehmungen. Teilweise wurden Dolmetscher benötigt. Fünf kamen nicht rechtzeitig dran, mussten freigelassen werden. Den anderen konnten bislang keine konkreten Taten nachgewiesen werden.
Man kann das Ganze noch etwas detaillierter aufschlüsseln, so wie es “Spiegel Online” zum Beispiel getan hat:
Eine Verlängerung der Ingewahrsamnahme scheiterte demnach in fünf Fällen daran, dass die Polizei die 13 Anträge hierfür so kurzfristig einreichte, dass die hoch belastete Nebenstelle des Amtsgerichts Hamburg nicht mehr rechtzeitig vor Ablauf der Frist eine Entscheidung darüber habe treffen können.
In vier Fällen habe mangels Anhaltspunkten für die Beteiligung an den Gewalttaten die Freilassung angeordnet werden müssen. In weiteren vier Fällen sei die Ingewahrsamnahme bis zum Sonntag beziehungsweise Montag verlängert worden, dann waren auch diese Personen freigekommen.
Acht der 13 Personen konnte also keine konkrete Straftat zugeordnet werden, die anderen fünf wurden aus Zeitmangel nicht überprüft.
Das macht die Leute bei “Bild” und Bild.de also “wütend”: Dass man Personen, bei denen man aktuell nicht sicher sagen kann, dass sie irgendetwas Illegales getan haben, nicht einfach wegsperrt.
Manchmal gibt es ja Versuche, mit “Bild”-Chef-Chef Julian Reichelt zu diskutieren. Der US-Journalist Glenn Greenwald hat das zum Beispiel mal probiert. Genauso Rafael Buschmann vom “Spiegel”. Die Erkenntnisse aus diesen Diskussionen halten sich in der Regel in Grenzen, und häufig scheint das Ganze auch daran zu scheitern, dass Julian Reichelt sich in Logiken bewegt, die für andere Personen schlicht nicht zugänglich sind.
Es ging um die von “Bild” initiierte G20-“Verbrecher”-Fahndung. Moderator Volker Wieprecht sagt zu Reichelt, dass es ja Kritik gebe, dass seine Redaktion sich “zur Polizei, zum Staatsanwalt und zum Richter in einer Person” mache und damit illegal handele.
Der “Bild”-Oberchef antwortet:
Ja, das ist natürlich völliger Quatsch. Also weder zur Polizei noch zum Staatsanwalt noch zum Richter, weil wir ja nicht fahnden, das können wir nicht, weil wir nicht anklagen, das wollen wir nicht und das können wir nicht, wie es ein Staatsanwalt tun würde, und weil wir nicht urteilen, wie es ein Richter tun würde.
Bleiben wir erstmal bei Reichelts Wahrnehmung, dass “Bild” nicht fahnde. Seine Antwort auf die Vorwürfe, die Wieprecht nennt, geht noch weiter:
(…) und weil wir nicht urteilen, wie es ein Richter tun würde. Der bayerische Justizminister zum Beispiel, der ja in so einer Debatte auch nicht ganz irrelevant ist, sieht das anders und schreibt auf Facebook: “Der Fahndungsaufruf von ‘Bild’ ist meiner Meinung nach zu begrüßen und nicht zu kritisieren. Es besteht ein hohes Interesse der Gesellschaft, die linksradikalen Extremisten zu finden.” Und: “Warum soll die freie Presse hier nicht zur Aufklärung beitragen?”
Reichelt schmückt sich mit einem Lob des bayerischen Justizministers für eine Fahndungsaktion, die es gar nicht gibt, weil “Bild” ja überhaupt nicht fahndet. Urgh.
Die Aussage, dass “Bild” nicht urteile, ist mindestens genauso überraschend. Nur zur Erinnerung: Die Titelseite des Blatts sah am Montag so aus:
(Unkenntlichmachungen durch uns.)
“Wer kennt diese G20-Verbrecher?” steht dort. Es steht dort nicht: “Wer kennt diese Menschen, bei denen wir die Vermutung haben, dass sie eine Straftat begangen haben?” Oder, noch etwas zurückhaltender: “Wer kenn diese Menschen auf den Fotos?” Die “Bild”-Medien haben beim Verfassen der Titelzeile bereits geurteilt: Hier handelt es sich um “Verbrecher”. Sie haben auf Gerichtsentscheidungen gepfiffen. Sie haben auf die Unschuldsvermutung gepfiffen. Sie haben auf Rechtsstaatlichkeit gepfiffen.
Julian Reichelt hat sowieso, auch das zeigt sein Interview mit “radioeins”, eine mitunter sehr eigenartige Rechtsauffassung. Als Moderator Volker Wieprecht sagt, dass es “ja das Recht am eigenen Bild” gebe, “das da offensichtlich verletzt wurde”, entgegnet Reichelt:
Naja, das Recht am eigenen Bild ist dann verletzt, wenn der Betroffene sich in seinem Recht verletzt fühlt und das zur Anzeige bringt. Alle Betroffenen, die wir gezeigt haben, habe ich öffentlich auf Twitter eingeladen, dieses Recht geltend zu machen und sich an uns, an “Bild” zu wenden, gerne an mich persönlich, und zu sagen: “Hier ist mein Recht am eigenen Bild verletzt. Mein Name ist soundso. Und ich möchte dieses Recht am eigenen Bild gerne einfordern.” Wir werden das dann hier prüfen und wir werden Daten, die uns dann übermittelt werden an die Polizei weiterreichen, und dann kann entschieden werden.
Julian Reichelt wird nicht ernsthaft selber glauben, dass eine Rechtsverletzung erst dann eine Rechtsverletzung ist, wenn derjenige, dessen Recht verletzt wurde, sich dagegen wehrt. Mit so viel Doofheit wäre er nicht in die Position gekommen, in der er sich aktuell befindet.
Seine Aussage verdeutlicht aber das ekelige Kalkül hinter der ganzen “Bild”-Aktion: Wo kein Kläger, da kein Richter. Es geht nicht darum, sauber zu arbeiten. Es geht darum, sauber aus der Sache rauszukommen.
Peinliches Eigentor bei der irischen Zeitung “Sport Herald”!
Das Blatt titelt in seiner heutigen Ausgabe mit der Zeile “Lukaku is ready for work” (zu deutsch: Lukaku ist bereit für die Arbeit). Gemeint ist der Wechsel des belgischen Torjägers vom FC Everton zu Manchester United. Dafür hat das Blatt den Kicker schon mal in die Trainingsklamotten von ManU montiert.
► Problem: Es ist nicht Romelu Lukaku (24)! Die Iren-Zeitung nahm fälschlicher Weise ein Foto des Rappers Stormzy (23).
Wo fangen wir an, liebe Bild.de-Korrektoren? Vielleicht damit, dass die Zeitung, über die ihr schreibt, nicht “Sport Herald” heißt, sondern “The Herald”. Es stimmt zwar, dass über dem vermeintlichen Lukaku-Foto “SPORT Herald” steht …
… aber das auch nur, weil es sich um die Rückseite des “Herald” handelt, auf der die Sportgeschichten der Ausgabe angekündigt wurden.
Außerdem liegt ihr mit eurer Aussage daneben, dass es sich um die “heutige Ausgabe” handelt. Euer Artikel ist gestern, am 11. Juli, erschienen. Der “Herald”-Artikel stammt vom 10. Juli, was man ohne große Probleme anhand des Datums auf der Seite erkennen kann.
Und dann stimmt es auch nicht, dass “The Herald” irgendjemanden “in die Trainingsklamotten von ManU montiert” habe. Ja, die Redaktion hat die falsche Person abgebildet. Aber das Foto des Rappers Stormzy in einer Trainingsjacke von Manchester United gibt es tatsächlich. Es dürfte aus einem Interview mit der Fußballseite “SoccerBible” vom 13. Mai 2016 stammen.
Mal abgesehen von diesen kleineren Fehlern eurerseits ist es natürlich schon ziemlich “peinlich”, wenn eine Redaktion zwei Personen verwechselt. Man stelle sich nur mal vor, dass sie den Fußballer Mario Balotelli zeigt und gleichzeitig schreibt, dass es der Fußballer Paul Pogba sei.
Was übrigens alles andere als “peinlich” ist: Wie das Team von “The Herald” mit dem Fauxpas umgegangen ist. Noch am selben Tag wie die Lukaku-Verwechslung veröffentliche es auf der eigenen Internetseite eine Entschuldigung:
Hands up, we got it badly wrong.
Earlier, we made an error with a picture of Romelu Lukaku that wasn’t him. It was Stormzy.
To be honest, we are totally embarrassed and want to say sorry to all involved and our readers for the error. We will keep our eye on the ball in future.
Bild.de wählt in solchen Situation — wenn überhaupt etwas berichtigt wird — lieber den Weg der stillen Korrektur.
Auch für Idioten gilt die Unschuldsvermutung. Auch Idioten müssen sich keine Vorverurteilung gefallen lassen. Auch Idioten sind nicht gleich “Verbrecher”, nur weil jemand ein Foto von ihnen gefunden hat, aus dem man ableiten könnte, dass sie eine Straftat begangen haben. Auch Idioten haben Persönlichkeitsrechte. Auch Idioten haben ein Recht am eigenen Bild.
Wir schreiben das so deutlich, weil die “Bild”-Redaktion das alles anders zu sehen scheint:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns. Bei “Bild” und Bild.de waren die Gesichter aller Personen zu erkennen.)
So sah gestern die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus. Die Fahndung nach den “G20-Verbrechern” erstreckte sich auch aufs Internet, prominent platziert bei Bild.de:
Insgesamt 18 Personen, die am vergangenen Wochenende irgendwas in Hamburg gemacht haben sollen, haben die “Bild”-Medien an den Pranger gestellt, mit vergrößerten Gesichtern und der Beschreibung von besonderen Merkmalen. Manche von ihnen sind beim Werfen eines Steins zu sehen, manche beim Tragen eines Steins. Eine Frau ist kurz davor, eine leere Cola-Flasche wegzuschleudern. Eine andere hat zwei volle Flaschen Kindersekt unter den Arm geklemmt. Was die Leute davor gemacht haben oder danach, wohin die Steine und Flaschen fliegen, die sie in den Händen halten, ob sie bei manchen überhaupt fliegen oder nicht doch wieder fallen gelassen werden — nichts davon ist bekannt, und nichts davon lösen “Bild” oder Bild.de auf.
Das alles ist gleich aus mehreren Gründen mindestens problematisch, teilweise wohl auch rechtswidrig. Es fängt an mit der Vorverurteilung durch die “Bild”-Medien. Bereits in der Titelzeile steht fest, dass es sich um “Verbrecher” handele (wobei schon das Wort “Verbrecher” falsch ist, weil es sich erst dann um ein Verbrechen handelt, wenn die Mindestfreiheitsstrafe ein Jahr beträgt, etwa bei Mord oder schwerer Körperverletzung, nicht aber bei schwerem Landfriedensbruch — dort spricht man von einem Vergehen). Die Unschuldsvermutung, die für jeden Menschen gilt, gilt nicht bei “Bild”. Während man normalerweise erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung ein Straftäter ist, reicht für die Redaktion schon eine Momentaufnahme, um ein Urteil zu sprechen. Ein möglicher Kontext ist dabei völlig egal.
Und das ist dann auch schon das nächste Problem: Die “Bild”-Medien nehmen Rollen ein, die nichts mehr mit der normaler Berichterstatter zu tun haben. In guten Momenten werden Medien zur vierten Gewalt, weil sie die drei anderen Gewalten — Legislative, Exekutive und Judikative — überwachen. “Bild” reicht das offenbar nicht mehr. Stefan Niggemeier schreibt bei “Übermedien” dazu:
Die Zeitung übernimmt die Rolle des Fahnders, und sie maßt sich dabei gleichzeitig die Rolle des Richters an. Ihr Urteil über die Menschen, nach denen sie öffentlich fahnden lässt, ist schon gefällt, und ein Teil der Strafe in Form des öffentlichen Prangers schon vollstreckt.
Dass “Bild” überhaupt öffentlich nach Personen fahndet, sei “klar rechtswidrig”, sagt Dr. Marcel Leeser, Medienanwalt bei der Kölner Kanzlei “Höcker Rechtsanwälte”:
Öffentliche Fahndungsaufrufe müssen immer durch einen Richter angeordnet werden. Sie sind nur zulässig bei Straftaten von erheblicher Bedeutung. Nur in Notfällen dürfen auch Staatsanwaltschaft und Polizei die öffentliche Fahndung anordnen. Keinesfalls dürfen Private oder Medien im Alleingang Menschen zur Fahndung ausrufen.
Und dann gibt es noch das Recht am eigenen Bild. “Fotos von Demonstrationen oder der Begehung von Straftaten können zwar in vielen Fällen veröffentlicht werden”, sagt Leeser. Die Art und Weise, wie der “Bild”-Medien die Fotos präsentieren, mit Zoom auf die Gesichter, verletzte “aber eindeutig deren Recht am eigenen Bild.”
“Bild” und Bild.de tun den abgebildeten Personen Unrecht. Ohne dass je ermittelt wurde, was diese tatsächlich getan haben, stellen sie sie an den Pranger. Gerade erst am vergangenen Wochenende, ebenfalls aufgrund von Berichten über die Geschehnisse rund um den G20-Gipfel, konnte man sehen, wie das Missachten der Unschuldsvermutung nach hinten losgehen kann. Bild.de schrieb am Freitag über einen Böller, der vor einem Polizisten explodiert ist. Dazu veröffentlichte die Redaktion dieses im Original unverpixelte Foto:
Im Artikel steht dazu:
Auf einem der zahlreichen Randale-Bilder vom Freitag ist zu sehen, wie einer der Tausenden G20-Chaoten vor einem Beamten steht, der schwer verletzt in die Knie geht – der Mann hat dem Polizisten kurz zuvor einen Böller direkt ins Gesicht geworfen!
Das stimmt allerdings gar nicht. Der Mann, der auf dem Foto zu sehen ist, hat mit dem Böllerwurf nichts zu tun. Die Hamburger Polizei griff — auch wegen des Bild.de-Berichts — bei Twitter ein, weil man “einen Unschuldigen vor einer ‘Online-Hetzjagd’ schützen” wolle:
Bild.de fügte der Bildunterschrift später die Information hinzu, dass der Böller-Werfer nicht auf dem Foto zu sehen sei. Gelernt haben die “Bild”-Medien aus diesem Fall aber offenbar nichts, wie die Titelseiten von Montag eindrucksvoll zeigt.
Die “GESUCHT!”-Aktion hat bereits konkrete Folgen. Heute meldete “Bild” — sicher nicht ohne Stolz — auf der Titelseite: “GESTELLT!”, nachdem sich einer der Abgebildeten bei der Polizei gemeldet hat:
Max Hoppenstedt schreibt bei “Vice”, dass es auch erste Kopfgelder gibt, die von rechten Internetseiten ausgelobt wurden, auf Grundlage der bei der “Bild”-Fahndung gedruckten Fotos.
Stefan Koldehoff sieht beim “Deutschlandfunk” “die Unabhängigkeit der Presse” durch die “Bild”-Zeitung “massiv beschädigt”:
Ohne damit die Hamburger Gewalttäter auch nur ansatzweise verstehen und verteidigen zu wollen: Wer sich so verhält, wie es die “BILD-Zeitung” heute tut, bestärkt all jene, die in Medien ohnehin nur den verlängerten Arm des Staates – die angebliche “Staatspresse” — sehen. Und das kann ernsthaft niemand wollen. Die Unabhängigkeit der Presse hat “BILD” heute massiv beschädigt.
Und Medienanwalt Ralf Höcker weist im Interview mit “Meedia” darauf hin, dass die Vorverurteilung durch “Bild” und der mediale Pranger sich bei einem möglichen Strafverfahren gegen die abgebildeten Personen auf das Strafmaß auswirken könnte:
Mit ihrer journalistischen Amtsanmaßung machen die Chefredakteure Julian Reichelt und Tanit Koch es am Ende alles nur noch schlimmer. Sie tun möglicherweise Unschuldigen unrecht und sorgen gleichzeitig dafür, dass tatsächliche Täter mit einer geringeren Strafe davonkommen.
Trotz all dieser Bedenken findet “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch die Aktion ihrer Zeitung völlig in Ordnung. Sie beruft sich bei ihrem Urteil auf die “Vedachtsberichterstattung”:
Nun bedeutet “Verdachtsberichterstattung” eigentlich, dass man besonders zurückhaltend berichtet und extra kenntlich macht, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt. “Bild” macht das exakte Gegenteil und spricht von “Verbrechern”. Entweder weiß Tanit Koch nicht, was “Verdachtsberichterstattung” bedeutet. Oder sie stellt sich extra blöd. Egal wie — es wäre recht traurig.