“Bild”-Überschrift ging in die Hose

In Wien hatte am Dienstag ein mit einer Spielzeugpistole bewaffneter Mann eine Bawag-Bank überfallen, Geiseln genommen, mehrfach telefonisch mit der Polizei verhandelt, zwischenzeitlich Zigaretten und Cola geordert, nach mehreren Stunden aufgegeben und sich festnehmen lassen. Auch “Bild” berichtete darüber (siehe Ausriss):

"Hier hat sich ein Geisel-Gangster vor Angst in die Hose gemacht"

Und es stimmt: Der Täter hatte sich offenbar, kurz bevor er aufgab, “in die Hose gemacht” — jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht “vor Angst”, wie “Bild” behauptet. Denn auch wenn man es kaum fassen kann: Arpad Hagyo, ein Journalist der Tageszeitung “Österreich”, hatte (laut Watchblog oesterreichblog.twoday.net “ohne Auftrag der Redaktion”) kurz vorm Ende der Geiselnahme in der Bankfiliale angerufen und ein ebenso absurdes wie umstrittenes Interview mit dem Geiselnehmer geführt (O-Ton: YouTube, Transkript: ZEITblog). Und darin klingt der Geiselnehmer nicht nur alles andere als ängstlich, er gibt zudem selbst einen deutlichen Hinweis, wie es zu dem großen nassen Fleck im Schritt kommen konnte. Wir zitieren — in hochdeutscher Übersetzung — die entscheidende Passage:

Geiselnehmer: (…) ich sag’ dir mal was, Märchenprinz: Ich hab’ weder Zigaretten gekriegt noch sonst was. Und jetzt werden wir nochmal anrufen, damit wir endlich aufs Klo gehen können. Denn das Klo ist abgesperrt.
Journalist: Wirklich? Wieso ist es abgesperrt?
Geiselnehmer: Na, weil es zu ist. (…)
Journalist: Ist das normal dort?
Geiselnehmer: Nein, das ist nicht normal.

“Bild” lässt Beckmann-Sendung verbieten

So steht’s heute in “Bild”, wobei im Artikel noch eine andere Formulierung für denselben Sachverhalt gewählt wurde:

Per Brief haben er [der Ex-Radprofi Jan Ullrich] und seine Rechtsanwälte die Wiederholung der Sendung verboten.
(Link von uns.)

Das macht die Sache nicht besser. “Spiegel Online” berichtet dazu:

Ein Bericht der “Bild”-Zeitung von heute, in dem mit Bezug auf einen angeblichen schriftlichen Vertrag* zwischen Beckmann und Ullrich behauptet wird, dass der Radstar juristisch gegen weitere Ausstrahlungen der Sendung vorgehen wolle, ist laut Strohband [Ullrichs Manager] schlicht falsch.

Laut “Süddeutsche Zeitung” (Donnerstagsausgabe) wurde die Beckmann-Redaktion lediglich aufgefordert, Passagen des Gesprächs nicht an andere Redaktionen weiterzugeben. Und wie wenig die Sendung (die nach wie vor komplett online ist) verboten wurde, können auch 3sat-Zuschauer morgen ab 10.15 Uhr verfolgen, wenn “Beckmann” ungeschnitten wiederholt wird.

*) Hier irrt “Spiegel Online”: Von einem “schriftlichen Vertrag” zwischen Beckmann und Ullrich ist in “Bild” keine Rede.

P.S.: Auf Bild.de wurde die Überschrift inzwischen aktualisiert und der Artikel um eine Stellungnahme des NDR ergänzt. Die unsinnige und falsche “haben verboten”-Behauptung allerdings blieb von der Überarbeitung ebenso unberührt wie der Teaser.

Übergeiger-Zähler im roten Bereich

Wir wollen heute noch einmal an Kai Diekmanns Geschwätz von Gestern einen Brief erinnern, den Kai Diekmann Ende 2004 anlässlich der Neubesetzung mehrerer Stellen in der Chefredaktion an seine Mitarbeiter schrieb. Darin hieß es u.a.:

Übergeigte Überschriften, die vom Text nicht gehalten werden, haben in BILD nichts zu suchen.

Gut, wir hatten nie ernsthaft das Gefühl, dass Diekmanns Brief nachhaltigen Eindruck auf die “Bild”-Mitarbeiter machen sollte gemacht hätte. Aber wir finden doch, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, eine neue Offensive gegen “übergeigte Überschriften” zu starten — allerdings nicht, weil wieder diverse Positionen in den Chefredaktionen von “Bild” und “BamS” neu besetzt werden. Sondern weil sich die übergeigten Überschriften derzeit häufen:

"Von BMW-Raser abgedrängelt! In diesem Wrack sah eine Tochter (6) ihren Vater sterben"

So steht es in der “Bild” vom Mittwoch, und es ist falsch. Tatsächlich sah die Sechsjährige ihren Vater nicht sterben und schon gar nicht im Wrack. Er starb eine Stunde nach dem Unfall am Unfallort, als das Mädchen längst weggebracht worden war. Das kann man auch dem “Bild”-Artikel entnehmen. Nicht in “Bild” steht hingegen, was heute HL-live.de berichtet. Dort sagt eine Anwohnerin, die die Tochter des Unfallopfers in ihrer Wohnung aufnahm:

“Sie hat ihren Vater nicht mehr gesehen.”

Mit Dank an tomekk und Ferranno für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 2.3.2007: Auch HL-live.de hatte zunächst berichtet, das Unfallopfer sei “vor den Augen seiner sechsjährigen Tochter” gestorben. Dass jedoch auch “Bild” wie HL-live.de den Fehler anschließend richtiggestellt hätte, ist uns nicht bekannt.

Kein Wunder, dass “Bild” wirkt

Nachdem “Bild” gestern “im Namen der Kinder” zehn Forderungen “für eine bessere Familienpolitik” aufgestellt hatte, findet sich heute diese Überschrift auf der Seite zwei:

"Im Namen der Kinder: Politiker unterstützen BILD-Forderungen"

Im Text heißt es noch einmal:

Jetzt gibt es prominente Unterstützung aus der Politik!

Diese “Unterstützung” besteht aus den Ex-Familienministerinnen Renate Schmidt und Christine Bergmann sowie dem NRW-Familienminister Armin Laschet. Schmidt und Bergmann fänden “familienfreundliche Arbeitszeiten nötig”, heißt es, und Schmidt plädiere auch “für das von BILD vorgeschlagene Familienwahlrecht” (“Ich bin für ein Wahlrecht von Geburt an”). Außerdem unterstütze Laschet “ausdrücklich die BILD-Forderung nach einem Familiensplitting”. Und all das ist gar nicht mal falsch. Aber komplett irreführend.

Denn Schmidt, Bergmann und Laschet unterstützten die “Bild”-Forderungen schon lange bevor “Bild” sie gestern aufstellte und völlig unabhängig von “Bild”. So steht das Familiensplitting, das der CDU-Politiker Laschet “ausdrücklich” unterstützt beispielsweise schon seit 1994 im CDU-Grundsatzprogramm [pdf]. Christine Bergmanns Forderungen nach familienfreundlichen Arbeitszeiten stammen noch aus ihrer Amtszeit als Familienministerin (1998-2002). Und Renate Schmidt kündigte beispielsweise im November 2002 an, sich für familienfreundliche Arbeitszeiten einzusetzen. Im Jahr 2003 brachte sie außerdem, zusammen mit 46 weiteren Abgeordneten, einen Antrag auf “Wahlrecht von Geburt an” in den Bundestag ein (der allerdings abgelehnt wurde). Seit Januar dieses Jahres bereitet sie einen neuen Antrag auf Kinderwahlrecht vor.

Insofern hätte die gestrige “Bild”-Überschrift also nicht nur so aussehen können:

"Im Namen der Kinder: 10 BILD-Forderungen für eine bessere Familienpolitik"

Sondern ebensogut auch so:

"Im Namen der Kinder: BILD unterstützt Politiker-Forderungen"

6 vor 9

“Ich bin mit dem Blog ziemlich auf die Welt gekommen”
(persoenlich.com, Matthias Ackeret)
Ueli Haldimann, Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, ist einer der letzten und zugleich schärfsten Medienkritiker der Schweiz. Auf seinem Blog massregelt er regelmässig seine Kollegen für deren publizistische Fehlleistungen. Ironie, Moralin oder nur Kollegenschelte?

“Das Internet wird immer schneller sein”
(welt.de, Ulrike Simon)
Das “SZ-Magazin” ist die beste Zeitschrift Deutschlands. Zu diesem Ergebnis kommt die Jury der Lead Academy. Sie vergibt jährlich die “Oscars der Medienbranche”. Juryvorsitzender Markus Peichl erklärt im Gespräch mit WELT ONLINE, dass es nicht nur Grund zum Feiern gibt.

«Denken kann ich immer noch»
(weltwoche.ch, Roger Schawinski)
Bundesrat Christoph Blocher würde das Messerstecher-Inserat nicht mehr machen, findet es überflüssig, Mitarbeiter zu loben, und sieht sich als eher einsamen, nicht sehr mächtigen Politiker. Ein Gespräch mit Roger Schawinski (das auch als Video verfügbar ist).

»Erst jetzt bekannt«
(jungewelt.de, Arnold Schölzel)
Die ARD findet einen Text, der vor sechs Wochen veröffentlicht wurde, und verkauft ihn als neu. Ein Bericht zur Lage der Medien.

Gerangel um die YouTube-Stars
(spiegel.de, Holger Dambeck)
In den USA versuchen kleinere Videoplattformen, populäre Hobbyfilmer von YouTube abzuwerben. Sie locken die Stars mit einer hohen Beteiligung an den Werbeerlösen und hoffen auf mehr Zuschauer. Mancher Videomacher sieht die Entwicklung mit Befremden.

Irmela Schwab und der Elektrakomplex
(lyssas-lounge.de)
Liebe Irmela Schwab. Sie haben geschafft, was ich kaum noch für möglich gehalten hätte: Ich sitze dank Ihres Rührstücks in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung (?Lyssas wilder Westen?) nach einem sehr langen Arbeitstag mitten in der Nacht noch an einem Blogeintrag.

Bock tatsächlich zum Gärtner gemacht

Der Axel Springer Verlag hat heute eine ganze Reihe von Veränderungen in den Chefredaktionen von “Bild” und “BamS” bekannt gegeben. Unter anderem wird Kai Winckler, der seit 2001 Chefredakteur von “Das Neue Blatt” ist, tatsächlich die Nachfolge von Martin Heidemanns als Leiter des Unterhaltungsressorts antreten.

Deshalb wollen wir noch einmal auf etwas hinweisen, das wir Anfang Februar schrieben, als Kress.de über die Personalie spekulierte: Winckler ist ein, nunja, würdiger Nachfolger.

Allgemein  

“Bild” unterschlägt Entschuldigung

Gestern begann in Berlin der Prozess gegen den 17-Jährigen Mike P., dem vorgeworfen wird, bei der Eröffnungsfeier des Berliner Hauptbahnhofs im vergangenen Mai, 37 Menschen mit einem Messer verletzt zu haben. “Bild” berichtet heute über den Prozessauftakt.

Dabei zeigt “Bild” ein Foto des Minderjährigen, das sie im Mai vergangenen Jahres schon einmal gedruckt hatte (da allerdings mit einer anderen Unterzeile als heute). Das Foto ist zwar mit einem schwarzen Balken versehen, allerdings ist der so klein ausgefallen, dass auch entfernte Bekannte von Mike P. wohl keine größeren Schwierigkeiten haben dürften, ihn zu identifizieren*.

Außerdem hat “Bild” unter der Vielzahl von möglichen Überschriften für die Geschichte ausgerechnet diese gewählt:

"37 Amok-Opfer und kein Wort der Entschuldigung"

Das ist mindestens irreführend. Denn der Anwalt des Angeklagten hat bereits angekündigt, dass dieser sich entschuldigen werde. Das weiß auch “Bild” und schreibt:

Anwalt Hedrich sagt: “Mike wird sich bei den Opfern entschuldigen.”

Und während andere Medien dem noch hinzufügen, dass der Anwalt auch gesagt hat, dass das Geschehen seinem Mandanten “selbstverständlich leid” tue, schreibt “Bild” über Mike P.:

Doch drinnen kommt kein Wort über dessen Lippen.

Das mag sein. Aber erstens sollte es natürlich Mike P. selbst überlassen sein, den Zeitpunkt für seine Entschuldigung zu wählen. Und zweitens unterschlägt “Bild”, dass er sich schon einmal entschuldigt hat. Dabei weiß sie das ganz genau. Fünf Tage nach dem Amoklauf druckte “Bild” nämlich ein “Exklusiv-Interview mit dem Anwalt des Amokstechers”, in dem es hieß:

BILD Wie denkt Mike P. über die Tat?

Herbert Hedrich: “Er bereut die Geschehnisse zutiefst. Läßt durch mich ausrichten, daß er sich bei allen Opfern und deren Familien entschuldigt. Auch für die schwere Zeit, die sie mit der Aids-Gefahr durchleben müssen.”

Mit Dank an Holger E. für den sachdienlichen Hinweis.

*) In den Richtlinien zu Ziffer 8 des Pressekodex heißt es:

(1) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (s. auch Ziffer 13 des Pressekodex) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Mit Rücksicht auf ihre Zukunft genießen Kinder und Jugendliche einen besonderen Schutz.

“Bild” macht Klinsi sein Verdienstkreuz mies (2)

Wie berichtet, war es “Bild” ja bereits gestern irgendwie wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem heute an Jürgen Klinsmann verliehenen Bundesverdienskreuz am Bande um “die unterste Stufe” handele. Und heute schreibt “Bild” noch einmal:

Das Verdienstkreuz am Bande ist die unterste Stufe (von acht).

Doch was gestern nur merkwürdig war, ist heute schlicht falsch: Klinsmanns Verdienstkreuz ist zwar das kleinste der Verdienstkreuze, aber wenn “Bild” heute auch noch die Gesamtzahl der Stufen mitteilen zu müssen glaubt, hätte ein wenig Recherche vielleicht nicht geschadet. Denn laut Bundespräsidialamt [pdf] wird der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich “in acht verschiedenen Stufen verliehen”, doch “die unterste Stufe” ist die so genannte Verdienstmedaille.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

6 vor 9

Roger Köppel und seine «Weltwoche»
(drs.ch, Christoph Keller, Audio, 25:52 Minuten)
Seit fünf Jahren gibt es die «Weltwoche» in ihrem neuen Tabloid-Gewand. Das sind fünf wechselvolle Jahre für einen der renommiertesten Titel in der Deutschschweizer Presselandschaft.

Betrüger schafft es mit Fake-Anzeigen in Schweizer Zeitungen
(persoenlich.com, Stefan Wyss)
Das Lifestylemagazin SI Style, die Abendzeitung “heute” und die SonntagsZeitung sind einem Betrüger auf den Leim gegangen. Juan Isidro Casilla schaffte es mit gefälschten Anzeigen in alle drei Titel und richtete damit einen Schaden von über 100’000 Franken an. Dies obwohl der Schwindler nach Intervention der Zeitschrift gay.ch, in der er zuvor Anzeigen platzieren wollte, bereits einmal verhaftet wurde.

“Die wenigsten meiner Mandanten wissen vom Blog”
(politik-digital.de)
Der Rechtsanwalt und Lawblogger Udo Vetter chattete in der Blogsprechstunde über die schlimmsten juristischen Fallstricke beim Bloggen und Rechtsrat per Online-Video. “Politiker sollten wissen, dass das Internet nicht nur aus Terroristen und Pornos besteht”, ärgerte sich der Anwalt.

Web 2.0 fördert den Narzissmus
(telepolis.de, Florian Rötzer)
Nach einer Studie von US-Psychologen sind die Studenten im Jahr 2006 die narzisstischste Generation seit 25 Jahren.

Auf halber Höhe
(taz.de, Julie Siple)
Lange Worte, kurze Texte: Im Vergleich mit der US-“Vanity Fair” fehlt der deutschen Ausgabe des Gesellschaftsmagazins einfach der Tiefgang.

Der Kampf um Deutschlands Leistungselite
(massenpublikum.de)
Es gibt endlich wieder ein Duell – wie früher Oasis gegen Blur, Boris Becker gegen Stefan Edberg oder die Nazis gegen die Kommunisten: Am Kiosk streiten sich derzeit mit der Vanity Fair und der Park Avenue gleich zwei Hochglanz-Magazine um die ?Leistungselite? Deutschlands. Wir wagen den Vergleich – ganz objektiv.

“Bild” macht Klinsi sein Verdienstkreuz mies

Klinsi holt ja morgen sein Bundesverdienstkreuz ab. Und deshalb steht es heute auch in “Bild”:

Überschrift: "Klinsi holt morgen sein Bundesverdienstkreuz ab" Im Text: "Bei Angela Merkel im Bundeskanzleramt wird ihm am Mittwoch das Verdienstkreuz am Bande (dies ist die unterste Stufe) angehängt."

Der Halbsatz in Klammern ist bemerkenswert. Damals, als Johannes B. Kerner das gleiche Verdienstkreuz verliehen bekam, hatte “Bild” den Halbsatz nicht dazugeschrieben. Als Hans-Wilhelm Gäb es verliehen bekam, auch nicht. Und als Dr. Dr. h.c. Manuela Schmid bei einer “Herz für Kinder”-Gala “1 Million Euro aus ihrem Privatvermögen spendete”, wurde zwar ausdrücklich erwähnt, dass “die Frau mit dem goldenen Herzen” noch “im April 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet” worden sei. Den Zusatz, dass es sich dabei um die “die unterste Stufe” der Auszeichnung handele, suchte man jedoch auch da vergeblich.

Darüber, warum “Bild” ihn ausgerechnet bei Jürgen Klinsmann dazugeschrieben hat, kann man deshalb nur spekulieren.

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