Hat’s also immerhin auf die Titelseite der heutigen “Bild”-Zeitung geschafft, die Pressemitteilung von Alexander Alvaro, Vorsitzender der “Kampagne für Parlamentsreform”: Da verschwendet die EU jährlich 250 Millionen Euro, und 89 Prozent der EU-Parlamentarier halten das für falsch — das ist doch was!
Nun ja: Schaut man sich die Pressemitteilung Alvaros, auf der “Bild”-Meldung beruht, genauer an, ist dort auch nirgends von “89 % der Parlamentarier” die Rede. Vielmehr betont Alvaro selbst, dass sich nur 306 der 785 EU-Abgeordneten (umgerechnet also 39 %) an seiner Umfrage beteiligt und “89 % der Teilnehmer” (umgerechnet also nur 35 % der Parlamentarier) gegen die Pendelei zwischen Brüssel und Straßburg ausgesprochen haben. Pendel-Gegner Alvaro hält sein Ergebnis dennoch für ein “durchaus repräsentatives” — und “Bild” gibt “Bild”-Lesern keine Chance, daran zu zweifeln.
Und was die Höhe der EU-Verschwendung anbelangt: Die “Kampagne für Parlamentsreform” beziffert sie nur auf 200 Millionen. Und der von “Bild” zitierte FDP-Mann Alvaro übrigens auch.
Offenbar fällt es ab und zu Mitarbeitern von Bild.de auf, wenn irgendwo bei Bild.de Unsinn steht. So stand bis vor kurzem noch in einem Info-Kasten dies hier:
Das war falsch, wie sich zum Beispiel auf kannstehaben.org nachlesen lässt, und wurde inzwischen “korrigiert”. Jetzt steht in dem Kasten:
Mal abwarten, ob und wann jemandem bei Bild.de auffällt, dass auch das falsch ist und wie es “korrigiert” wird.
Mit Dank an Eric S. für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 18.30 Uhr: So, jetzt sind falschenRechnungen verschwunden, und nachdem der Kasten kurzzeitig so aussah, wurde jetzt sogar sicherheitshalber der Schweiß von “82 Millionen Deutschen” aus dem Text entfernt. Bleibt vielleicht noch die Frage, wie realistisch eigentlich die Grundannahme ist, dass ein Mensch an einem Tag tatsächlich 24 Liter Flüssigkeit alleine durchs Schwitzen verliert. Aber bevor sich jetzt jemand bei Bild.de daran macht, da noch weiter dran rumzubasteln, oder auch noch die anderen Fehler bei der Haut oder beim Speichel zu korrigieren, wäre es vielleicht mal an der Zeit, sich zwischendurch um Wichtigeres zu kümmern. Zum Beispiel um diese Frage aus einer Bild.de-Überschrift: “Hat Seehofer sich für seine Frau entschieden?” Die hat Seehofer selbst nämlich schon beantwortet.
TV 2.0 (gugelproductions.de, Bertram Gugel und Harald Müller) Zusammen mit Harald Müller habe ich in den letzten Wochen das Whitepaper TV 2.0 (pdf, 5,4 mb) zum aktuellen Stand des Fernsehens im Spannungsfeld von Internet und neuer Technologien geschrieben.
“Fun überlassen wir den Privaten” (turi-2.blog.de)
Digital-Offensive: ARD-Vorsitzender Fritz Raff im Interview mit turi2 über Verleger-Ängste, nervöse Regungen und gemeinsame Gegner.
Fünf Artikel, zwei Prozesse (fr-online.de, Thierry Chervel)
Das FAZ-Feuilleton brachte in den letzten zwei Jahren fünf Artikel und strengte zwei Prozesse gegen das Internetmagazin Perlentaucher an. Für einen dieser Prozesse hat sich die FAZ sogar mit der Süddeutschen Zeitung zusammengetan. Was hatte der Perlentaucher verbrochen?
Wie ich mit Live Earth Strom gespart habe (blogs.radio24.ch/christoph) Antwort: indem ich den Fernseher mit der Übertragung des weltumspannenden 24-Stunden-Konzerts auf SF2 am Mittag wieder abgestellt habe.
*) Warum der Brasilianer Ailton im “BamS”-Interview wiederholt ausgerechnet spanische Vokabeln (“Hombre”, “Cojones”, “perfecto”) benutzt haben soll, entzieht sich unserer Kenntnis.
Mit Dank an Bernd H., Gerhard T., Dietrich K. und Michael H..
Nachtrag, 18.40 Uhr(mit Dank an Jan W.): Vergangenen Mittwoch wusste übrigens auch “Bild” noch, dass Ailton “in 13 Spielen immerhin acht Tore geschossen” hatte.
Die Schwierigkeiten, die das journalistische Genre des Konzertberichtes mit sich bringt, sind offenbar wirklich, wirklich nicht zu unterschätzen. Unter einem im Nachhinein selbstironisch wirkenden Seitenmotto überraschte die Leipziger “Bild”-Ausgabe Kenner und Augenzeugen am Donnerstag mit der Information, dass es beim Genesis-Auftritt im Zentralstadion am Mittwoch eine Vorband gegeben habe. Und nicht irgendeine:
Da nicht nur nicht UB40, sondern niemand vor Genesis aufgetreten war, zögerte “Bild” nicht, den Fehler am folgenden Tag zu korrigieren — wenn auch vielleicht nicht unter der naheliegendsten Überschrift:
Aber das wüssten wir dann doch gerne genauer, wie das war, als die Reporterin der “Bild”-Redaktion die Informationen, äh, übermittelte:
Vielen Dank an Daniel G. für den Hinweis, die Scans und alles!
Nicht auszuschließen ist natürlich, dass zum echten Jubiläum im April ein Bild.de-Redakteur auf das Thema aufmerksam wurde und zu einem Praktikanten sagte: “Kannst Du uns da nicht mal die 100 stärksten Sprüche von Al Bundy zusammenstellen, die wir dann auf 100 Seiten verteilen können?”, und der Praktikant antwortete: “Klar, Chef, aber das ist viel Arbeit, das zu recherchieren — das könnte locker drei Monate dauern.”
Moment, halt: Doch, das ist auszuschließen. Denn Bild.de hat die Witze allesamt voneinschlägigenAl-Bundy-Witz-Zusammenstellungen im Internet kopiert und zwar gelegentlich auf neue Rechtschreibung getrimmt, aber die Original-Fehler zigfach erhalten wie in diesem Beispiel:
Sie sind, wie gesagt, unergründlich, die Wege von Bild.de. Oder um es mit Al Bundy zu sagen:
Ich bin von der Schule abgegangen, verlor den Willen zum Leben und hier bin ich jetzt.
Anfang Januar berichtete “Bild” über einen Künstler, der offenbar seine Mutter erschlagen hatte und illustrierte die Geschichte mit einem Foto des Mannes (siehe Ausriss). Das Foto war von dem freien Fotografen Gabriel Holom im Auftrag der Lokalzeitung “Gäubote” gemacht worden und dort zuvor auch erschienen, allerdings in einem gänzlich anderen Zusammenhang. Da weder der Fotograf, noch der “Gäubote” in die Veröffentlichung des Fotos in der “Bild”-Zeitung eingewilligt hatten, reichte der “Gäubote” Beschwerde beim Presserat wegen Verstoß gegen Ziffer 4 Pressekodex (unlautere Recherchemethoden) ein (wir berichteten).
Der Presserat entschied in der Sitzung vom 6. Juni, dass die Beschwerde unbegründet sei, weil es sich “primär um eine urheberrechtliche und nicht um eine presseethische Frage” handele. Der Geltungsbereich der Ziffer 4 ziele jedoch “in erster Linie auf Vorgehensweisen wie eine verdeckte Recherche oder den Umgang mit schutzbedürftigen Personen bei der Beschaffung von Informationen” ab.
Der Presserat hat auch eine Stellungnahme von Axel Springer eingeholt. Die spielte für die Ablehnung der Beschwerde zwar keine Rolle, sie ist aber trotzdem interessant. Der Presserat gibt sie wie folgt wieder:
Das Bild sei von einem freien “Bild”-Fotografen auf der Internetseite des “Gäuboten” entdeckt worden. (…) Die Stuttgarter “Bild”-Redaktion habe daraufhin versucht, telefonisch in der Redaktion des “Gäuboten” eine Veröffentlichungsgenehmigung zu erhalten. Dies sei jedoch daran gescheitert, dass der Beschwerdeführer jedes Mal in einer Besprechung gewesen sei und keine Gespräche habe annehmen können. Bis in den Abend hinein seien die Bemühungen der Redaktion, entweder den Beschwerdeführer oder den Fotografen Holom zu erreichen, erfolglos geblieben. Tage später habe sich dann herausgestellt, dass der Fotograf zu diesem Zeitpunkt in Urlaub gewesen sei. Die Redaktionsleitung habe sich dann entschieden, das Bild zu veröffentlichen, selbstverständlich aber die nachträgliche Zustimmung des Fotografen einzuholen. Dies sei einige Tage später gelungen. Man habe sich dabei darauf geeinigt, dass er eine Rechnung für die Nutzung des veröffentlichten Fotos schreibe. Er habe dann ausdrücklich erklärt, dass für ihn mit Bezahlung der Forderung die Sache erledigt sei. (Hervorhebung von uns)
Der Fotograf beschreibt das “gelungene” Einholen der Zustimmung so: Er habe sich schriftlich an “Bild” gewandt und ein Honorar für die Veröffentlichung seines Fotos gefordert. Und tatsächlich habe er erklärt, dass die Sache für ihn mit Begleichung der Forderung erledigt sei, “weil das eben so ist, dass das Foto schon veröffentlicht war”, wie er uns sagt. Hätte “Bild” ihn jedoch vor Veröffentlichung gefragt, hätte er Rücksprache mit dem “Gäuboten” gehalten. Und Holom war zwar im Urlaub, er sei jedoch per Handy erreichbar gewesen.
Was die “Bemühungen” von “Bild” angeht, vom “Gäuboten” eine Veröffentlichungsgenehmigung zu erhalten: In der kleinen “Gäubote”-Redaktion kann sich keiner der Verantwortlichen an einen Anruf eines “Bild”-Mitarbeiters erinnern. Und man würde sich erinnern, wie man uns versichert, zumal es schon vor diesem Vorfall eine Absprache gegeben habe, keine Fotos an die “Bild”-Zeitung herauszugeben.
Sie ist Deutschland (freitag.de, Martin Krauß)
Die einst übel beleumundete “Bild”-Zeitung manipuliert nicht mehr. Sie ist auf dem Weg zum Verfassungsorgan.
Für friedlichere Fernsehbildschirme (nzz.ch, Gerti Schön)
Gewaltdarstellungen im Fernsehen stossen in den USA vermehrt auf Kritik. Nun wird über gesetzliche Massnahmen diskutiert. Die Medienaufsicht sieht keine Gefährdung der Meinungsfreiheit.
Pariser Presse im Sturm (taz.de, Dorothea Hahn)
Die wichtigsten französischen Wirtschaftsblätter “Les Echos” und “La Tribune” sollen verkauft werden. Seitdem wird gestreikt und demonstriert.
Studium 2.0 (zeit.de/campus, Fabian Reinbold)
Blogs, Wikis und Podcasts: Wie neue Kommunikationsmittel beginnen, den Uni-Alltag zu verändern.
Bekenntnisse eines Einheimischen (sz-magazin.sueddeutsche.de, Bruno Ziauddin) Was haben die Schweizer bloß gegen all die Deutschen, die in ihr Land ziehen?
Für die Studie wurden Patienten in bundesweit 2000 Krankenhäusern nach ihren Erfahrungen während der Behandlung befragt: (…)
Das ist falsch. Zwar sind im Klinik-Führer der TK rund 2000 Krankenhäuser erfasst, was jedoch die “größte Umfrage zur Patienten-Zufriedenheit” angeht, heißt es im Bericht zur Befragungsmethodik (pdf) ziemlich eindeutig:
Insgesamt hat die Techniker Krankenkasse mit Hilfe ihrer Versicherten die empfundene Behandlungsqualität bundesweit in 215 Krankenhäusern erhoben. Für 202 dieser 215 Häuser konnten repräsentative Ergebnisse erzielt werden, sodass ein Überblick über die Ergebnisse dieser 202 Krankenhäuser nun auf Tkonline für Versicherte einsehbar ist.
Und im Statement des Vizepräsidenten der TK zur Vorstellung des Klinikführers heißt es ebenso eindeutig:
Die TK hat Ende des vergangenen Jahres rund 107.000 TK-Versicherte befragt, die innerhalb der vorausgegangenen zwölf Monate stationär in einem von 200 ausgewählten Krankenhäusern behandelt wurden. (…) Wir haben uns dabei auf Krankenhäuser konzentriert, die in den 20 größten deutschen Städten plus eines Umkreises von zehn Kilometern liegen. (…) Über 55.000 TK Versicherte (52 Prozent der Angeschriebenen) sandten den Fragebogen ausgefüllt zurück.
Was das bedeutet, ist nicht besonders schwer zu verstehen. Doch die TK hat es noch simpler aufgeschrieben. Und zwar auf ihrer Internetseite, auf die “Bild” selbst im Text hinweist, indem sie schreibt:
Wer (…) das beste Krankenhaus herausfinden will, kann im Internet sogar selbst die Liste durchsuchen (…): Unter der Adresse “www.tkonline.de” gibt man seine Region (Postleitzahl) und seine Krankheit (…) ein. Das Programm sucht dann automatisch die passende Klinik in der Umgebung heraus.
Folgt man diesen Anweisungen, findet man oberhalb der Klinik-Liste einen Text, in dem steht:
Der Wert [Patientenzufriedenheit] eignet sich nicht zum Aufstellen einer Rangfolge.
Pfft! Von wegen, hat man sich offenbar bei “Bild” gedacht.
Mit Dank an Axel W. für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 6.7.: “Bild” legt heute in ihrer Berlin-Ausgabe nach und war zur “Visite in der besten Klinik Deutschlands”. Dabei stellt “Bild” klar:
PS: Durch ein technisches Versehen fehlten in der Bestenliste gestern vier Kliniken: (…)
Dass rund 1800 Kliniken in Deutschland nicht mal die Chance hatten, in die “Bestenliste” zu kommen, schreibt “Bild” hingegen nicht.
Die Tamedia-Story (woz.ch, Daniel Ryser und Rachel Vogt) Die Tamedia ist auf dem Schweizer Markt neu die Nummer eins. Das hat sie mit einer harten Strategie erreicht – mit Kooperationen, Angriffen und Übernahmen. Das Ende der Offensive ist nicht absehbar.
Auf der Jagd nach den Zettelkästen der Zukunft (faz.net, Tilmann Lahme)
Schriftsteller entdecken das eigene Archiv als Handelsware. Immer häufiger verkaufen sie zu Lebzeiten ihre Manuskripte und Briefe, meist an Literaturarchive. Was aber wird einmal von der Generation Laptop und E-Mail übrigbleiben?
Dreister Griff nach der Deutungsmacht (werbewoche.ch, Karl Lüönd)
Müssen wir uns langsam von der Vorstellung verabschieden, die Medien würden ihre Inhalte selbst bestimmen?