Grausame Rituale

Bremen – In einer dunklen Hütte, 5000 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt, wartete schon der Medizinmann auf Sonja und Jasmin.

Das ist ein farbenfroher Einstieg in den “Bild”-Artikel, und die Details sind, um es gleich zu sagen, frei erfunden. Aber sie passen so schön zum Rest der Geschichte, der zwar nicht frei erfunden, aber doch zweifelhaft ist:

Ihre Tasche für die Reise war gepackt, der Flug gebucht. Ihr fröhliches Kinderlachen – es wäre nach dieser Reise in Afrika geblieben!

Sonja (1) und Jasmin (4) aus Bremen wissen nicht, dass sie in letzter Sekunde vor einem Ritual bewahrt wurden, das so barbarisch und unsinnig ist wie kaum ein anderes in der Welt (…).

POLIZISTEN RETTETEN SIE VOR BRUTALER BESCHNEIDUNG IN AFRIKA!

Die eigene Mutter wollte sie nach Gambia bringen!

Weniger farbenfroh, aber in der Sache ähnlich, liest es sich in einer Pressemitteilung der Bremer Polizei vom 21. August. Sie stützt sich auf die Aussage des Vaters, wonach die aus Afrika stammende Mutter wenigstens eines der Mädchen nach Gambia bringen wolle, um seine Genitalien verstümmeln zu lassen. Die Mutter habe die Kinder bei Bekannten versteckt und wollte auch der Polizei ihren Aufenthaltsort nicht verraten.

Weder im Polizeibericht noch im “Bild”-Artikel fand sich ein Hinweis auf die abweichende Version der Mutter. Die “taz”, die am Freitag in einem Artikel und einem Kommentar ausführlich über den Fall berichtete, zitiert deren Anwältin, dass es allein um einen Aufenthalt bei der Großmutter der Kinder gegangen sei. Die Tradition der Beschneidung lehne die Mutter ab, auch in der Familie werde das Ritual nicht mehr durchgeführt. Laut “taz” fand das Familiengericht diese Version plausibel. Auch der Vater habe der Mutter nicht mehr die Absicht unterstellt, die Kinder beschneiden zu lassen. Und anders als “Bild” behauptet, habe bei dem Streit zwischen den beiden Eltern nicht der Vater die Polizei gerufen, sondern die Mutter.

Auch andere Medien berichteten etwas voreilig und einseitig. Die Berichterstattung von “Bild” könnte man darüber hinaus “fantasievoll” und “vorurteilsbeladen” nennen. Aber die Versuchung, freundliche Begriffe zu suchen, sinkt, wenn man weiß, wie sie das Thema aufbereitet hat: Neben dem großflächigen Lokal-Aufmacher zeigte sie nicht nur ein Foto vom Vater und von der mit einem schwarzen Balken kaum unkenntlich gemachten Mutter. Sondern präsentiert auch beide Kinder, ohne jede Verpixelung.

Vielen Dank an Volkmar D.!

Nicht alles, was bösartig ist, ist ein Geschwür

Was passiert ist, ist unstrittig: Einem Dialysepatienten sollte Anfang Juli an der Universitätsklinik in Münster eine Spenderniere eingepflanzt werden. Während der Operation bemerkte eine Ärztin eine Veränderung des Gewebes. Um auf Nummer sicher zu gehen, entfernte sie das befallene Stück, bevor das Organ eingepflanzt wurde. Im Nachhinein stellte es sich als bösartig heraus. Der Patient traf daraufhin die schwere Entscheidung, die Niere wieder entfernen zu lassen. Es konnte nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden, dass der Tumor Zellen hinterlassen hatte. Als die Niere nach der Entnahme analysiert wurde, wies sie allerdings keine Spuren bösartiger Veränderungen auf.

Der Patient sagte der “Münsterschen Zeitung”: “Die Ärztin hat nach bestem Gewissen, verantwortungsvoll und richtig gehandelt.” Auch die “Bild”-Zeitung zitiert ihn mit den Worten: “Ich bin nicht wütend auf das Krankenhaus oder die Ärztin. Sie hat schließlich die Veränderung an der Niere entdeckt.” Jens Brockmann, Oberarzt der Chirurgie an der Klinik, betonte in der “Münsterschen Zeitung”: “Die Niere war zum Zeitpunkt der Transplantation tumorfrei.”

Und dies ist die Überschrift, unter der “Bild” in Nordrhein-Westfalen am Freitag in großer Aufmachung über den Fall berichtete:

Vielen Dank an Christian B. und Henning B.!

6 vor 9

Die Wortverdreher vom Dienst
(sonntagszeitung.ch, Michael Soukup)
Konzerne und Prominente ändern oft Wikipedia-Einträge über sich – so auch der «Weltwoche»-Chef.

Die Königsmacherin
(tagesspiegel.de, Matthias B. Krause)
Niemand beeinflusst seine Zuschauer mehr als US-Talkerin Oprah Winfrey. Jetzt will sie Barack Obama ins Weiße Haus bringen.

“Wollen Sie jeden Blogger kontrollieren?”
(dradio.de, Jürgen König)
Der Chefredakteur von “Spiegel Online”, Matthias Müller von Blumencron, lehnt eine zentralisierte Medienaufsicht für das Internet ab. “Im Printbereich gibt es eine sehr gute Selbstregulierung, und etwas Ähnliches muss sich auch im Onlinebereich entwickeln”, sagte der Journalist. Missbrauch gebe es überall, doch “die Ermittlungsbehörden kümmern sich natürlich glücklicherweise mittlerweile auch um das Feld Online sehr intensiv”.

Das Gewissensmagazin
(taz.de, Stefan Reinecke)
Sie war Studentenblatt, APO-Sprachrohr und Politsex-Magazin. Die Zeitschrift “Konkret” wird 50 – und ist im Alter Zentralorgan der Antideutschen.

Spiegel verkehrt?
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Robin Meyer-Lucht)
Früher sahen wir Tagesschau, heute gehen wir ins Internet und klicken auf Spiegel Online. Die Internetseite ist zur neuen Medienmacht geworden: bunt, modern und ein ständiges Spektakel.

Die harte Arbeit im Bergwerk des Humors
(faz.net, David Klaubert)
Roland Koch als Schweinchen Babe und Helmut Kohl als Birne: nichts und niemand ist sicher vor den derben Späßen des Satiremagazins ?Titanic?. Ein Besuch der Redaktion im Frankfurter Stadtteil Bockenheim.

medienlese – der Wochenrückblick

Kaum dachte der Verband Schweizer Presse (aktuelle Kampagne: Wa du wolle? Du finde!) öffentlich darüber nach, wie man auch so etwas Erfolgreiches wie Google News machen könnte, gab Google bekannt, keine Umwege mehr über Online-Portale machen zu wollen, sondern direkt auf Informationen von Nachrichtenagenturen zuzugreifen. VSP-Präsidiumsmitglied Norbert Neininger sagte persoenlich.com: “Wir sind der Meinung, dass Google mit seinem Newsdienst das Urheberrecht verletzt und unlauteren Wettbewerb betreibt”. Es gäbe “einen harten und einen weichen Weg”, dagegen vorzugehen, also Klage oder der Versuch einer Kopie. Google dagegen gibt an, diesen Schritt zu machen, da viele Online-Portale so oder so nur Agenturmeldungen umformulieren und sieht diesen Schritt als einen in Richtung “original content“. Wie es in einem Verlegerverband zu und her gehen kann, enthüllte Andreas Göldi. Ein bekannter Verlagsmanager sagte ihm, als er auf Details einer möglichen Internet-Plattform und den damit verbundenen Kundennutzen zu sprechen kommen wollte: “Herr Göldi, hier geht es nicht um Kunden.“.

Read On…

BILDblog erklärt “Bild” den Uefa-Cup

Zugegeben, er ist ein bisschen unübersichtlich, der Modus, nach dem seit drei Jahren im Uefa-Cup gespielt wird. Aber wenn man so großkotzig titelt…

BILD erklärt Bayern den Uefa-Cup

…wär’s natürlich schon schön, wenn man ihn wenigstens selbst verstanden hätte.

“Bild” “erklärt” den Bayern den “Cup der Verlierer” im Kindergartenton (“Liebe Bayern, da ihr ja sooooo lange nicht dabei wart, erklärt BILD euch noch mal…”) unter anderem wie folgt:

Aber Achtung! Die 2. Runde besteht aus einer Gruppenphase: Dort spielt nicht jeder gegen jeden in der 5er-Gruppe. Es gibt nur zwei Heim- und zwei Auswärtsspiele.

Im Achtelfinale warten alte Bekannte auf euch. Da kommen nämlich die Gruppen-Dritten aus der Champions League dazu.

Das ist gleich doppelt falsch. Erstens spielt in der Gruppenphase sehr wohl jeder gegen jeden — es gibt nur keine Rückspiele*. Und zweitens kommen die Gruppen-Dritten aus der Champions League nicht erst im Achtelfinale, sondern schon in der Zwischenrunde dazu. Dieses sogenannte “Sechzehntelfinale” unterschlägt “Bild” aber komplett.

*) In einigen Ausgaben der gedruckten “Bild” ist dieser Fehler korrigiert und das Wort “nicht” gestrichen.

Danke an Jojo und die vielen anderen Hinweisgeber!

Machen Tortendiagramme eigentlich dick?

Fast eine ganze Seite hat “Bild” heute freigeräumt, um für eine Kampagne des Deutschen Turnerbundes zu werben, die Eltern und Kindern verdeutlichen soll, wie wichtig Sport ist. Die Aktion sei dringend nötig, erklärt “Bild”:

Denn mittlerweile ist jedes sechste Kind in Deutschland zu dick! Mitte der 90er-Jahre war es nur jedes dritte.

Unbekannt ist, ob die “Bild”-Formulierung bereits den Auftakt für eine weitere Kampagne darstellt, die Eltern und Kindern verdeutlichen soll, wie wichtig Mathematik ist.

Danke an H. und Demian K.!

Nachtrag, 1. September: Bei Bild.de ist der ganze Absatz gestrichen worden.

Verbesserungen bei der Pflege — “Bild” geschockt

Noch bevor heute um elf Uhr der Prüfbericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) offiziell vorgestellt wurde, hatte “Bild” schon in ihm, nun ja: geblättert und eine riesige Titelgeschichte daraus gemacht (siehe Ausriss).

Die Zeitung zitiert einige schockierende Fakten aus dem 212 Seiten langen Bericht. Genauer: von den Seiten 66 und 67. Zum Beispiel diese:

  • In Heimen wird jeder dritte Patient (35,5 %) nicht häufig genug umgebettet. Folge: Er liegt sich wund (Dekubitus). (…)
  • Jeder dritte Pflegefall (…) bekommt nicht genug zu essen und zu trinken! Grund: Zeitnot. Dass die Pflegebedürftigen rapide an Gewicht verlieren, stellt das Pflegepersonal angeblich nicht fest.

Um mit der guten Nachricht anzufangen (die für alle Betroffenen eine schlechte ist): die Zahlen stimmen. Aber eben nur die Zahlen an sich.

Zum Dekubitus heißt es im Bericht des MDS ausdrücklich:

Bei 35,5 % der Personen bestanden Defizite. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein Dekubitus entstanden sein muss. Gemeint ist vielmehr u.a., dass ein Dekubitusrisiko nicht ermittelt oder nicht erkannt worden ist, dass keine prophylaktischen Maßnahmen geplant oder keine entsprechenden Hilfsmittel eingesetzt worden sind.

(Alle Hervorhebungen von uns)

Der Anteil der Patienten, bei denen solche Defiziten bei der Prophylaxe gegen das Wundliegen bestanden, ist sicherlich schockierend hoch. “Bild” unterschlägt aber, dass diese Anteil gegenüber der letzten Studie deutlich gesunken ist: um über sieben Prozentpunkte.

Zur Ernährung steht im Bericht:

Bei 65,6 % der im 1. HJ 2006 in die Prüfung eingezogenen Bewohner lagen bei der Ernährung und Flüssigkeitsversorgung keine Qualitätsprobleme vor. Bei 34,4 % der Personen wurden Mängel festgestellt. Auch hier sind diese Mängel nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer eingetretenen Unterernährung oder einer Dehydratation.

Eine Einschränkung, die “Bild” ebenso unterschlägt wie den Hinweis, dass sich der Anteil der Defizite sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Pflege verringert hat. Und das gilt (wenn auch in einem Fall nur um 0,1 Prozentpunkte) für jede einzelne Zahl, die “Bild” heute präsentiert. “Bild” schreibt:

Ihren letzten Pflege-Prüfbericht hatten die Krankenkassen 2004 vorgelegt. Schon damals eine Bilanz des Grauens!

Geändert hat sich wenig.

Nun könnte man über die Bedeutung des Wörtchens “wenig” sicherlich lange diskutieren und beim Thema Pflege ist wohl jedes “Defizit” eines zuviel. Allein: “Bild” reduziert die durchaus vorhandene Verbesserung der Situation auf einen Satz mit vier Wörtern.

Entsprechend verärgert war man beim MDS über die eigenwillige Interpretation der “Bild”-Zeitung seines Berichts, die von fast allen Nachrichtenagenturen unter Überschriften wie “‘Bild’: Neuer Prüfbericht der Krankenkassen deckt Pflege-Skandal auf” verbreitet wurden, bevor der MDS widersprechen konnte. “Spiegel Online” zitiert den MDS-Geschäftsführer Peter Pick mit den Worten:

“Im Vergleich zum ersten Bericht vor drei Jahren gibt es bei allen Versorgungskriterien Verbesserungen.”

“Bild”-Leser können das nicht einmal ahnen.

Danke an Michael R., Florian S., Jenny R., Benjamin S. und Susann für die sachdienlichen Hinweise.

6 vor 9

Der Eingriff
(jungewelt.de, Georg Fülberth)
“Wie sich die Schatzmeisterin der SPD über die »uninformierte« Linkspartei-Berichterstattung der Frankfurter Rundschau beschwert – und am Ende der Chefredakteur gehen muß”.

“Wollen Sie jeden Blogger kontrollieren?”
(dradio.de, Jürgen König)
“Der Chefredakteur von “Spiegel Online”, Matthias Müller von Blumencron, lehnt eine zentralisierte Medienaufsicht für das Internet ab. “Im Printbereich gibt es eine sehr gute Selbstregulierung, und etwas Ähnliches muss sich auch im Onlinebereich entwickeln”, sagte der Journalist.”

Requiem für die klassischen Medien
(werbeblogger.de, Patrick Breitenbach)
“Im folgenden möchte ich erklären, wieso die klassischen Medien für eine echte Informationsgesellschaft mehr oder weniger überflüssig geworden sind”.

Happy Birthday, DPA!
(Was mit Medien, Daniel Fiene)
“Morgen vor 58 Jahren ist die erste dpa-Meldung an die Redaktionen verschickt worden. Da lohnt es sich heute schon die Glückwunsch-Kärtchen aus der Schublade zu holen.”.

Getrübte Sicht
(sueddeutsche.de, Ingo Arzt)
“Nur 40 Prozent aller deutschen Haushalte haben – theoretisch – Zugang zu digitalem Fernsehen. Qualitätsprobleme sind nur ein Grund für die schleppende Einführung.”

Jetzt aber mal im Ernst: Kriegt Euch wieder ein!
(graubrot.blogspot.com, Björn Grau)
“‘Hört endlich auf, die Blogosphäre zu beschwören! Was auch immer Ihr Zuerstgekommenen da so unter Euch gruppengekuschelt oder ganz besonders wüst gepöbelt habt, ist vorbei. Blogs sind, was sie eigentlich waren: Eine bestimmte Form von Publikationssoftware. Aber keine Religion oder Subkultur. Ich weiß nicht, ob es ohne E-Gitarren Punk gegeben hätte. Aber es hat E-Gitarren ohne Punk gegeben, versteht ihr?”

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