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1. “Bald reden Nachrichtensprecher Google-optimiert”
(faz.net, Holger Schmidt)
“Suchmaschinenoptimierer sind die neuen Heilsbringer der Verlage. Sie bringen die Artikel auf den Trefferlisten von Google und Co. möglichst weit nach oben. Doch alle Tricks helfen auf Dauer nicht. Am Ende entscheiden die Inhalte.”

2. Barbara Lüthi, “CNN Journalist of the Year 2008”
(persoenlich.com, Stefan Wyss)
Die Preisträgerin der Kategorie TV im Interview: “Gerade wenn man in China arbeitet, muss man das Risiko einschätzen können. Das wichtigste ist, dass ich meine Quellen schützen kann. Ebenfalls Priorität geniesst die Sicherheit meines Teams. Ich drehe heikle Geschichten zum Beispiel nie mit einem chinesischen Kameramann. Dieser würde bei einer Festnahme viel länger inhaftiert bleiben, als ein Ausländer.”

3. “Gratis 2.0 – Strohfeuer oder Feuerwerk?”
(ejo.ch, Marlis Prinzing)
“Nirgendwo in Europa werden gegenwärtig mehr Gratistageszeitungen pro Kopf gedruckt als in der Deutschschweiz.”

4. “Medien und Lobbyismus”
(fr-online.de, Thomas Klatt)
“Der Kommunikationsfachmann Klaus Kocks wirft der vierten Gewalt im Staat Speichelleckerei und Faulheit vor. ‘Die PR-Leute müssen den Journalisten gar nicht mehr hinterher rennen, die Situation hat sich völlig gedreht’, meint Kocks. Auch Journalisten ließen sich gerne durch Fünf-Sterne-Kongresse und Vergünstigungen umgarnen.”

5. “Falschmeldung der Tagesthemen zu Exit”
(burks.de, Burkhard Schröder)
“Die eigentliche Falschmeldung ist aber die These, das Bundesarbeitsministerium habe den Förderantrag von Exit abgelehnt. Offenbar hielt es die Redaktion der ‘Tagesthemen’ noch nicht einmal für nötig, dort nachzufragen. Ich habe es getan. Der Antrag war noch gar nicht beschieden worden und wies auch, wie bei anderen Antragstellern, formale Mängel auf.”

6. Über Blogs von Filmschaffenden
(epd-film.de, Alexander Gajic)
“Filmschaffende aus allen Sparten nutzen das Internet zur Selbstverwirk­lichung. Und natürlich auch zur Vermarktung ihrer Filme. Von Gandalfs Mittelerde-Tagebuch bis zu Zack Snyders Watchmen-Prophezeiungen.”

“Wirr, unlogisch – und unfassbar unmoralisch”

Seit einigen Monaten profiliert sich Nicolaus Fest (rechts), Sohn des bekannten Hitler-Biographen Joachim Fest und Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, als radikaler Gegner all dessen, was er abfällig “Multi-Kulti” nennt. In der rechten Szene, die an diesem Wochenende in Köln versucht hat, einen Anti-Islam-Kongress zu veranstalten, wird er für seine langen Aufsätze auf Bild.de gefeiert. Unter dem Titel “HIEB- UND STICHFEST” polemisiert er immer wieder gegen Zuwanderung und Integration von Ausländern in Deutschland (wir berichteten).

Vorläufiger Höhepunkt war sein Beitrag in der vorigen Woche, in den man, wenn man wollte, fast ein Lob des Völkermordes lesen konnte. Fest rühmt darin die “Vorteile homogener Gesellschaften” und argumentiert, dass die Beseitigung von kultureller Vielheit Gesellschaften “Frieden und Stabilität” bringen könne.

Die preisgekrönte Reporterin und Autorin Carolin Emcke urteilt über seinen Text: “Das gab es so explizit wirklich lange nicht mehr zu lesen von Autoren, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Es ist ein pseudohistorisch verkleideter Rassismus und eine gar nicht verkleidete Aufforderung zur Homogenisierung unserer offenen Gesellschaften.”

In einem Gastbeitrag für BILDblog antwortet sie auf Nicolaus Fests Plädoyer.

“Bild”-Leserreporter wider Willen

“Mich interessiert ja überhaupt nicht, woher eine Geschichte kommt, sondern wie gut eine Geschichte ist.”

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann über Leserreporter

Die Geschichte, dass Torwart Jens Lehmann gelegentlich mit dem Hubschrauber von seinem Wohnsitz, dem Örtchen Berg am Starnberger See, zum Training nach Stuttgart fliegt und der Hubschrauber auch schon mal mitten in der Gemeinde landet, ist zweifellos eine gute Geschichte. Andreas Ammer hat sie aufgeschrieben, vor vier Wochen, in “QUH”, seinem Blog aus der Gemeinde Berg.

Heute steht sie auch in “Bild”, die gute Geschichte. Armin Grasmuck und Burkhard Wittmann (mehr über ihn hier) sind jetzt die Autoren. Sie haben auf jeden Hinweis auf die Quelle verzichtet — ist ja egal, woher die Geschichte kommt. Und auch das knapp Din-A4-große Foto trägt keinen Urheberhinweis.

Andreas Ammer weiß, warum das so ist: Das Foto hat “Bild”, wie er es formuliert, aus seinem Blog “geklaut”. Das Blatt habe es “ohne unser Wissen, ohne unsere Erlaubnis und ohne Quellenangabe heruntergeladen und abgedruckt”. Dabei habe man die “Bild”-Leute, die gestern dauernd bei ihm angerufen hätten und Auskünfte verlangten (aber nicht bekamen), ausdrücklich darauf hingeweisen, dass die Rechte bei QUH liegen.

Nun hat “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann uns aber im Video-Interview erklärt, was der große Unterschied sei zwischen einem “journalistischen” Angebot wie “Bild” und nicht-journalistischen Angeboten wie YouTube oder Flickr: “Dort sind dann eben auch Inhalte, die nicht rechtmäßig zustande gekommen sind und deren Veröffentlichung nicht rechtmäßig ist.” Bei “Bild” werde dagegen “nachrecherchiert”.

Und in der Tat: “Bild” hat die Geschichte nicht einfach bei QUH abgeschrieben. Die Aussage “jetzt verbot ihm [Lehmann] der Bürgermeister die Landungen auf dem Fußball-Platz” steht da zum Beispiel gar nicht. Die steht nur in “Bild”.

Was daran liegen könnte, dass sie nicht stimmt. Bürgermeister Rupert Monn hat “Bild” gegenüber nur gesagt:

“Ich hoffe sehr, dass Herr Lehmann in Zukunft nicht mehr im Ort landet. Sonst werde ich persönlich mit ihm sprechen.”

Vielleicht ist das die ganz eigene “Bild”-Definition vom journalistischen Umgang mit User Generated Content: Die Profis von “Bild” verwenden Inhalte anderer gegen deren Willen und kombinieren sie mit eigenen Falschmeldungen.

neu  

Heute anonym XX

Seit gestern berichtet “Bild” in großer Aufmachung über “Berlins schlimmsten Schulschwänzer”. Sie hat immerhin seinen Namen geändert und nennt den Jungen:

Taran N.*
*Name geändert.

Die “Bild”-Leute haben sogar daran gedacht, auf dem Zeugnis von “Taran”, das sie heute zeigen, den richtigen Namen und seinen Geburtstag zu schwärzen. Sie haben nur übersehen, dass der richtige Vorname auch im Text zweimal genannt wird, wo man ihn mit ein bisschen Mühe ganz gut entziffern kann.

Komisch. Manche Dinge passieren “Bild” wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder.

Mit Dank an Heiko F., Christian K., Kai D., Marlon K., Thomas und Daniel J.!

“Bild” macht sich einen Sport aus Beleidigungen (2)

Was sich gestern andeutete, ist heute eingetreten: Die “Bild”-Zeitung entschuldigt sich beim Kapitän von Schalke 04, Marcelo Bordon und widerruft ihre Behauptung, Bordon habe den Schiedsrichter nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund eine “Hure” genannt.

Der Kontrollausschuss des DFB hatte das Verfahren gegen Bordon, das er nach der “Bild”-Berichterstattung angestrengt hatte, gestern eingestellt.

Genau wie das Verfahren gegen den Trainer des VfL Osnabrück, Claus-Dieter Wollitz. Über den hatte “Bild”-Reporter Manfred Schäfer behauptet, er habe den gegnerischen Trainer einen “Wichser” genannt. Dieser Verdacht hat sich nach Angaben des DFB “nach Auswertung der vorliegenden Beweismittel nicht bestätigt”.

Hat “Bild” also heute auch diese Behauptung widerrufen und sich bei Pele Wollitz entschuldigt?

Nun ja. Nicht ganz:

Mit Dank an Jonas G., Markus S., Frank G. und Torsten B.!

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1. “Blame it on the Internet”
(coffeeandtv.de, Lukas)
“Dass die ‘Süddeutsche Zeitung’ ein eher gespaltenes Verhältnis zum Internet hat, ist ja schon länger bekannt. Insofern überrascht es wenig, dass vorgestern ein Artikel erschien, der diesen ganzen Internetkram und vor allem Google mal wieder als den Untergang von Abendland, Weltwirtschaft und Qualitätsjournalismus beschrieb.”

2. “Ypsilanti könnte zur Spaßbremse für Radiomacher werden”
(blogmedien.de, Horst Müller)
“‘Radio ffn’ hat richtig Ärger wegen eines Telefonstreichs [youtube.com] mit der hessischen SPD-Fraktionschefin Andrea Ypsilanti, obwohl das Stück vom Sender gar nicht ausgestrahlt wurde. Die Sache könnte sich durchaus zum Problem für viele Radiomacher entwickeln.”

3. Befragung des ZDF-Programmdirektors Nikolaus Brender
(cicero.de, Thomas Schuler)
“Unter Programmplanern gilt die Faustregel, dass jüngere Leute Sender wählen, die Spielfilme, Serien und Live-Sport bieten, bei Informationsprogrammen dagegen eher um- oder abschalten. Die Allzweckwaffe des ZDF heißt deshalb Johannes B. Kerner. Er moderiert für Brender Sport und für Bellut Talk. Ein Grund für die ‘Kernerisierung’ des ZDF ist, dass der Moderator unter den Talksendungen am Abend junge Zuschauer anspreche.”

4. Interview mit WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus
(sueddeutsche.de, Caspar Busse und Dirk Graalmann)
Der WAZ-Geschäftsführer glaubt an das Geschäftsmodell Zeitung und an das Unmögliche: “Ich erwarte noch bessere Qualität zu geringeren Kosten” und “Ziel ist, die Qualität zu erhöhen und gleichzeitig Kosten zu sparen.” Immerhin sieht er ein: “Es ist einfach nicht sinnvoll, dass bei einem Spiel von Borussia Dortmund vier Redakteure von vier Titeln im Stadion sitzen, die vier mehr oder weniger gleiche Artikel schreiben.”

5. Am Jahreskongress der Schweizer Presse
(medienheft.ch, Wolf Ludwig)
“Gleich zum Auftakt des Programms gab’s die erste verpasste Chance. Denn die versammelten Chefredakteure auf dem Podium sprachen bei der Debatte über ‘Neue Medien – neue Chancen?’ und die ‘Herausforderungen des Journalismus’ hauptsächlich über Geld, Rendite und Auflagen. Bernhard Weissberg, Chefredaktor ‘Blick’, machte noch einen anderen Widerspruch deutlich: ‘Wenn der Verlegerverband über Neue Medien spricht, lädt er Zeitungsvertreter ein’, kommentierte er bissig.”

6. “Internet pur”
(freitag.de, Mathias Mertens)
“Zehn Jahre, ein Logo und ein bisschen Weiß: Die falsche Vorstellung hinter der richtigen Kritik an Google.”

“Bild” macht sich einen Sport aus Beleidigungen

Die Sache war “Bild” auch außerhalb des Reviers eine große Ankündigung oben auf der Titelseite (Ausriss rechts) wert: Die “Bild”-Reporter Christian Kitsch und Peter Wenzel berichteten, dass Marcelo Bordon, der Kapitän von Schalke 04, nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund im Kabinengang ausgerastet sei:

Der Brasilianer beleidigte Schiri Lutz Wagner (45, Hofheim) als “Hure”. Schimpfte zuerst Richtung Journalisten: “So ein Schiri. Fragt ihn, was los ist.” Dann brüllte er zweimal das Wort “puta”, portugiesisch für Hure.

Es scheint sich um eine exklusive Information der “Bild”-Zeitung gehandelt zu haben. Sie machte Furore. Am nächsten Tag konnte “Bild” melden, dass der DFB nun “wegen der Pöbel-Attacken” gegen Bordon ermittle, zeigte noch einmal die eigenen Schlagzeilen vom Vortag und wiederholte:

Bordon hatte Schiri Lutz Wagner im Kabinengang auf Portugiesisch als “Hure” beleidigt.

Aber irgendwann im Lauf des gestrigen Mittwochs verschwanden die beiden Artikel und ein weiterer zum Thema kommentarlos aus dem Online-Angebot der “Bild”-Zeitung. Es scheint, als hätte “Bild” schon vor der heute stattfindenden Verhandlung des DFB nicht mehr an die eigene Geschichte geglaubt; womöglich half ein bisschen Druck durch den Verein nach (ohne Not löscht Bild.de nach unserer Erfahrung auch falsche Artikel nicht). Üblicherweise bietet “Bild” in solchen Fällen an, quasi zum Ausgleich ein großes, freundliches Stück zu bringen.

Einen Anlass hätte “Bild” morgen dazu ohnehin. Denn der DFB-Kontrollausschuss hat das Verfahren gegen Bordon (ebenso wie eines gegen seinen Mitspieler Mladen Krstajic) heute mangels Beweisen eingestellt. Bordon bestritt den von “Bild” erhobenen Vorwurf. Der Manager von Schalke 04, Andreas Müller, sagte, die als Beweismittel ausgewerteten Fernsehbilder hätten deutlich gemacht, “dass Marcelo absolut nichts gesagt hat, was als Beleidigung aufgefasst werden kann. Er hatte sich völlig unter Kontrolle.”

Für die Fußballzeitung “Kicker” ging es in dem Verfahren gegen die Schalker Spieler heute auch um eine grundsätzliche Frage. Der “Kicker” kommentierte (noch vor der Entscheidung):

Sicher, der Kontrollausschuss muss ermitteln, wenn Bild titelt: “Bordon beleidigt Schiri als Hure.” Und wenn aus Krstajics Aussage “zum Schluss haben wir neun gegen 14 gespielt” ein “klarer Vorwurf der Parteilichkeit” abgeleitet wird. Dass Krstajic Referee Lutz Wagner bei dessen erwiesenen Fehlentscheidungen damit Absicht unterstellte, ist freilich ebenso konstruiert wie Bordons Attacke.

Als Bordon und Kollegen Richtung Kabine stapften, fiel aus deren Kreis das Wörtchen “puta”, das “Hure” bedeutet. Wem der Fluch und ob er überhaupt einem konkreten Adressaten galt, bleibt Interpretation. (…) Der Tatbestand der Beleidigung lässt sich so nicht erfüllen. Konkretere Angriffe auf Unparteiische gab es schon zuhauf, die nur nicht Gegenstand journalistischer “Anklage” wurden. (…) Der Ausgang des “Falls” Bordon/Krstajic beantwortet also auch die Frage, ob im deutschen Fußball die Gewaltenteilung zwischen Medienmacht und Sportgerichtsbarkeit weiter intakt ist.

Die Einstellung der Verfahren gegen die Schalker Spieler war nicht die einzige Niederlage, die “Bild” heute vor dem Sportgericht erlitt. Der Kontrollausschuss stellte auch das Verfahren gegen den Trainer des VfL Osnabrück, Claus-Dieter “Pele” Wollitz, ein. Der DFB teilte mit:

Wollitz stand unter dem Verdacht, sich unsportlich geäußert zu haben. In einer Stellungnahme an den Kontrollausschuss bestreitet er diesen Vorwurf.

Auch in diesem Fall war es die “Bild”-Zeitung, die den Verdacht geäußert hatte (natürlich auch in diesem Fall als Tatsachenbehauptung) und die Ermittlungen des DFB auslöste. Sie berichtete gestern unter der Überschrift “Ganz übel! Wollitz beschimpft Oral” über einen Auftritt Wollitz’ vor den Kameras des DSF:

Im gleichen Filmausschnitt wütet der herum und schreit in Richtung FSV-Trainer Tomas Oral “Was ist das denn für’n Wichser?”. Der Ausschnitt liegt BILD vor.

Uns auch (Szene ab 6:00), nur wären wir uns nicht so sicher, das Wollitz darin das sagt, was “Bild” sagt, was er sagt. Und der DFB erklärte nun bündig:

Nach Auswertung der vorliegenden Beweismittel hat sich der Tatverdacht nicht bestätigt.

Mit Dank an Joern T., Torsten B., Tobias L. und Irene!

Wie “Bild” der Zigarettenlobby den Weg teerte


Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre war die Welt noch halbwegs in Ordnung. Die “Bild”-Zeitung hatte noch weit über vier Millionen Käufer, und man durfte ungestraft in der Öffentlichkeit rauchen.

Die “Bild”-Zeitung unter Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje, selbst Raucher, war damals ein Raucher-Blatt. Eine Nachricht wie “Passivrauchen schadet nicht” (siehe Ausriss oben) brachte es im Februar 1990 zum “Thema des Tages”. Im Juni 1989 durfte “Zigaretten-Präsident” Günter Wille via “Bild”-Zeitung “Bonn den Krieg” erklären, Raucher zum Wahlboykott aufrufen (siehe Ausriss) und sich in einem längeren Interview mit Tiedje und einem Kollegen darüber echauffieren, dass “Bonn und die EG” die Zigarettenhersteller dazu zwingen wollten, “künftig quer über jede Zigarettenschachtel eine Raucher-Warnung” zu drucken. Wille, damals Vorsitzender des Verbandes der Cigarettenindustrie (VdC) und Chef von Philip Morris, sagte im Interview unwidersprochen:

“Die EG-Bürokraten wollen uns zwingen, den Raucher falsch zu informieren. Wir sollen in unserer Werbung behaupten, daß Tabakgenuß zwangsläufig zu bestimmten Krankheiten führt. Das ist Unsinn! (…) Wir werden uns an der Verbreitung staatlich formulierter Lügen nicht beteiligen.”

Wie die Zigarettenindustrie dann ein Ende 1990 von der Lufthansa geplantes Rauchverbot auf Inlandsflügen zu verhindern suchte, zeigt ein Dokument von Philipp Morris (pdf) eindrucksvoll, über das die “FAZ” heute unter der Überschrift “Das Netzwerk der Zigarettenindustrie” berichtet:

Bei dem Dokument handelt es sich um den Text zu einer Präsentation. Darin wird deutlich gemacht, dass die Herausforderung für die Zigarettenindustrie geheißen habe: “Killt das Verbot!” (“Kill the ban!”). (…) Auch die Medien spielten seinerzeit bei der Torpedierung dieser Maßnahme offenbar eine wichtige Rolle. In dem Dokument von Philip Morris heißt es: “Wegen guter Beziehungen zum Chefredakteur (der Bild-Zeitung) sorgten wir dafür, dass die Bild-Zeitung unsere Kampagne gegen die Kranich-Linie (Lufthansa) begleitete.”

Wie diese Begleitung konkret aussah, wird in der Präsentation detailliert beschrieben:

Fünf Tage nach der Ankündigung des Rauchverbots forderte die “Erste Raucher Lobby”, eine Basisorganisation von rund 3.500 Rauchern in Deutschland, die Lufthansa zu boykottieren. Wieder widmete die “Bild”-Zeitung diesem Ereignis die Titelseite (…).


In einem Kommentar in derselben Ausgabe unterstützte einer der führenden Kolumnisten von “Bild” die Position der Raucher, indem er die medizinische Argumentation, mit der die Lufthansa das Verbot verteidigte, kritisierte. (…)

Die nächste Ausweitung kam mit der Veröffentlichung einer Umfrage unter Lufthansa-Passagieren durch das angesehen Meinungsforschungsinstitut “infas”. Diese offenbarte, dass nicht 90 Prozent [der Passagiere], wie Lufthansa behauptete, sondern nur 30 Prozent für das Verbot waren. (…) Die “Bild”-Zeitung machte daraus eine Geschichte auf der Titelseite mit der Überschrift: “Raucherlüge der Lufthansa”. (…)

Dann veröffentlichte die “Bild”-Zeitung eine spektakuläre Titelgeschichte: “Lufthansa droht: Raucher in Handschellen”. (…) Dies war so etwas wie der Wendepunkt in der öffentlichen Debatte. Die Leute waren der Meinung, das sei nicht mehr erträglich.


Das Verbot wurde sogar Party-Gespräch. Auf einer Hochzeitsfeier der High Society prahlte ein Vorstand der konkurrierenden Fluglinie LTU, dass in seinen Flugzeugen das Rauchen erlaubt sei. Wiederum wurde diese Aussage zur Überschrift eines Party-Reports der “Bild”-Zeitung. (…)

Kurz vor dem “B-Day” [der Tag an dem das Verbot in Kraft treten sollte] führte die “Bild”-Zeitung einen weiteren Schlag gegen die Lufthansa mit einer Titelgeschichte über die schlechte wirtschaftliche Lage: “Sturzflug ins Millionen-Loch – aber trotzdem Rauchverbot”, lautete die Überschrift. Der Artikel handelte von den Verlusten der Lufthansa und erklärte diese hauptsächlich mit dem schlechten Service und der Bedienung. Als wichtigstes Beispiel für den schlechten Service nannte er das Rauchverbot. (…)


Dann endlich, eine Woche bevor das Verbot in Kraft treten sollte, gab die Lufthansa auf. In einer Pressemeldung kündigte die Fluglinie an, sie habe ihre ursprüngliche Entscheidung rückgängig gemacht. (…) Die “Bild”-Zeitung schrieb in einem Kommentar: “Lasst uns die Friedenspfeife rauchen!”

Der Axel Springer Verlag bestritt der “FAZ” gegenüber, dass die Zigarettenindustrie und insbesondere Philipp Morris Einfluss auf die Berichterstattung in der “Bild”-Zeitung genommen habe.

P.S.: Günter Wille, damals Philipp-Morris-Chef und Vorsitzender des Verbandes der Cigarettenindustrie, wechselte übrigens Anfang September, als die Kampagne gegen das Rauchverbot gerade so richtig an Fahrt gewann, zum Axel Springer Verlag, wo er am 1. Juli 1991 Vorstandsvorsitzender wurde.

Xavier Naidoo über das Leben mit Leserreportern

Gegenüber dem “Mannheimer Morgen” erklärt der Sänger Xavier Naidoo, wie die Einführung der “Leserreporter” durch die “Bild”-Zeitung sein Leben verändert hat und dazu beitrug, dass er “noch mal zwei Schritte zurück aus der Öffentlichkeit” gemacht habe:

Ich hatte zu der Zeit keinen Führerschein und bin mit dem Fahrrad durch Mannheim gefahren. Und diese Gelegenheit hat sich natürlich niemand nehmen lassen. Viele haben mir gesagt: “Du, ich krieg Geld dafür”. Manche wurden echt rabiat. Ich wurde auch schon mal richtig gefährdet, und mir wurde der Weg abgeschnitten. Ich war so schwer mit Tüten bepackt, dass ich dem fast ins Auto gefahren wäre. Der Fahrer ist einfach aus dem Auto raus und hat sein Foto gemacht. Und ich stand da mit den Tüten! Hab mir bloß gedacht: “Oh, mein Gott, das jetzt auch noch in der Zeitung.” Mich hatte es eh schon mehrfach erwischt, und ich will das einfach nicht mehr.

Mit Dank an Ralph A.!

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