Dönhoff, Newsroom, Wagner

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Thema: Marion Dönhoff”
(zeit.de)
Ein Dossier von Zeit.de zum 100. Geburtstag von Marion Gräfin Dönhoff.

2. “Merkwürdige Verzweiflungsfotos”
(internetausdrucker.wordpress.com)
Der Internetausdrucker denkt nach über die “Verzweiflungsfotos”, die derzeit neben Minister Franz Josef Jung abgebildet werden: “Sie sind Momentaufnahmen aus anderen Situationen, sie können Wochen und Monate alt sein.”

3. “Der Newsroom als Alarmzentrale einer panischen Gesellschaft”
(woz.ch, Kaspar Surber)
Über 10 Milllionen Franken (ca. 7 Millionen Euro) kostet der neue Newsroom der “Blick”-Gruppe. “Im oberen Stock wird in der Mitte ein ‘Decision Place’ zu liegen kommen. Hier werden die Chefredaktoren arbeiten. Gleich anschliessend sitzen auf der einen Seite die RessortleiterInnen, dann folgt ein ‘Content Place’ mit den JournalistInnen.'” Projektkoordinator Edi Estermann: “Je weiter weg einer vom Zentrum sitzt, desto eher ist er ein Praktikant.”

4. Interview mit Peter Kruse
(sueddeutsche.de, Johannes Kuhn)
Psychologe Peter Kruse zum neuen Buch von FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher über die von ihm erlebte Überforderung mit der Informationsflut im Internet: “Mit seinem Buch outet sich Herr Schirrmacher als fremdelnder Netzwerk-Besucher, als Zaungast, der einer wilden Party gleichermaßen neugierig wie irritiert aus der Ferne zuschaut.”

5. “Das Geheimnis F. J. W.”
(kaidiekmann.de, Video, 7:51 Minuten)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann besucht den “Bild”-Kolumnisten Franz Josef Wagner, der es bedauert, ungekämmt zu sein und seine Zeilen zwar noch schreibt, aber nicht mehr in der Zeitung liest. Verfasst wird die tägliche Kolumne auf einem “Laptop” (so nennt Diekmann Wagners Computer) – und von dort abgelesen wird sie wohl, wie 2006 und 2009 berichtet, der Redaktion telefonisch durchgegeben.

6. “(NZZ-)Online-User bringen nur Peanuts ein”
(medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Albert P. Stäheli, CEO der NZZ, sagt, wie tief der Graben der Einnahmen zwischen Online- und Printwerbung ist: “Jährl. Werbeumsatz pro Print-Leser: Fr. 175.-. Jährl. Werbeumsatz pro Online-User: Fr. 6.50”.

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Schweine-Pandemie

"Schon wieder so ein brandgefährlicher Kinderschänder frei -- JUSTIZ LÄSST ******* LAUFEN (Schwein darf BILD nicht schreiben, sonst gibt es Ärger mit dem Presserat)"

Zu Beginn des Jahres bekam “Bild” wegen dieser Überschrift eine “Missbilligung” vom Deutschen Presserat, der darin eine Verletzung der Menschenwürde des betroffenen Mannes sah (BILDblog berichtete).

Im Oktober bezeichnete die Zeitung einen weiteren Sexualstraftäter als “Drecksschwein” (BILDblog berichtete). Mit diesem Fall wird sich der Presserat nach einer Beschwerde von uns bei seiner nächsten Sitzung befassen.

Vielleicht glaubt man bei “Bild”, dass der Presserat Bonushefte ausgibt. Heute jedenfalls füllt diese Überschrift über einen Sexualstraftäter, den sein eigener Anwalt laut “Bild” als “schwachsinnig” bezeichnet, ein gutes Viertel der Seite 3 in der Ruhrgebietsausgabe:

Justiz-Schande! Sex-Schwein (19) vergewaltigt Schüler (8) im Wald

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Hunde, wollt Ihr ewig trainingsfrei haben?

Der Fußball-Trainer Felix Magath gilt als das, was man gerne einen “harten Hund” nennt. Originellerweise nennt man ihn deshalb gerne in der Liga auch “Quälix” — und sein Ex-Spieler Jan-Aage Fjörtoft ließ sich nach einiger Zeit unter dem Trainer Magath zu dem wunderbaren Satz hinreißen, demnächst werde das Training wohl auf Alcatraz veranstaltet.

Mit wohligem Gruselschauer berichtet “Bild” heute deswegen von Magaths neuesten Disziplin-Eskapaden: Jetzt quält er seine (mittlerweile) Schalker Jungs sogar schon an Neujahr und an Silvester! “Fünf Wochen vor Jahresende zündet Schalke-Trainer Felix Magath (56) schon mal den ersten Knaller…”, staunt “Bild”, um sofort hinzufügen, dass es so etwas auf Schalke “schon ewig nicht mehr” gegeben habe. Ob Fred Rutten, Mirko Slomka oder Jupp Heynckes, sie alle hätten nie vor dem 3. Januar mit dem Training begonnen. Und Ralf Rangnick, der olle Fußball-Professor, habe seinen Spielern sogar “mindestens doppelt so viel” an freien Tagen gewährt wie der ewige Quälix.

Ein Beleg mehr also für den “harten Hund”? Eher nein, denn Rangnick konnte es sich mühelos leisten, der Mannschaft doppelt so viel Urlaub zu geben. Die traditionelle Winterpause war früher auch doppelt so lang. In dieser Saison hingegen wird sie erstmals von rund sechs auf drei Wochen gekürzt. Statt wie früher Ende Januar/Anfang Februar müssen die Bundesliga-Teams dieses Jahr bereits am 15. Januar wieder zur Rückrunde antreten.

Mag also sein, dass Magath tatsächlich ein harter Hund ist — 17 andere Trainer der Liga werden allerdings in diesem Jahr ähnliche “Knaller zünden”.

Mit Dank an Basti!

Savelberg, Kochsendungen, Federer

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Rob Savelberg
(blogsprache.de, Torben Friedrich)
Journalist Rob Savelberg spricht über die Auswirkungen einer Frage an einer Pressekonferenz zum Koalitionsvertrag. “Die Qualität meiner Frage war ganz normal. Es fiel mir nur auf, dass von 300 Journalisten in der Bundespressekonferenz niemand nach der Personalie Schäuble weitergefragt hat. Den Spendenskandal hat niemand vergessen, aber danach fragen, öffentlich, bei der ‘feierlichen’ Präsentation des neuen Koalitionsvertrag, das hat keiner gemacht.”

2. “Die Risiken der Risiko-Berichterstattung”
(tagesschau.de, Fiete Stegers)
Eine Zusammenstellung von weiterführenden Links zur “krass überzogenen” Berichterstattung vieler Medien zur Schweinegrippe.

3. “Veröffentlichte Namen im Wettskandal”
(ndr.de, Video, 5:14 Minuten)
Fußball: Obwohl noch nicht klar ist, wer vom Wettskandal betroffen ist, nennen “Welt Online” und “Bild” Namen.

4. “10 Kochsendungen zum Kotzen”
(fernsehkritik.tv, Video, ca. 15 Minuten)
Fernsehkritik-TV kümmert sich um die inflationär ausgestrahlten Kochsendungen am Fernsehen. Zitat aus dem Beitrag: “Früher hat das ZDF am Nachmittag niveauvolles Kinderfernsehen gezeigt. Heute gibt es dort niveauloses Erwachsenenfernsehen. Denn das hier dürfte sogar Kindern wahrlich zu blöd sein.”

5. “Text jetzt, Dessous später”
(woz.ch, Susan Boos)
Susan Boos schreibt über die sich zunehmend auflösenden Grenzen zwischen Journalismus und PR – “sechzig Prozent aller Beiträge in den Medien sind auf Pressekonferenzen oder -mitteilungen zurückzuführen” – “Die Medienschaffenden haben immer weniger Zeit, in der Folge kommen sie oft unvorbereitet an Interviews und kennen ihre Dossiers nur ungenügend oder gar nicht. So können die PR-Beauftragten sie mit Informationen füttern. Und sie nehmen das Futter dankbar an.”

6. “Roger Federer Behind Scenes CNN Interview”
(youtube.com, Video, 4:54 Minuten, englisch und spanisch)
CNN bittet den Tennisspieler Roger Federer zum Interview. Aufgezeichnet werden auch spanische Fragen, die sich Federer mit ernster Miene anhören soll.

Der Kult ums Horrorhaus

Schade, dass Halloween schon wieder vorbei ist. Die Stuttgarter Lokalredaktion von “Bild” hätte da nämlich noch ein passendes Thema:

Es ist Stuttgarts grusligste Immobilien-Anzeige.

Um was es sich dabei wohl handeln mag? Ein Spukschloss? Eine Geisterbahn? Eine Gruft?

Hier wird das Haus angeboten, in dem Amok-Killer Tim K. (17) lebte. Er hatte im März in Winnenden 15 Menschen und sich selbst erschossen.

Nun möchte man vor dem Hintergrund eines derartigen Verbrechens ungern Haare spalten, aber an dieser Stelle sollte man zumindest sicherheitshalber noch einmal daran erinnern, dass Tim K. seine Opfer nicht in seinem Elternhaus erschossen hat.

Auch das “Schwäbische Tagblatt” ereifert sich berichtet heute über die “Internet-Offerte”, die “aus dem Rahmen des Üblichen” falle:

Dass in diesem Elternschlafzimmer jene ungenügend gesicherte Pistole des Typs Baretta im Kleiderschrank gelegen haben soll, mit der Tim über 200 Mal geschossen hat, wird nicht erwähnt. Überhaupt unterbleibt jeder Hinweis auf die Besitzer des Hauses.

Auch wenn das “Tagblatt” und “Bild” die fehlenden Hinweise implizit und explizit “merkwürdig” finden: Es besteht keine Pflicht, in der Immobilienanzeige darauf hinzuweisen, wer die vorherigen Bewohner oder Besitzer sind.

Hans-Eberhard Langemaack, Geschäftsführer des Immobilienverbands Deutschland (IVD), sagt uns auf Anfrage, dass es in einem derart schweren Fall zwar durchaus zur Aufklärungspflicht des Immobilienmaklers gehöre, potentielle Interessenten beim Beratungsgespräch auf die Geschichte des Hauses hinzuweisen. In der Anzeige, die ja nur den Erstkontakt darstelle, könne man auf solche Informationen aber verzichten.

Natürlich ist es denkbar, dass mögliche Interessenten Abstand von einer Immobilie nehmen, in der ein Massenmörder gewohnt und sich auf seine Tat vorbereitet hat. Andererseits soll es ja auch Menschen geben, die eine gewisse Faszination fürs Morbide hegen und vielleicht gerne im Haus des “Amok-Killers von Winnenden” (“Bild”) leben würden. Ihnen kommt das “Schwäbische Tagblatt” mit großen Schritten entgegen, wenn es unter der Überschrift “Elternhaus des Amokläufers von Winnenden wird verkauft” nicht nur über die genaue Lage der Immobilie aufklären, sondern gleich noch den Namen der Maklerin und die genaue Exposé-Nummer des Objekts verrät.

Solche Gedanken finden Sie makaber? Na, dann warten Sie mal ab:

Dazu Farbfotos vom Koi-Teich, 50-Quadratmeter-Wohnzimmer, Kamin, Schlafzimmer, Terrasse.

Und der makabere Hinweis für Eltern mit Kindern: “…alle weiteren Schularten finden Sie in Winnenden!”

(“Bild”)

Vor dem Hintergrund des Amoklaufs an der Albertville-Realschule liest es sich durchaus makaber, wenn in einem Hinweis auf Grundschule und zwei Kindergärten im Ort noch erwähnt wird, “alle weiteren Schularten finden Sie in Winnenden”.

(“Schwäbisches Tagblatt”)

Der Artikel im “Tagblatt” endet übrigens mit folgendem Absatz über den anstehenden Prozess wegen fahrlässiger Tötung gegen den Vater des Amokläufers:

Wegen großen Medieninteresses und der Vielzahl der Nebenkläger wird die Verhandlung mit großer Wahrscheinlichkeit in Stammheim stattfinden. Beim dortigen Gefängnis gibt es dafür den größten Raum.

Das “Tagblatt” erwähnt zwar nicht, wer da schon alles auf der Anklagebank gesessen hat, aber das ist vermutlich nur die Rache für den fehlenden Hinweis auf die Baretta Beretta.

Mit Dank an Sibylle B.

Nachtrag, 26. November: Die Redaktion des “Tagblatts” als Lokalzeitung hat den Verkauf des Hauses nicht selbst aufgegriffen. Der Artikel ist gestern in der “Südwestumschau” der “Südwest Presse” erschienen und auf www.tagblatt.de übernommen worden.

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Erinnerungslücken

Es geht um Terror. Nein, nicht um den Raucher-Terror und auch nicht um die schöne Terror-Anwältin. In der Berliner Brunnenstraße wurde gestern ein Haus geräumt, das vor 16 Jahren besetzt wurde und in dem “Bild” ein linkes Terror-Nest vermutete.

Eine Woche zuvor hatte die Zeitung die Räumung eben dieses Hauses gefordert und dabei an eine alte Bekannte erinnert:

Nach BILD-Informationen wohnte der mutmaßliche Auto-Brandstifter Tobias P., dessen Vater für "Die Linke" in der BVV Lichtenberg sitzt, dort mit Alexandra R. (21) zusammen. Zur Erinnerung: Sie saß fünf Monate in U-Haft, weil sie ein Auto angesteckt haben soll. Anfang November war sie trotz vieler Indizien freigesprochen worden.

Diese Interpretation darf “Bild” exklusiv für sich beanspruchen.

Zur Erinnerung: Alexandra R. wurde Anfang November freigesprochen, weil es nach Ansicht des Amtsgerichts “durchgreifende Zweifel” an ihrer Schuld gab. Die Richter sagten, am “sicheren Wiedererkennen” der Angeklagten durch den Hauptzeugen gäbe es Zweifel. Und bei Alexandra R. seien keinerlei Spuren festgestellt worden, “die etwas mit Grillanzünder zu tun haben”.

Zum damaligen Richtersspruch schrieb der “Tagesspiegel”:

Innerhalb der Justiz wird unter der Hand zugestanden, dass die Festnahmen nach zwei Jahren ohne jeden Ermittlungserfolg die “erste Chance” waren – und die sollte genutzt werden. Möglichst harte Strafen sollten vor dem nächsten 1. Mai die Krawalllust dämpfen, Presse, Öffentlichkeit und Opposition hatten schließlich reichlich Druck gemacht.

Aber die Realität kann “Bild” nicht viel anhaben — die Deutungshoheit über die Schuld von Angeklagten gibt die Zeitung nicht her.

Nowottny, Netbooks, Schirrmacher

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das ist ein jämmerliches Schauspiel”
(dradio.de, Gerd Breker)
Ex-WDR-Intendant Friedrich Nowottny äußert sich zum Fall Nikolaus Brender und findet es an der Zeit, “dass man über die gesetzlichen Grundlagen des ZDF nachdenkt”. “Die Parteien leiten doch ihren Anspruch zur Mitsprache davon ab, dass ihnen das Bundesverfassungsgericht attestiert hat, jedenfalls den Ländern, dass sie die Träger der Rundfunkhoheit sind, und das nutzen die nach Gutsherrenart aus – jedenfalls im ZDF.”

2. “Qualitaetsprobleme bei Netbooks oder deutschen IT-Journalisten!?”
(netbooknews.de, Sascha)
Sascha zweifelt am Gehalt einer Studie, die als Grundlage für Artikel bei Golem.de, Bild.de und anderen dient.

3. “1999 – 2009”
(blog-cj.de/blog, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz zieht sein persönliches Fazit zu 10 Jahren Journalismus im Internet: “Um noch einmal auf das ZDF zurückzukommen: 1999 existierte dort eine Zuschauerredaktion, die routiniert Fragen beantwortete und Kritiker halbwegs ruhigstellte. Wäre man böse, man würde sagen: eine Kommunikationsattrappe. Heute kann sich kein ernst zu nehmendes Medium und kein Journalist mehr erlauben, nicht mehr zu kommunizieren.”

4. “Sparen, wo es am wenigsten schmerzt”
(kleinreport.ch)
Der Kleinreport hat sich das ab 2010 geltende Spesenreglement des Ringier-Verlags angesehen. Die Vergütung von Tagespauschalen im Zusammenhang mit der Verpflegung entfallen, es werden nur “die effektiven Kosten vergütet” – “Aufwendungen für Raucherwaren, Digéstifs und Ähnliches” gehen zulasten des Mitarbeiters.

5. “Swine Flu Deaths”
(media.mercola.com, Bild, englisch)
Zahlen verschiedener Todesarten im Vergleich, unter anderem auch dabei: die Schweinegrippe.

6. Die Deutschen, das Internet und Frank Schirrmacher
(ichwerdeeinberliner.com, Wash Echte, englisch)
“As it was established before, German people quickly feel uncomfortable when there is nothing to be offended or worried about. If they currently have no personal reason to be offended or worried about anything, they will go to a bookstore to buy a book written by what they consider to be a much more intelligent person, who happens to be altruistic and kind enough to lecture them about recent developments that they should better be offended or worried about, and that person, more often than not, is Frank Schirrmacher.”

Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund

Mit Twitter geht es zu Ende.

Die aktuellen Meldungen lassen keinen Zweifel: Der Kurznachrichtendienst (von den Medien im Synonymrausch auch gerne “Zwitscherdienst”, “Zwitscher-Plattform” und “Zwitscher-Zone” genannt) hat seinen Höhepunkt überschritten. Von nun an geht’s bergab.

“Spiegel Online” berichtet:

Je höher man fliegt, desto tiefer fällt man auch. US-Marktstudien zufolge hat der hippe Kurznachrichtendienst Twitter mit einem massiven Rückgang der Nutzerzahlen zu kämpfen.

Das Online-Angebot der “Wirtschaftswoche” fragt: “Ist Twitter out?” und schreibt:

Die Besucherzahlen des Kurznachrichtendiensts Twitter brechen ein.

Und die österreichische “Presse” behauptet unter der Überschrift “Ausgezwitschert?”:

Die Zahlen sinken seit Sommer konstant. Der Microblogging-Dienst Twitter kämpft derzeit mit schwindenden Besucherzahlen. (…) Die Massen-SMS im Internet ist weit nicht mehr so beliebt wie noch vor wenigen Monaten.

Kleiner Haken an der Sache: Niemand weiß, ob das stimmt. Viel spricht dafür, dass es nicht stimmt.

Grundlage für die Negativ-Schlagzeilen sind die Angaben von verschiedenen Marktforschungs-Unternehmen, die gravierend unterschiedliche Zahlen melden, aber eines gemein haben: Sie erfassen allein die Zugriffe auf die Seite twitter.com über das Internet.

Twitter wird aber zunehmend über Programme genutzt, die direkt auf die Funktionen des Dienstes zugreifen, ohne über die Internet-Seite zu gehen, und deshalb in die genannten Statistiken nicht eingehen. Nach Angaben von “TweetStat” wird aktuell nur ein Drittel aller Tweets direkt über das Netz eingegeben. Anderen Angaben zufolge haben im August über 40 Prozent der Nutzer angegeben, zum Twittern zumindest teilweise solche Programme zu verwenden, ein Fünftel twittert auch per SMS — was ebenfalls durch die Web-Statistiken nicht erfasst würde.

Nach einer Untersuchung des Medienberaters Thomas Pfeiffer wurde im vergangenen Monat in Deutschland nur jeder dritte Tweet über die Web-Oberfläche eingestellt; fast die Hälfte der Twitterer habe die Seite Twitter.com gar nicht benutzt.

Nichts spricht also dafür, dass der Mediendienst “Meedia” Recht hat, der behauptet, die “Zwitscher-Hilfen” seien “noch immer solch ein Nischenmarkt, dass sie nicht annähernd das Besucher-Minus von Twitter erklären können”. Im Gegenteil: Die Marktforscher von “eMarketer”, auf die sich “Spiegel Online” und die meisten anderen Medien in ihren Endzeitszenarien für Twitter berufen, halten trotz des Rückgangs der Seitenzugriffe ausdrücklich an ihrer Prognose fest, dass die Zahl der Twitter-Nutzer in den Vereinigten Staaten weiter wachsen wird: von sechs Millionen 2008 auf 18 Millionen in diesem Jahr auf 26 Millionen 2010.

Aber das entspräche ja nicht dem Rhythmus der Massenmedien, die alles, was sie zum Hype hochgeschrieben haben, hinterher auch als erste wieder herunterschreiben wollen. Twitter geht es da nicht anders als Ute Lemper.

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Gehirndiät mit Schlank-Schwank

Ausriss: "Bild"Halten Sie sich fest: Wenn Sie Wasser trinken und fettarme Speisen zu sich nehmen, könnten Sie abnehmen.

“3 Kilo weg in 4 Tagen”, jubelt die “Bild” heute auf ihrer Titelseite und nennt das “die neue Schlank-Wasser-Diät”. Das Konzept des Programms: Wer dreimal pro Tag Wasser trinkt, das mit Gurken und anderem Gemüse versetzt ist, wird durch sogenannte “Negativ-Kalorien” entschlackt. Der zugehörige Diät-Plan der “Bild” empfiehlt darüber hinaus, beispielsweise fettarmen Mozzarella und Magermilch zu sich zu nehmen.

Vom “neuen Schlank-Wasser” (“Bild”) berichtete der “Focus” bereits im Jahr 2005. Wer zwei Liter Wasser täglich zu sich nehme, könne über zwei Kilo Körperfett loswerden — pro Jahr.

Vielleicht hätten die “Bild”-Redakteure aber ausnahmsweise ihren Kollegen der Online-Redaktion trauen sollen, bevor sie die “Diät-Revolution” ausrufen. Bild.de erklärte “negative Kalorien” nämlich erst vor einem Monat zum “Diät-Märchen”:

Screenshot: bild.de

Könnte stimmen. Ist ja aber auch egal. Den Verkaufszahlen für das Diät-Buch, das mit dem “Bild”-Aufmacher beworben wird, wird das nicht schaden.

Wachhunde, Steinbrück, Sonneborn

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1. “Auch kleine Wachhunde können beissen”
(nzz.ch, ras.)
Für die NZZ führen die Medienblogger die klassische Medienkritik weiter, “während sich die gedruckten Titel zusehends auf News, Skandale, Klatsch und Häme spezialisiert haben”. “Jene, die den Niedergang der Medienkritik beklagen oder die geringe Wirkung ihrer kritischen Tätigkeit beklagen, könnten von den Internet-Aktivisten einiges lernen. Sie sollten ebenfalls die grossen Potenziale des Internets nutzen. Wenig ergiebig wäre es, weitere medienkritische Symposien durchzuführen.”

2. “Steinbrück über Medien”
(evangelisch.de)
Ex-Finanzminister Peer Steinbrück beobachtet Politiker, die “mediale Zwänge bis in die Privatsphäre hinein” befolgen. Die Medien hingegen würden die Stimmung nicht nur beschrieben, sondern sie erzeugen und damit selbst “zunehmend zu politisch Handelnden” werden. Steinbrück: “Es geht vor allem darum, Einfluss zu nehmen auf die Bundesliga der politischen Köpfe. Wer gewinnt, wer verliert?”

3. Im Test: niiu
(streim.de, Andreas Streim)
Andreas Streim hat sich die individuelle Tageszeitung niiu mal angesehen: “Auf mich wirkt ‘niiu’ nicht wie eine neue Zeitung, sondern eher wie ein Pressespiegel für alle. Ob sich das bei Normalzeitungslesern durchsetzen wird, wage ich zu bezweifeln, vor allem wegen der ersten Schwachstelle, der Artikel, die nirgendwo fortgesetzt werden.”

4. “Bürgerschreck mit Kaufmannslehre”
(faz.net, Sven Astheimer)
Martin Sonneborn war auch mal sowas wie ein Praktikant: “1989 wandte sich Sonneborn an ‘Eulenspiegel’, das einzige zu DDR-Zeiten geduldete Satire-Magazin, welches nun sein gesamtdeutsches Publikum suchte. Ihm imponierte, dass der Verlag vom Osten in den Westen ging und den Preis verdoppelte, deshalb fragte er um ein Praktikum nach. ‘Die wussten nicht, was das ist, und ich eigentlich auch nicht.’ Man fand trotzdem zusammen.”

5. “Futur 3.0”
(epd.de, Sylvia Meise)
“Das Ellbogengedrängel am Medienkalender hat die Zeitpunkte unscharf werden lassen. Jubiläen wurden erst ein, dann zwei Monate, jetzt schon mal ein Jahr und mehr vorgefeiert: Erster! Manchen Verlag grämt’s. Darwins Geburtstag im Februar war schon im Dezember des Vorjahres verwurstet. Wer wollte dann noch Bücher dazu haben?”

6. “Was ist ein Bratwurstjournalist?”
(blog.nz-online.de/vipraum)
Hardy Prothmann gibt jenen, deren “muntere Zeilen” die Umblätterer in lobenswerter Form sammeln, einen Namen. Bratwurstjournalist. “Der typische Bratwurstjournalist schreibt immer dieselben blöden, langweiligen, ausgelutschten Formulierungen, wie man sie täglich in fast jeder Lokalzeitung lesen kann.”

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