Nadelattacken bei ProSieben?, Familiärer NDR-HH, Windkraft

1. Berliner Club-Gäste kritisieren ProSieben für “Needle Spiking”-Experiment
(rbb24.de)
In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Berichte von Klubbesuchern oder Festivalbesucherinnen, sie seien mit einer Nadel gestochen worden (“needle spiking”) und hätten danach Symptome erlebt, die einer Vergiftung mit K.-o.-Tropfen ähneln. Nun soll ProSieben derlei Nadelattacken in einem Klub simuliert haben, jedoch ohne die Betroffenen darüber zu informieren. Eine Klubbesucherin will einen Piks gespürt haben, der Sender spricht von Berührungen mit einem Textmarker. So oder so bleiben Fragen zur ethischen Statthaftigkeit des Experiments.
Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators: Der US-amerikanische Medizinsoziologe Robert Bartholomew hält das Phänomen “needle spiking” für ein modernes Märchen: “Warum sollte ein Täter so etwas Riskantes wagen, wenn es einfacher wäre, dem Opfer K.-o.-Tropfen in den Drink zu schütten?” (nzz.ch, Florian Schoop)

2. Profitierte die Familie von Funkhaus-Direktorin Rossbach vom NDR?
(businessinsider.de, Philip Kaleta)
Nach Informationen von “Business Insider” sollen auch die Töchter der NDR-Hamburg-Direktorin Sabine Rossbach vom öffentlich-rechtlichen Sender profitiert haben. Die ältere Tochter habe jahrelang PR-Kunden in NDR-Programmen platzieren können, die jüngere eine begehrte Festanstellung im Sender bekommen. Und auch der Ehemann der Funkhauschefin sei vom NDR mit einem üppigen Beratervertrag versehen worden.

3. Über den unverantwortlichen Versuch von Tagesschau und MDR, Windkraft als Klimakiller zu framen
(graslutscher.de, Jan Hegenberg)
In einem Beitrag auf Tagesschau.de ist von “Klimakillern in Windkraftanlagen” die Rede. Gemeint ist damit die Verwendung eines technisch notwendigen Gases. Jan Hegenberg erklärt, warum er dessen Eisatz für eher unproblematisch, den Tagesschau.de-Beitrag aber für problematisch hält: “Sorry, liebe ARD, aber für diesen billigen Gotcha-Journalismus haben wir echt keine Zeit mehr. Ja, Windkraft ist nicht komplett klimaneutral. Surprise: Photovoltaik, vegane Burger und Fahrräder auch nicht.”

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4. “Katastrophen erhöhen das Interesse an Information”
(journalist.de, Jan Freitag)
Steffen Klusmanns Start an der Spitze der “Spiegel”-Redaktion fiel in die Zeit der größten Krise des Hauses, dem Skandal um Fälscher Claas Relotius. Nun leitet Klusmann bereits seit vier Jahren den “Speigel” und hat dessen Transformation mitgestaltet. Der “journalist” hat mit ihm gesprochen, dabei geht es auch um vom “Spiegel” beackerte Boulevardthemen: “Die Trennungsgeschichte von Johnny Depp und Amber Heard hat viele interessiert. Solch ein Thema können wir nicht Bild und Bunte überlassen. Zumal es gesellschaftliche Relevanz hat, und damit passt es auch zum Spiegel.”

5. Querdenker-Anwälte wollen Volksverpetzer mundtot machen
(volksverpetzer.de, Thomas Laschyk)
Die Seite “Volksverpetzer” berichtet immer wieder über die “Querdenker”-Szene und werde von dieser mit allerlei absurden, aber kostspieligen und zeitraubenden “Quatsch-Klagen” überzogen: “Man will uns einschüchtern, Zeit stehlen und massiv Kosten verursachen. Da man mit Argumenten offensichtlich nicht gegen unsere vielen Faktenchecks ankommt, versucht man uns jetzt mit juristischen Mitteln und so genannten SLAPP Klagen mundtot zu machen.”

6. Video der weinenden russischen Touristin entstand vor Krim-Explosionen
(dpa-factchecking.com)
Die Nachrichtenagentur dpa hat ein Video überprüft, das weite Verbreitung fand und in dem sich eine weinende Frau über das Ende ihres Krim-Aufenthalts beklagt – angeblich als Folge von Explosionen auf einer russischen Luftwaffenbasis. Das Fazit der Faktenchecker: “Die Szene mit der weinenden Touristin entstand vor den Explosionen auf der Krim am 9. August. Der Schluss, sie habe ihren Urlaub deswegen abgebrochen, ist also falsch.”

KW 35/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Politische Nähe? Vorwürfe gegen den NDR
(ndr.de, Kathrin Drehkopf, Video: 29:07 Minuten)
In einer Sondersendung beschäftigt sich das NDR-Medienmagazin “Zapp” mit Vorwürfen gegen das eigene Haus, genauer: gegen die journalistische Führung im NDR-Landesfunkhaus Kiel. Gibt es zu viel Nähe von Politik und Redaktionsleitung? Und wie bewerten die Zuschauerinnen und Zuschauer die Vorwürfe gegen den NDR? Außerdem im Interview: NDR-Intendant Joachim Knuth, Gábor Halász, Mitglied des NDR-Redaktionsausschusses, und Volker Thormählen, Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein.

2. Wieso konnte der Redaktionsausschuss das Debakel beim NDR in Kiel nicht verhindern?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 18:48 Minuten)
Bereits im vergangenen September beschäftigte sich beim NDR der Redaktionsausschuss mit den Vorwürfen politischer Einflussnahme von Senderverantwortlichen auf die Berichterstattung (hier der inzwischen geleakte Abschlussbericht (PDF)). Was ist das für ein Gremium, dessen Arbeit plötzlich für so viel öffentliche Aufmerksamkeit sorgt, obwohl es eigentlich nur intern tätig wird? Darüber hat Holger Klein im “Übermedien”-Podcast mit Gábor Halász, der dem Ausschuss angehört, gesprochen.

3. Kompetenz, Kritik, Korrektur
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 34:36 Minuten)
Nadia Zaboura und Nils Minkmar nehmen einen aktuellen Fall zum Anlass und fragen sich: “Wie gewährleisten Medien, dass sie korrekt über das Geschehen in anderen Ländern berichten? Wie sollten sie damit umgehen, wenn das nicht gelingt und sie Kritik auf sich ziehen? Wie sind Redaktionen ausgestattet, wenn es um die Kommunikation mit Zuschauern, Zuhörerinnen, Lesern und Userinnen auf Social Media geht?”

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4. Depression und Burnout – Unser Job ist nicht gesund!
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 52:28 Minuten)
Im “Druckausgleich”-Podcast sprechen Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz über die psychische Belastung im Mediengeschäft: “Laut den Krankenkassen sind psychische Erkrankungen bei Journos auf Platz 1 der Gründe für Fehlzeiten. In allen anderen Branchen ist das nicht so. In der Medienbranche ist man offenbar besonders anfällig für Depressionen und Co. – aber woran liegt das und wissen unsere Chefs darüber überhaupt bescheid? Was wird getan, um Kolleg:innen und im Zweifel uns zu helfen?”

5. Tödliche Recherchen – Der Mord an Ján Kuciak
(arte.tv, Matt Sarnecki, Video: 1:30:10 Stunden)
Bei Arte gibt es eine anderthalbstündige Dokumentation über den Mord an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciak. Dieser hatte zu Fällen von Steuerbetrug in der slowakischen Geschäftswelt recherchiert. Ein berüchtigter Geschäftsmann soll daraufhin den Mord in Auftrag gegeben haben. Der Film beschreibt, “wie Korruption funktioniert, und er legt Zeugnis ab für die Macht und die Bedeutung des Journalismus für den Schutz eines demokratischen Systems.”

6. Alle Rollos runter – Wenn Nachrichten uns überfordern
(ardaudiothek.de, Stephan Beuting, Audio: 43:55 Minuten)
Viele Menschen empfinden Nachrichten als Belastung und blenden sie aus oder vermeiden sie. Im Medienpodcast des Deutschlandfunks (Dlf) geht es um diese – auch “news avoidance” genannte – Nachrichtenvermeidung. Es diskutieren der Medienwissenschaftler Stephan Weichert, eine Dlf-Hörerin, die ehemalige Journalistin Andrea Bleicher und Stephan Beuting aus der Dlf-Medienredaktion.

Baerbock-Zitat, Kurzer Prozess?, Streit um RTL-Recherchen

1. Baerbock-Zitat verfälscht und instrumentalisiert
(br.de, Max Gilbert)
Im Internet kursieren verkürzte und verfälschende Zitate von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zum Krieg in der Ukraine, was zumindest anfänglich von der “Welt”-Redaktion befeuert wurde, die den falschen Zitatausschnitt verbreitete. Der “Faktenfuchs” erklärt, was wirklich gesagt wurde und gemeint war.
Weterer Lesehinweis: Auf Twitter wendet sich Medienkritiker Stefan Niggemeier an die “Welt” und fragt den Digital-Chefredakteur Oliver Michalsky: “Und es gibt gar keine Regel bei @Welt, dass bei der nachträglichen Berichtigung eines wörtlichen Zitats (!) in der Überschrift (!) wenigstens irgendwo ein transparenter Korrekturhinweis irgendwo angebracht werden muss, @omichalsky?”

2. Weitere Konsequenzen nach Vorwürfen gegen den NDR in Kiel
(ndr.de)
Im Zuge der Vorwürfe gegen die Politik-Berichterstattung des NDR Schleswig-Holstein gibt es weitere personelle Konsequenzen. Am Donnerstagvormittag gab der Sender bekannt, dass Landesfunkhaus-Direktor Volker Thormählen für einen Monat in den unbezahlten Urlaub geht. Im Beitrag geht es auch um neue Vorwürfe unzulässiger Einflussnahme, die von “Business Insider” publik gemacht wurden. Außerdem ist im Text eine etwa halbstündige Sondersendung des NDR-Medienmagazins “Zapp” zu den Vorgängen im eigenen Haus eingebettet.

3. Es könnte ein kurzer Prozess werden
(sueddeutsche.de, Anna Ernst)
Der damalige MDR-Unterhaltungschef Udo Foht soll sich laut Anklage von mehreren Firmen und Privatpersonen Geld für Shows und Fernsehproduktionen geliehen und dabei gewusst haben, dass er die Gelder nicht zurückzahlen kann beziehungsweise wird. Anna Ernst berichtet über den Fall, der eigentlich schon ein Jahrzehnt zurückliegt, aber jetzt erst vor Gericht verhandelt wird.

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4. Die RBB-Krise braucht keine Zwischen-, sondern eine finale Lösung
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Der rbb will die Nachfolgeregelung für die ausgeschiedene Intendantin Patricia Schlesinger anscheinend zweistufig angehen. Zunächst soll eine Interims-Intendanz und später die endgültige Intendanz übernehmen. Joachim Huber hält nichts von diesem Vorgehen und fragt: “Erst kommt der Aufräumer und dann der Aufbauer? Beide Aufgaben sind ineinander verschränkt, sie zu entzerren, schafft mehr Verwirrung und kostet mehr Kraft als nötig. Es wäre den Räten zu raten, sich von der RBB-Doppellösung zu verabschieden und sich stattdessen auf eine öffentliche Ausschreibung zu konzentrieren, die über den öffentlich-rechtlichen Personenkreis hinausschaut.”

5. Streit um RTL-Recherchen zur neuen Reihe “Felix Hutt investigativ”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
In der neuesten Folge der RTL-Reihe “Felix Hutt investigativ” geht es um das Drogen- und Prostitutionsmilieu auf Mallorca. Jana Bernhardt, unabhängige Produzentin und Journalistin, kommt das Thema bekannt vor. Sie hatte dazu bis 2020 recherchiert und eine Reportage für RTL gedreht, die jedoch nicht ausgestrahlt wurde. Nun sieht sie sich um ihre Rechercheergebnisse betrogen. Der Sender weist die Vorwürfe zurück.

6. ARD-Teletext wird On-Air-Kunstausstellung
(wdr.de)
Auf den Teletext-Seiten der ARD gibt es ab Tafel 830 für drei Wochen Kunst zu sehen: “15 internationale Künstlerinnen und Künstler haben mit Hilfe von Teletext-Software Kunstwerke geschaffen. Die Herausforderung war, mit nur sechs Farben, sowie Schwarz und Weiß auf kleinem Raum klar zu kommen.” Weitere Informationen findet man in einer ARD-Pressemitteilung.

Konsequenzen in Kiel, Schönreden ist Quatsch, Lindners Porscheproblem

1. Konsequenzen in Kiel
(sueddeutsche.de)
Nach den Vorgängen beim rbb, gibt es nun – in einem etwas anders gelargerten Fall – auch personelle Konsequenzen beim ebenfalls öffentlich-rechtlichen NDR. Nach öffentlich gewordenen Beschwerden von Mitarbeitern im Landesrundfunkhaus in Kiel seien zwei Führungskräfte auf eigenen Wunsch vorerst von ihren Aufgaben entbunden worden. Zuerst hatte “Übermedien” darüber berichtet. Dort gibt es auch einen Ausschnitt aus einem NDR-Regionalmagazin zu sehen, in dem sich die Redaktion angesichts neuer Vorwürfe “fassungslos” zeigt. In einer weiteren Regionalsendung hatte das ganze Team aus Protest kurzzeitig das Studio verlassen und sich draußen versammelt.

2. Christian Lindners Porscheproblem
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Als eine “Transparenzverweigerung auf höchster politischer Ebene” bezeichnet netzpolitik.org die Weigerung von Finanzminister Christian Linder und dessen Ministerium, die SMS-Kommunikation Lindners mit dem Porsche-Chef herauszugeben. Der Fall werde vermutlich vor Gericht landen, das diesbezügliche Urteil könnte richtungsweisend sein, schreibt Alexander Fanta: “Wenn Richter:innen über die SMS und ihre Relevanz entscheiden, könnte daraus eine Grundsatzentscheidung mit dramatischen Folgen für die Verwaltung werden. Bislang landen selbst offenkundig bedeutende Nachrichten von Minister:innen nicht bei den Akten, sind weder für die Öffentlichkeit noch für die Nachwelt verfügbar.”

3. Prozess gegen ehemaligen MDR-Unterhaltungschef beginnt
(mdr.de)
Heute beginnt der Strafprozess gegen den ehemaligen MDR-Unterhaltungschef Udo Foht. Die Staatsanwaltschaft Leipzig werfe Foht in 13 Fällen Betrug, Untreue, Bestechlichkeit beziehungsweise Steuerhinterziehung vor. Bemerkenswert: Die Vorwürfe existieren seit mehr als zehn Jahren und hatten 2011 dazu geführt, dass Foht gekündigt wurde.

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4. “Schönreden ist jedenfalls Quatsch!”
(journalist.de, Jan Freitag)
“Berichterstattung, die beschreibt, was ist, wie es sich verbessern lässt und was das Einzelnen ebenso wie allen anderen bringt, ist zielführende Berichterstattung.” Im Interview mit dem “journalist” spricht Politökonomin Maja Göpel darüber, was Medien bei ihrer Klima­berichterstattung besser machen können. So sei es wichtig, Narrative zu hinterfragen, Begrifflichkeiten zu klären und gegebenenfalls die geeigneten Vokabeln zu finden.

5. Selbstjustiz vs. Glückloser staatlicher Kampf gegen den Hass
(belltower.news, Simone Rafael)
Wegen seiner laxen beziehungsweise kaum vorhandenen Kontrolle sei der Instant-Messaging-Dienst Telegram in Deutschland vor allem als Tummelplatz für Verschwörungsgläubige, Rechtsextreme und andere Demokratiefeinde bekannt. Nun lasse Telegram seine Nutzer und Nutzerinnen darüber abstimmen, ob man zukünftig mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten soll. Simone Rafael kommentiert: “Unklar bleibt, was Telegram mit der Umfrage bezwecken will: Will sich die Plattform zukünftige Entscheidungen bestätigen lassen? Soll hier Verantwortung auf die Nutzer*innen abgewälzt werden, die bei der Plattform liegt: Nämlich, wie sicher sich Menschen auf der Plattform fühlen dürfen? Ist das Basisdemokratie oder die Unterstützung von Selbstjustiz, weil andere Justiz ausgeschlossen wird? So oder so: An der Rolle Telegrams als Verbreitungsort für Hass wird sich so schnell wohl nichts ändern.”

6. “Katar will die Plattform Fußball politisch nutzen”
(deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Marcus Richter, Audio: 8:03 Minuten)
Am 20. November beginnt die stark umstrittene Fußball-WM der Männer in Katar. Sportjournalist Ronny Blaschke erinnert die Redaktionen an ihre Verantwortung und macht eine einfache Rechnung auf: “Je schwärmerischer wir über Tore und Titel berichten, desto weniger Zeit haben wir letztlich für die Thematisierung von Menschenrechtsverletzungen.”

Desinformationskampagne, Unruhe in Kiel, Fernsehpreis-Nominierte

1. Massenweise falsche News-Seiten enttarnt
(zdf.de, Oliver Klein)
Bei einer neuen, groß angelegten Desinformationskampagne mit pro-russischer Propaganda hätten Unbekannte massenweise Webseiten großer Medienmarken wie “Bild”, “Welt”, “Spiegel” und t-online.de täuschend echt nachgebaut. Experten sprechen von der “größten Desinformationskampagne überhaupt”. Zuerst hatte t-online.de daüber berichtet: Putins Troll-Armee greift Deutschland an (t-online.de, Lars Wienand & Stefan Steurenthaler & Sophie Loelke).

2. Politische Einflussnahme im Funkhaus Kiel?
(deutschlandfunk.de, Audio: 6:56 Minuten)
Personen aus der NDR-Redaktion erheben schwere Vorwürfe gegen die Senderleitung des Landesfunkhauses Schleswig-Holstein. Die Berichterstattung im Sender orientiere sich zu stark an der Landespolitik, sie sei zu nah, zu unkritisch. Von einem “politischen Filter”, einem “Klima der Angst” und “Hofberichterstattung” ist die Rede (siehe dazu auch unsere “6-vor-9”-Ausgabe vom 29. August). Der Deutschlandfunk fasst den aktuellen Stand zusammen.

3. Deutschland: Mehrheit der Jugendlichen vertraut Medien nicht
(derstandard.at)
Einer Studie der Universität Bielefeld zufolge habe eine Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland kein Vertrauen in die herkömmlichen Medien. Und es zeige sich, dass der Konsum von Sozialen Medien mit einer größeren Verschwörungsneigung einhergehe: “Von den jungen Menschen, die ihre Informationen bevorzugt aus den sozialen Medien beziehen, zeigen demnach 37,6 Prozent eine starke Verschwörungsneigung. Bei denen, die sich überdurchschnittlich viel über öffentlich-rechtliche Medien informieren, sind es nur 5,4 Prozent”, berichtet der “Standard”.
Nachtrag: Die Journalisten Bent Freiwald und Stefan Fries schreiben bei Twitter über “gravierende handwerkliche Mängel” der Studie.

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4. Das Verschwinden der 85 %
(flurfunk-dresden.de, Ladislaus Ludescher)
In einem Gastbeitrag für das Medienblog “Flurfunk” macht der Wissenschaftler Ladislaus Ludescher auf ein bemerkenswertes Ungleichgewicht in der Berichterstattung der “Tagesschau” aufmerksam: “In der ersten Jahreshälfte 2022 wurde in der ‘Tagesschau’ über das britische Königshaus umfangreicher berichtet als über den globalen Hunger, und dem Sport mehr Sendezeit eingeräumt als allen Staaten des Globalen Südens zusammen. Diese Länder drohen nun ganz in der Nichtbeachtung zu verschwinden. Und das obwohl viele von ihnen aktuell von gewaltigen Katastrophen erschüttert werden.”

5. Gekommen, um sich abzuschaffen
(taz.de, Jan Zier)
Jan Zier war von 2016 bis 2021 Chefredakteur der Bremer “Zeitschrift der Straße” – Straßenzeitungen sind ihm daher ein besonderes Anliegen. Für die sehe es in Deutschland derzeit jedoch schlecht aus. Coronabedingte Umsatzausfälle, steigende Papierkosten und die Inflation sind nur einige der Gründe dafür. Ziers bitteres Fazit: “Es könnte sein, dass Straßenzeitungen am Ende mangels Nachfrage eingestellt werden. Und nicht deshalb, weil es keine Obdachlosen mehr gibt.”

6. “Zeit für Experimente”: Die Nominierungen für den Deutschen Fernsehpreis 2022
(deutscher-fernsehpreis.de)
Die Jury des 23. Deutschen Fernsehpreises hat nach eigener Angabe “herausragende Produktionen sowie journalistische und künstlerische Einzelleistungen der Programmsaison 2021/22 begutachtet” und zu fast allen Kategorien die Nominierten veröffentlicht: “Inklusive der Personenkategorien lautet die Verteilung: 25 Nennungen für das ZDF, 24 für die ARD, 16 für RTL Deutschland, acht für Netflix, sieben für ProSiebenSat.1, fünf für Sky, vier für MagentaTV und je eine für Amazon Prime und Welt.”

Der erfundene Shitstorm, Brandbrief, Fiktives Göring-Eckardt-Interview

1. Der erfundene Shitstorm: Chronologie eines Medienversagens
(scompler.com, Mirko Lange)
In einem ausführlichen Beitrag samt Beweisführung hat Mirko Lange die Winnetou-Debatte der vergangenen Wochen analysiert. Lange rekonstruiert die Chronologie der Ereignisse und kommt zu dem Schluss: “Diesen Shitstorm über das Buch oder den Film gab es nie, ebenso wenig wie Forderungen nach Verboten. Beide sind vielmehr eine Erfindung findiger Journalisten und Populisten, die entweder medieninkompetent sind oder aus politischem Interesse bzw. aus wirtschaftlichem Kalkül hetzen.”

2. 72 NDR-Mitarbeiter schreiben Brandbrief an eigene Chefs
(stern.de, Markus Frenzel & Florian Schillat)
In einem dem “Stern” vorliegenden Brief distanzieren sich 72 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des NDR-Landesfunkhauses in Kiel von der eigenen Funkhausspitze und fordern “eine lückenlose und transparente Aufarbeitung aller Vorwürfe”. Dabei geht es um die Frage, ob kritische Berichterstattung zu Mitgliedern der schleswig-holsteinischen Landesregierung unterdrückt wurde.

3. Ein Heiland wird nicht kommen
(faz.net, Reinhard Borgmann)
Reinhard Borgmann kennt sich mit dem rbb bestens aus, er war von 2004 bis 2017 Redaktionsleiter des dort angesiedelten Politmagazins “Kontraste”. In einem Gastbeitrag in der “FAZ” erinnert er an die Mitschuld der Politik an den skandalösen Vorgängen beim Sender: “Von 30 Mitgliedern des Rundfunkrates sind immerhin acht ganz offiziell von den politischen Parteien in ihr Amt berufen worden. Haben die keine Verantwortung? Haben die wirklich nichts gewusst? Haben die den Dienstwagen der Intendantin nicht gesehen? Hatten die nicht den Verdacht, dass das gigantische Bauprojekt den Sender finanziell überfordert?!”

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4. So funktioniert die TikTok-Strategie der AfD
(tagesschau.de, Jan Schipmann & Linda Friese & Constantin Hofsäß & Lennart Glaser)
Recherchen des “funk”-Formats “Die da oben!” zufolge beherrscht vor allem eine politische Partei das mediale Spiel mit TikTok: die AfD. Zwar besitze die Partei selbst keinen eigenen offiziellen Account – er ist laut “Die da oben!” im Mai 2022 von TikTok gelöscht worden -, dafür sind die Partei-Institutionen und AfD-Abgeordneten auf TikTok umso präsenter: “Von den 80 Bundestagsabgeordneten der Partei ist mehr als ein Drittel mit einem eigenen Account vertreten. Im Vergleich: Bei der SPD nutzt die Plattform von den 206 Abgeordneten nicht einmal jeder zehnte.”
Dazgehöriger Gucktipp: Die TikTok-Strategie der AfD (youtube, Jan Schipmann, Video: 42:47 Minuten).

5. Eine Rede als Warnruf: Die BBC versagt als Aufklärer im Zeitalter des Populismus
(uebermedien.de, Annette Dittert)
Emily Maitlis, einst ein Star des BBC-Nachrichtenmagazins “Newsnight”, hat in einer Rede offen über den politischen Druck auf die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt geredet. Annette Dittert, Leiterin des ARD-Studios in London, hat genau zugehört und findet: “Es war mehr als nur eine Rede, es war ein Befreiungsschlag, ein kathartischer Moment, nicht nur für Emily Maitlis selbst, sondern auch für all die Briten, die die akute Bedrohung der BBC durch die britische Tory-Regierung längst als Teil der Angriffe auf ihre Demokratie wahrnehmen.”

6. Fik­tives Inter­view ist Satire
(lto.de, Felix Zimmermann)
Die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ärgerte sich über ein fiktives Interview mit ihr, das im Onlinemagazin “Tichys Einblick” veröffentlicht wurde, wandte sich dazu ans Landgericht Hamburg und verlor. Das sei vom Ergebnis her zwar überzeugend, von der Begründung her aber fragwürdig, findet “LTO”-Chefredakteur Felix W. Zimmermann. Auch für Nicht-Juristen interessante und lehrreiche Gedanken, weil sie das Spannungsfeld von Satire und “Fake News” betreffen.

Nächste Runde, “NZZ” redet Diktatur schön, Text-zu-Bild-Generierung

1. Nächste Runde
(sueddeutsche.de, Anna Ernst)
Die ARD kommt nicht zur Ruhe. Erst der Skandal beim rbb, nun ist die Landesfunkhausdirektorin des MDR in Sachsen-Anhalt, Ines Hoge-Lorenz, wegen mangelnder Transparenz von ihrem Amt zurückgetreten. Und auch beim NDR gärt es. Nach Berichten von “Business Insider” (hier eine Erwiderung des NDR) und “Stern” erhöben NDR-Redakteure schwere Vorwürfe gegen die Senderleitung des Landfunkhauses Schleswig-Holstein. Von einem “politischen Filter”, einem “Klima der Angst” und “Hofberichterstattung” sei die Rede.
Weiterer Lesehinweis: Laut “Übermedien” diskutierten Mitarbeiter und Funkhauschefs beim NDR Schleswig-Holstein die Vorwürfe gegen den Sender: “Hier wird ein Bild gezeichnet, was nicht das wahre Bild des NDR ist”.

2. Die NZZ redete die Diktatur in Saudi-Arabien schön
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Beim Lesen der “NZZ” ist Urs P. Gasche etwas Interessantes aufgefallen: “Die NZZ nennt autoritäre Herrscher, die geopolitisch als Feinde gelten, häufig ‘Diktator’ oder ‘Machthaber’. Wenn es sich aber um autoritäre Herrscher handelt, die dem Werte-Westen geopolitisch nützlich sind, hält sich die NZZ meistens an deren offiziellen Funktionen und bezeichnet sie beispielsweise als ‘Präsident as-Sisi’ oder eben ‘Kronprinz bin Salman’.”

3. Königshaus hält Familie von Exil-Journalisten fest
(reporter-ohne-grenzen.de)
Sechs Familienmitglieder des Journalisten Yusuf Omran Abdulla werden seit über einer Woche gegen ihren Willen in Bahrain festgehalten, berichtet Reporter ohne Grenzen: “Die Behörden in Bahrain versuchen offenbar, Druck auf einen ihrer Kritiker auszuüben. Auch aus dem Exil war Yusuf Abdulla weiter eine kritische Stimme zur politischen Lage in Bahrain. Deshalb will ihn die Regierung von König Hamad bin Isa al-Chalifa zum Schweigen bringen.” Der Fall hat auch eine politische Dimension: Seit 2020 besitzen alle sieben Familienmitglieder die deutsche Staatsbürgerschaft.

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4. Der Anfang von etwas Großem
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Sebastian Meineck zeigt sich angetan von den Ergebnissen der Software “StableDiffusion” und spricht gar von einer bevorstehenden Medienrevolution: “Jetzt isses soweit: Ich glaube, Text-zu-Bild-Generierung wird ein großes Ding. Die Technologie wird verändern, welche Bilder wir in unserem Alltag sehen und wie wir mit Bildern kommunizieren. Sie wird unsere Fantasie auf das nächste Level bringen und künftige Generationen werden uns belächeln, wenn sie hören, dass wir tatsächlich ein Leben ohne diese Technologie geführt haben.”

5. Jammern als Identität
(taz.de, Andreas Speit)
Das Magazin “Compact” wolle das “Flaggschiff der alternativen Medien” sein, habe sich jedoch längst zum “strömungsübergreifenden Kampfblatt der Extremen Rechten” entwickelt, befindet Andreas Speit. Mit der “Querdenken”-Bewegung habe die Redaktion zudem eine neue Zielgruppe ­gefunden. Gelegentlich gerate “Compact” jedoch auch ins Stolpern. So musste eine Autobiographie von Chefredakteur Jürgen Elsässer sowie eine Interview-DVD zurückgezogen werden. Dies jedoch nicht aus inhaltlichen Gründen – das verwendete Logo habe dem Logo eines bekannten Buchverlags zum Verwechseln ähnlich gesehen.

6. Games: Leitmedium des 21. Jahrhunderts?
(wdr.de, Steffi Orbach, Audio: 55:11 Minuten)
In den vergangenen Tagen fand in Köln die Computerspielemesse Gamescom statt. Der Radiosender WDR 5 hat der “europäischen Leitmesse für digitale Spielekultur” eine ganze Sendung gewidmet: Was sind die großen Themen dieses Jahres, und sind Games das Leitmedium des 21. Jahrhunderts? Wie ist es um den Jugendschutz bestellt? Wo lauern Kostenfallen? Und wie ist der aktuelle Stand beim Games-Journalismus?

KW 34/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Instagram – Das toxische Netzwerk
(arte.tv, Olivier Lemaire, Video: 1:26:34 Stunden)
Anfangs war es nur eine kleine App zum Teilen von Fotos, mittlerweile nutzen eine Milliarde Menschen Instagram. Was so vermeintlich positiv und harmlos daherkommt, hat seine Tücken, wie eine Arte-Doku filmisch analysiert: “Die ungebremste Inszenierung der eigenen Person, die im Ozean des Konsums illusorisch Glück verspricht, beeinflusst das Leben der Menschen schleichend. Die Flut an Bildern schlägt in Übersättigung um, in eine nie endende Pornografie aus Klamotten, Gegenständen, Essen und muskulösen, sonnengebräunten, eingeölten Körpern.” Der Film geht der Frage nach, welche Einflüsse Instagram auf Individuum und Gesellschaft hat.
Weiterer Gucktipp: Beim öffentlich-rechtlichen Jugendkanal “funk” gibt es einen zehnminütigen Beitrag über Douyin, das chinesische TikTok: “Warum Douyin in China so erfolgreich ist, und wie die kommunistische Partei vorgeht, wenn sich User zum Beispiel kritisch gegenüber der Regierung äußern.”

2. Publizist, Aktivist, Nonkonformist
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio: 54:52 Minuten)
Günter Wallraff gilt vielen als Legende des Investigativjournalismus. Er schlich sich in Industrieunternehmen ein, schlüpfte in verschiedene Rollen und Identitäten und war “der Mann, der bei ‘Bild’ Hans Esser war”. Im Deutschlandfunk spricht Wallraff über seine bekanntesten Recherchen, zum Beispiel in der “Bild”-Redaktion oder bei McDonald’s, und gibt Einblick in sein Inneres: “Ich fühle mich Menschen nahe, die geächtet sind.”
Transparenzhinweis und Werbung in eigener Sache: 44 Jahre nach seinem eigenen Buch über “Bild” hat sich Wallraff für “Ohne Rücksicht auf Verluste”, das Buch meiner BILDblog-Kollegen Mats Schönauer und Moritz Tschermak, ausgesprochen: “Eine überzeugende und erschütternde Beweisführung.”

3. Das neue YouTube für Rechte?
(deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Tim Wiese, Audio: 7:05 Minuten)
“Lange konnten rechtsextreme Inhalte auf Plattformen wie YouTube und Facebook ungehindert veröffentlicht werden. Gesetzesänderungen erschweren das nun. Menschen aus dem rechten Spektrum suchen nach Alternativen und werden fündig”, schreibt die Redaktion von Deutschlandfunk Kultur zu einem Gespräch mit Paula Matlach, Analystin beim ISD Germany. Matlach untersucht dort die Verbreitung von Desinformation und extremistischen Ideologien in deutsch- und englischsprachigen Ländern. Im Interview spricht Matlach über die von Rechten und Rechtsradikalen immer öfter genutzte Youtube-Alternative Odysee.
Weiterer Hörtipp: Im “Übermedien”-Podcast geht es um den radikalen Frauenfeind Andrew Tate: “Gut vier Millionen Follower hatte er auf Twitter, noch mehr auf Insta, bei Tiktok wurden seine Clips rund zwölf Milliarden Mal aufgerufen, und auf Google wird häufiger nach ihm gesucht als nach Kim Kardashian und Donald Trump zusammen! Wer ist dieser vor Ego platzende Muskelmann namens Andrew Tate? Und was macht ihn so erfolgreich?” Holger Klein spricht darüber mit Samira El Ouassil (uebermedien.de, Audio: 23:03 Minuten).

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4. Rebecca Barth, Journalistin, berichtet u.a. für die ARD aus der Ukraine
(medienmacherin.podigee.io, Freddie Schürheck, Audio: 51:59 Minuten)
Beim “Medienmacherin”-Podcast trifft Freddie Schürheck die Journalistin Rebecca Barth, die unter anderem für die ARD aus der Ukraine berichtet. In dem Gespräch geht um Barths journalistische Arbeit im Kriegsgebiet, ihre Verarbeitungsstrategien und die Frage, was sie immer wieder in die Ukraine zurückzieht.

5. Morde in Mexiko: Frei berichten trotz Lebensgefahr?
(ndr.de, Zapp, Anna Mundt & Lisa Maria Hagen, Video: 26:15 Minuten)
Mexiko gilt für Medienschaffende als eines der gefährlichsten Länder der Welt. “Was passiert da? Und wie kann man in einem solchen Land noch frei berichten?” Für ihren “Zapp”-Beitrag haben Anna Mundt und Lisa Maria Hagenin Mexiko Angehörige von Opfern getroffen, sie thematisieren die kritikwürdige Politik des Präsidenten und zeigen, “wie unzureichend das staatliche Schutzprogramm für Journalist:innen ist.”

6. Klare Vision statt Trends und Hypes – mit Podigee-Gründer Mati Sójka
(omrmedia.podigee.io, Vincent Kittmann, Audio: 30:11 Minuten)
2013 hatten Mati Sójka und Ben Zimmer eine brillante Geschäftsidee: Sie gründeten die Podcast-Hosting-Plattform Podigee. Zunächst beherbergten sie nur einige wenige Hörformate, nun seien es etwa 15.000 aktive Podcasts mit insgesamt rund 150 Millionen Downloads pro Monat. Im aktuellen “OMR”-“Podtalk” unterhält sich Vincent Kittmann mit Podigee-Gründer Sójka über dessen Unternehmen und die Podcast-Welt.
Passender Hörtipp dazu: Im Podcast “turi2 Clubraum” ist Sebastian Esser zu Gast, der mit Steady ein Finanzierungsportal anbietet, das auch für die Vermarktung von Podcasts genutzt werden kann (Aline von Drateln & Markus Trantow, Audio: 44:20 Minuten). Auch hier ein Transparenzhinweis: Wir vom BILDblog nutzen ebenfalls Steady.

Champagner und Entenstopfleber, Irrtümer mitdenken, Streaming Wars

1. Die Intendantin und ihr Kontrolleur
(tagesschau.de, Gabi Probst & René Althammer & Jo Goll & Daniel Laufer & Oliver Noffke)
Eigentlich soll im öffentlich-rechtlichen System ein Verwaltungsratsvorsitzender die Arbeit des Intendanten oder der Intendantin überwachen. Der rbb-Verwaltungsratsvorsitzende Wolf-Dieter Wolf und die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger pflegten jedoch ein enges, womöglich freundschaftliches Verhältnis, wie neu aufgetauchte Dokumente belegen. Auf Kosten der Beitragszahler erfreute man sich an Delikatessen wie Entenstopfleber (deren Herstellung in Deutschland übrigens aus guten Gründen verboten ist, Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators) und Champagner und wäre sogar fast miteinander verreist.

2. Im Auftrag der Pressefreiheit
(journalist.de, Celine Schäfer)
Beim “journalist” zeichnet Celine Schäfer der Werdegang von Vera Deleja-Hotko nach, die das Rechercheteam von “FragDenStaat” leitet. Dort recherchiere sie auf Grundlage von Dokumenten, die sie und ihr Team durch Informationsfreiheitsgesetze erhalten. Bis zu ihrer jetzigen Position war es für Deleja-Hotko ein harter und entbehrungsreicher Weg: “Wäre ich es nicht schon aus meiner Schulzeit gewohnt gewesen, so viele Stunden zu arbeiten und Nachtschichten zu machen, hätte ich diesen Weg nicht gehen können.”

3. Die eigenen Irrtümer mitdenken
(boersenblatt.net, Lennart Schaefer)
In die Debatte um das Zurückziehen von Begleitbüchern zu einem Winnetou-Spin-off schaltet sich Lennart Schaefer ein und räumt mit Missverständnissen auf: “Es geht nicht um die Empörung einer Gruppe von Aktivisten auf Social Media, sondern um die Kritik der Betroffenen. Es gibt auch keine Zensur, weil nichts verboten wurde, sondern nur Rücksicht genommen. Es steht auch keine Bücherverbrennung vor der Tür, weil das aus einer Diktatur hervorgegangen ist und es gerade um das Gegenteil geht – um Vielfalt, darum, allen zuzuhören und alle verstehen zu wollen.”

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4. Gericht verurteilt Querdenker wegen Mordaufrufen im Netz
(rnd.de)
Ein 63-jähriger Betreiber einer Facebook-Gruppe wollte die von anderen Gruppenmitgliedern geposteten Hasskommentare und Mordaufrufe partout nicht löschen. Das Amtsgericht Weiden hat den “Querdenker” daraufhin zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten und einer Zahlung von 1.200 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung verurteilt.

5. Newsletter Netzwerk Recherche 212
(netzwerkrecherche.org, Daniel Drepper & Albrecht Ude)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche (nr). Die neueste Ausgabe liefert den gewohnten aktuellen Überblick über Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Außerdem gibt es Informationen zur alljährlichen nr-Jahreskonferenz, die am 30. September und 1. Oktober dieses Jahres in Hamburg stattfindet. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

6. Streaming Wars
(tagesspiegel.de, Joachim Huber & Hannes Breustedt & Andrej Sokolow)
In wenigen Tagen feiert der ehemalige DVD-Verleiher und heutige Streaminganbieter Netflix ein Jubiläum, doch die Freude dürfte getrübt sein: “An seinem 25. Geburtstag am 29. August steht der Streaming-Marktführer unter Druck wie selten zuvor und es ist unklarer als je zuvor, wer die Streaming Wars gewinnt.”

Bild  

Nicht mal die Hälfte der Energie geht ins Recherchieren

Die “Bild”-Redaktion glaubt, mal wieder was entdeckt zu haben:

Ausriss Bild-Zeitung - Nicht mal die Hälfte des Etats geht ins Programm

Gemeint ist das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. “Bild” schreibt dazu:

ARD, ZDF und Deutschlandradio verwenden weniger als die Häflte ihres Budgets fürs Programm. Das geht aus dem jüngsten KEF-Bericht (“Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten”) vom Februar 2022 hervor. Demnach beläuft sich der Gesamtaufwand über den Vierjahreszeitraum 2021 bis 2024 auf 38,3 Milliarden Euro. Davon gehen 16,65 Milliarden Euro (43,5 %) ins Programm.

Die Zahlen, die die Redaktion am Ende nennt, sind richtig – sie stehen so im erwähnten KEF-Bericht. Alles andere ist falsch.

Zweifel an der Behauptung, dass die Öffentlich-Rechlichten “weniger als die Hälfte ihres Budgets fürs Programm” verwenden, hätte “Bild” spätestens beim Erstellen dieser Grafik kommen müssen, die heute neben dem Artikel in der Zeitung zu finden ist:

Ausriss Bild-Zeitung - zu sehen ist ein Diagramm, in dem die verschiedenen Ausgabenbereiche der öffentlich-rechtlichen Sender zu sehen sind, darunter Programmaufwand, Personal ohne Altersvorsorge, Sachaufwand, Altersvorsorge, Investitionen/Sonstiges, Programmverbreitung

“Bild” meint zu wissen, dass lediglich Gelder aus dem Bereich “Programmaufwand” für das Programm von ARD, ZDF und Deutschlandradio verwendet werden, eben 43,5 Prozent des Gesamtbudgets. Aber was ist zum Beispiel mit dem Bereich “Personal ohne Altersversorgung”? Sind das die Pförtnerinnen, die Hausmeister, das Kantinenpersonal – also all jene, die mit dem Programm nichts zu tun haben?

Im 23. Bericht der KEF, auf den sich die “Bild”-Redaktion bei ihrem Vorwurf bezieht, steht extra zu Beginn des Abschnitts “Programmaufwand” (PDF, Seite 92):

Die Kommission erfasst als Programmaufwand insbesondere Kosten für Produktionen, die außerhalb der Anstalten entstehen. Die Erläuterungen dazu sowie das methodische Vorgehen der Kommission sind im 22. Bericht ausführlich beschrieben (vgl. dort Tzn. 72 f.).

Also mal schnell in den 22. Bericht der KEF geschaut (PDF, Seite 80):

Die Kommission erfasst als Programmaufwand insbesondere Kosten für Produktionen, die außerhalb der Anstalten entstehen. Dazu gehören:

  • Ankauf fertiger Produktionen von Dritten,
  • Erstellung von Koproduktionen und Auftragsproduktionen,
  • Erwerb von Sende-­ und Übertragungsrechten, namentlich Sportrechten,
  • Leistungsvergütungen für freie Mitarbeiter,
  • Vergütungen für Urheberrechts­- und Leistungsschutzberechtigte.

Kosten von Eigenproduktionen sind nur zum Teil im Programmaufwand enthalten. Sie werden daneben auch aus dem Personalaufwand und dem Sachaufwand finanziert.

Das heißt: Die vielen festangestellten Redakteurinnen und Redakteure zum Beispiel, die jeden Tag dazu beitragen, dass es im Fernsehen, im Radio und online Programm geben kann, oder die Korrespondetinnen und Korrespondenten, die selbst Beiträge erstellen, oder die Nachrichtensendungen, Politmagazine und Dokumentationen, die in den Häusern entstehen und nicht von außen eingekauft werden, oder selbstproduzierte fiktionale Serien – die dafür anfallenden Kosten fehlen in der “Bild”-Rechnung.

Es gibt zweifelsohne eine Menge zu kritisieren am öffentlich-rechtlichen System. Man kann den Anstalten gern alles mögliche vorwerfen: die träge Behördenhaftigkeit, die Programmgestaltung oder eben einen falschen Einsatz des vielen Geldes. Aber dann wäre es doch keine schlechte Idee, vorher wenigstens einmal ordentlich in den dafür maßgeblichen Bericht zu schauen.

Gesehen bei @daniel_bouhs.

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