“Aktenzeichen XY”, Höcke-Interview, Im Prospekt lebt das Hackfleisch noch

1. Wem wollte Eduard Zimmermann Angst machen und warum?
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Gestern Abend lief im ZDF die knapp eineinhalbstündige Doku “Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann”. Stefan Niggemeier hat sie sich angeschaut: “Wenn man den Film von Regina Schilling über ‘Aktenzeichen XY ungelöst’ beim Wort nimmt, war die legendäre ZDF-Sendung womöglich ein groß angelegtes Propagandaprojekt, mit dem Eduard Zimmermann die Frauen dazu bringen wollte, ‘brav zuhause zu bleiben'”. Niggemeier findet, der Film sei “brillant komponiert, voller unglaublicher Sendungsszenen vor allem aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, die die Autorin mit den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik kontrastiert und mit persönlichen Anmerkungen versieht. Er hat nur einen Haken: Er überzeugt mich nicht.”
Weiterer Lesetipp: Die Kritik bei “DWDL” zu Schillings Doku liest sich so, als sei Autor Alexander Krei durchaus von ihr überzeugt.

2. Einladung an alle?
(mdr.de, Ralf Heimann)
Björn Höcke, rechtsextremer thüringischer AfD-Landessprecher, war vor zwei Tagen für das jährliche Sommerinterview beim MDR. Ralf Heimann geht in der Medienkolumne “Altpapier” (die ebenfalls beim MDR erscheint) der “immer wieder gestellten Frage” nach: “Muss das denn sein?” Eine Antwort darauf sei kompliziert, schreibt Heimann und versucht, eine zu finden.

3. Neues Klima im Journalismus: Viele Wege in die Krise
(taz.de, Adefunmi Olanigan)
Eines sei klar, schreibt Adefunmi Olanigan in der “taz”: “Klima gehört zur Berichterstattung. Das Bewusstsein für das Thema ist in vielen Redaktionen gewachsen, auch durch die Klimabewegung.” Nur wie berichten die unterschiedlichen Medien über Klima, mit welcher Infrastruktur: mit eigenen Klimaressorts, mit regelmäßigen Themenschwerpunkten, mit ressortübergreifenden Teams? Olanigan beleuchtet unterschiedliche, derzeit praktizierte Ansätze verschiedener Redaktionen.

Bildblog unterstuetzen

4. Koordinierter Vertrauensverlust
(cemas.io, Lea Frühwirth)
“Wenn die Gefahren von Desinformation thematisiert werden, geht es oftmals nur in einer kurzfristigen Betrachtung darum, dass Menschen falsche Behauptungen für wahr erachten und dass hieraus unmittelbare Probleme entstehen”, schreibt Lea Frühwirth im Blog des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie CeMAS: “Zur umfassenden Betrachtung von Desinformation gehört jedoch auch der Blick auf ihre langfristigen Auswirkungen auf die Demokratie.”
Frühwirth erklärt anhand verschiedener Beispiele und Untersuchungen, warum Desinformation “ein konstanter Stressfaktor für demokratische Gesellschaften” ist.

5. Strafaussetzung zur Bewährung nach Absprache zu “mild”?
(community.beck.de, Henning Ernst Müller)
Ein, so der Vorwurf, zu mildes Urteil des Amtsgerichts Regensburg in einem Vergewaltigungsfall sorgte jüngst für wütende Kommentare und hitzige Debatten in klassischen wie Sozialen Medien. Zieht eine Entscheidung eines Gerichts derartige Reaktionen nach sich, lohnt es immer, sich differenzierte Einschätzungen von Juristen anzusehen. Zum Fall aus Regensburg erklärt Juraprofessor Henning Ernst Müller in seinem Beitrag unter anderem, was aus seiner Sicht durchaus für eine Bewährungsstrafe spricht. Und er wirft exemplarisch einen Blick auf die Berichterstattung der “Welt” zum Gerichtsurteil: “In diesem ausführlichen Beitrag wird die 6-monatige Untersuchungshaft nicht erwähnt. Das ist, Verzeihung, liebe Journalisten der ‘Welt’, eine schon grobe Verzerrung der Wirklichkeit.” Müllers Text ist bereits eine Woche alt, aber immer noch sehr lesenswert.

6. Lang lebe das Hack
(zeit.de, Moritz Hürtgen)
Moritz Hürtgen hat sich heldenhaft in die Flut aus Werbeprospekten gestürzt, sei es von Aldi, Lidl, Hit oder Edeka: “Auch ich hatte das auflagenstärkste deutsche Printprodukt bisher unterschätzt. Zu Unrecht, wie ich heute zugeben muss. Wenn etwas mit 25 bis 30 Millionen Exemplaren pro Ausgabe gedruckt wird (Bild-Auflage mal 25 bis 30), dann kommt man irgendwann einfach nicht mehr daran vorbei. Dann ist die Diskursmacht zu groß.” Hürtgens erste Erkenntnis “nach ein paar Stunden Lektüre”: “Hier lebt das Hackfleisch noch!”

Die “eine Zeitung” feuert weiter

In der heute erschienenen Ausgabe der “Zeit” gibt es ein großes Interview mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (online nur mit Abo lesbar). “Zeit”-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo fragt den Grünen-Politiker unter anderem:

Sie sind über Monate fast täglich angegriffen worden. Auch durch eine Zeitung, die selten “Heizungsgesetz” geschrieben hat, sondern stark personalisiert: “Habecks Heiz-Hammer”. Hat so ein Dauerfeuer Auswirkungen auf Ihr Leben?

Habecks Antwort:

Ja, aber anders, als man vermuten würde. Das, was ich im Moment mache, ist das Beste, was ich in meinem bisherigen politischen Leben gemacht habe. Es bedeutet mir richtig viel, und ich bin stolz darauf. Ich habe immer viel gearbeitet, aber noch nie so viel wie in den letzten zwei Jahren. Ich weiß, wofür ich das tue. Es gibt null Hadern, null Zaudern, null Bedauern, gar nichts. Ich bin ganz verschmolzen mit der Aufgabe, die ich im Moment habe.

Robert Habecks Antwort, es gebe “null Bedauern, gar nichts”, bezieht sich ganz offensichtlich auf die Auswirkungen seines Berufs und der damit verbundenen (medialen) Angriffe, denen er ausgesetzt ist, auf sein Leben. Habeck spricht über seine persönliche Situation.

Und was macht die Redaktion dieser “einen Zeitung” daraus? Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Trotz Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte - Habeck hat null Bedauern, gar nichts

“Bild” reißt Robert Habecks Aussage aus dem persönlich gemeinten Kontext und verknüpft das fehlende Bedauern neu mit “Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte”. Die Redaktion hinter dem von Giovanni di Lorenzo so beschriebenen “Dauerfeuer” feuert weiter.

Bei Twitter teasert “Bild” den eigenen Artikel wortgleich an. Das funktioniert. Die Followerschaft drischt in den Kommentar wütend auf den angesichts von “Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte” so arrogant und ignorant wirkenden Habeck ein.

Bildblog unterstuetzen

Journalistisches Multitasking, Radiozoff, Cringe Jugendwort-Wahl

1. EU-Bürger wünschen sich laut Studie mehr Maßnahmen gegen Fake News
(zeit.de)
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeige, dass Falschinformationen und gefälschte Fotos im Internet viele EU-Bürgerinnen und -Bürger verunsichern. 54 Prozent der Befragten würden sich oft oder sehr oft unsicher fühlen, wenn sie online Informationen erhalten. Eine klare Mehrheit wünsche sich, dass die Politik stärker gegen die Verbreitung von Desinformation vorgeht, und 89 Prozent würden ein stärkeres Engagement der Betreiber von Online-Plattformen erwarten.

2. “Verloren im Klein-Klein”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 5:59 Minuten)
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Jahr 2021 mussten viele afghanische Journalisten und Journalistinnen, die für ausländische Medien gearbeitet hatten, das Land verlassen. Der Journalist Martin Gerner, der mehrere von ihnen bei der Ausreise unterstützt hat, betont die unverzichtbare Rolle dieser lokalen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Trotz ihrer wichtigen Arbeit in Afghanistan würden sie in Deutschland auf Integrationsprobleme und Druck stoßen, insbesondere beim Spracherwerb.

3. Zwischen Job, Herzensprojekt und Ehrenamt
(fachjournalist.de, Gunter Becker)
Viele Journalistinnen und Journalisten, insbesondere freiberufliche, setzen auf mehrere Standbeine: Neben ihrer Haupttätigkeit betreiben sie Blogs, schreiben Bücher oder produzieren Filme. Manche engagieren sich zusätzlich in NGOs und bei Kampagnen. Gunter Becker stellt drei dieser “Multiengagierten” vor: Die Kamerafrau Susanne Hensdiek, die neben ihrer Arbeit Dokumentarfilme dreht und NGOs unterstützt, die Journalistin Oyindamola Alashe, die neben ihrer journalistischen Tätigkeit Bücher schreibt und sich für soziale Themen einsetzt, und den Datenjournalisten Lorenz Matzat, der sich sowohl in der Medienbranche als auch im NGO-Bereich engagiert.

Bildblog unterstuetzen

4. Für mehr Transparenz
(taz.de, Wilfried Urbe)
Der neue Medienstaatsvertrag stärkt die Kompetenzen der Rundfunk- und Verwaltungsräte, die Zusammensetzung der Gremien werde jedoch kritisiert. Viele Mitglieder seien in Politik, Behörden oder Verbänden tätig. Es fehle an der Vertretung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, etwa von Menschen mit Behinderungen. Experten würden die Notwendigkeit eines Kulturwandels in den Einrichtungen betonen und eine bessere Repräsentation der Gesellschaft in den Räten fordern. “taz”-Autor Wilfried Urbe weist zudem auf den Altersdurchschnitt in den Gremien hin, der bei über 50 Jahren liege.

5. Radiozoff in Sachsen
(verdi.de, Günther Herkel)
Wie Günther Herkel berichtet, kritisiert der Bundesverband Freier Radios die Vergabe einer Lizenz als “Nichtkommerzielles Lokalradio” durch die Sächsische Landesmedienanstalt an das private Radio WSW, die mit der Gewährung von Fördermitteln einhergeht. Dieser Schritt werde als Verschiebung der “Grenzen des Mediensystems” betrachtet, da er die klare Trennung zwischen kommerziellen und nichtkommerziellen Veranstaltern verwische.

6. Digga, goofy und Side eye
(tagesschau.de)
Die Entscheidung über das “Jugendwort des Jahres” steht an, und “Tagesschau”-Sprecherin Susanne Daubner hat es sich nicht nehmen lassen, jeden einzelnen der zehn zur Wahl stehenden Begriffe einzulesen. Eine Aktion irgendwo zwischen slay und cringe.

Bild  

Jetzt bringen auch noch die Fluten “unseren Urlaub” in Gefahr

In Österreich und Slowenien gab es Ende vergangener Woche nach heftigen Regenfällen schwere Überschwemmungen. Die “Bild”-Redaktion berichtete am Montag im Blatt darüber, unter anderem mit diesem Foto:

Ausriss Bild-Zeitung - Zu sehen ist eine Aufnahme eines Hauses, das von den Wassermassen mitgerissen wurde - dazu die Bildunterschrift: Ein Haus in Prevalje (Slowenien) ist nach einer Flutwelle eingestürzt

Im harmlosesten Fall ist auf dem Bild eine zerstörte Lebensgrundlage einer Person oder einer Familie zu sehen, ein weggeschwemmtes Zuhause. Im schlimmsten Fall gab es dort Tote oder Verletzte. Mindestens sechs Menschen sind in Slowenien im Zusammenhang mit dem Unwetter ums Leben gekommen.

Welche eine Frage zur Situation im Katastrophengebiet ist für die “Bild”-Redaktion wohl von so zentraler Bedeutung, dass sie unbedingt in der Überschrift des Artikels gestellt werden muss?

Ausriss Bild-Zeitung - Zu sehen ist dasselbe Foto wie oben mit der Bildunterschrift und nun zusätzlich die Artikelüberschrift: Ist unser Urlaub in Österreich in Gefahr?

Es ist leider wenig überraschend: Wer sich regelmäßig zuallererst um “unseren Urlaub” sorgt, wenn in südeuropäischen Urlaubsregionen die Wälder brennen, sorgt sich natürlich auch zuallererst um “unseren Urlaub”, wenn in mitteleuropäischen Urlaubsregionen Wassermassen durch die Straßen jagen.

Eine Antwort auf die Frage nach “unserem Urlaub in Österreich” gibt es im “Bild”-Artikel übrigens nicht. Nicht mal das.

  • Lesetipp: In der “Süddeutschen Zeitung” schreibt Cornelius Pollmer sehr lesenswert über die “journalistische Reiseantrittsverunsicherung” in der “Bild”-Berichterstattung:

    Nun lässt sich der Boulevard oft ganz gut aushalten, wenn beim Lesen niemand zu Schaden kommt. Bei Feuern und Fluten allerdings kommen durchaus Menschen zu Schaden und die Frage sei in Gedanken kurz erörtert, wie angemessen es ist, zunächst Wohl und Wehe deutscher Jahresurlauber zu erörtern, wenn irgendwo die Hütte brennt oder eben absäuft.

    Der Text ist allerdings nur mit einem Abo lesbar.

Kontroverse um Berichterstattung, Globaler Süden, KI-Radio

1. War doch nicht so gemeint
(kontextwochenzeitung.de, Johanna Henkel-Waidhofer)
Das baden-württembergische Innenministerium hat dem Journalisten Franz Feyder falsche Berichterstattung über Machtnetzwerke in der Polizei vorgeworfen. Die Opposition sieht das grundsätzlich anders und fordert eine Entschuldigung von Innenminister Thomas Strobl, nicht nur beim betroffenen Journalisten, sondern auch bei den “Stuttgarter Nachrichten” und der “Stuttgarter Zeitung”. Johanna Henkel-Waidhofer erläutert die Kontroverse hinsichtlich ihrer medialen und politischen Aspekte.

2. #TelegramBriefing Juli ’23
(fairmedia.ch)
Für den gerade beendeten Monat Juli hat die Initiative “Fairmedia” eine Datenanalyse von Telegram-Kanälen mit Bezug zur Schweiz durchgeführt, mit besonderem Fokus auf das Thema Hitze. Dabei wurden verschiedene Inhalte identifiziert, die nicht verifiziert werden konnten oder klare Falschaussagen enthielten, beispielsweise in Bezug auf Hitze und einen angeblichen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Derlei Erzählungen seien auch von Medien wie der “Weltwoche” übernommen worden.

3. Die Welt spricht miteinander
(journalist.de, Hanna Israel)
Beim “journalist” berichtet “Zeit-Online”-Projektleiterin Hanna Israel über das Format “The World Talks”, das von ihrer Redaktion sowie 15 Medienpartnern ins Leben gerufen wurde und tausende Menschen aus 116 Ländern zu Gesprächen zusammenbrachte: “Die Idee, einander unbekannte Menschen zu politischen Vieraugengesprächen zusammenzubringen, hatten wir erstmals vor der Bundestagswahl 2017. Westliche Gesellschaften schienen damals besonders gespalten, auch die deutsche. Wir fragten uns in der Redaktion von Zeit Online: Sprechen wir eigentlich noch genug mit Menschen, die politisch anderer Meinung sind? So entstand die Idee eines ‘politischen Tinders’.”

Bildblog unterstuetzen

4. Den Globalen Süden kaum im Bild
(de.ejo-online.eu, Ladislaus Ludescher)
Ladislaus Ludescher hat untersucht, wie viel Sendezeit und Aufmerksamkeit Österreichs wichtigste Nachrichtensendung “Zeit im Bild 1” und die größte österreichische Nachrichtenseite ORF.at dem Globalen Süden widmen. Das Ergebnis ist ernüchternd, wobei die mediale Marginalisierung des Globalen Südens Routine habe. Eine knapp elfminütige Videozusammenfassung der Ergebnisse kann man sich hier ansehen.

5. KI-gesteuertes Radio bigGPT gestartet
(verdi.de)
Gestern ist “BigGPT” gestartet, ein von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerter Webradiosender, der vollständig aus computergenerierten Inhalten und synthetischen Stimmen besteht. Die KI-Moderatorin “bigLayla” werde durch Trainingsdaten, die auf GPT-Modellen basieren, und Anweisungen von Redakteuren und Redakteurinnen gesteuert, die ihr journalistische Aufgaben für die aktuelle Berichterstattung und die Musikzusammenstellung geben. Trotz der Automatisierung halte man sich an journalistische Standards und ethische Regeln und lasse die Inhalte vor der Veröffentlichung von der Redaktion prüfen, sagt der technisch verantwortliche Koordinator des Senders.

6. Wir wollen neue Stimmen im Journalismus fördern
(spiegel.de)
Der “Spiegel” und die Deutschlandstiftung Integration haben das Journalismus-Stipendium “Geh Deinen Weg” gestartet, um die Diskrepanz zwischen dem Anteil der Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland (über 27 Prozent) und dem Anteil von Medienschaffenden mit Migrationsbiografie (unter 10 Prozent) zu überwinden. Das Stipendium biete Mentoring durch erfahrene “Spiegel”-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, Zugang zu Fortbildungen sowie die Möglichkeit zu Austausch und Vernetzung. Ziel sei es, Vielfalt und Diversität in den Medien zu fördern.

Immer noch gesucht: Fotograf für korrektes Bild

In der gedruckten “Bild” von heute gibt es ein Suchspiel. Die Redaktion hat eine Korrektur versteckt:

Ausriss Bild-Zeitung - Übersicht über die Seite 2 der heutigen Bild-Ausgabe

Nicht gefunden? Da unten, zwischen “Faesers Anti-Clan-Plan” und Scholz’ Provence-Urlaub:

Ausriss Bild-Zeitung - 150000 Euro für Fotograf - Das Umweltministerium von Steffi Lemke (55, Grüne) sucht einen Fotografen. Auftragswert: 150000 Euro. BILD berichtete, dass die Kosten bei einer Verlängerung auf 300000 Euro steigen könnten. Richtig ist: In der Rahmen-Vereinbarung ist das maximale Auftragsvolumen auch bei einer Verlängerung auf 150000 Euro festgesetzt.

Gut, die Redaktion hat das jetzt lieber nicht “Korrektur” genannt oder sonst ein Wort gewählt, das darauf hindeuten könnte, dass in ihrer Berichterstattung irgendwas richtig schiefgelaufen ist. Und auch bei Bild.de nennen sie es lieber “Transparenzhinweis”:

Transparenzhinweis: In der ersten Fassung des Artikels hieß es, dass die Kosten bei einer zweimaligen Verlängerung noch höher ausfallen könnten. In der Rahmenvereinbarung ist festgestellt, dass das maximale Auftragsvolumen auch im Falle einer Verlängerung auf 150 000 Euro festgesetzt ist.

Damit ist immerhin ein Aspekt korrigiert. All die anderen Einseitigkeiten und Auslassungen, über die wir vergangene Woche berichtet haben, thematisiert die “Bild”-Redaktion hingegen nicht. Keine Erklärung, was “maximales Auftragsvolumen” genau bedeutet (dass nämlich nur einzelne Einsätze über Stunden- oder Tagessätze bezahlt werden – es sich also nicht um ein Festgehalt handelt -, und dieses “maximale Auftragsvolumen” von 150.000 Euro überhaupt nicht ausgeschöpft werden muss). Keine genauere Beschreibung, wer alles fotografiert werden soll (nämlich nicht nur Bundesumweltministerin Steffi Lemke, sondern auch die Staatssekretäre und die Parlamentarischen Staatssekretäre des Ministeriums). Und kein Wort in der Korrektur dazu, auf wie viele Jahre sich diese maximale Summe von 150.000 Euro verteilt (nämlich auf maximal vier).

Auch in einem Tweet, den die “Bild”-Redaktion heute ungewöhnlicherweise ebenfalls veröffentlicht hat, fehlen diese Details und Differenzierungen. Praktisch: So können sich all die Halbinformierten (die zugegebenermaßen vielleicht auch gar nicht besser und differenzierter informiert sein wollen) in den Kommentaren unter dem Tweet noch einmal über die Politikerinnen und Politiker ohne “jedes Maß an Anstand” aufregen.

Bildblog unterstuetzen

Haftstrafe wegen Attacke, Falsche Außenministerin, Roberto Saviano

1. Haftstrafe nach Angriff auf Reporter bei Pressekonferenz
(zeit.de)
Ein 24-jähriger Mann wurde vom Amtsgericht München zu zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, weil er im August 2022 im Anschluss an eine Corona-Pressekonferenz einen Journalisten des Bayerischen Rundfunks körperlich attackiert hatte. Der Angeklagte hatte den Angriff teilweise gestanden und sein Verhalten bedauert, anwesende Pressevertreter jedoch zu Prozessbeginn als “Drecksjournalisten” beschimpft.

2. Gegen Festlegung der Länderchefs
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisiert die Aussagen von sechs Ministerpräsidenten und einer Ministerpräsidentin, die sich gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags ausgesprochen haben, ohne die Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten KEF abzuwarten. Der stellvertretende DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster wertet dies als “Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk” und kritisiert eine Ignoranz gegenüber Expertenmeinungen.

3. Verschwörungserzählungen und die AfD
(cemas.io, Pia Lamberty & Josef Holnburger)
“Mit der Berichterstattung über den kürzlichen Bundesparteitag im Zuge der Entwicklung des Europawahlprogramms und der Abstimmung über die Kandidierendenliste der Alternative für Deutschland (AfD) zeigte sich noch einmal verstärkt der rechtsextreme Charakter dieser Partei.” Pia Lamberty und Josef Holnburger erklären in einem Blogbeitrag, wie sich die AfD Verschwörungserzählungen zunutze macht, um ihre Klientel zu mobilisieren.

Bildblog unterstuetzen

4. RAI auf Regierungslinie. Warum Saviano nicht mehr senden darf
(epd.de, Birgit Schönau)
Birgit Schönau berichtet beim epd über die schwierigen Lebensbedingungen des italienischen Schriftstellers und Journalisten Roberto Saviano. Nicht nur, dass er wegen seiner Arbeit gegen die Mafia seit Jahren unter ständiger Bedrohung und unter Polizeischutz lebt, nun wurde Saviano auch noch vom öffentlich-rechtlichen italienischen Sender RAI ausgeschlossen, unter anderem wegen seiner Kritik am rechtspopulistischen Politiker Matteo Salvini. Diese Maßnahme sei Teil einer beispiellosen “Säuberungswelle”, die sich gegen Medienschaffende richtet, die nicht der Regierungslinie folgen, so Schönau.

5. Kolumbien: Unter medialem Störfeuer
(verdi.de, Knut Henkel)
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro stehe trotz Erfolgen wie dem Waffenstillstand mit der ELN-Guerilla medial unter Druck, berichtet Knut Henkel. Die vor Ort aktive Stiftung für Pressefreiheit FLIP führe dies auf strukturelle Probleme in der kolumbianischen Medienlandschaft zurück, da es dort keine Institutionen gebe, die den Informationsauftrag der Medien überwachen. Die Regierung plane nun, alternative Medien zu fördern, um die vorherrschenden Medienstrukturen und die Medienkonzentration in den Händen weniger, einflussreicher Akteure aufzubrechen.

6. Auswärtiges Amt ging gegen Parodie-Account vor
(spiegel.de)
Eine Parodie auf Außenministerin Annalena Baerbock erreicht auf X (ehemals Twitter) mehr als 50.000 Followerinnen und Follower. Nach einer Beschwerde des Auswärtigen Amtes wurde der Account kurzzeitig gesperrt, da er ein offizielles Foto Baerbocks verwendete und das Wort “Parodie” nicht deutlich genug hervorhob. Nachdem die Betreiber des Accounts dies deutlicher in den Vordergrund gerückt haben, dürfen sie offenbar munter weitermachen.

Medien-Affäre Wolff, “Welt” im Empörungsrausch, Hollywood besorgt

1. Fundiert spekuliert
(taz.de, Carolina Schwarz)
“Wer die Debatte um den Publizisten Fabian Wolff verstehen möchte, muss bereit sein, sehr viel Text zu lesen. Denn wie das so mit Debatten im Feuilleton ist, kurz hält sich kaum jemand.” Carolina Schwarz hat sich durch die vorhandene Berichterstattung gekämpft und versucht, den Fall zu entwirren, bei dem es nicht nur um das Fehlverhalten eines Einzelnen geht, sondern auch um den Umgang der Medien und Redaktionen damit.

2. Sorgen in Hollywood: Warum streikt die Filmbranche?
(br.de, Linus Lüring, Audio: 29:23 Minuten)
Im Medienpodcast von BR24 spricht Linus Lüring mit Expertinnen und Experten über den Streik der Filmschaffenden in Hollywood: Katharina Wilhelm (ARD-Korrespondentin in Los Angeles), Nina Franoszek (Schauspielerin in Hollywood) und Christian Lex (Drehbuchautor). Sind die Ängste vor dem Einzug von Künstlicher Intelligenz berechtigt? Welche Forderungen haben Schauspielerinnen und Schauspieler, Drehbuchautorinnen und -autoren? Und warum stehen bei den Streiks vor allem auch die Streaming-Plattformen in der Kritik?

3. Salon 5: Jugendreporter:innen und Medienkompetenz
(de.ejo-online.eu, Johanna Mack)
“Salon5”, ein Webradio und Podcast von “Correctiv”, will jungen Menschen Medienkompetenz vermitteln und ihnen die Möglichkeit geben, sich gesellschaftlich zu engagieren. Die Initiative bildet Jugendliche zu Reportern und Reporterinnen aus, die ihre eigenen Themen setzen und gestalten können. Im Interview mit dem “European Journalism Observatory” erzählt Redaktionsleiterin Hatice Kahraman, was “Salon5” von anderen Formaten unterscheidet, woher die Idee stammt und welchen Stellenwert das Projekt innerhalb von “Correctiv” hat.

Bildblog unterstuetzen

4. Facebook muss um Zustimmung bitten
(verdi.de)
Meta, der Konzern hinter Facebook, Instagram und WhatsApp, habe angekündigt, sich künftig an die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) halten und die Zustimmung seiner Nutzerinnen und Nutzer in der EU einzuholen zu wollen, bevor deren Daten verwendet werden. Die Entscheidung folge auf eine Geldstrafe in Höhe von 390 Millionen Euro, die Meta im Januar 2023 wegen Verstößen gegen die DSGVO auferlegt worden sei. Meta werde nun die Zustimmung der Nutzerinnen und Nutzer in der EU einholen, bevor es personalisierte Werbung auf der Grundlage des Nutzungsverhaltens schaltet.

5. Twitter heißt jetzt “X” – sonst ändert sich alles
(gutjahr.biz)
Richard Gutjahr schreibt über die Transformation von Twitter zu X. Was die von Elon Musk angestrebte Verwandlung zu einer Art “Super-App” anbelangt, mit der man chatten, shoppen und bezahlen kann, ist Gutjahr skeptisch: “Anders als die anderen Musk-Unternehmen SpaceX oder Starlink ist das Führen eines Sozialen Netzwerks offenbar keine Raketenwissenschaft. Es ist schwerer.”

6. “Welt” erfindet Aufregung um “Rolling Stone”-Bestenliste
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Die deutsche Ausgabe des Musikmagazins “Rolling Stone” hat 135 Personen aus der Musikbranche nach deren Lieblingsalben gefragt und daraus eine Liste der “500 besten Alben aller Zeiten” erstellt. Ein Autor der “Welt” will daraufhin einen große Empörung über diese Besten-Liste entdeckt haben. Die vermeintliche öffentliche Erregung findet sich jedoch vor allem in den Kommentaren der “Welt”-Leserschaft, meint Medienkritiker Stefan Niggemeier. Die “erhitzte öffentliche Debatte”, die die “Welt” sich ausgedacht habe, sei nur ein “warmes Flatulenz-Lüftchen in der eigenen Leserkommentarspalte”.

KW 31/23: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Medien und die AfD: Wie berichten über Rechts?
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 33:20 Minuten)
Im Medienpodcast “quoted” sprechen die Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura und der “SZ”-Journalist Nils Minkmar mit der Rechtsextremismusexpertin Pia Lamberty über die aktuell hohen Zustimmungswerte der AfD und den medialen Umgang mit Rechts. Handelt es sich bei AfD-Wählern tatsächlich um Protestwähler, wie oft behauptet wird? Schenken manche Medien der AfD zu viel Aufmerksamkeit? Und welche Art der Berichterstattung wäre angemessen?

2. Tür an Tür mit dem Gangster:Leben in Rios größter Favela
(ardaudiothek.de, Weltspiegel Podcast, Philipp Abresch, Audio: 30:09 Minuten)
Für den “Weltspiegel” sind Matthias Ebert, ARD-Korrespondent in Rio de Janeiro, und die Filmemacherin Joana Jäschke in die größte Favela Rios gezogen und haben von dort eine packende Video-Reportage mitgebracht. Im “Weltspiegel”-Podcast berichten sie über das Making-of des Projekts, und das ist nicht minder spannend.

3. Ärger bei “Siegener Zeitung” und Kreml-Videos auf Tiktok
(wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 42:19 Minuten)
Das WDR5-Medienmagazin “Töne, Texte, Bilder” beschäftigt sich wie gewohnt mit einer Reihe von Themen: Zu Beginn steht die “Siegener Zeitung” im Fokus, die Druck durch die Industrie- und Handelskammer beklagt. Darüber hinaus geht die Sendung auf die Herausforderungen der Lokalzeitungen in Nordrhein-Westfalen ein. Ein weiteres Thema ist die Nutzung von TikTok als Plattform für Videos aus dem Kreml. Und es geht um die Pläne von Instagram, Abonnements für Zusatzinhalte einzuführen.

Bildblog unterstuetzen

4. Künstliche Intelligenz im Journalismus: Chance, Bedrohung, Perspektiven
(youtube.com, Frankfurter PresseClub, Kim Björn Becker, Video: 1:31:40 Stunden)
Wie wird sich Künstliche Intelligenz (KI) auf den Journalismus auswirken? Ist sie eher Chance oder eher Bedrohung? Welche Regeln braucht es für ihren Einsatz? Und wie schützen sich Redaktionen vor KI-generierten “Fake News” oder gar systematischer Einflussnahme? Unter anderem darüber diskutieren Alessandro Alviani (Lead Natural Language Processing Ippen Digital), Felix M. Simon (Journalist, Kommunikationsforscher und Doktorand am Oxford Internet Institute) und Sarah Stein (Head of Search Experience beim SWR).

5. Warum X keinen Spaß macht, eine Drohne aber schon
(br.de, Christian Sachsinger & Markus Schuler, Audio: 37:23 Minuten)
Im Tech-Podcast “Umbruch” ist Markus Schuler zu Gast, der für den Bayerischen Rundfunk aus Kalifornien berichtet. Im virtuellen Silicon-Valley-Streifzug geht es um die Umbrüche bei X (vormals Twitter), die Frage, warum die USA auf ein europäisches KI-Gesetz hoffen, und die Fähigkeiten der neuen Drohne des Markt-Primus DJI.

6. Grenzenloser Spaß: Darf Humor alles?
(youtube.com, unbubble, Jo Schück, Video: 41:42 Minuten)
Bei “13 Fragen” geht es um die Fragestellung, was Humor darf: Wo liegen die Grenzen? Und wer definiert sie? Hat sich der Umgang mit grenzwertigen Witzen verändert? Und haben Comedians eine moralische Verantwortung? Darüber diskutieren Philipp Leinenbach (Comedian), David Geßner (Medienanwalt), Minh Thu Tran (Journalistin), Oliver Pocher (Komiker), Kerstin Hensel (Schriftstellerin) und Hamza Raya (Comedian).

Gesucht: Fotograf für korrektes Bild

Man muss den Artikel von “Bild”-Autor Dirk Hoeren über Bundesumweltministerin Steffi Lemke einmal komplett lesen, um zu verstehen, wie tendenziös und einseitig und falsch er ist. Am vergangenen Samstag schrieb Hoeren in der “Bild”-Bundesausgabe:

Plant Umweltministerin Steffi Lemke (55) eine Zweit-Karriere – als Fotomodell?

In einer Ausschreibung sucht ihr Ministerium gerade einen Fotografen. Er soll die Grüne auf offiziellen Terminen begleiten – und sie zusätzlich im Rahmen von Porträt-Shootings in Szene setzen.

“Ein oder zweimal jährlich kann ein großes Porträtshooting beauftragt werden”, heißt es in der Ausschreibung. Darin solle die Ministerin “in einem aufwändigeren Aufnahmeprozess fotografisch stärker inszeniert werden”. Die Fotos sollen “in mindestens drei verschiedenen Umgebungen, unterschiedlichen Lichtverhältnissen, mit wechselnder Bekleidung” geschossen werden. “Eine Visagistin/Ein Visagist ist einzuplanen.”

Dauer der Shootings: “vier bis sechs Stunden”.

Den Auftragswert schätzt das Grünen-Ministerium auf 150 000 Euro. Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf 300 000 Euro summieren.

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel (47), sieht den Aufwand kritisch.

“Es ist den Steuerzahlern kaum zu vermitteln, dass sie auch für Visagisten und Hairstylisten von Politikern aufkommen sollen”, sagt Holznagel zu BILD. Im Zweifel müsse dafür “privat bezahlt werden”.

Überschrift:

Ausriss Bild-Zeitung - Umweltministerin sucht einen Fotografen für 150000 Euro!

Fangen wir beim Geld an.

Was die “Bild”-Leserschaft an keiner Stelle erfährt und nach dem Lesen des Artikels auch nicht ahnen kann: Die 150.000 Euro sind kein festgelegtes Honorar, das auf jeden Fall gezahlt wird, egal wieviel der Fotograf oder die Fotografin arbeitet. Es handelt sich stattdessen um das maximale Auftragsvolumen für den vertraglich festgelegten Zeitraum (dazu gleich noch mehr). So steht es auch in der “Rahmenvereinbarung”, die das Ministerium zur Ausschreibung veröffentlicht hat. Wir haben beim Ministerium nachgefragt, wie die letztendliche Höhe des Honorars zustande kommt. Die Antwort:

Die Vergütung erfolgt pro tatsächlichem Einsatz in Abhängigkeit vom Zeitbedarf nach gestuften Stundensätzen bzw. einem Tagessatz.

Was da so pro Jahr zusammenkommt? Auch darauf haben wir eine Antwort bekommen:

Die Brutto-Ausgaben im Jahr 2022 beliefen sich auf rund 9.700 €. Im laufenden Jahr betragen die bisherigen Ausgaben gut 8.800 €.

Also: bezahlt wird pro Einsatz. Und mit den Summen, die in der jüngsten Vergangenheit vom Ministerium pro Jahr ausgegeben wurden, käme man nicht ansatzweise an das maximale Auftragsvolumen von 150.000 Euro ran.

Sowieso wirft Dirk Hoeren im “Bild”-Artikel die Summen völlig durcheinander. Wenn er schreibt: “Den Auftragswert schätzt das Grünen-Ministerium auf 150 000 Euro. Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf 300 000 Euro summieren”, ist das schlicht falsch. Erstens weil eben nicht pauschal, sondern pro Auftrag bezahlt wird, siehe oben. Und zweitens: Aus der bereits erwähnten “Rahmenvereinbarung” wird klar, dass sich der Maximalwert von 150.000 Euro auf den Zweijahresvertrag und die zweimalige Verlängerung um jeweils ein Jahr bezieht:

Das maximale Auftragsvolumen (Höchstwert) beträgt über die Gesamtlaufzeit des Vertrags (inkl. Verlängerungsoptionen) 150.000 € netto.

Es geht also um 150.000 Euro für vier Jahre, rechnerisch 37.500 Euro pro Jahr. Und wie gesagt: Zuletzt wurde diese Summe bei weitem nicht erreicht. Die Verdopplung der Kosten auf 300.000 Euro bei einer möglichen Vertragsverlängerung, die Dirk Hoeren bei “Bild” ins Spiel bringt, hat er sich ausgedacht.

Bei Bild.de steht inzwischen:

Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf das Vielfache summieren.

Das ist aber genauso falsch. Noch einmal: Es bleiben auch bei einer Verlängerung maximal 150.000 Euro.

Was die beauftragte Person für das Honorar leisten soll, wird im “Bild”-Artikel stark einseitig beschrieben. In dem Text geht es fast ausschließlich um “‘ein großes Porträtshooting'” für Steffi Lemke. Nur an einer Stelle wird auch erwähnt, dass der Fotograf oder die Fotografin “die Grüne auf offiziellen Terminen begleiten” soll. Schaut man in die “Leistungsbeschreibung” der Ausschreibung, wird klar: Es geht hauptsächlich (“Grundlegende Anforderungen”) um Terminbegleitung und nur zusätzlich (“Optionale Leistungen”) um Porträtaufnahmen. Bei “Bild” wird dieses Verhältnis komplett umgedreht.

Und nicht nur bei der Frage, was und wie fotografiert werden soll, lässt Dirk Hoeren großzügig die Aspekte weg, die nicht in seine Erzählung passen, sondern auch bei der Frage, wer alles fotografiert werden soll. In der “Leistungsbeschreibung” ist von der “Hausleitung” des Ministeriums die Rede, die bei Terminen begleitet werden soll. Und die umfasst neben Steffi Lemke auch die Staatssekretäre und die Parlamentarischen Staatssekretäre. Bei “Bild” liest es sich hingegen so, als würde das ganze, viele Geld nur für die Bundesministerin draufgehen.

Dieser ganze “Bild”-Spin fand noch weitere Verbreitung, weil andere Redaktionen ihn dankbar abgeschrieben haben: die “Epoch Times” zum Beispiel, “De24Live” oder das Krawallportal “Nius” um den geschassten “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt. Manche Redaktionen haben ihn aber auch noch irrer weitergedreht. Die “Weltwoche” etwa titelt: “‘Für vier bis sechs Stunden’: Grüne Umweltministerin sucht einen Fotografen für 150.000 Euro”, und “Focus Online” schreibt von “150.000-Euro-Portaitshootings”.

Man kann es natürlich völlig daneben finden und darüber diskutieren, dass Bundesministerien Steuergelder für Fotoaufträge ausgeben. Aber dann sollte man in der Diskussion wenigsten fair sein und sich an die Fakten halten.

Nachtrag, 8. August: Die “Bild”-Redaktion hat eine Art Teil-Korrektur veröffentlicht.

Bildblog unterstuetzen

Blättern:  1 ... 42 43 44 ... 1146