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Keine Geschwindigkeit ist auch keine Hexerei

Das Internet ist ein schnelles Medium, und Schnelligkeit geht bei Online-Medien leider häufiger vor Richtigkeit.

Das Besondere an dieser Geschichte ist nur, dass Bild.de gar nicht schnell war. Dass eine 20-Jährige Texanerin am Mittwochabend behauptete, ein Mann habe sie in Pittsburgh überfallen und ein “B” in ihre Wange geritzt, nachdem er gesehen habe, dass sie eine Anhängerin des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain sei, meldete zum Beispiel die amerikanische Nachrichtenagentur AP schon am frühen Freitagmorgen unserer Zeit.

Bild.de griff den Fall erst um 21.15 Uhr auf — und berichtet durchaus mit Skepsis, aber leider auch der üblichen Konjunktiv-Phobie der “Bild”-Zeitung:

Tatort Pittsburgh. Ashley Todd wird brutal attackiert, ein Mann schlägt sie zu Boden, will ihr Geld. Sie gibt ihm ihre 60 Dollar. Doch als er einen John McCIain-Sticker [sic] an ihrem Auto sieht, dreht er durch! Er schreit: “Du bist eine von den McCain-Leuten.” Dann schnappt er ich [sic] ein Messer und ritzt der 20-Jährigen ein “B” in die Wange!

Zu dem Zeitpunkt, als Bild.de den Artikel (offenbar in Eile) veröffentlichte, hatte sich die Geschichte eines Überfalls allerdings längst in die Geschichte einer Lüge verwandelt. Auch AP meldete inzwischen, dass die Frau den Überfall nur erfunden habe.

Blöd, wer im Online-Journalismus daneben liegt, nicht weil er zu schnell ist, sondern zu langsam.

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1. “Sturm im ­Blätterwald”
(nzzfolio.ch, Karl Lüönd)
In einem langen, lesenswerten Stück arbeitet Karl Lüönd die Geschichte der Gratiszeitungen auf. Warum sich Gratiszeitungen in Deutschland nicht etabliert haben? “Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Die eine ist, dass sich die mächtigen deutschen Lokalverleger freigekauft haben. Die andere, dass der Erfolg im grossen deutschen Markt nur zu haben gewesen wäre, wenn man auf mindestens acht grossen Märkten vertreten gewesen wäre, was eine Investition von 450 bis 500 Millionen Euro bedeutet hätte.”

2. “Sacha Wigdorovits steigt bei ‘.ch’ aus”
(persoenlich.com)
Der Krieg auf dem schweizer Gratiszeitungsmarkt fördert derweil Opfer: “Die Gratiszeitung wird nur noch über Boxen auf öffentlichem Grund verteilt. Die Hauszustellung wird eingestellt. Der bisherige Delegierte des Verwaltungsrates, Sacha Wigdorovits, tritt von seinen Funktionen zurück und scheidet aus dem Verwaltungsrat aus.”

3. “Chinesischer Fernsehsender kopiert ProSieben-Design”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
“ProSieben prüft derzeit juristische Schritte gegen den chinesischen Fernsehsender CQTV. Dies bestätigte ProSieben-Sprecherin Tina Land am Montagabend gegenüber DWDL.de. Es geht um ein offensichtliches Plagiat eines früheren Openers der ProSieben-Nachrichten ‘Newstime’. DWDL.de zeigt zum Vergleich beide Opener.”

4. “Blogs im US-Wahlkampf”
(tagesschau.de, Klaus Kastan)
“Aus dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA sind Internet-Tagebücher längst nicht mehr wegzudenken. Davon profitiere vor allem Barack Obama, meinen US-Medien. Medienwissenschaftler behaupten dagegen: Der tatsächliche Einfluss der Blogger auf die Wahl wird überschätzt.”

5. “Kopieren oder Zitieren: Vier Regeln für ‘freundliche Übernahmen'”
(meedia.de, Georg Altrogge)
Der Spiegel kopiert eine Titelgeschichte des Atlantic, das Süddeutsche Zeitung Magazin kopiert eine Titelgeschichte des New York Magazine, Dummy kopiert ein Titelblatt der Vanity Fair. Wie weit sollen diese “Adaptionen” gehen?

6. “Aktuelle Leseempfehlung”
(approx.antville.org)
Zur Finanzkrise eine Seite aus dem Lustigen Taschenbuch 205: Onkel Dagobert prüft die Geschäfte eines Kaugummiautomaten-Konzerns.

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1. “Hat hier wer an der Meinung gedreht?”
(falter.at, Barbara Toth)
“Der Wahlkampf als sportliches Wettrennen, rund um den sich – wie im Sport – eine ganze Interpretationsindustrie aufbaut: Als ‘Horse race journalism’, ‘Pferderennenjournalismus’ wird diese Art von Berichterstattung in den USA bezeichnet, die sich lieber mit Umfragen, Beraterstäben und strategischen Winkelzügen der Kampagnen als mit deren Inhalten beschäftigt.”

2. “Der Feuilleton-Chef der Zeit schreibt sich in Rage”
(gegengift-verlag.de, Heribert Seifert)
“Jens Jessen, der Feuilletonchef der ZEIT, hat wieder zugeschlagen. In der Nummer 38 des Wochenblatts durfte er den oberen Teil der Aufmacherseite voll machen: ‘Jugend ohne Charakter‘ steht da vor einem wuchtigen Ausrufezeichen und kündigt eine ‘Polemik’ an, die sich gewaschen hat. (…) Wie kommt ein solcher Unfall auf die erste Seite des Blattes, das sich doch als intellektueller Nadelstreifen der Republik versteht?”

3. “Interpretation schlägt Information”
(taz.de, Bettina Gaus)
Bettina Gaus findet es nicht fair, dass Keith Olbermann und Chris Matthews von MSNBC “die Übertragungen der Fernsehdebatten zwischen den Präsidentschaftskandidaten nicht moderieren” dürfen, während Bill O’Reilly von Fox News “senden … und senden … und senden” darf. Die Lösung? “Wenn ich eine sachliche, umfassende Berichterstattung in den USA wünsche, dann schalte ich CNN ein, einen in Deutschland häufig gescholtenen Nachrichtensender.”

4. “Tuesdays with Rupert”
(vanityfair.com, Michael Wolff)
“The great fear about Rupert Murdoch, among journalists and proper liberals everywhere, beyond even his tabloidism and his right-wing politics, is that he acknowledges no rules. He does it, without mercy, his way.”

5. “Blogs und hohe Page Impressions?”
(basicthinking.de, Robert Basic)
Robert Basic erklärt den Zusammenhang zwischen Blogs und hohen Page Impressions – sozusagen in einem Satz.

6. “Roger Federers Genie”
(dasmagazin.ch, David Foster Wallace, 2006/2007)
In Gedenken an den grossartigen David Foster Wallace ein in deutsch übersetzter Text (Original der New York Times) über Roger Federer.

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1. “Plumpheit, dein Name ist Spiegel Online”
(letterofintent.wordpress.com, Wullenwever)
“Danke, Herr Schwabe, für diesen Beitrag! Und danke, Spiegel Online, dass Ihr so viel Wert auf Recherche legt und es für ausreichend erachtet, wenn einer Eurer (freien?) Mitarbeiter einfach bei CNN abschreibt. Meinetwegen soll er. Es dann aber noch deutlich schlechter zu tun, mit mehr Vermutungen und Behauptungen, weniger Klarstellung und Gegenrede – das grenzt an das Verfahren eines Schmierenblattes übelster Sorte. Was SPON offenbar schon längst geworden ist.”

2. “‘Subway’-Journalismus für alle”
(stefan-niggemeier.de)
Die PR-Agentur foleys, die Sendungen wie “Galileo” bei Pro7 “betreut”, bedauert, “evtl. missverständlich formulierte Aussagen” getätigt zu haben. Und entfernt die gestern noch online verfügbare Pressemitteilung vom April. Eine Unternehmenssprecherin von Pro7 sagte, wenig überraschend: “Niemand plaziert in irgendeiner Weise Beiträge in irgendwelchen Formaten von uns. (…) Die Einzigen, die bei uns Geschichten ‚initiieren’, sind Redakteure.”

3. “Nordkorea wirft Medien Verschwörung vor”
(tagesanzeiger.ch)
“Ein nordkoreanischer Diplomat hat Berichte über eine angeblich schwere Erkrankung des Staatschefs Kim Jong Il vehement dementiert. In den Medien wird weiter spekuliert.”

4. “Die Kaufzeitung als Übergangsphänomen”
(madial.blogspot.com)
“Auf tagesanzeiger.ch findet sich heute ein eher merkwürdiges Stück journalistischer Wirklichkeitskonstruktion: Unter dem Titel ‘Die Gratiszeitung als Übergangsphänomen‘ argumentiert sich David Vonplon ein baldiges Ende der Umsonstpresse zurecht.”

5. “Und was ist die ganze Wahrheit?”
(wdr5.de, Audio)
Dirk Kurbjuweit, Leiter des Spiegel-Büros in Berlin, im Interview.

6. “Wahlkampf 2.0”
(krone.at)
“Aktuelle Plakatsujets, ein paar unscharfe Bilder aus dem Wahlkampfzelt und eine bereinigte Schönwetterbiografie auf der Homepage – das war gestern. Die Parteien haben auf Web 2.0 umgestellt und bedienen sich an allem, was das Internet zu bieten hat.”

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1. “Google will alle Zeitungen der Welt online bringen”
(blog.handelsblatt.de/indiskretion, Thomas Knüwer)
“Alle Zeitungen. Der Welt. In Original-Optik. Volltext durchsuchbar. Online.” Soweit das Blog. Die Meldung für die Zeitung hier: “Google plant riesiges Online-Zeitungsarchiv

2. “Die wechselhafte Rolle der Medien im US-Wahlkampf”
(medienheft.ch, Gerti Schön)
“Das Wahl- wie auch das Medienvolk, hin- und hergerissen zwischen Barack Obamas Charisma und Sarah Palins mädchenhafter Dreistigkeit, muss sich nun der Substanz der Kandidaten und ihrer Programme zuwenden und aufhören, sich auf Jon Stewarts abendliche Satireshow ‘Daily News’ zu verlassen. Denn hier, bei dem Kabelsender ‘Comedy Central’, hat man die besten Chancen, die Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Politiker schonungslos serviert und die allgemeine Verzerrung der Realität durch eine Dosis Realsatire ersetzt zu bekommen.”

3. “Die neuesten Leserzahlen der Schweizer Presse”
(persoenlich.com)
“Bei der Auswertung der Reichweiten der Printmedien ‘Mach Basic 2008-2’ zeigt sich, dass die Gratiszeitungen weiter im Vormarsch sind. Die Sonntagszeitungen können das Niveau halten — nur der ‘SonntagsBlick’ hat erneut signifikant Leser verloren. Die grossen Tageszeitungen haben tendenziell an Reichweite eingebüsst. “

4. Dr. Kai Gniffke fragt: “Bin ich naiv?”
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
“Ich fürchte, ich bin naiv. Nicht nur weil ich mich zum Beispiel immer mal wieder dabei erwische, dass ich an das Gute im Menschen glaube. Ich bin wohl ein völlig naiver Journalist: Ich glaube doch tatsächlich, dass es unser Job ist, über Politik zu berichten, aber eben nicht zu unseren Aufgaben zählt, Politik zu machen.”

5. “Hat DER SPIEGEL erneut einen Sozialdemokraten abserviert?”
(pottblog.de, Jens Matheuszik)
Jens Matheuszik fragt sich, ob es einen Grund gab, dass das Cover des Spiegels nicht wie üblich schon am Samstagnachmittag online war. Über das Titelblatt schreibt er: “Dort konnte man noch – zusätzlich zum Hauptthema RAF – schnell den Steinmeier-Coup abbilden. (…) Da hat man meiner Meinung nach also von der Entscheidung schon vorher gewußt und dann auf die eigene Vorab-Veröffentlichung im Internet gewartet.”

6. “Liebeserklärung ans Internet”
(spreeblick.com, Sascha Lobo)
“Ich liebe das Internet, weil es die Welt verbessert. Viele Menschen vor uns haben dafür gekämpft, dass die Umstände besser werden. Einige haben es tatsächlich Stück für Stück geschafft. Aber keine Generation vor uns hatte eine derart mächtige Waffe der Weltverbesserung in der Hand wie das Netz.”

Barack Obama fühlt sich von “Bild” reingelegt

Barack Obama sah schon auf dem Foto, das ihn zeigt, wie “Bild”-Chef Kai Diekmann ihm die Titelseite von “Bild” mit ihm zeigt, nur mittelbegeistert aus.

Der amerikanische Senator hatte bis zu diesem Moment nicht geahnt, dass die junge und weitgehend sprachlose Frau, die sich ein paar Stunden zuvor im Fitnessstudio des Hotels mit ihm hat fotografieren lassen, eine “Bild”-Reporterin war. Ihr Bericht begann mit den Worten: “Während Tausende an der Siegessäule auf ihn warteten, traf ich, die ‘Bild’-Reporterin, Barack Obama allein — im Fitnessstudio!” Obama hingegen sagt: “Wir sind reingelegt worden.” Mit diesen Worten zitiert ihn Maureen Dowd, eine Kolumnistin der “New York Times”. Obama wörtlich:

“Erinnern Sie sich an ‘Die Farbe des Geldes’ mit Paul Newman? Forest Whitaker sitzt so da und tut, als wüsste er nicht, wie man Billiard spielt. Und dann zockt er die Abzocker ab. Sie hat uns abgezockt. Wir kommen in das Sportstudio. Sie ist schon auf dem Laufband. Sie sieht wie ein ganz normales deutsches Mädchen aus. Sie lächelt und winkt ein bisschen verlegen, aber macht sich keine Mühe, irgendetwas zu sagen. Als ich gerade gehe, sagt sie: ‘Oh, kann ich ein Foto haben? Ich bin ein großer Fan.'”

Das schüchterne Mädchen heißt Judith Bonesky und fragt sonst für “Bild”: “Wie war die Hochzeitsnacht, Herr Walz?”, berichtet von tragischen Unfällen: “Schnipp, schnapp, Fingerkuppe ab. Wenn man wie Kult-Sänger Frank Zander (66, ‘Hier kommt Kurt’) auf die Finger zum Gitarrespielen angewiesen ist, sollte man auf die Klampfen-Griffel besser aufpassen…” oder protokolliert erschütternde Missgeschicke: “Kate Moss: Haare im Adlon verloren”.

Ihr Augenzeugenbericht vom Treffen mit Obama las sich anderntags in “Bild” u.a. so:

16.37 Uhr. Die Tür geht auf. ER ist es wirklich! ER (1,87 m) ist viel größer, als ich ihn mir vorgestellt habe. ER trägt schneeweiße Jogging-Schuhe von Asics. Dazu ein graues T-Shirt und eine schwarze Jersey-Hose, beides von Nike. Die Klamotten wirken nicht mehr neu, schon oft getragen. Doch ganz frisch gewaschen. Ich hab den Duft von Weichspüler mit Frühlingsaroma in der Nase... Gar nicht weichgespült ist sein Lächeln, das mich trifft. Einfach umwerfend! Mir wird heiß. Und das nicht nur vom Training... "Hallo, wie gehts?", fragt Obama auf Englisch mit kräftiger, sehr männlicher Stimme. Mein Herz rast. 155, 158, 160... zeigt der Pulsmesser an! Ich antworte: "Sehr gut. Und wie geht es Ihnen?" ER: "Sehr gut, danke!" Obama ist durchtrainiert (spielt Basketball, Golf, joggt). Ich sehe seine muskulösen Arme - und seine knackige Rückansicht...

Obama sagte der “New York Times”, ihm werde gerade erst klar, woran er sich alles gewöhnen müsse.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber und Spiegel Online.

Nachtrag, 29. Juli. Antrieb für die öffentliche Liebeserklärung von Judith Bonesky an Barack Obama ist übrigens, dass sie “Obamas ausgeklügelte, bis ins letzte geplante PR-Inszenierung für den US-amerikanischen Wahlkampf gestört” habe. Das sagte ihr Chefredakteur Kai Diekmann laut “Süddeutscher Zeitung” und fügte hinzu: “Das war eine tolle Reporterleistung, denn Bild ist nicht Teil der Wahlkampfmaschinerie”.

Nachtrag, 15:40 Uhr. “Bild” hat den Obama-Artikel aus seinem deutschen Online-Angebot entfernt. Anstelle einer Erklärung sagte Verlagssprecher Tobias Fröhlich gegenüber dem Medienmagazin “Meedia”: “Das war ja letztlich nur eine regionale Geschichte.” Von einer rechtlichen Auseinandersetzung wisse er nichts. Eine kürzere englische Version ist nach wie vor online.

Nachtrag, 19:00 Uhr. Auch die englische Version ist nun verschwunden.

Nachtrag, 30.7.2008. Eine Nachfrage von uns bei “Bild”, wer aus welchem Grund die Löschung des Artikels auf Bild.de veranlasst hatte, blieb unbeantwortet. Ein “Bild”-Sprecher teilte uns heute morgen lediglich mit, die Berichterstattung sei “mit neuen Aspekten (Resonanz in anderer Presse und Diskussionsforum) online”. Und das stimmt. Allerdings schreibt Bild.de auch: “Viele lobten die Leistung der Reporterin – aber auch von einer ‘blonden Stalkerin’ war die Rede.” Was insofern seltsam ist, als wir in den von Bild.de verlinkten Medienberichten das viele Lob nicht entdecken können. Dafür gibt es aber u.a. einen Link zu einem FAZ.net-Artikel, der nicht frei online ist, sowie einen zu Pravda.ru, der bloß die wörtliche Übernahme von Boneskys ursprünglichem “Bild”-Artikel ist (“Click here to read the full text of the story”). Ach ja, und über Obamas Kritik verliert Bild.de selbst kein Wort.

Abschiedsbrief

Lieber Claus Strunz,

wenn ich ehrlich bin, würde meine Mutter Sie vermutlich einen Sonnyboy nennen (also eigentlich “Sanniboi”), wenn sie Sie mal wieder in einer dieser Polit-Talkshows gesehen hätte, in denen besser Ihr Kollege Kai Diekmann von der “Bild”-Zeitung hätte gesessen haben sollen. Aber dann saßen doch immer Sie da – mit der zweifellos telegeneren Frisur und… diesem Lächeln. Das immer so aussieht, als wären die Zeitungen, die man jeden Sonntag kaufen kann, “informativ, enthüllend und hintergründig”, ein “Anwalt des Bürgers und kritischer Beobachter” und “Service-Dienstleister für alle Lebenslagen” bzw. so wie Ihr Lächeln: vertrauenswürdig, wohlwollend, selbstkritisch, zugänglich, selbstgewiss (naja, Sie kennen das ja aus dem Badezimmerspiegel) – so, als wären Sie eben nur Chef der “Bild am Sonntag“, der sonntagslächelnd Leserfragen beantwortet (siehe Kasten).

Worauf der Chefredakteur antwortet:

“Warum hat BamS einen so breiten Rand, Herr Strunz?”

“Gibt es zur EM wieder eine DVD-Reihe, Herr Strunz?”

“Muss es denn immer Hitler sein, Herr Strunz?”

“Wie komme ich noch an ein BamS-Panini-Abo, Herr Strunz?”

“Kann ich aus BamS ein T-Shirt machen, Herr Strunz?”

“Wo gibt es meine Geburtstags-BamS, Herr Strunz?”

“Wo ist unser Grill, Herr Strunz?”

“Haben Sie uns im TV gesehen, Herr Strunz?”

“Wo sind meine Togo-Fotos, Herr Strunz?”

“Wo sind die Panini-Bilder, Herr Strunz?”

“Wo kriege ich Ihr Sudoku-Heft, Herr Strunz?”

“Warum sind Sie so feige, Herr Strunz?”

“Warum hetzen Sie das Volk auf, Herr Sonntag Strunz?”

“Schenken Sie auch mir nächsten Sonntag eine DVD, Herr Strunz?”

“Wo war denn mein Panini-Album, Herr Strunz?”

“Wie kriege ich diesen Vogel los, Herr Strunz?”

“Wollten Sie Ihre Leser verar…, Herr Strunz?”

“Was ist des Rätsels Lösung, Herr Strunz?”

(halbwillkürliche Auswahl)

Jetzt hab’ ich aber irgendwo gelesen, dass Sie’s bald nicht mehr sind, “BamS”-Chef — und anderswo was von “unüberbrückbaren Differenzen” zwischen Ihnen und dem Diekmann.

Ganz ehrlich, Claus? Ich glaub’ das nicht. Immerhin ähnelt Ihre “BamS” Diekmanns “Bild” schon seit geraumer Zeit nicht nur im Auflagentrend, den Sie und Diekmann Ihren Blättern seit Amtsantritt verpasst haben, sondern jede Woche auch sonst so. Und vielleicht hält man sich ja wirklich für was besseres, bloß weil man besser aussieht. Was weiß denn ich.

Aber das mit den unüberbrückbaren Differenzen passt natürlich prima. Weil’s sowieso schon immer alle denken: dass Sie so’n stiller Querkopf sind. “Seine Unterschrift fehlt regelmäßig unter den rührenden Manifestationen konzerninterner Geschlossenheit, die alle Springer-Titel treu und diensteifrig abdrucken”, schrieb mal einer, der Ihnen offenbar derart auf den Leim gegangen war, dass er sogar öffentlich behauptete, Sie gölten “bei Springer als der vermutlich wichtigste Chefredakteur des Hauses”. Und wenn ich sehe, dass es Ihnen schon als Errungenschaft ausgelegt wird, wenn sich in Ihrer Zeitung auch mal ein kritisches Wort über Dieter Bohlen oder ein Argument für die Rechtschreibreform fand, dann klappt(e) der Trick mit dem “Good Guy der ‘Bild-Zeitung'” offenbar ganz gut. So gut, dass Leute wie Anke Engelke, die “Bild” vermutlich nicht mal mit dem A**** angucken, der “Bild am Sonntag” 2-seitige Interviews geben und ein Trittin bei Ihnen einfach mal den Gastautor macht. Claus Strunz, das unbeugsame Feigenblatt – da hatten irgendwie alle was davon.

Dooferweise hab’ ich Sie schon ganz anders erlebt. Als einen, der lügt. Oder als einen, der lügt. Oder die Unwahrheit sagt. Oder zulässt. Oder oder oder oder. Oder als einen, den meine Mutter ‘ne fiese Möpp nennen würde. Wollte ich nur mal sagen.

Viel Spaß in Hamburg,
Ihre Clarissa

P.S.: Ihr Nachfolger kommt ja, wie man hört, von der “B.Z.”, dem schmuddeligen kleinen Schwesterblatt der “Bild”. Womit nach acht Jahren wenigstens die Heuchelei ein Ende haben dürfte – und ich mich frage, wer wohl demnächst an Diekmanns Stelle in den Talkshows sitzt.

  

“‘Richter Gnadenlos’ spricht Klartext”

Dies ist die Geschichte, wie “Bild” den umstrittenen Hamburger Amtsrichter Ronald Schill zum Hoffnungsträger hochschrieb, der mit seiner Partei bei der Bürgerschaftswahl 2001 schließlich fast 20 Prozent der Stimmen bekam. Und es ist die Geschichte von der außerordentlichen Nähe eines “Bild”-Redakteurs zu Schill und seinen Leuten.

Ungefähr ab 1996 taucht Ronald Schill in den Medien auf. Seine Urteile sind spektakulär — vor allem, weil sie so hart sind, dass die Staatsanwaltschaft immer wieder Berufung zugunsten der Angeklagten einlegt. Für Aufsehen sorgt vor allem, als er eine psychisch labile Frau, die zehn Autos zerkratzt hat, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. “Bild” berichtet zunächst relativ distanziert und unparteiisch.

1997 ist die Sympathie unverkennbar. “Urteilen deutsche Richter zu milde?”, fragt “Bild” am 22. August und erwähnt Ronald Schill als positives Gegenbeispiel. Vier Tage später lautet die rhetorische Frage von “Bild” schon: “Richter Gnadenlos — brauchen wir mehr von seiner Sorte?”

Redakteur Matthias S. wird offenbar von 1999 an langsam zum Schill-Beauftragten von “Bild”. “Der harte Richter Schill — Was ist das eigentlich für ein Mann?” fragt er am 21. Mai. Anlass ist, dass Schill einen nicht vorbestraften Pflegehelfer zu 15 Monaten Haft verurteilt, der mit 20 anderen “Linksautonomen” die Herausgabe eines Ausweises von zwei Polizisten gefordert hat. “Bild” berichtet zwar ausführlich über die Kritik an diesem Urteil, schreibt aber auch: “In der Bevölkerung ist Schill dagegen beliebt” und zitiert drei Bürger, die glücklich sind über das Durchgreifen gegenüber den “Chaoten” und “Krawallbrüdern”.

Ein typischer Schill-Gerichts-Bericht in “Bild” liest sich so wie dieser Artikel von Matthias S. und einer Kollegin vom 11. Juni 1999:

Der Staatsanwalt forderte zwei Jahre mit Bewährung, der Angeklagte atmete auf. Auf soviel Milde hatte Klaus B. (23) aus Dulsberg nicht zu hoffen gewagt. Schwere Brandstiftung — kein Kavaliersdelikt, seit fünf Monaten sitzt der Soldat in U-Haft. Aber mit seiner Entlassung wurde es trotzdem nichts. Denn das letzte Wort hat nicht der Staatsanwalt, sondern der Richter.

Und der hieß in diesem Fall Ronald Schill (40).

Schills Urteil: vier Jahre Haft — mehr darf ein Amtsrichter nicht verhängen.

Ein Jahr später — der Richter ist inzwischen versetzt worden — berichtet Matthias S. in “Bild” über Schills Pläne, eine eigene Partei zu gründen. Sein Programm fasst “Bild” so zusammen:

Mehr Sicherheit für alle, weg mit der Arroganz der Macht. Schluss mit der autofeindlichen Politik, her mit dem Transrapid, selbst wenn Hamburg dafür zwei Milliarden lockermachen muß. Dafür Verzicht auf die Straßenbahn und neue Gefängnisse.

Wenige Tage nach der Parteigründung erklärt Schill in “Bild”, in Hamburg herrschten “Zustände wie in Palermo oder im Chicago der 20er Jahre” und “Ganz Europa lacht über die Zustände in dieser Stadt”. Die Zeitung wertet das so: “‘Richter Gnadenlos’ spricht in BILD-Hamburg Klartext”.

“Bild” steht ihm treu zur Seite, auch als die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Schill erhebt:

Rechtsbeugung? Freiheitsberaubung? Da gibt es einen, der die öffentliche Ordnung wiederherstellen wollte. Richter Ronald Schill.

Und “Bild”-Redakteur Christian Kersting kommentiert einen Tag später:

Schill trifft mit seiner Kritik an Hamburgs Innen-, Justizund Ausländerpolitik den Nerv vieler Bürger. Ihn deshalb in die rechte Ecke zu stellen wäre zu billig. (…)

In der Bevölkerung wächst das Unverständnis darüber, dass vor den Gerichten die Täter häufig mehr Verständnis finden als die Opfer. Vor allem, wenn es um Jungkriminelle geht.

In der Bevölkerungwächst das Unverständnis darüber, dass ausländische Verbrecher ihre Händel immer öfter auf offener Straße mit Waffengewalt austragen. Die Polizei scheint machtlos.

Richter Schill spricht diese Sorgen der Menschen an, verspricht Abhilfe.

Am 1. Juli 2001, knapp drei Monate vor der Wahl, stellt Matthias S. in “Bild” vier “Sympathisanten” Schills vor, allesamt offenbar ehrenwerte Männer, die Sätze sagen wie der Kaufmann Franz-Joseph Underberg: “Wir wollen ein CSU-Programm in Hamburg, ohne Rechtsradikale anzusprechen.”

Die nächsten Monate sind keine guten für Schill und seine neue Partei — und auch in “Bild” finden sich ausführliche Berichte zum Beispiel über den Prozess gegen ihn, an dessen Ende er wegen Rechtsbeugung zu 12.000 Mark Strafe verurteilt wird — ein Urteil, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Aber schon unmittelbar danach ist der Parteichef für “Bild” wieder glaubwürdiger Zeuge und Experte für Kriminalität und diverse andere Themen und kommt regelmäßig zu Wort. In “Bild” wirkt sein Populismus wie die Stimme der Vernunft.

Als sich im Juni 2001 abzeichnet, dass der Bundesgerichtshof das Urteil gegen Ronald Schill kippen wird, feiert “Bild”-Redakteur Matthias S.:

Richter Schill triumphiert über Hamburger Justiz

Rechtsbeugung? Generalbundesanwalt fordert Freispruch! Amtsrichter Ronald Schill steht vor seinem bisher größten Sieg. Seine Verurteilung wegen Rechtsbeugung (120 Tagessätze a 100 Mark) wird beim Bundesgerichtshof mit Pauken und Trompeten durchfallen. (…) Ein vernichtenderes Urteil hätte es für Hamburgs Justiz kaum setzen können.

Im Rahmen einer Serie “Hamburger Spitzen-Kandidaten privat” besucht Matthias S. den Kandidaten Schill zuhause:

(…) Ein häuslicher Typ war er eigentlich nie. Immer auf Achse. Früher im Gericht und in der Stadt. Nun der Wahlkampfstress. “Das ist auch finanziell ein Problem”, gibt er offen zu. “Seit Mai lebe ich von meinen Ersparnissen, habe unbezahlten Urlaub genommen. Die Miete zahlt Katrin.” In die Stadt fährt er meistens per U-Bahn, manchmal auf mit seinem 20 Jahre alten Matra-Simca. Einkaufen geht er bei Aldi.

Kochen allerdings ist nicht sein Ding. “Ich gab ihm einmal eine Kartoffel zum Schälen”, sagt Katrin Freund. “Das war ein Fiasko.” Also brutzelt sie für ihn, am liebsten Paella. Leibgetränk ist für den Ur- Hamburger (kam im UKE zur Welt) ein kühles Bier. (…)

“Gerne”, sagt er, “wäre ich Strafrichter geblieben. Politik hielt ich immer für ein schmutziges Geschäft.”

Warum gründete er dann eine Partei?

“Weil die Zustände in der Stadt so schlimm wurden.”

Ist er ein Selbstdarsteller?

“Ganz und gar nicht. Ich könnte mir vorstellen, mich wieder aus der Politik zurückzuziehen, sobald die Stadt wieder sicher ist.”

Als Schill dann auf Anhieb sensationelle knapp 20 Prozent der Stimmen bekommt, erklärt Matthias S. den Erfolg in “Bild” so:

Die Würde seines Amtes und seine klare Sprache über die Zustände der Stadt haben in der Stadt den Nerv getroffen.

(…) Braun gebrannt, schlank, Frauentyp – und Kämpfer. Er geht zur CDU, bietet Zusammenarbeit an, redet mit der STATT-Partei. Sie alle winken ab. Schill hat glasklare Vorstellungen und will sie durchsetzen. (…)

Und Schill legt sich mit seinen Gegnern an. Er zieht vor den BGH, als man ihn in Hamburg wegen Rechtsbeugung verurteilt, und erreicht die Aufhebung des Urteils. Er wettert gebetsmühlenartig gegen Rot-Grün, die Kriminalität, gegen die der Senat nichts tut. Und wird auf grausame Weise durch die Terroranschläge [vom 11. September] bestätigt. Plötzlich wird Hamburg zur Drehscheibe des Weltterrorismus.

Gestern um 14 Uhr im Wahllokal umringen ihn 30 Fotografen. Auch die, die ihn anfangs als Spinner verlachten.

Schon am nächsten Tag meldet “Bild” voreilig: “Bürgerblock steht” — damit ist die von “Bild” Hamburg angestrebte Koalition aus CDU, FDP und Schill-Partei gemeint. Die Zeitung kann es nicht erwarten, dass der Rechtspopulist endlich an die Macht kommt. Drei Tage nach der Wahl fragt Matthias S. in “Bild”:

Warum verzögert die FDP den Senatswechsel?

Während ganz Hamburg auf den Wachwechsel im Rathaus wartet, wollen sich die Liberalen mit der Regierungsbildung richtig Zeit lassen — Schnecken-Tempo bei FDP-Chef Rudolf Lang(e)sam! (…)

Die “innere Wahrheit”, so vermuten informierte Rathaus-Kreise, geht so: Die Polit-Neulinge aus der FDP haben Angst, von den CDU-Profis und Schill überfahren zu werden.

Am folgenden Tag legt “Bild” nach. Weil der FDP-Chef erklärt, Schill sei als Senator “nicht tragbar”, falls er rechtskräftig wegen Rechtsbeugung verurteilt werde, staunen Matthias S. und Christian Kersting:

Nanu! FDP rückt von Schill ab (…)

Erst verzögert FDP-Chef Lange die Koalitionsverhandlungen (BILD von gestern). Jetzt rückt er auch noch von seinem neuen Partner Schill ab und stellt Forderungen. Was spielt Lange da für ein Spiel?

Es kommt schließlich zur Koalition, Schill wird Minister, und “Bild” feiert schon zwei Monate später den “ersten großen Erfolg für Innensenator Ronald Schill”: “20 Polizisten als Soforthilfe!”, leihweise aus Bayern.

Als Anfang 2002 die Drogen-Gerüchte um Schill nicht verstummen wollen, ist die Interpretation von “Bild” unmissverständlich — fast möchte man sagen: vorbildlich, angesichts der sonst üblichen Vorverurteilungen durch “Bild”. “Bild”-Redakteur Matthias S. und eine Kollegin schreiben:

Was läuft da für ein schmutziges Spiel um Ronald Schill? Der ehemalige Justizsenator und jetzige Bundesverfassungsrichter Prof. Wolfgang Hoffmann-Riem hat den Innensenator in einem offenen Brief dazu aufgefordert, sich öffentlich zu Kokain-Vorwürfen zu äußern. Schill erklärte daraufhin ganz klar: “Ich habe niemals Kokain genommen.”

Der schmutzige Spieler scheint für “Bild” der Bundesverfassungsrichter zu sein.

Es folgt die inzwischen berüchtigte Episode mit Schills Drogentest, dessen Ergebnis “Bild” zu einem Beweis dafür verfälscht, dass der Richter “nie” Drogen genommen habe (BILDblog berichtete). Konsequenterweise beginnt die Zeitung nun eine Kampagne gegen Schills Kritiker. Autor fast all dieser Artikel: Matthias S.

Ende 2002 nimmt die Geschichte eine interessante Wendung. Die “Hamburger Morgenpost” berichtet, dass die Ehefrau von Matthias S. unerwartet eine Stelle in der Hamburger Justizbehörde bekommen habe — obwohl sie nicht über die nötigen Erfahrungen verfüge. CDU-Justizminister Roger Kusch habe sogar ihre Ernennung zur Richterin vorgeschlagen, was der Richterwahlausschuss ablehnte: Sie werde den Anforderungen offenkundig nicht gerecht. Die “taz” titelt: “Gefälligkeitsdeal für wohlgesonnenen ‘Bild’-Reporter”. Die SPD behauptet, beweisen zu können, dass Frau S. die Stelle nach einer Absprache zwischen ihrem Mann und dem Justizsenator bekommen hat. Der “Bild”-Redakteur habe sich in einer Mail an den Justizsenator darüber beschwert, dass sich das Bewerbungsverfahren so lange hinziehe, obwohl längst abgemacht sei, dass seine Frau die Stelle bekommen sollte.

“BILD berichtet nicht über üble Gerüchte”

“taz”-Interview mit dem “Bild”-Lokalchef Peter Huth, 11. Januar 2003:

(…) Warum hat die BILD [über die Vorwürfe gegen S. und den CDU-Senator] bis heute nicht berichtet?
BILD berichtet über Fakten und nicht über üble Gerüchte und böswillige Unterstellungen. Für uns gilt als erwiesen, dass die Unterstellungen gegen unseren Reporter haltlos sind.

Beim Thema Filz in Hamburg hat BILD an anderer Stelle sehr ausführlich und wiederholt berichtet. Jetzt halten Sie sich auffallend zurück. Worin liegt der Unterschied zu dem aktuellen Fall?
Noch einmal: Man kann nur über Filz berichten, wo es Filz gibt. Im vorliegenden Fall kann davon keine Rede sein.

Die Nähe des Reporters [Matthias S.] zu Mitgliedern dieses Senats ist unter den Rathausjournalisten seit längerem ein Thema. Er soll ja auch mal als Pressesprecher der Schill-Partei im Gespräch gewesen sein. Wie beurteilen Sie diese journalistische Nähe?
BILD-Reporter verfügen im allgemeinen über ausgezeichnete Kontakte zu Politikern aller Couleur. Dass dieses Vertrauensverhältnis von vielen Kollegen neidisch begutachtet wird, ist uns nicht neu.

Wie würden Sie das Verhältnis der BILD-Zeitung zu diesem Senat beschreiben?
Das Verhältnis von BILD zum Senat ergibt sich — wie bei jeder guten Zeitung — aus der Verpflichtung gegenüber dem Leser. BILD berichtet sorgfältig, unabhängig und wahrheitsgemäß über die Geschehnisse im Rathaus — egal, wer und welche Partei dort regiert.

Hat sich BILD aus rein journalistischer Sicht über den Regierungswechsel in Hamburg gefreut?
Der Regierungswechsel ist das Ergebnis einer freien Wahl der Hamburger Bürger. Es wäre mehr als zynisch, diesen aufgrund von journalistischen Kriterien zu bewerten.

Die “Bild”-Zeitung berichtet zunächst gar nicht über die Vorwürfe gegen ihren Redakteur (siehe Kasten). Als sie es endlich doch tut, lautet die Überschrift: “Kusch räumt mit Filzvorwürfen auf”.

Der Fall S. wird einer der Anlässe, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss “Schwarzer Filz” einzuberufen. Und seine engen Beziehungen zum Senat und der Schill-Partei zeigen sich laut “taz” auch an anderer Stelle: Er zitiert in “Bild” aus internen Ermittlungsakten gegen einen SPD-Sprecher, bevor dessen Anwalt sie überhaupt zu sehen bekommt. Der Staatsrat und Schill-Freund Walter Wellinghausen, der für die Ermittlungen zuständig ist und später wegen mehrere Affären zurücktreten muss, räumt schließlich ein, mit Matthias S. über das Thema gesprochen zu haben — die Opposition spricht von “Geheimnisverrat”.

Zum Verhängnis wird Matthias S. schließlich ein Wochenendtrip mit Peter Rehaag, dem Umweltsenator der Schill-Partei. Gemeinsam mit ihren Begleiterinnen fliegen sie im September 2003 nach Italien. “Als Spezialist in Sachen Schill hatte [Matthias S.] in der ‘Bild’ zuvor regelmäßig wohlwollend über Rehaag berichtet”, schreibt der “Spiegel”, “etwa über dessen heroischen Kampf zur Trockenlegung versumpfter Alsterwiesen oder über Rehaags Drogenpolitik.” Gut zwei Wochen, nachdem die “taz” den gemeinsamen Ausflug öffentlich gemacht hatte, stellt Springer Matthias S. “mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres von seiner Arbeit frei”. Er habe seine Vorgesetzten nicht über die Reise informiert — was den “journalistischen Leitlinien” des Verlages widerspreche.

Matthias S. bleibt nicht lange arbeitslos. Schon im Frühjahr 2004 taucht sein Name wieder in den Zeitungen auf: als Sprecher von Firmen von Ulrich Marseille. Marseille, der den gleichnamigen Klinikkonzern gründete, war 2002 Spitzenkandidat der Schill-Partei in Sachsen-Anhalt. 2003 flog Ronald Schill in seinem Privatflugzeug nach München, um seine Haarprobe für den Drogentest abzugeben.

Der Kreuzzug der Tempelhofritter

Als der amerikanische Schauspieler Willem Dafoe Mitte Januar auf dem Flughafen Tempelhof erste Szenen des Filmes “Dust of Time” drehte, war das für “Bild” ein wichtiges Signal. Laut Drehbuch war der Berliner Flughafen Tegel wegen einer Bombendrohung gesperrt, weshalb alle Flugzeuge nach Tempelhof umgeleitet werden mussten. “Berlin, Tempelwood!”, juchzte “Bild” und sah in dem Film “ein deutliches Zeichen im Kino — so wichtig ist der Flughafen für Berlin!”

Man muss sie halt nur sehen wollen, die Zeichen, die gegen eine Schließung des Flughafens sprechen. “Bild” sucht und findet sie überall, fast täglich. Seit Monaten kämpft “Bild” Hand in Hand mit einer Interessensgemeinschaft für den Erhalt des Flughafens und ein entsprechendes Volksbegehren — in einer Massivität und Einseitigkeit, die ihresgleichen sucht:

“Bild” über Tempelhof (repräsentative Auswahl)

“Bild”, 5.1.
(…) jetzt soll das ganze Areal sogar Weltkulturerbe werden!
(…) Und: Flugbetrieb wäre auf dem “Weltkulturerbe Tempelhof” selbstverständlich erlaubt…

“Bild”, 7.1.
5 Promi-Liebeserklärungen an Tempelhof: Diese berühmten Berliner rufen zum Erhalt des Flughafens auf.

“Bild”, 8.1.
Film-Star Flughafen Tempelhof.
Fünf Jahrzehnte nutzte die Traum-Fabrik Hollywood den City-Airport für internationale Film-Produktionen, drehte in den historischen Gebäuden und auf dem angrenzenden Flugfeld.
Stars und Sternchen liebten den City-Airport. (…) Und als Kulisse bot Tempelhof nicht nur die geforderten Sicherheitsmaßnahmen, sondern auch die Nähe zu den Luxus-Hotels der Schauspieler an der Spree.
BILD zeigt die schönsten Set-Fotos. In der Hauptrolle: Tempelhof!

“Bild”, 12.1.
Über Tempelhof geht die Sonne auf! Auf dem Dach des Airports soll das größte Solar-Kraftwerk Europas installiert werden: 50 000 Quadratmeter Solarzellen (entspricht 7 Fußballfeldern), denn der Flughafen ist das drittgrößte Gebäude der Welt! (…) Potenzielle Weiterbetreiber des Airports sind von dem Plan begeistert, der Flugverkehr könnte problemlos fortgesetzt werden.

“Bild”, 15.1.
[Beim Neujahrsempfang der Axel Springer AG] kritisierte der Springer-Vorstandschef [Mathias Döpfner] den Senat: “Ausgerechnet im Jubiläumsjahr der Luftbrücke soll der Flughafen Tempelhof endgültig geschlossen werden. Ich kann und will das immer noch nicht glauben. (…) Herr Regierender Bürgermeister Wowereit, ich bitte Sie, nehmen Sie den Willen der Berliner ernst. Berlin braucht Tempelhof. Berlin will Tempelhof. Herr Bürgermeister, ich bitte Sie, hören Sie auf diese Stadt!”

“Bild”, 19.1.
Endspurt beim Volksbegehren für den Flughafen Tempelhof!

“Bild”, 19.1.
Knut Henne (70) hat Kerosin im Blut — bis 1993 war der Ingenieur Chef von Tempelhof, Tegel, Schönefeld. In BILD nennt der frühere Flughafendirektor drei Gründe, warum sein Herz für den City-Airport schlägt.

“Bild”, 19.1.
Hollywood-Star Willem Dafoe (52, “Inside Man”) drehte auf dem Flughafen Tempelhof gestern erste Szenen von “Dust of Time” (Staub der Zeit). (…)
Ein deutliches Zeichen im Kino — so wichtig ist der Flughafen für Berlin!

“Bild”, 22.1.
Hier landeten so viele Weltstars wie auf keinem anderen Flughafen Deutschlands. Der Airport Tempelhof — über Jahrzehnte der Laufsteg der Prominenten, die Visitenkarte der Weltstadt Berlin.
Die Legende Tempelhof soll jetzt sterben. Gegen den Willen der Berliner und vieler seiner Parteifreunde hat Klaus Wowereit die Schließung beschlossen. Aber es bleibt eine Chance: das Volksbegehren, das bis zum 14. Februar läuft.
BILD zeigt heute Stars aus Film, Musik und Politik, die Tempelhof liebten. Schwelgen Sie in Erinnerungen — und gehen Sie dann ins Bürgeramt, um für Tempelhof zu unterschreiben!

“Bild”, 26.1.
Diese Landung wird butterweich.
Wenn es nach den Berlinern geht, haben sie ihren Flughafen Tempelhof schon so gut wie gerettet!

“Bild”, 28.1.
Und da sage noch einer, der von der Schließung bedrohte City-Airport Tempelhof wäre aus der Mode…!
Tosender Applaus gestern Abend für Kapitän “HUGO” und seine Model-Crew! Der Auftakt der Berliner Fashion Week wurde zum Überflieger. Denn die Designer-Firma “Hugo Boss” hatte den Flughafen als Location für ihre Show ausgewählt. (…)
Auch die Stars flogen auf Tempelhof!

“Bild”, 31.1.
Geschafft! 174 334 sagen Ja zu Tempelhof

“Bild”, 1.2.
Gewinner
Friedbert Pflüger (52) CDU-Fraktionschef in Berlin, war einer der Ersten, die sich in die Liste für das Volksbegehren zur Rettung des Berliner Flughafens Tempelhof eintrugen. Fortan stellte sich Pflüger in die erste Reihe der Tempelhof-Retter. Dass nun genügend Unterschriften für das Zustandekommen eines Volksentscheides im Sommer vorliegen, ist auch sein Verdienst.:
Bild meint: Überflieger!

“Bild”, 1.2.
Jetzt kann Tempelhof durchstarten! Liebe Tempelhof-Freunde! Wir haben die vorgegebene Flughöhe von 174 334 Stimmen erreicht. aber Bitte BLEIBEN sie noch ein bisschen angeschnallt…

“Bild”, 5.2.
Der Chef des erfolgreichen City-Airports London wütet über Pläne in Berlin, unseren Innenstadt-Flughafen Tempelhof zu schließen

“Bild”, 7.2.
Das wird eine Party, auf der Sie unbedingt landen sollten!
Am Samstag feiert Berlin Tempelhof: Von 10 Uhr bis 23 Uhr lädt die Interessengemeinschaft ICAT alle Berliner ins Airport-Restaurant “Airbase 1” zur 2. Dankeschön-Party ein.

“Bild”, 7.2.
City-Airport Tempelhof — um diesen Flughafen beneiden viele Weltstädte Berlin. Und: Immer mehr Unternehmer und Flugexperten sind überzeugt vom wirtschaftlichen Erfolg.

“Bild”, 8.2.
Eben immer zur Stelle, diese Jungs, wenn man sie braucht!
Gestern kamen rund 100 Handwerker ins Schöneberger Rathaus und unterschrieben für den Erhalt des Traditionsflughafens Tempelhof!

“Bild”, 9.2.
Feiern Sie heute Tempelhof! Dankeschön-Party zum Volksbegehren. Und wer noch nicht für den Airport abgestimmt hat: Am Wochenende geht’s auch!

“Bild”, 11.2.
Tempelhof startet mit voller Kraft durch! Drei Tage vor dem Ende des Volksbegehrens haben schon mehr als 200 000 Berliner für den Erhalt des City-Flughafens Tempelhof gestimmt!

“Bild”, 22.2.
Berlin trägt jetzt Tempelhof am Arm!
Tragen Sie es auch schon? Das rote Bändchen der Tempelhof-Freunde!
Bereits 5000 Stück der coolen Gummi-Armreifen mit der Aufschrift “Tempelhof: JA!” wurden seit der Berlinale in der Stadt verteilt.

“Bild”, 18.3.
Dieser Mann glaubt an Berlin — und deshalb kämpft er für Tempelhof! US-Investor Ronald S. Lauder (64) warnt sechs Wochen vor dem Volksentscheid: “Wenn der Flughafen schließt, gewinnt Wowereit — aber Berlin verliert!”

In den nächsten Wochen wird die Intensität dieser Kampagne sicherlich noch zunehmen, denn Ende April können die Berliner nun in einem Volksentscheid abstimmen, ob der Flughafen erhalten bleiben soll oder nicht. Ein eindrucksvolles Zeugnis darüber, mit welcher Seriösität die “Bild”-Zeitung sich in diesen Wahlkampf stürzt, hat sie heute bereits abgeliefert. In gewaltiger Aufmachung schreibt sie unter der Überschrift “TEMPELHOF: So sollen die Berliner den City-Airport retten”:

Am 27. April haben 2,43 Millionen Berliner die Wahl. Soll unser City-Flughafen Tempelhof geöffnet bleiben? Rund 606.000 Ja-Stimmen sind erforderlich.

Heute wird eine amtliche Information veröffentlicht, in der die Berliner die Argumente von Tempelhof-Freunden, Senat und Abgeordnetenhaus nachlesen können.

BILD bringt Auszüge:

Klingt gut und fair, und es stimmt: Die amtliche Information enthält drei Stellungnahmen, je eine vom Senat, dem Abgeordnetenhaus und der Interessensgemeinschaft. Und soviel Platz räumt “Bild” ihnen in dem Artikel ein:

Senat (Flughafen-Gegner): 0 Zeilen
Abgeordnetenhaus (Flughafen-Gegner): 0 Zeilen
Interessensgemeinschaft (Flughafen-Befürworter): 118 Zeilen

 
“Bild” traut sich nicht, auch nur ein einziges Argument der Flughafen-Gegner zu erwähnen, und erweckt sogar den Eindruck, als bestehe die ganze “amtliche Information” nur aus Gründen, warum und wie “die Berliner den City-Airport retten sollen”. Die Vollständigkeit, mit der “Bild” die unliebsamen Gegenargumente ausblendet, hat etwas vom “Neuen Deutschland” in der DDR.

Entweder ist das Vertrauen in die Überzeugungskraft der eigenen Position nicht sehr groß. Oder “Bild” kann einfach nicht anders.

6 vor 9

Der Weg zum neuen Blick
(blick.ch/derscheffblog, Bernhard Weissberg)
“Mit der Tür ins Haus, mit den News gleich zum Start: Ja, der Blick wechselt zurück zum Einbundkonzept. Ja, der Sport beginnt von hinten. Und ja, der Sport steht, wörtlich, Kopf. Uff, jetzt ist es draussen. Es? Nun, das, was jeder sofort sieht, wenn er den neuen Blick am 5. März in die Hände bekommt.”

David Weinberger über die neue digitale Unordnung und Wahlkampf im Internet-Zeitalter
(elektrischer-reporter.de, Mario Sixtus, Video, 14:06 Minuten)
Für den Netz-Philosophen David Weinberger ist das vermeintliche digitale Chaos die große Chance, alte Zöpfe unserer Vorstellungswelt zu entsorgen: das Entweder-Oder-Prinzip beispielsweise.

“Ich vermute, dass Springer genervt ist von uns”
(readers-edition.de, Felix Kubach)
Stefan Niggemeier, zusammen mit Christoph Schultheis Betreiber des ?Bild?-kritischen Portals bildblog.de, spricht im Interview über das von der Axel Springer AG gegen ihn geplante Verbot, weiterhin Eingaben an den Presserat zu richten (bislang 12), über das zweifelhafte Hamburger Gerichtsurteil bezüglich des Moderierens von Kommentaren und über seinen Streit mit Henryk M. Broder.

Wie der Verleger Axel Springer einmal beinahe seine Welt verloren hat
(faz.net, Hans-Peter Schwarz)
Anfang der siebziger Jahre stand der Springer-Verlag auf der Kippe: Die Verluste der ?Welt? wurden immer größer. Axel Springer war kurz davor, die “Welt” an die F.A.Z. zu verkaufen. Wir drucken Auszüge aus einer neuen Springer-Biographie des Historikers Hans-Peter Schwarz.

“Wir bloggen, weil wir glauben”
(zuender.zeit.de, Simon Columbus)
Seit einem Jahr sitzt der ägyptische Blogger Kareem Amer im Gefängnis, weil er den Islam beleidigt hat.

Das Ende der Flash-Freiheit
(taz.de, Ben Schwan)
Internet-Videos bei YouTube und Co. kann derzeit jeder anlegen und online stellen. Das könnte sich ändern: Flash-Hersteller Adobe plant ein Rechtemanagement.

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