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Jedes gruselige Detail

Am 24. Juli 2003 machte die Illustrierte “Stern” mit dem Titel “Der Kannibale” auf. Im Inneren schilderte sie auf vielen Seiten außerordentlich detailliert, wie Armin Meiwes im März 2001 einen Mann auf dessen Wunsch hin verstümmelte, tötete und später Teile der Leiche aß. Der Deutsche Presserat missbilligte zwei Monate später diesen Bericht und erklärte:

Die detaillierte Schilderung der Zubereitung und des Essens von Körperteilen geht nach Meinung des Gremiums über ein begründbares Informationsinteresse der Öffentlichkeit deutlich hinaus.

Armin Meiwes steht zur Zeit wieder wegen seiner Tat vor Gericht. “Bild”-Reporter Marco Schwarz ist vor Ort und beginnt seinen Bericht* vom vierten Prozesstag mit den Sätzen:

Er beschreibt jedes gruselige Detail. Geht’s nicht noch ein bißchen genauer? Noch ein bißchen ekliger?

Vierter Verhandlungstag gegen den Kannibalen von Rotenburg und die Frage: Wie halten das Zuschauer, Richter und Anwälte bloß aus?

Ja, und wie die Leser einer großen Boulevardzeitung? Das lässt sich doch herausfinden. Im Rest des Artikels gibt der “Bild”-Reporter die kaum auszuhaltenden Schilderungen über den genauen Ablauf der Tat ausführlich und wörtlich wieder. Er beschreibt jedes gruselige Detail. Und falls sich herausstellen sollte, dass es doch noch ein bisschen genauer, noch ein bisschen ekliger ging — “Bild” wird es ausführlich dokumentieren.

*) Der Artikel ist auch online. Verlinken wollen wir ihn nicht.

Nachtrag, 7.2.2006:
Bereits seit einigen Tagen ist der Artikel aus dem Angebot von Bild.de gelöscht. Ebenfalls seit einigen Tagen steht eine Antwort von Bild.de-Chef Oliver Eckert (auf unsere Frage nach dem Grund dafür) aus.

Die schärfste Sanktion

Im Juni dieses Jahres hatte “Bild” in der Überschrift zu einem Artikel geschrieben, “Kannibale grillte seine Cousine im Backofen”. Gut drei Monate später ging der Presserat bis zum Äußersten: Er rügte “Bild” öffentlich deswegen, und griff damit zur schärfsten Sanktion, die ihm zur Verfügung steht.

Und heute nun kommt “Bild” der Verpflichtung, die Rüge abzudrucken auf Seite zwölf nach — schließlich entspricht es laut Ziffer 16 des Pressekodex ja “fairer Berichterstattung”, öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken:

P.S.: Damit Sie etwas leichter fündig werden: Die Rüge ist der kleine Text unter der handelsüblichen Streichholzschachtel, die wir zur Verdeutlichung dazu gelegt haben. Dort steht:

Presserat rügt
Wegen der Berichterstattung in der BILD vom 10.06.2005 unter der Überschrift “Kannibale grillte seine Cousine im Backofen” hat der Deutsche Presserat einen Verstoß gegen Ziffer 8 und Ziffer 13 des Pressekodex festgestellt und gerügt.

Nachtrag, 24.11.05:
Die gerügte Meldung findet sich nach wie vor unverändert bei Bild.de.

Allgemein  

“Nicht akzeptabel”, gerügt und missbilligt

“Kannibale grillte seine Cousine im Backofen”

So stand es am 10. Juni in “Bild” (und steht noch so bei Bild.de).

Der Deutsche Presserat hat die “Bild”-Zeitung deshalb jetzt öffentlich gerügt*. Die “Tatsachenbehauptung” in der Überschrift ist laut Presserat eine “Vorverurteilung” und als Verstoß gegen Ziffer 13 des Pressekodex “nicht akzeptabel”. Weiter heißt es (mit Hinweis auf die Pressekodex-Ziffer 8):

“Zudem wurde ein Foto des vermeintlichen Täters veröffentlicht, auf dem er klar erkennbar ist. Dadurch wurden die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verletzt.”

Und es ist, um es mal so zu sagen, nicht die erste Rüge, die gegen “Bild” ausgesprochen wurde. Im Gegenteil: Die “Bild”-Zeitung wird überdurchschnittlich häufig gerügt (allein in den letzten zehn Jahren fast 70-mal) und begeht viele Verstöße immer wieder.

Den aktuellen Anlass nutzend, dokumentieren wir alle öffentlichen und nicht-öffentlichen Rügen der “Bild”-Zeitung (zunächst von 2002 bis 2004).

Zu den Rügen
 
PS: Nicht gerügt wurde die “Bild”-Zeitung dafür, dass sie im August 2005 mit großer Konsequenz immer wieder gänzlich unverfremdete Fotos von der minderjährigen Tochter einer Frau zeigte, die neun ihrer Kinder getötet haben soll. Auf Nachfrage erfahren wir vom Beschwerdereferenten, dass eine von uns eingereichte Beschwerde den Presserat jedoch dazu veranlasste, eine Missbilligung der “Bild”-Berichterstattung auszusprechen.

*) “Es entspricht fairer Berichterstattung, vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen.” (Pressekodex Ziffer 16 mit einem Link von uns.)

Allgemein  

Hunger nach Kannibalismus

Man will es bei “Bild” offenbar einfach nicht einsehen, deshalb noch mal: Wer kein Menschenfleisch verzehrt, ist kein Kannibale.

Und trotzdem stand in der gestrigen Berliner “Bild”-Ausgabe diese Doppelseite:

Das Wort “Kannibale” findet sich dort nicht nur in der Überschrift, sondern auch in zwei Bildunterzeilen – und im Text wird Ralf M. weitere vier mal als Kannibale bezeichnet. Und das, obwohl “Bild” nebenan sogar einen Auszug der Anklage abdruckt, aus der sich deutlich entnehmen lässt, dass es eben nicht zu Kannibalismus kam. Man muss also davon ausgehen, dass “Bild” den Angeklagten absichtlich und wider besseres Wissen als Kannibalen bezeichnet.

Außerdem geht es hier mal wieder um Ziffer 13 des Pressekodex’. Obwohl dort und in den Richtlinien dazu eindeutig festgelegt ist, dass Verdächtige vor einem gerichtlichen Urteil nicht als Schuldige hingestellt werden dürfen, tut “Bild” mal wieder genau das (wie sich auch in der Online-Version des Berichts auf Bild.de nachlesen lässt).

Möglicherweise kann man auch darüber streiten, ob die Fotos, die “Bild” zur Illustration des Artikels gewählt hat, Ralf M. aussehen lassen, wie ein Raubtier im Käfig. Man kann darüber streiten, ob es wirklich notwendig und angemessen ist, detaillierte, “grausige” (“Bild”) Auszüge der Aussage des Gerichtsmediziners abzudrucken. Und man kann darüber streiten, ob man Ralf M.s Geständnis, das “Bild” im Wortlaut abdruckt, tatsächlich als “Grusel-Geständnis” qualifizieren muss. Es gibt jedenfalls Passagen darin, die dem Eindruck widersprechen, es handele sich bei dem Angeklagten um ein gewissen- und willenloses Monster:

“Ich selbst stehe den Vorwürfen fassungslos gegenüber und finde nur unzureichende Erklärungen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. (…)
Mir ist bewußt, daß dieser Teil meines Ichs medizinisch behandelt werden muß. Ich hoffe, mit Hilfe von Ärzten irgendwann einmal wieder ein normales Leben führen zu können.
Für die von mir begangene Tat schäme ich mich. (…)
Mir ist bewußt, welch schwere Schuld ich auf mich geladen habe. (…)
Bis zu der Tat habe ich irrig geglaubt, meine Fantasien im Griff zu haben. (…)
Ich weiß, daß ich in den nächsten Jahren unter gesicherten Bedingungen behandelt werden muß.”

Wie gesagt, “Bild” druckt all das im Wortlaut ab, und schreibt trotzdem darüber:

Sperrt ihn weg, er hat wieder Hunger!

Und in eine Bildunterzeile:

Offenbar hat er immer noch Hunger auf Menschenfleisch

Oder in der Bild.de-Version:

Denn Ralf M. hat immer noch Hunger auf Menschenfleisch!

Ob also die Art und Weise, wie “Bild” die Geschichte präsentiert, entwürdigend ist, und ob sie den Angeklagten Ralf M. wie einen tumben Zombie darstellt, der einzig und allein von seinem Hunger auf Menschenfleisch getrieben ist, darüber müsste man jetzt vermutlich immer noch streiten — wenn auch nur mit “Bild”.

Nachtrag, 6.5.:
Man könnte glatt meinen, “Bild” versuche heute sich für ihre “Kannibalen-Berichterstattung” zu rechtfertigen. Auf Seite acht der Berliner “Bild”-Ausgabe steht nämlich ein fast ganzseitiger Artikel, der die Überschrift trägt, “Jetzt winselt der Berliner Kannibale! Ich fühle mich wie ein gefährliches Tier im Käfig”. Und im Text wird Ralf M. folgendermaßen zitiert: “Ja, ich bin ein Kannibale, und ich fühle so wie einer.” Aber, liebe “Bild”-Mitarbeiter, mal angenommen, irgend eine geistig derangierte Person käme auf die obskure Idee, sich als “Bild”-Chefredakteur und Herausgeber zu bezeichnen, würden Sie ihn dann auch so nennen und darstellen?

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