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Keine Widerrede!

Vergangenen Donnerstag stand auf Seite 3 der “Bild”-Ausgabe für Mecklenburg-Vorpommern eine große Geschichte über einen Vorfall, der sich kurz und knapp hier nachlesen lässt.

In der Dachzeile in “Bild” heißt es:

Das Drama von Wasungen. Die Großmutter spricht

Die Überschrift lautet:

Die Justiz ist schuld am Tod meiner Lieben

Und in einer weiteren Zwischenüberschrift steht:

Der Rügener Killer hatte bei Gericht erfahren, wo sich seine Familie versteckt hält

Im Text, der sich unter diesen Zeilen befindet, steht dann noch, “Angehörige erheben schwere Vorwürfe”. Aber das nur nebenbei.

Kommen wir zu den Vorwürfen, die “Bild” im vorletzten Absatz des Artikels erhebt:

Am Montag dann der fatale Fehler der Justiz: Norbert F. stand wegen Diebstahls wieder in Bergen vor Gericht. Dort wurde auch die Zeugenaussage seiner Frau verlesen – und ihre neue Adresse genannt! Stunden später war Norbert F. schon auf dem Weg zu ihr…

Woher “Bild” diese Information hat, lässt sich dem Text nicht entnehmen, die Großmutter oder sonstige Angehörige jedenfalls werden in diesem Zusammenhang nicht zitiert. Da wäre es natürlich wichtig und sinnvoll gewesen, mal diejenigen, die den “fatalen Fehler” begangen haben sollen, mit dem Vorwurf zu konfrontieren. Doch “Bild” hat offenbar darauf verzichtet, weshalb man z.B. in der “Osterländer Volkszeitung” nachlesen muss, was Rainer Eggers, Amtsgerichtsdirektor in Bergen, nach der Veröffentlichung des “Bild”-Artikels gesagt hat:

Die neue Adresse der Ehefrau lag dem Gericht nicht vor, sagte Amtsgerichtsdirektor Rainer Eggers gestern. Sie könne demnach gar nicht verlesen worden sein. “Bild” hatte berichtet, der mutmaßliche Täter habe die neue Adresse seiner Frau vom Amtsgericht erfahren.

Die treffende Überschrift

Bei langen Interviews kann es schon einmal schwer sein, eine knappe Überschrift zu finden, die dem ausführlichen Gespräch gerecht wird. Bei einem Kurz-Interview, das genau drei Fragen und Antworten umfasst, sollte das dagegen sogar ein “Bild”-Redakteur hinbekommen.

Testen wir das mal in der Praxis. Nehmen wir ein Interview, das “Bild” mit dem Finanzminister geführt hat.

BILD: Italien will eine SMS-Steuer einführen, um den Haushalt zu sanieren. Ein Modell für Deutschland?

Hans Eichel: Kommt nicht in Frage – wir wollen keine neue Steuer. Wo wir aber genauer hinsehen werden, ist der Internethandel. Da läuft zuviel an der Umsatzsteuer vorbei. Die Besteuerung des Internethandels muß auf europäischer Ebene geregelt und dann schärfer kontrolliert werden.

So, jetzt konzentrieren. Welche Überschrift würde passen?

(a) Eichel will neue Internet-Steuer
(b) Eichel will keine neue Internet-Steuer

Na? Okay, und hier ist die Antwort, die “Bild” gegeben hat:

Zum Hintergrund: Es geht darum, dass viele Händler im Internet keine Umsatz- oder Gewerbesteuer zahlen, obwohl dies ab einem gewissen Professionalisierungsgrad Pflicht wäre. Diese Grauzone will Eichel schließen — es geht aber keineswegs um eine “neue Steuer”, sondern um die klare Regelung und Durchsetzung längst bestehender Steuern. Das Finanzministerium hat inzwischen dementiert: “Bild” habe die Aussagen Eichels “verzerrt” wiedergegeben. Oder “übergeigt”, wie Kai Diekmann sagen würde.

Weil “Bild” die falsche Nachricht an die Agenturen gegeben hat, taucht die Meldung mit Quelle “Bild” auch in anderen Medien auf. Mit solchen Enten erhöht die “Bild”-Zeitung also ihren Status als meist zitierte und daher “mit Abstand wichtigste deutsche Tageszeitung”.

Danke an diverse Hinweisgeber! Mehr zum Thema auch bei “Spiegel Online”.

“Super unterhaltsam”

Eine durchschnittliche Schlagzeile bei Bild.de, mit der “die multimedialen Erweiterung der Marke BILD” auf einen der stets unabhängigen und überparteilichen Artikel in “Bild” oder “BamS” hinweisen will, sieht so aus:

Oder so:

Vielleicht auch so:

Oder beispielsweise so:

Oder etwa so?

Nein! Denn hinter dieser Ankündigung finden sich bloß allerhand Texte über ein Kabelfernsehangebot namens “Kabel Digital”, die sich optisch und inhaltlich kaum von den Promo-Texten auf der “Kabel Digital”-Website unterscheiden. Vor allem aber, dass dann auch noch “Bild.T-Online-Redakteur Andreas Koesler” ins Spiel kommt (“Bild.T-Online-Redakteur Andreas Koesler hat einen Tag lang getestet, wie gut das Angebot wirklich ist”), der das alles “super unterhaltsam” findet, hat mit der im Pressekodex (Ziffer 7) festgeschriebenen “Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken” endgültig nur noch wenig zu tun. Und vielleicht sogar gar nichts.

Nachtrag, 10:54: Naja, die augenscheinliche Vermischung von Inhalt und Werbung bei Bild.de hat sogar noch weniger mit dem Pressekodex zu tun als behauptet, sorry. Denn für Diensteanbieter wie Bild.de gilt ja der Mediendienstestaatsvertrag, in dessen Paragraph  13 es allerdings ebenfalls ausdrücklich heißt: “Werbung muss als solche klar erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein.”

Große Frage

Am Samstagabend wurde in der ZDF-Sendung “Wetten, dass…?” das offizielle Maskottchen der Fußball-WM 2006 der Öffentlichkeit präsentiert. Es ist “Goleo”, ein sprechender Löwe im T-Shirt mit einem ebenfalls sprechenden Ball namens “Pille”.

Und die “Bild am Sonntag” hat für die Titelseite ihrer heutigen Ausgabe nichts Wichtigeres gefunden als die große Frage:

“Warum hat unser WM-Löwe keine Hose?”

Erstaunlicherweise gibt es darauf 24 Seiten später sogar eine (wenig spektakuläre) Antwort: “Wir haben ihn mit und ohne Hose getestet – und so sieht er einfach schöner aus”, zitiert das Blatt einen Sprecher des Organisationskomitees.

Dem ist wenig hinzuzufügen – außer natürlich, dass Goleos Bekleidungsstil, der der “BamS” heute die Titelschlagzeile wert ist, in der Welt der Maskottchen (und beileibe nicht nur dort) als ziemlich normal gelten kann.

Geklitterte Geschichte

“Bild” druckt in ihrer heutigen Berlin-Ausgabe dieses Foto. Der Fotograf Will McBride hat es am 26.6.1963 in Berlin gemacht, und “Bild” nennt es zu Recht “eines seiner berühmtesten Bilder”, wie überhaupt der Anlass, währenddessen es entstand, ein ziemlich berühmter ist, den jeder kennt und den “Bild” so beschreibt:

“John F. Kennedy (links) besucht Berlin. Auf dem Weg zum Roten Rathaus fährt der amerikanische Präsident (…) am Brandenburger Tor vorbei.”

Dumm nur, dass (wie beispielsweise der “Tagesspiegel” bereits am 25.6.1963 zeigte) Kennedy natürlich keineswegs “auf dem Weg zum Roten Rathaus” war. Schließlich steht das so genannte “Rote Rathaus” im Ost-Teil der Stadt und befand sich damals jenseits der Berliner Mauer. Kennedys Fahrt dorthin wäre eine Sensation gewesen. Dass Kennedy stattdessen bloß zum Rathaus Schöneberg im West-Teil der Stadt fuhr, von wo aus er mit Blick auf den (anschließend sogar nach ihm benannten) Vorplatz eine ziemlich historische Rede hielt, kann man ohne Mühe überall nachlesen. Nur nicht in “Bild”.

Mit Dank an Björn S. für den sachdienlichen Hinweis.

Outing

Dass “Bild” in ihrer “In & Out”-Liste gelegentlich den Eindruck erwecken kann, es werde dort die Grenze zur Schleichwerbung überschritten, ist journalistisch gesehen bedenklich, aber bekannt. Am gestrigen Donnerstag zum Beispiel war für “Bild” die am Montag erscheinende “‘BILD-Volksbibel’ zum Supergünstigpreis von 9,95 Euro” ganz doll “in”.

Aber dass gestern in der (derzeit von Kai Diekmann geleiteten) “Bild” als erstes “Der gegelte Wet-Fett-Look auf dem Kopf” auf der “out”-Seite steht, gibt einem dann doch zu denken

Mit Dank an Gunther S. für den sachdienlichen Hinweis.

Lachen mit “Bild”

Früher gab es von jedem “Bild”-Kommentator zwei Fotos: Eines, auf dem er lacht. Und eines, auf dem er ernst guckt. Sie fanden Verwendung je nach Anlass und Tenor des Kommentars.

Entweder ist das internen Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen. Oder man ist bei “Bild” wirklich außerordentlich glücklich darüber, dass Jassir Arafat nicht mehr lebt. Neben dem Kommentar mit der Überschrift “Tod im Bett” steht dieses Foto von Autor Claus Jacobi:

Nachtrag, 17:10: Mittlerweile wurde das Foto bei Bild.de gegen ein weniger erheitertes ausgetauscht.

Nachtrag, 21:00: In der gedruckten “Bild” guckt Jacobi angemessen staatstragend.

Das persönliche Gespräch

Es sind kleine Floskeln, mit denen Zeitungen ihren Lesern suggerieren, dass sie toll und wichtig sind und nicht einfach nur Agenturmeldungen oder Pressetexte irgendwo abschreiben; Floskeln wie “… sagte er gegenüber der XY-Zeitung …”.

Die meisten Zeitungen benutzen solche Formulierungen nur, wenn einer ihrer Mitarbeiter tatsächlich selbst mit jemandem gesprochen hat, der es lohnt, zitiert zu werden. Die “Bild”-Zeitung sieht das nicht so eng. In einem Artikel über den Fund von möglichen Kokain-Spuren auf der Toilette des “Musikantenstadel” heißt es.

RTL-Redaktionsleiter Frank Biernat zu BILD: „Wir können ausschließen, daß das weiße Pulver bei einer anderen Veranstaltung konsumiert wurde. Die Toilette wurde vor der Veranstaltung peinlich genau gereinigt“.

Es wäre schon ein sehr großer Zufall, wenn Herr Biernat es geschafft hätte, im persönlichen Gespräch mit Herrn Posselt von der “Bild”-Zeitung exakt das gleiche zu sagen, was er in einer Pressemitteilung sagte, die RTL am Donnerstagnachmittag an alle Redaktionen und jeden, der es haben wollte, verschickte, nur etwas kürzer. Nämlich:

Stellvertretender Redaktionsleiter Frank Biernat: “Rückschlüsse auf bestimmte Künstler sind nicht möglich. Wir können aber ausschließen, dass das weiße Pulver bei einer anderen Veranstaltung konsumiert worden ist. Die Proben wurden an Waschbecken und Toilettenspülungen genommen, und die wurden vor der Veranstaltung peinlich genau gereinigt.”

Na, womöglich kann man schon froh sein, dass “Bild” die an die Welt versandte Meldung nicht “exklusiv” genannt hat.

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Zunehmendes Rumpeln

Man hätte es sich auch als Laie der Seismologie denken können: Wenn die “Bild”-Zeitung schreibt, dass die Zahl der Erdbeben zunimmt, ist sie in Wahrheit konstant, Tendenz: fallend.

Aber der Reihe nach.

Auch bei uns bebt die Erde immer öfter

lautet die Überschrift über der heutigen Folge der aktuellen Erduntergangs-Serie von “Bild”. Diese Behauptung wird im zugehörigen Artikel allerdings nicht wiederholt, geschweige denn belegt, also vergessen wir sie einfach. (Okay, nach der neuen “Null Toleranz”-Politik von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann wäre das ein klassischer Fall von “übergeigter” Überschrift, die vom Text nicht gehalten wird, und es müssten Köpfe rollen, aber wir wollen da mal nicht so sein.)

Tatsächlich behauptet Dr. Paul C. Martin in seinem “Bild”-Artikel allerdings, dass die Zahl der Beben weltweit steigt:

Heute ist unser Planet von ca. 8000 Meß-Stationen überzogen. Sie melden täglich mindestens 50 Beben.
Tendenz? Leider steigend! (…)
Ist das zunehmende Rumpeln ein Alarmsignal?

Klare Antwort: Nö. Bzw.: Welches zunehmende Rumpeln?

“Bild” belegt seine These, dass “unser Planet aus dem Gleichgewicht” sei, mit einer Statistik, die eindeutig scheint: Danach hat sich die Zahl der aufgezeichneten Erdbeben 2003 gegenüber 1990 fast verdoppelt. Als Quelle gibt “Bild” das US-Erdbebenüberwachungszentrum NEIC an.

Auf dessen Internetseite finden sich zwar die von “Bild” verwendeten Daten. Dort findet sich aber auch ein Satz, der die Zunahme erklärt:

As more and more seismographs are installed in the world, more earthquakes can be and have been located. However, the number of large earthquakes (magnitude 6.0 and greater) have stayed relatively constant.

Mit anderen Worten: Es werden mehr Erdbeben gemessen, weil es mehr Erdbebenmessgeräte gibt. Die Zahl der schweren Erdbeben aber hat sich kaum verändert. Betrachtet man Erdbeben von mindestens der Stärke 5, hat die Zahl sogar eher abgenommen als zugenommen.

We (and he) are the Champions XVI

1.) Am gestrigen Mittwoch machte “Bild” mal nicht sich selbst (oder den Axel Springer-Verlag) zum “Gewinner” des Tages, sondern einen gewissen Wendelin Wiedeking, und schrieb dazu:

“Übrigens: Vergangenes Jahr ging die hohe Auszeichnung an BILD. BILD meint: Ein würdiger Nachfolger!”

(Stattdessen stand auf der “Bild”-Titelseite nur eine Kurzfassung dieser oder dieser oder dieser Version dieser Pressemitteilung über die “Axel Springer AG auf Erfolgskurs!”)

2.) Am heutigen Donnerstag hingegen macht “Bild” wiederum nicht sich selbst (usw.) zum “Gewinner” des Tages, sondern zum nunmehr achten Mal in diesem Jahr Helmut Kohl.

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