Archiv für April 17th, 2018

MDR  

MDR diskutiert mit Weißen über Rassismus gegenüber Schwarzen

Wie oft wurde die frühere AfD-Politikerin Frauke Petry in ihrem Leben wohl als “Negerin” beschimpft?
Wie oft der ZDF-Moderator Peter Hahne?
Wie oft die Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz?
Wie oft der Politikwissenschaftler Robert Feustel?

Das sind vier völlig blöde Fragen, schließlich haben Petry und Hahne und Köditz und Feustel alle eine sehr helle Hautfarbe, was sie vor einer solchen unsäglichen rassistischen Beleidigung schützt. Und doch hätte sich die Redaktion des MDR Sachsen diese Fragen mal stellen können, denn heute Abend um 20 Uhr will der Radiosender mit diesen vier Studiogästen die Frage klären, ob man “noch ‘Neger'” sagen darf:

Um erstmal auf die Frage einzugehen: nein. Es handelt sich um eine Beleidigung (dass man sowas wirklich noch klarstellen muss). Selbst der Duden schreibt, dass die Bezeichnung “im öffentlichen Sprachgebrauch als stark diskriminierend” gelte. Sie verletzt Menschen. Man kann das Wort benutzen, ja. Aber dann kann man sich nicht damit rausreden, dass man nicht wisse, was für eine üble rassistische Beleidigung man benutzt hat.

In der Sendung des MDR Sachsen soll es laut Ankündigung allgemein um die Frage “Politisch korrekt oder korrekt politisch?” gehen. Es ist bemerkenswert, dass eine Redaktion eines öffentlich-rechtlichen Senders in die dazugehörige Twitter-Ankündigung das N-Wort einbaut. Die Frage wirkt wie ein kalkulierter Tabu-Bruch: Längst Indiskutables zur Diskussion stellen, nur um Aufmerksamkeit zu bekommen — eine Strategie, die man ständig bei der Neuen Rechten beobachten kann. Allein das Stellen dieser Frage ist ein Rückschritt, schließlich lässt dies es so wirken, als könnte man ernstzunehmende unterschiedliche Positionen zu ihr einnehmen. Was könnte man denn noch so diskutieren? Darf man heute noch “Kümmeltürke” sagen? Darf man heute noch “Judensau” sagen? Darf man Schwule “Schwuchteln” nennen? Darf man einen Menschen mit Trisomie 21 “Mongo” nennen? Die Antworten wären übrigens: nein, nein, nein und nein.

Was viele Twitter-Nutzer stört ist nicht nur die Reproduktion einer rassistischen Beleidigung durch den MDR Sachsen, sondern auch die Zusammensetzung der Talk-Runde: Warum sitzt keine von Rassismus betroffene Person am Mikrofon, die sagen könnte, was sie von der Verwendung des Wortes hält? Etwa jemand, der “Zigeunerschnitzel”- und “Negerkuss”-Verteidiger Peter Hahne im Studio erklären könnte, wie kränkend das Wort ist. Warum diskutieren ausschließlich Weiße darüber, mit welchen Rassismen sie Schwarze versehen dürfen und mit welchen nicht?

Die Reaktion des MDR Sachsen auf diese Kritik ist gelinde gesagt eine Katastrophe:

Was für eine Bankrotterklärung einer Redaktion: Auf Anrufe von Betroffenen hoffen, weil man es (im besten Fall) verpennt hat oder (im schlimmeren Fall) für unnötig hielt, die Menschen ins Studio einzuladen, die die Beleidigung im Alltag betrifft.

Anderen Kritikerin entgegnet der MDR Sachsen, dass sie mal etwas sorgfältiger lesen sollen:

Das wäre ziemlich lustig, wenn es nicht so traurig wäre: Dass eine Redaktion, heischend nach Aufmerksamkeit, an den Anfang ihres Tweets eine rassistische Beleidigung stellt und bei Kritik daran sagt, dass man sich mal nicht von der rassistischen Beleidigung blenden lassen solle. Und vielleicht zeichnet eine gute Überschrift auch aus, dass sie die Leserschaft den Inhalt einer Sendung nicht falsch verstehen lässt.

Der MDR Sachsen hat nun auch etwas grundsätzlicher auf die Kritik reagiert:

Auch dazu könnte man einige Fragen stellen, etwa: Was an der “Einstiegsfrage” soll eine “Überspitzung” gewesen sein? Das war keine “Überspitzung”. Das war schlicht das Wiedergeben einer rassistischen Beleidigung.

Die zwei angekündigten Studiogäste Kerstin Köditz und Robert Feustel haben ihre Teilnahmen an der Diskussionsrunde inzwischen übrigens abgesagt:

Ein letzter Gedanke: Ja, auch wir haben hier nun diese Beleidigung mehrfach verwendet. Das lässt sich bei einer Kritik an manchen Stellen leider nicht vermeiden. Wir haben uns jedenfalls Mühe gegeben, das Wort so selten wie möglich zu verwenden.

Nachtrag, 17:38 Uhr: Laut “Tagesspiegel” hat der MDR Sachsen nun die gesamte Sendung abgesagt.

Mit Dank an @jens_jans für den Hinweis!

Weitere Echo-Echos, Unglücklicher Vorfall, Affen-Selfie mit Präzedenz

1. Nächster Künstler gibt Echo zurück
(spiegel.de)
Der Skandal um die Echo-Vergabe geht in die nächste Runde: Nach dem Notos-Quartett gibt nun auch Lebenswerk-Preisträger Klaus Voormann seinen Echo zurück. Voormann sieht sich von der veranstaltenden Musikindustrie hinters Licht geführt: “Meinen Laudator und Freund Wolfgang Niedecken und mich derart ins offene Messer laufen zu lassen, indem man uns beide und große Teile des Saalpublikums damit in Schockstarre versetzt hat — und das, obwohl wir nicht eine Textsilbe verstanden haben –, zeugt nicht für die Wertschätzung einer Lebenswerk-Auszeichnung“.

Wolfgang Niedecken äußert sich in einem längeren Facebook-Statement ähnlich empört: „Das Dilemma bleibt aber unbehandelt, denn es ist nur in einem völlig scheinheiligen Umfeld möglich, dass skrupellose Menschen nach der Devise „Any Promotion Is Good Promotion“ überhaupt in die Lage versetzt werden eine ECHO-Verleihung zu kapern und alle am Nasenring vorzuführen. Klaus und mich haben die Veranstalter ganz einfach ins Messer laufen lassen.“
Weiterer Lesetipp: Mit „Warum haben Sie sich Ihrer Verantwortung entzogen?“ wendet sich die Schweizer Sängerin Sophie Hunger an den Ethik-Beirat des Echo-Musikpreises: „Ihre Entscheidung war katastrophal“ (faz.net)

2. Russischer Investigativ-Journalist stirbt nach Sturz von Balkon
(faz.net)
Der russische Investigativjournalist Maxim Borodin ist vom Balkon seiner Wohnung gestürzt und gestorben. Borodin hatte zuvor über Moskaus „Schattenarmee“ in Syrien berichtet. Der OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien zeigt sich besorgt und fordert eine rasche und gründliche Untersuchung. Die russischen Behörden sehen dafür jedoch keinen Anlass und gehen von einem „unglücklichen Vorfall“ aus.

3. So viele Podcasts, so wenig Kritik
(inkladde.blog, Nicola Wessinghage)
Podcasts sind ein Erfolgsformat und werden mittlerweile sogar von etablierten Medien produziert. Der Hype endet jedoch bei der Podcast-Kritik: Mit dem Inhalt von Podcasts wird sich bei den Medien nur selten beschäftigt. Nicola Wessinghage hat über Anforderungen einer Podcastkritik nachgedacht und sich in der Medienlandschaft nach bestehenden Ansätzen umgeschaut.

4. New York Times für Weinstein-Enthüllungen mit Pulitzer-Preis ausgezeichnet
(sueddeutsche.de)
Die “New York Times” und “The New Yorker” haben für ihre Berichterstattung rund um den Fall Harvey Weinstein den renommierten Pulitzer-Preis bekommen. Die „New York Times“ bekam noch einen zweiten Preis. Sie wurde zusammen mit der „Washington Post“ für ihre Berichterstattung über mögliche Verbindungen zwischen dem Team von US-Präsident Donald Trump und der russischen Regierung ausgezeichnet.

5. Russische Behörden blockieren Messenger-Dienst
(deutschlandfunk.de, Thielko Grieß)
Die russische Telekommunikationskontrollbehörde lässt derzeit nach und nach den Zugang zum “Whatsapp”-Konkurrenten “Telegram” sperren. Der Grund: Der in Russland überaus populäre Messenger erlaubt eine verschlüsselte Kommunikation.

6. Streit über Affen-Selfie geht weiter: Vergleich hinfällig, Urteil angekündigt
(heise.de, Tilman Wittenhorst)
Die Posse um das Affen-Selfie nimmt eine überraschende Wende: Eigentlich hatten sich die klagende Tierschutzorganisation und der Fotograf nach jahrelangem Rechtsstreit in einem Vergleich geeinigt. Das Gericht hat dies jedoch abgelehnt und ein Urteil angekündigt. Und hat dafür durchaus nachvollziehbare Gründe.