Archiv für April 22nd, 2016

“Eigentlich ist es noch viel krasser”

BILDblog wird analog — für einen Abend, am 3. Mai im Heimathafen Neukölln. Unter anderem mit dabei: das Theaterstück „Seite Eins“. Wir haben dem Autor des Stücks, Johannes Kram, vorab schon mal ein paar Fragen gestellt.

Herr Kram, ein Theaterstück mit Ingolf Lück und einem Smartphone, was erwartet uns?
Das Stück ist lustig, hoffe ich, aber es ist auch böse. Und da wo es lustig ist, ist es auch am meisten böse. Das heißt, es versucht natürlich Dinge zu behandeln, die eigentlich nicht lustig sind. Ingolf schafft es wunderbar, den Wahnsinn und die Abgründe des Themas in einer sehr ambivalenten Figur zu transportieren, bei der man nie genau weiß, woran man ist. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum “Seite Eins” in der Lück-Inszenierung so erfolgreich ist.

Also ein kritisches Stück?
Es geht nicht nur gegen „die bösen Medien“, es versucht nicht, eine simple Medienkritik zu machen, sondern eine Diskussion darüber zu provozieren, wer welchen Anteil woran trägt. Also: Welche Ziele und welche Verantwortung haben Medien und die Menschen, die in ihnen arbeiten? Aber auch: Welche Möglichkeiten und welche Verantwortung haben wir alle als Medienkonsumenten?


(Foto: Volker Zimmermann)

Wie viel BILDblog steckt in dem Stück?
Ich glaube, dass ich das Stück auch ohne BILDblog geschrieben hätte, aber dann wäre es garantiert anders geworden. Und von meinen Begegnungen nach den Aufführungen weiß ich, dass BILDblog-Leser ein besonderes Vergnügen daran haben, weil sie natürlich viele Geschichten kennen, auf die es sich bezieht, und weil sie ganz anders im Thema sind. Insofern wird der 3. Mai auch eine ganz besondere Aufführung für das Stück, weil es auf die trifft, die sich dem gleichen Thema von der ganz anderen Seite nähern. Und noch was: BILDblog wird ja gerne vorgeworfen, dass es sich oft kleinkariert an reinen Form- und Stilsachen abarbeitet. Ich glaube, für ein digitales sich selbst dauernd fortschreibendes Blogformat ist es sehr mühsam, immer wieder von Neuem darzustellen, wie oft hinter diesen vermeintlichen Kleinigkeiten methodische und oft sehr problematische Nachlässigkeiten und Grenzüberschreitungen stehen. Ein Theaterstück kann das bündeln, daraus ein Narrativ formen und so zu einem gemeinsam Erlebbaren machen. Insofern feiert „Seite Eins“ auch die BILDblog-Macher und -Leser dafür, dass sie sich schon so lange und so hartnäckig auch um all das kümmern, was so lästig und doch so wichtig ist.

Und wie viel steckt von der anderen Seite drin? Haben Sie mit „Bild“-Redakteuren gesprochen, eine Redaktion besucht? Oder anders gefragt: Wie nah ist das Stück an der Realität?
Es geht ja nicht nur um „Bild“, auch wenn „Bild“ natürlich der größte Machtfaktor im Boulevard ist. Es geht um Mechanismen und Haltungen, die ich selbst tatsächlich schon so erlebt oder von Betroffenen so erzählt bekommen habe. Es passiert mir jedes Mal nach Premieren, dass Journalisten auf mich zukommen und sagen: „Eigentlich ist es noch viel krasser.“ Das ist den Leuten, die nicht aus der Medienbranche kommen, oft gar nicht so klar. Für die gibt es bei dem Stück also einen großen Aha-Effekt, die sagen: „Echt, so läuft das da ab?“ Und bei Medienleuten gibt es den Effekt, dass manche sagen: „Das wussten wir schon, aber es ist schon krass, das mal so gezeigt zu bekommen“.

Im Stück geht es um den hinterhältigen Journalisten Marco, der eine junge Musikerin ausnutzt. Sie haben selbst lange Zeit als Manager von Musikern gearbeitet — sind aus dieser Zeit auch Erfahrungen eingeflossen?
Ja, auch, aber das ist auch eine dramatische Näherung an den Stoff. Vieles in dem Stück habe ich von Boulevardjournalisten tatsächlich genau so gehört. Es ist auch einiges aus dem Buch von Kai Diekmann drin, auch von Sarrazin, und vieles über den Machtanspruch gerade der Spinger-Leute. Vieles, was ich selbst erlebt oder von anderen erzählt bekommen habe. Aber es ist eben auch eine Geschichte. Kein Vortrag, sondern im besten Fall spannendes Theater, das die Leute auf verschiedene Weise packt und mehrmals in eine andere Richtung führt, als sie es erwartet hätten.

Nach dem Stück werden wir uns mit Johannes Kram und Ingolf Lück auch über das Stück unterhalten und Fragen aus dem Publikum beantworten — Tickets für den BILDblog-Abend gibt es hier.

Senderwende, Ikonographische Wende, VG-Wort-Wende

1. Medienanstalt stoppt Radio für Flüchtlinge
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Wie eine gute Idee manchmal versandet bzw. rigide abgewürgt wird, erzählt Ulrike Simon in ihrem Artikel über das geplante und nun doch nicht zu Stande kommende Integrationsradio für Flüchtlinge. Im vorigen Jahr hätte der frühere Deutsche-Welle-Programmchef vom Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), den Auftrag bekommen, über ein Flüchtlingsradio nachzudenken. Das Konzept hätte gestanden, alle Parameter gestimmt, doch dann kam die überraschende Wende: Der Medienrat entschied, das Projekt zu beerdigen. Den Grund dafür soll Ulrike Simon nicht nennen. Sie tut es dennoch: “Immer wieder, mit wem ich auch sprach, bekam ich zu hören: Die Stimmung habe sich gedreht, das gesellschaftliche Klima habe sich verändert, seit dem 31.12. sei die Welt eine andere, die Euphorie verflogen, die Willkommensbereitschaft vorbei, man denke bitte an Köln, an Brüssel…”

2. Online-Leser wollen längere Storys und weniger Listen
(de.ejo-online.eu, Scott Maier)
Das American Press Institute (API) hat in einer Studie das Nutzerverhalten von Online-Lesern unter die Lupe genommen. Mehr als 400.000 Artikel von 55 Publikationen hat man analysiert. Dabei sei die gängige Annahme, dass Journalisten sich für Online kurz und für mobile Plattformen noch kürzer fassen sollten, widerlegt worden. Die Ergebnisse der Studie hätten gezeigt, dass Online-Leser mehr wollen als Geschichten über Stars und Sternchen, kurze Meldungen ohne Tiefgang und die beliebten “Listicles”.

3. Geschichten eines Bilderstürmers
(zeit.de, Uwe Jean Heuser)
Der 32-jährige Gründer des Foto-Netzwerks Instagram Kevin Systrom kann auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte zurückblicken: Innerhalb weniger Jahre ist Instagram die führende Plattform zum Teilen von Fotos geworden. Und Facebook blätterte vor wenigen Jahren die stolze Summe von einer Milliarde für das Bildernetz hin. In London sprach Systrom nun von der “ikonographischen Wende”. Täglich 80 Millionen Bilder würden täglich auf Instagram gespeichert. “Dass wir diese Momente hochauflösend aufnehmen und für immer speichern können, wird wichtiger sein für die Menschheitsgeschichte als die Erfindung der Schriftsprache.” Systrom glaube, dass die Erinnerungen der Menschen künftig nicht mehr aufgeschrieben, sondern abgebildet werden. “Wir waren immer eher visuelle als sprachbezogene Wesen.” (Leider hat man den Digitalbildrevolutionär und visionären Schriftsprachenablöser nicht gefragt, wieviel Prozent der täglichen Instagram-Bilder auf Duckface-Selfies und Foodfotos entfallen.)

4. BGH kippt VG-Wort-Ausschüttung
(faz.net)
Der Bundesgerichtshof hat gesprochen: Die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort darf keine Einnahmen aus Urheberrechten mehr an die Verlage ausschütten. Das Geld stehe nach derzeitiger Gesetzeslage ausschließlich den Autoren zu. Vor allem kleine Verlage trifft der Urteilsspruch, freuen können sich die Autoren, die nun eventuell sogar rückwirkend Ansprüche auf Nachzahlungen geltend machen können. Doch das Urteil könne auch Auswirkungen für die Vielfalt der Angebote journalistischer Aus- und Weiterbildung haben.

5. Der Hass im Netz – und was dagegen zu tun ist
(carta.info, Ingrid Brodnig)
Montag erscheint Ingrid Brodnigs Buch „Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Auf “Carta” gibt es eine gekürzte und leicht abgeänderte Fassung des Kapitels „Hass als Instrument“, in dem sie auch auf die Facebook-Thematik eingeht: “Würde Facebook allein jene Wortmeldungen löschen, die strafrechtlich relevant sind oder gegen die eigenen Regeln des Netzwerks verstoßen, wäre die Situation schon deutlich besser als bisher. Facebook hingegen betont gerne, wie wichtig Widerrede („Counter Speech“) sei – also dass Menschen gegen hasserfüllte Rede das Wort ergreifen. Das stimmt. Es braucht aber beides: Mutige Bürger und Webseitenbetreiber, die sie vor den schlimmsten verbalen Übergriffen oder gar Bedrohungen schützen.”

6. Wutdruck
(sueddeutsche.de, Viola Schenz)
Das konservative britische Wochenmagazin “The Spectator” ruft seine Leser auf, Schmähgedichte auf den türkischen Präsidenten einzusenden – “so schmutzig und beleidigend wie möglich”.