Archiv für März 9th, 2016

Wahre Liebeslügen

Sogar im Medienbetrieb gibt es manchmal Menschen, die nicht zynisch werden, sondern weiter an die wahre Liebe glauben. Die über sich hinauswachsen, um diesem edelsten, wahrhaftesten aller Gefühle Ausdruck zu verleihen. Die ihre Bewunderung noch frei artikulieren.

Ihre Mundwinkel besuchen die Ohren, kräuseln sich an den Enden, ihre Augen blitzen schelmisch, ihr Kinn hebt sich mit verhaltener Arroganz

… schreibt Jürgen Elsässer über seinen Schwarm:

wer denkt da nicht an Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany?

Die meisten. Elsässers Blicke jedenfalls können nicht vom Körper der Verführerin lassen:

Ihr Business-Kostüm mit der Flügelkragenbluse verleiht ihr die noble Kühle, die notwendig ist, um den Betrachter von den langen Beinen unter dem Rock abzulenken.

Die Frau, der Elsässer verfallen ist, ist Frauke Petry von der AfD. Ende Januar autorisierte sie dem “Mannheimer Morgen” ein Interview, in dem sie sagt, Grenzpolizisten müssten den illegalen Grenzübertritt von Flüchtlingen verhindern und “notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen”, das sei Gesetz. Jürgen Elsässer schwärmt nicht trotz, sondern wegen solcher Dinge von Frauke Petry.

Elsässer ist Chefredakteur des monatlich erscheinenden Magazins “Compact”. Nach eigenen Angaben liegt die verkaufte Auflage bei 36.000 Stück, was nicht völlig frei erfunden zu sein scheint — etwa jeder zweite Facebook-Fan müsste dann auch Käufer sein. “Compact” (Untertitel: “Magazin für Souveränität”, Slogan: “Ehrlicher Journalismus in Zeiten der Lüge”) ist ein Blatt, das seine Agenda sehr offensiv verfolgt. Eine publizistische Plattform für diverse Verschwörungstheorien und allerlei ausländerfeindliches Geraune.

In der aktuellen Ausgabe …

… geht es vor allem um Frauke Petry und die AfD. Das ist das Titelthema, nicht der Politikteil. Dieser handelt wiederum weniger von Politik als von Medien, was in der Denke von “Compact” austauschbar ist, weil ohnehin alles der Idee unterstellt ist, dass die Presse (außer “Compact” und ein paar Freunde aus der gleichen Filterbubble) von der Politik gesteuert sei.

Im Einzelnen findet sich dort:

“Vergewaltigt und verhöhnt” (der Fall der angeblichen Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens durch vier Araber, den “die Presse” nun “zur Propaganda gegen Russland” benutzt)
“Aus dem Logbuch der Gleichschaltung” (wie die “GEZ-Medien” von der “Regierung instrumentalisiert” werden)
“Bielefeld ist überall” (“Alltag in einer deutschen Kommune: Die Verwaltung schönt die Zahl der Flüchtlinge”)
“Der Boulevard-Kanzler” (Österreichs Regierungschef, der die Grenzen doch partout nicht schließen wollte)
“Die Reichen und die Superreichen” (wie uns wissenschaftliche Studien “in die Irre führen”)
“Patriot unter Falken” (Donald Trump)
“Frankensteins Killer-Moskito” (Zika-Virus)

Es folgen ein Reisebericht aus Nordkorea, ein Bericht über “Unsere Handball-Helden” (“Zwei Dutzend Männer stehen stramm und singen unsere Nationalhymne mit stolzgeschwellter Brust und aus voller Kehle”), Teil 12 der Serie “Meisterspione des 20. Jahrhunderts” (es geht um James Bond: “007 war ein Jugo!”), eine Rezension des neuen Rihanna-Albums (“Nun sind die Songs keine Reise in die Kindheit, aber vielleicht Wiederfinden des inneren Kindes”) sowie eine ausführliche Definition des Wortes “Gutmensch” (“Gutmenschen vertreten grundsätzlich nur die Interessen von Minderheiten und finden es unmoralisch, dass Männer und nichtfeministische Frauen, Deutsche, Christen, Weiße und Heterosexuelle überhaupt existieren”).

Das Dossier macht mit Eugène Delacroix’ Gemälde “Die Freiheit führt das Volk” auf und ist Renaud Camus gewidmet, der als Vordenker des “Front National” gilt. Camus behauptet darin, “die Kolonisierung und Islamisierung Europas durch Afrikaner und Araber” habe “begonnen”. Dies “klar auszusprechen”, sei “der erste Schritt zur notwendigen Revolte”.

“Revoltiert!”, fordert die Überschrift, und Camus erklärt im Text, “wir” müssten …

zu einer unumgänglichen, manifesten, evidenten Kraft heranwachsen, um sicherzustellen, dass selbst die Medien, für die wir ein fleischgewordener Albtraum werden müssen, es nicht länger vor unseren Landsleuten verbergen können: Es gibt eine Bewegung, die sich der Eroberung konsequent entgegenstellt und der sich jeder jederzeit anschließen kann!

Camus’ deutscher Verleger Götz Kubitschek betreibt mit Gleichgesinnten das Bündnis “Ein Prozent”, das sich gegen Flüchtlinge starkmacht. Einer dieser Gleichgesinnten ist — Jürgen Elsässer.

“Compact” weiß um seine Wirkung als Leitmedium der “Lügenpresse”-Rufer. So gelingt es Jürgen Elsässer gleich im ersten Satz des Editorials, den “Lügenmedien” und der Bundesregierung gemeinsame Pläne zu unterstellen:

Bundesregierung und Lügenmedien arbeiten fieberhaft daran, zwei Themen miteinander zu verknüpfen: den Krieg in Syrien und die Flüchtlingskrise in Europa. Für beides soll ein Mann verantwortlich sein: Wladimir
Putin.

Mitte Februar schreibt die Bild-Zeitung: “Noch mehr Bomben, noch mehr Menschen auf der Flucht. Zehntausende fliehen in diesen Tagen aus der syrischen Stadt Aleppo – nicht vor den ISIS-Terroristen, sondern vor den Truppen von Syriens Diktator Assad und den Luftangriffen Russlands. Verantwortlich: Präsident Putin.”

Elsässers Theorie: Erst seit Putin eine Rolle spiele, habe die “Bild”-Zeitung ihr “Mitleid” für die Menschen in Aleppo entdeckt. “Heuchlerischer geht‘s nimmer”, schreibt er.

Wo war denn der Aufschrei der Springerpresse, als in den letzten drei Jahren Zehntausende aus Aleppo flohen oder vertrieben wurden, weil die Kopf-ab-Dschihadisten einen Distrikt nach dem anderen säuberten?

Abgesehen davon, dass Elsässer damit selbst die Geschehnisse in Syrien und die Flüchtlingskrise miteinander verknüpft — wo der Aufschrei der Springerpresse war? In der Springerpresse.

Die Artikel stammen alle aus dem Jahr 2012, lange bevor Putin sich einschaltete. “Bild” berichtet seit Jahren permanent aus Aleppo, war 2013 sogar mit Jan Josef Liefers dort. Sucht man bei Bild.de nach “Aleppo”, findet man über 600 Artikel, der älteste ist fünf Jahre alt. All das unterschlägt Elsässer. Er schreibt:

Mit diesen Flüchtlingen [die in den letzten drei Jahren aus Aleppo flohen], darunter zahlreiche Christen, hatte die Schmierenjournaille kein Mitleid

Nun ja.


(Ein winziger Ausschnitt aus den letzten drei Jahren.)

Aber zurück zu “Compact”.

In der aktuellen Titelgeschichte widmet sich Elsässer also seiner angebeteten Frauke Petry von der AfD. Der Titel des schwärmerischen Portraits: “Die bessere Kanzlerin”. Die nächste Bundestagswahl findet zwar planmäßig erst im Herbst 2017 statt, doch Elsässer hat sich bereits einen Masterplan für den Umsturz überlegt und wähnt diesen in greifbarer Nähe. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sollen die Politik erschüttern:

Nach dem 13. März könnten die Altparteien in Turbulenzen kommen wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der Superlativ gehört bei “Compact” zum normalen Ton, oft gefolgt von eigenartigen Relativierungen:

Voraussetzung ist allerdings, dass die AfD zumindest in Stuttgart und Magdeburg stärker als die SPD wird und sich der 20-Prozent-Marke nähert.

Sicher wird ein gutes Abschneiden der AfD für Diskussionen sorgen. Laut den letzten Umfragen kommt die Partei tatsächlich an die SPD heran (Baden-Württemberg) oder liegt sogar vor ihr (Sachsen-Anhalt). Aber anders als in Sachsen-Anhalt befindet sich die “Petry-Truppe”, wie Elsässer sie nennt, in Baden-Württemberg fernab von der 20-Prozent-Marke.

Solche Einordnungen hält Elsässer jedoch nicht für erwähnenswert, wie es ihm auch in seinem Portrait über Frauke Petry nicht nötig erschien zu erklären, dass die Gesetzeslage zum Schusswaffeneinsatz, die sie ihmzufolge nur “referiert”, von Juristen und der “Gewerkschaft der Polizei” ganz anders ausgelegt wird.

Aber gut, Elsässer ist augenscheinlich ein großer Fan von Frauke Petry, die er auch deswegen schätzt, weil sie “im Unterschied zu ‘Mutti'” vier Kinder habe, “ohne dabei ihre frische Jugendlichkeit verloren zu haben”. Derart in Wallung vergisst man schon mal Kleinigkeiten, die das Herzblatt nicht im besten Licht erstrahlen lassen.

Übrigens hat die Elsässer-Truppe das gleiche Motto wie die von Petry:


(Als Prämie gibt’s zum Beispiel das “COMPACT-Spezial: Dschihad in Europa” oder das “COMPACT-Buch: Faktencheck 9/11” oder das “COMPACT-Buch: Gesamtkunstwerk Rihanna”.)

Wie diese Wahrheitsliebe in der Praxis aussieht, auch in anderen Publikationen, die sich in Zeiten der “Lügenmedien” dem “ehrlichen Journalismus” verschworen haben, wollen wir uns in dieser Serie anschauen.

Spoiler-Warnung: “Mut zur Wirrheit” wäre ein geeigneteres Motto.

Huffbaiting-Post, Lügenpartei, Aufwachen

1. “FAZ Woche”: Jung und ohne Perspektive
(wuv.de, Manuela Pauker)
Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” hat für den 22. April eine neue Publikation angekündigt: Die “FAZ Woche”. Das Magazin ist laut Verlag “auf die spezifischen Ansprüche der jungen Elite zugeschnitten, einer Zielgruppe die “always on” ist”. Manuela Pauker, Ressortleiterin Medien bei “W&V”, räumt dem Vorhaben keine großen Chancen ein: “Ein ehrenwerter und ambitionierter Versuch. Nur: Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit schiefgehen. Denn wenn die letzten, sagen wir, zehn Jahre etwas gebracht haben, dann die Gewissheit, dass die nachwachsende Generation immer weniger Bock auf althergebrachte Darreichungsformen von Informationen hat”.

2. Das macht die „Huffington Post“ mit Einwanderern
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
“Die „Huffington Post“ betreibt Clickbaiting, das offenbar ganz gezielt rassistische Reflexe triggern soll – und triggert.” Diesem Resümee kann man sich nur anschließen, wenn man die Beispiele sieht, die Boris Rosenkranz in seinem Beitrag zusammengestellt hat. Ob durch manipulative Überschriften, Bebilderung oder Teasertexte: Die scham- und rücksichtslose Jagd nach dem schnellen Klick hat Methode. Auch, wenn die klicksüchtigen Berufszyniker der “Huffington Post” in einem allzu schäbigen Fall zurückrudern mussten.

3. Dreist: AfD fälscht Abendzeitungs-Überschrift
(abendzeitung-muenchen.de, Timo Lokoschat)
Die “Abendzeitung” macht auf einen besonders dreisten Fall von Fälschung aufmerksam: Die AfD (Kreisverband Nürnberg) hat auf Facebook einen “Abendzeitung”-Artikel geteilt, diesen jedoch mit einer selbstgetexteten, tendenziösen Überschrift versehen. Besonders pikant bei einer Partei, die sich fortwährend über die “Lügenpresse” beklagt und von der “Pinocchiopresse” höhnt. (Update 08:05 Uhr: Die AfD Nürnberg hat nun kommentarlos gelöscht.)

4. “Dann schreib doch unter nem Männernamen!”
(herlandnews.com, Zoë Beck)
Zoë Beck, als Verlegerin, Autorin, Übersetzerin und Synchronregisseurin seit langer Zeit erfolgreich im Mediengeschäft, macht sich Gedanken, wie es wäre, wenn ein Männername ihre Buchcover zieren würde: “Natürlich reizt es mich entsprechend auch schon seit Jahren, diesen Test zu machen: Wie käme derselbe Text an, stünde ein Männername drauf? Das Experiment müsste aber noch weitergehen: Gäbe es andere Vorschüsse? Andere Werbemaßnahmen? Würde der Buchhandel anders vorbestellen? Sähen die Verkaufszahlen anders aus?”

5. Eine Frage der Ethik
(daniel-bouhs.de)
Daniel Bouhs berichtet von den aktuellen Diskussionen im Presserat, dem Selbstkontrollgremium der Medien. Streitgegenstand ist derzeit eine Richtlinie des Pressekodex zur Nennung von Abstammungen: „die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten [wird] nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Bouhs berichtet über das Pro und Contra und die Interessenlage der Medien.

6. A!096 – American Saleswoman
(aufwachen-podcast.de, Stefan Schulz & Tilo Jung)
Wer Podcasts mag und sich für Medien interessiert, kommt am “Aufwachen-Podcast” nicht vorbei. Hier seziert ein, sich aufs Vorteilhafteste ergänzendes, Zweimann-Team regelmäßig die Nachrichten der Öffentlich-Rechtlichen: Auf der einen Seite der Soziologe und ehemalige FAZ-Journalist Stefan Schulz, auf der anderen Seite Tilo “Bundespressekonferenz” Jung. Ein aktueller Anlass zum Einschalten ist die Berichterstattung über den amerikanischen Wahlkampf: Eine derart ausführliche Auseinandersetzung mit den derzeit stattfindenden Debatten der Präsidentschaftsbewerber wird man schwer finden.