Archiv für August 26th, 2011

Er hat “Jude” gesagt!

Bremen ist das kleinste deutsche Bundesland. Es liegt auf der Deutschlandkarte etwa an der selben Stelle, an der vorne in “Asterix”-Büchern das kleine gallische Dorf verzeichnet ist. Wenn der Bremer Bürgermeister nicht gerade versehentlich amtierender Bundespräsident wird, kriegt der Rest der Republik wenig von dem kleinen Stadtstaat mit. What happens in Bremen stays in Bremen.

Der stellvertretende Fraktionschef der CDU in der Bremer Bürgerschaft, Heiko Strohmann, hatte am 12. August insgesamt 90 Personen, darunter etwa 75 Muslime, zum abendlichen Fastenbrechen im Ramadan eingeladen.

Verschiedene Vertreter der Bremer CDU fanden das zu viel des Guten und erklärten etwa, für ein friedliches Zusammenleben von Christen und Muslimen sei es “nicht erforderlich, dass die CDU als Veranstalter muslimische Rituale wie das Fastenbrechen durchführt”. Die Kosten von 3.000 Euro können bei der Kritik auch eine Rolle gespielt haben.

Malte Engelmann, Vorsitzender der CDU-Nachwuchsorganisation “Junge Union” in Bremen und ehemaliges Mitglied der Bürgerschaft, fand die Kritik engstirnig und wohl irgendwie auch islamfeindlich, jedenfalls schrieb er einen Blog-Eintrag zu dem Thema, der als Satire-Versuch verstanden werden muss. Und weil Ironie (oder das, was manche dafür halten) immer das denkbar schlechteste Stilmittel für jedwede Form der Auseinandersetzung ist, musste das gründlich schief gehen.

Überschrieben hat er den Eintrag nämlich so:

DEUTSCHE! Kauft nicht beim Juden!!! Äh, ich mein: HEIKO!!! Koch nicht für den Muselmann!!!

Engelmann meinte offenbar, die Haltung seiner Parteikollegen gegenüber Muslimen ähnele denen der Nationalsozialisten gegenüber Juden. Vielleicht eine etwas zu steile These und womöglich ein bisschen zu plakativ formuliert.

Doch als Medien und CDU-Mitglieder auf Engelmanns Blog-Eintrag aufmerksam wurden, beklagten sie nicht etwa den überzogenen Nazi-Vergleich, sie meinten, etwas ganz anderes entdeckt zu haben:

Malte Engelmann verbreitet Nazi-Parolen im Internet: Bremer Junge-Union-Chef sorgt für Eklat. Bremen. Der Vorsitzende der Jungen Union in der Metropolregion Bremen, Malte Engelmann, verbreitet im Internet Nazi-Parolen. Auf seiner Homepage kommentiert der Christdemokrat ein Iftar-Essen der Bremer Bürgerschaftsfraktion anlässlich des muslimischen Fastenmonats Ramadan mit den Worten: "Deutsche! Kauft nicht beim Juden!!!"

Wenn das Zitieren von Nazi-Parolen mit einer “Verbreitung” derselben gleichzusetzen ist, hätte sich der “Weser Kurier” in diesem Moment ebenfalls schuldig gemacht. In ihrem kleinen Werbeteaser im Internet (“Mehr zu diesem Thema lesen Sie am Mittwoch im WESER-KURIER.”) zitiert die Zeitung ein namentlich nicht näher genanntes CDU-Mitglied mit den Worten, es handele sich um “eine Entgleisung, die durch nichts zu rechtfertigen sei”.

Malte Engelmann zitierte der “Weser Kurier” auch — höchst irreführend:

Engelmann selbst kommentiert die Diskussion um seine Person im Internet mit den Worten: “Naja, also zu Heiko. Wollte in einen Dialog mit den Museltypen treten. Ja, voll dumm. Also Kinder: Es gibt in unserer Welt Muselleute. Die sind wie Christen, nur halt muselig. Und die feiern so doofe Sachen wie Ramadan.”

Engelmann hatte mit diesen Worten nicht etwa “die Diskussion um seine Person” “kommentiert”, die Sätze stammen vielmehr aus seinem sarkastischen Blog-Eintrag. Die Kurzmeldung ist beim “Weser Kurier” inzwischen offline.

In der Folge berichtete der “Weser Kurier”, über die Kritik an Engelmanns Wortwahl durch Vertreter der Partei “Die Linke” (“Das Iftar-Mahl mit einer judenfeindlicher Parole zu kommentieren, lasse sich nicht als ‘Sarkasmus’ entschuldigen”) und der CDU (“Fraktionsvize Heiko Strohmann, der in dem Text direkt angesprochen war, stoppte sofort seine ‘Freundschafts’-Verbindung mit Engelmann bei Facebook – andere CDU-Abgeordnete folgten.”).

Wer den Original-Eintrag nicht kannte und nur im “Weser Kurier” davon las, musste annehmen, dass da tatsächlich ein innerer Reichspropagandaminister aus Engelmann hervorgebrochen sei:

Er hatte einen Internet-Text mit “Deutsche! Kauft nicht beim Juden” eingeleitet und dann unter anderem ergänzt: “Koch nicht für den Muselmann!!!” (…)

Für seinen Internet-Beitrag, den er als Ironie verstanden wissen möchte, erntete Malte Engelmann harte Kritik.

Engelmann selbst zitierte der “Weser Kurier” mit den Einschätzungen, sein Text sei “überspitzt” und “unklug” gewesen.

Da war “Bild” in seiner Regionalausgabe schon auf den Empörungszug aufgesprungen:

CDU fordert seinen sofortigen Rücktritt: Nazi-Skandal um Bremer Jung-Politiker

(“CDU fordert seinen sofortigen Rücktritt” ist natürlich besonders clever: Beim Überfliegen könnte man annehmen, Engelmann selbst sei Mitglied einer ganz anderen Partei.)

Immerhin hatte “Bild” Engelmanns ursprüngliche Intention verstanden:

Auf seiner Internetseite schießt er in einem Artikel scharf gegen einen Bremer Parteifreund, wirft ihm eine islamfeindliche Gesinnung vor.

Doch Engelmann vergreift sich dabei im Ton, eröffnet den Aufsatz mit den Worten: “Deutsche! Kauft nicht beim Juden!” Ein übler, judenfeindlicher Spruch der Nazis aus dem jahr 1933

Gestern trat Engelmann dann von allen Ämtern zurück, was der dpa-Landesdienst Niedersachsen wie folgt berichtete:

Der Bremer CDU-Nachwuchspolitiker Malte Engelmann (32) hat am Donnerstag nach heftiger interner Kritik an einem umstrittenen Nazi-Zitat alle Parteiämter niedergelegt. Engelmann hatte in seinem Internet-Tagebuch ein Essen der Bremer CDU-Bürgerschaftsfraktion zum islamischen Fastenmonat Ramadan mit den Worten kommentiert: “Deutsche! Kauft nicht beim Juden!!! Äh, ich mein: Heiko!!! Koch nicht für den Muselmann!!!” Gemeint war der stellvertretende CDU-Fraktionschef Heiko Strohmann, der zum Fastenbrechen eingeladen hatte.

Engelmann teilte am Donnerstag auf seiner Homepage mit, seine Wortwahl sei satirisch gemeint, aber unangemessen und falsch gewesen. Deswegen lege er alle Parteiämter nieder. Engelmann koordinierte die Arbeit der CDU-Nachwuchsorganisation in der Metropolregion Bremen.

Den zweiten Absatz hat Bild.de einfach weggelassen und erweckt so den Eindruck, Engelmann sei nicht nur juden-, sondern auch islamfeindlich.

Mit Dank an den “Falken”.

Bild  

BILDblog-Lesen kann sich lohnen

In einem Interview, das er dem Internetportal “Meedia” gegeben hat, lässt sich “Bild”-Chef Kai Diekmann gestern mit den abfällig gemeinten Worten zitieren, er wisse gar nicht, wann er das letzte Mal ins BILDblog “hineingeschaut” habe.

Letzten Samstag wäre zum Beispiel eine schöne Gelegenheit gewesen, auch wenn es da gar nicht um “Bild” ging. Da haben wir nämlich über die Leute von kicker.de berichtet, die geschrieben hatten, der deutsche Nationalspielers Mesut Özil sei bei einem Spiel mit einem Gegenspieler aneinandergeraten, weil dieser Özils Religion beleidigt habe. kicker.de hatte das angebliche Zitat aus einer unseriösen Quelle, den Artikel aber sofort offline genommen, nachdem wir die Redakteure darauf hingewiesen hatten, dass es keinen brauchbaren Beleg für diese Version gibt. (Bei sport1.de, das sich auf kicker.de beruft, und dem “Trierischen Volksfreund”, der sich auf sport1.de beruft, steht der Unfug immer noch online.)

Wenn Kai Diekmann den BILDblog-Eintrag zu diesem Fall gelesen hätte, hätte er unter Umständen verhindern können, dass Ertuğrul Özkök, “der berühmteste Journalist der Türkei”, heute in seiner Kolumne in “Bild” schreibt:

Özil hat den Grund erklärt: “Ich saß auf der Ersatzbank. Villa hat meine Religion beleidigt. Ich habe nur meine Religion verteidigt.”

Özköks ganzer “Bild”-Text über Religion, Staatsbürgerschaft und Toleranz baut auf dem falschen Zitat Özils auf. Das wäre nicht nötig gewesen.

Nachtrag, 18.55 Uhr: Der “Trierische Volksfreund” hat seinen Artikel “Özil rechtfertigt sich: Villa hat den Islam beleidigt” unauffällig durch einen anderen Artikel zu Özils roter Karte ersetzt.

2. Nachtrag, 28. August: sport1.de hat seinen Artikel gelöscht. Jetzt verbreitet nur noch Bild.de in Özköks Kolumne das falsche Özil-Zitat.

Tripolis, Philipp Lahm, Schlamper

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Irgendwas passiert in Tripolis”
(zeit.de, Daniel Erk)
Zwangsläufig ahnungslose Korrespondentenberichte aus Libyen erinnern Daniel Erk an Parodien: “Wenn schon die Menschen in Tripolis nicht wissen, wer an der Macht ist, wenn der Sieg der Rebellen nahe scheint, aber eben noch nicht errungen ist, wenn vermutlich nicht einmal Gadhafi selbst mehr übersieht, wie es um Libyen bestellt ist: Wie sollen es die Journalisten wissen?”

2. “Infokasten, IN-novativ”
(axel-springer-akademie.de, amayer)
Im Magazin “In” stösst amayer auf einen wunderlichen Infokasten.

3. “Jetzt noch Erotikfotos!”
(11freunde.de, Philipp Köster)
Philipp Köster widmet sich der Autobiographie des 27-jährigen Fußballspielers Philipp Lahm: “Dass ein solch nüchterndes, leidenschaftsloses Buch durch eine Vorabveröffentlichung auf dem Boulevard nun doch größere Verwerfungen hervorruft, ist deshalb einigermaßen skurril und zugleich völlig erwartbar. Denn natürlich gelingt es der ‘Bild’ durch eine routinierte Montage der spärlichen Stellen, an denen sich Lahm wenig schmeichelhaft über seine früheren Trainer auslässt, mühelos den falschen Eindruck zu erwecken, hier habe der Nationalspieler schonungslos abgerechnet.”

4. “taz heute mit BILD-Coupon”
(blogs.taz.de, Sebastian Heiser)
“In der taz steht am heutigen Freitag folgende ganzseitige Anzeige mit Coupon für die morgen erscheinende XXL-Ausgabe der BILD-Zeitung.”

5. “Das Blog ist tot, es lebe der Blog”
(scilogs.de, Anatol Stefanowitsch)
Das Blog oder der Blog? Neue Erkenntnisse in der am längsten währenden Debatte der deutschsprachigen Blogosphäre: “(…) auch in Deutschland ist das Maskulinum mit fast siebzig Prozent der Vorkommen klar die dominante Form”.

6. “Die Schlampenparade wird es jetzt vermutlich jedes Jahr geben”
(zeit.de, Harald Martenstein)
Harald Martenstein fordert Männer dazu auf, bei einem “Schlampermarsch” mitzumachen. “Sie sollten alle zwei verschiedene Strümpfe tragen, die Hemden müssen Fettflecken haben und aus den Hosen heraushängen. Die Haare müssen ungewaschen und zerstrubbbelt sein. Auf den Plakaten soll stehen: ‘Ich bin ein Schlamper, und ich bin stolz.’ Während des Marsches essen sie Chips, trinken Bier, zerfleddern Zeitungen und lassen anschließend alles fallen. Wenn jemand sie deswegen anmacht, sollen sie sagen: ‘Schlamper dürfen kein Freiwild sein.'”