Archiv für August 18th, 2011

Störfall im Netz

Wir würden inzwischen bezweifeln, dass bei “Focus Online” die Agenturmeldungen überhaupt noch gelesen werden, bevor sie online gehen. Das wäre nicht schlimm (und weitgehend üblich), wenn “Focus Online” nicht die Angewohnheit hätte, diesen Agenturmeldungen eigene Vorspänne und Überschriften voranzustellen. Und da wird’s dann schwierig, wenn niemand die Meldung gelesen hat.

Vor drei Wochen wurde so aus der Forderung eines Papstkritikers eine Forderung des Papstes (BILDblog berichtete), gestern ging einer der (weitgehend zerstörten) Unglücksreaktoren von Fukushima weltexklusiv bei “Focus Online” wieder ans Netz.

Und das kam so: AFP hatte gestern Vormittag unter der Überschrift “Reaktor nimmt erstmals nach Fukushima wieder vollen Betrieb auf – Japanische Behörden geben grünes Licht” eine kurze Meldung verschickt. Ihre ersten Sätze lauteten:

Erstmals nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima hat die Regierung des Landes die Wiederaufnahme des wirtschaftlichen Betriebs eines Atomreaktors genehmigt. Reaktor 3 der Atomanlage Tomari auf der Nordinsel Hokkaido nahm am Mittwoch wieder den vollen Betrieb auf, nachdem die Behörden dafür grünes Licht gegeben hatten, wie der Betreiber Hokkaido Electric Power (Hepco) mitteilte.

Von einigen vielleicht unbekannten Wörtern mal ab sollten Kinder der vierten Klasse diesen Sätzen entnehmen können, dass Reaktor 3 der Atomanlage Tomari auf der Nordinsel Hokkaido am Mittwoch wieder den vollen Betrieb aufgenommen hat.

Und das hat “Focus Online” diesen Sätzen entnommen:

Fukushima: Reaktor nimmt wieder vollen Betrieb auf. Erstmals nach der Atomkatastrophe in Fukushima nimmt der Reaktor 3 des Atomkraftwerks wieder den vollen Betrieb auf. Die japanische Behörde gab dafür grünes Licht, wie die Betreiber Hokkaido Electric Power mitteilte. Seit der Katastrophe sind fast drei Viertel der Atomreaktoren wegen Sicherheitschecks und zur Wartung außer Betrieb.
Mit Dank an Stefan.

Nachtrag, 19. August: “Focus Online” hat Überschrift und Vorspann unauffällig korrigiert. Beim Papst war es noch transparent gewesen.

2. Nachtrag: Unser Leser Andre Sch. weist uns darauf hin, dass “Focus Online” die Fehler nicht komplett “unauffällig” korrigiert hat. Wer sich durch die Leserkommentare klickt, findet dort einen kleinen Hinweis:

Erster Satz ist falsch. "Erstmals nach der Atomkatastrophe in Fukushima nimmt der Reaktor 3 des Atomkraftwerks wieder den vollen Betrieb auf." Eben gerade nicht der Reaktor 3 von Fukushima... Anmerkung der Redaktion: Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Fehler inzwischen korrigiert.

Daily Mail, Wikileaks, Geisteswissenschaftler

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Sherlock Holmes und die Mormonen von Virginia”
(scilogs.de, Anatol Stefanowitsch)
Verschiedene Medien berichten aufgeregt von “Zensur” und “Leseverbot”, weil in Albemarle County, Virginia, ein Buch von der Lektüreliste der sechsten Klasse gestrichen wird und “erst ab der zehnten Klasse zur Lektüre empfohlen” wird. “Die Anti-PC-Hysterie ist weit fortgeschritten, wenn man das ernsthaft als ‘Verbot’ des Buches, oder auch nur als ‘Verbannung vom Lehrplan’ bezeichnet.”

2. “#Journalist 2.0”
(nzz.ch, Stephan Weichert)
Stephan Weichert fragt, was die “Social-Media-Revolution” dem Journalismus bisher wirklich gebracht hat – “ausser zusätzliche Vernetzung, massive Eigenwerbung und die ‘Veredelung’ journalistischer Beiträge durch Gefällt-mir-Knöpfe und Re-Tweets? War das, wenn es irgendwann vielleicht vorbei sein sollte, nicht ein Medien-Hype, ohne den richtigen Kick, der uns handwerklich und intellektuell weitergebracht hätte?”

3. “Das Verdienst von Wikileaks”
(notes.computernotizen.de, Torsten Kleinz)
Wikileaks habe “allerhand Gutes bewirkt”, schreibt Torsten Kleinz: “Verlage und Sender, die sich immer mehr damit begnügten Sprechblasen von widerstreitenden Parteien in einem ewig währenden Sommerloch aufeinander treffen zu lassen, wurden daran erinnert, wie wichtig es doch ist, Themen an die Öffentlichkeit zu bringen.”

4. “AP zog manipuliertes PR-Foto von Vilniuser Bürgermeister zurück”
(derstandard.at)
Santiago Lyon, Fotochef der Nachrichtenagentur AP, beklagt sich über “ein als PR-Gag aufgenommenes Foto mit dem Bürgermeister von Vilnius” (BILDblog berichtete): “Ein manipuliertes Foto zur Verfügung zu stellen ohne darüber zu informieren, dass es manipuliert ist, sei nicht akzeptabel. Es sei ‘völlig daneben’, Agenturen mit Bildbearbeitungsprogrammen bearbeitetes Material anzubieten da es irreführend sei und die Glaubwürdigkeit der Medien untergrabe.”

5. “The Daily Mail knowingly and commercially used my photos despite my denying them permission”
(wonderlandblog.com, Alice, englisch)
Eine Mitarbeiterin von “Daily Mail” fragt per E-Mail nach den kommerziellen Nutzungsrechten für ein Foto. Diese werden ihr verwehrt, nachdem 250 Pfund für wohltätige Zwecke als zu hoch eingeschätzt werden (“your listed price far exceeds our budget”). Das Foto erscheint trotzdem.

6. “Liebe Geisteswissenschaftler”
(mspr0.de)
“Ich habe ein Problem mit Euch, dem denkfaulen, behäbigen und selbstgerechten Personal, das bräsig in der Uni sitzt, Paper über über Themen schreibt, die keinen interessieren und die keiner liest, während die Welt sich rasant verändert.”