Die “Abendzeitung” berichtet heute von “neuem Wirbel um den Tod von Amy Winehouse”: Ein “Drogenkumpel” will mit Amy Winehouse am Abend vor ihrem Tod noch gemeinsam Drogen gekauft haben. Wie glaubhaft die Aussagen eines Drogenabhängigen im “Daily Mirror” sind, überprüft gerade die Londoner Polizei. Auch, dass die “Abendzeitung” den Namen des Mannes falsch schreibt, soll uns hier nicht interessieren.
Denn …
Illustriert ist der Artikel mit diesem Bild:
Das Bild geistert seit längerem durchs Internet und erfreut sich vor allem nach Winehouses (immer noch ungeklärtem) Tod großer Beliebtheit.
Nur: Es ist eine Fotomontage. Sie basiert auf dem Foto einer blonden jungen Frau mit Bong und auch wenn sich jemand die Mühe gemacht hat, Amy Winehouses zahlreiche Tätowierungen in das Bild einzuarbeiten, sieht man bei großer Auflösung doch, dass das Bild ein Fake ist:
Bei “Bild” können sie es selbst nicht fassen, was sie da schreiben (müssen):
“Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen”
Ja, liebe Leser, Sie haben richtig gelesen: “Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen”, sagt der Deutsche Presserat, der oberste Sittenwächter der Presse – und kritisiert aus diesem Grund immer wieder die BILD-Zeitung. Weil wir ganz anderer Meinung sind. Weil wir glauben, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen. Und wir deshalb Vergewaltiger, Kinderschänder und Mörder auch zeigen.
Mit diesen zwei Absätzen ist eigentlich alles gesagt, denn natürlich handelt es sich beim Schutz der Identität nicht um irgendeine hippiemäßige Meinung des Presserats, sondern um ein Recht, das sich aus den Grund- und Menschenrechten ableitet und für alle Menschen gilt. Dieses Recht muss im Einzelfall immer gegen das Interesse der Öffentlichkeit abgewogen werden.
Deswegen lautet die Aussage des Presserates vollständig auch:
Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen. Nur in Ausnahmefällen darf die Identität eines mutmaßlichen Täters in der Berichterstattung preisgegeben werden. Dabei ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.
(“Grundsätzlich” ist hier also nicht im Sinne von “immer”, sondern im Sinne von “in aller Regel” gemeint.)
“Bild” glaubt offensichtlich nicht nur, “dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen”, sondern auch, wie ein Kindesentführer aussieht: Im Februar hatte die Zeitung über eine Kindesentführung in der Nähe von Berlin berichtet. Für ihre Form der Berichterstattung erhielt “Bild” vom Presserat eine “nicht-öffentliche Rüge”, über die die Zeitung schreibt:
Grund: Das Persönlichkeitsrecht des Täters, also sein Recht auf Anonymität, verbiete die Namensnennung und Abbildung. “Aus der Schwere der Tat”, so der Presserat, “könne nicht geschlossen werden, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.”
“Bild” hatte in der Berichterstattung allerdings nicht nur ein Foto des mutmaßlichen Täters gezeigt und dessen (abgekürzten) Namen genannt, sondern auch dessen Lebensumfeld sehr genau beschrieben.
Der Presserat beschreibt die “Erwägungen des Beschwerdeausschusses” unter anderem so:
Aus der Schwere der Tat könne hier jedoch nicht geschlossen werden, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen überwiege. Es müssten weitere Umstände hinzukommen, die für eine Abbildung sprächen. Entgegen der Argumentation des Beschwerdegegners rechtfertige auch das Geständnis die identifizierende Berichterstattung nicht. Gleiches gelte für Aspekte wie das genaue Planen der Tat, die familiäre Situation des mutmaßlichen Täters und seine berufliche Stellung. Diese seien möglicherweise strafrechtlich, jedoch nicht pressethisch von Bedeutung.
“Bild” verkürzt diese Abwägungen zu einer allgemeingültigen Frage:
Ist also der Schutz des Täters wichtiger als die Berichterstattung über eine schwere Straftat?
Wir finden Nein und finden uns mit der Rüge des Presserates auch nicht ab. Deshalb zeigen wir auch heute ein Bild von Carolinas Entführer – und zwar aus dem Gerichtssaal.
Den letzten Satz hat “Bild” natürlich nicht einfach so dahin geschrieben:
Auch die eigenen Leser will “Bild” mal wieder mobilisieren:
Bis zum Mittag seien “einige Hundert Anrufe, einige Hundert E-Mails und ein paar Faxe” eingegangen, wie uns der Presserat auf Anfrage erklärt. Drei Viertel der Menschen seien für “Bild” gewesen, ein Viertel habe sich differenziert geäußert — auch mehrere Beschwerden über den heutigen Artikel seien auch schon dabei gewesen. Am Nachmittag sei das Verhältnis schon bei zwei Dritteln zu einem Drittel gewesen.
Dabei könnte “Bild” auf derlei populistische Aktionen verzichten: Der Presserat wird von Verlegerverbänden und Journalistengewerkschaften getragen, das heißt die Axel Springer AG, bei der “Bild” erscheint, könnte sich für eine Änderung des Pressekodex in diesem Punkt einsetzen. Das hat sie laut Presserat bisher noch nie versucht.
Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber! (Ihr könnt jetzt aufhören!)
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Der Copy-and-Paste-‘Journalismus’ bei ‘Spiegel Online'” (blog.handelsblatt.com/handelsblog, Olaf Storbeck)
Olaf Storbeck schildert, wie “Spiegel Online” einen Artikel aus der “Handelsblatt”- Printausgabe “nur ein bisschen redigiert” ins eigene Angebot übernimmt (Gegenüberstellung). Inzwischen hat sich der Chefredakteur von “Spiegel Online” entschuldigt, dem Autor wurde “ein angemessenes Zweitverwertungshonorar angewiesen”. Zur Diskussion ein Vorschlag von Detlef Gürtler: “Im langfristigen Überlebensinteresse der Branche wäre es deshalb ratsamer, einen Prozess der Selbstkontrolle einzuleiten: ein vom Verlegerverband initiiertes und finanziertes MediaPlag zum Beispiel.”
2. “Patricia Riekel und das System Bunte” (meedia.de, ga)
Georg Altrogge analysiert die Methoden der Zeitschrift “Bunte” und ihrer Chefredakteurin Patricia Riekel. “Es ist ein barockes Medien-Königreich, das da mit den Jahren in München entstanden ist, mit einer absolutistischen Herrscherin an der Spitze, einem eigenen Promi-Hofstaat und ganz vielen Mundschenken und Spesen-Rittern darunter.”
4. “‘Partner’ von Sommermagazin bevorzugt bedient” (qualitaet-und-vielfalt-sichern.de, 18. Juli)
Die Zusammenarbeit zwischen Inserenten und Inhalt auf den “Seiten für Urlauber und Einheimische” in der “Ostsee-Zeitung” und den “Lübecker Nachrichten”: “Wie das Modell im Detail funktioniert, erklärt das ‘Tourismuszentrum Mecklenburgische Ostseeküste’ selbst auf seiner Homepage. Vermieter, die jeden Tag mindestens zehn Zeitungen abnehmen, könnten diese Exemplare zum halben Preis beziehen. Und öffentliche Veranstaltungen wie Feste, Konzerte oder Märkte würden ‘…dann im Veranstaltungskalender der Sommerredaktion kostenfrei veröffentlicht'”.
5. “Recht auf Unbelehrbarkeit” (dradio.de, Marcus Pindur) Peter Schneider bittet anlässlich des 100. Todestags von Konrad Duden darum, sich doch anzusehen, “wie unsere großen Geister – Goethe, Schiller und die klassischen deutschen Autoren, die nun wirklich Weltliteratur geschaffen haben”, geschrieben haben: “In den frühen Briefen von Schiller zum Beispiel an seine Frau, habe ich entdeckt, dass der manchmal im selben Satz das selbe Wort in zwei verschiedenen Rechtschreibungen benutzt. (…) Die wussten ganz genau: Was sie da schreiben, das wird verstanden.”