Archiv für Juli 14th, 2011

Vom Umgang mit Verschüttete-Milch-Mädchen

Der Bundesfinanzhof entschied gestern, dass die Kosten für Zivilprozesse zukünftig steuerlich absetzbar sind, wenn die Klage eine Aussicht auf Erfolg hatte. Der Betrag, der steuerlich geltend gemacht werden kann, wird gestaffelt.

Die “Tagesschau”, die in ihrer gestrigen 20-Uhr-Ausgabe über die Entscheidung berichtete, illustrierte diese Staffelung mit diesem Fallbeispiel:

Ein Unverheirateter mit einem Jahreseinkommen von 70.000 Euro (Zivilprozesse werden offenbar vorwiegend von Besserverdienern geführt) müsse 7% selbst tragen, erklärt die Sprecherin. “Also 10.000 Euro.”

Das ist natürlich Quatsch: 7% von 70.000 Euro sind 4.900 Euro.

Das müssen sie auch irgendwann bei der “Tagesschau” bemerkt haben, weswegen die Szene mit der Beispielrechnung aus dem Video auf tagesschau.de einfach herausgeschnitten wurde. Unter dem Videofenster steht der kleine Hinweis:

Hinweis: Der Beitrag zur Meldung “Urteil zu Zivilklagen” wurde korrigiert.

Die Sendung auf tagesschau.de ist deshalb 27 Sekunden kürzer als die im Fernsehen ausgestrahlte Fassung, die aber noch bei YouTube zu sehen ist. Inklusive der falschen Rechnung:

Thomas Hinrichs, zweiter Chefredakteur von “ARD aktuell” sagte uns auf Anfrage, die Redaktion befinde sich in solchen Fällen in einem Dilemma: Einerseits sollten die Beiträge im Archiv auf tagesschau.de fehlerfrei sein, andererseits sei es bei Videos sehr viel schwieriger als bei Texten, Fehler so transparent zu korrigieren, wie es die Redaktion selbst wolle. Da das “Tagesschau”-Archiv als historisches Dokument keine Fehler enthalten solle, habe man sich deshalb für die Praxis entschieden, den Fehler herauszuschneiden, und mit einem schriftlichen Hinweis auf die Bearbeitung hinzuweisen.

Mit Dank an Nils, Stefan, Sebastian L., Clemens B. und Alexander B.

Nachtrag, 20.10 Uhr: Die “Tagesschau” hat die gestrige Sendung aus ihrem YouTube-Kanal entfernt.

Wer die fehlerhafte Stelle noch einmal als Video sehen will, kann das hier tun:

Rechtsstaat, Weekly World News, Buschi

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Bild gegen ARD: Abwehrbereit”
(berlinonline.de)
Nach Informationen der “Berliner Zeitung” “sollen die Intendanten der ARD auf ihrer Sitzung am 27. und 28. Juni in Würzburg beschlossen haben, eine virtuelle Medienredaktion einzurichten”: “Sie hat die Aufgabe, Sendungen und Beiträge vorzubereiten, die sich mit dem Boulevardjournalismus in Deutschland beschäftigen, konkret: mit Bild.”

2. “Der Rotz, der unser Leben lebenswert macht”
(lawblog.de, Udo Vetter)
In einem Blogbeitrag schreibt Nadine Lantzsch, dass “Geschlechterstereotypen und Verharmlosungen sexistischer Verhältnisse” dazu führen, “dass Wichser wie Strauss-Kahn trotz relativ eindeutiger Beweislage wohl am Ende freigesprochen werden”. Udo Vetter erinnert an die Vorteile des Rechtsstaats: “Der Gegensatz zum Rechtsstaat ist der Willkürstaat. Im Willkürstaat gibt es möglicherweise auch Regeln. Diese werden aber von denen, die das Sagen haben, außer Kraft gesetzt. Und zwar immer dann, wenn ihnen die Regeln gerade mal nicht in den Kram passen. Zum Beispiel dann, wenn sich das erhoffte Ergebnis nicht erreichen lässt.” Siehe dazu auch die Stellungnahme der Autorin.

3. “Die Wortmächtigen”
(taz.de, Dominic Johnson)
Dominic Johnson beschreibt die Nähe zwischen den politischen und den journalistischen Eliten in Großbritannien. “Dass Pressebarone sich durch gefällige Berichterstattung politische Vorteile erkaufen, ist so alt wie die Presse. Aber heutzutage scheint es eher andersherum zu laufen: Nicht die Journalisten betteln bei der Politik, sondern die Politiker bei den Journalisten, deren Fähigkeit zur Steuerung der öffentlichen Meinung als viel zu kostbar empfunden wird, um damit bloß Zeitungsauflagen zu steigern.”

4. “Die unglaubliche Geschichte”
(einestages.spiegel.de, Danny Kringiel)
“Weekly World News” war eine Boulevardzeitung, die aus vielen ersponnenen Texten bestand, zwischen die, “um eine gewisse Glaubwürdigkeit zu schaffen”, Berichte über wahre Begebenheiten gepackt wurden. “Denn obwohl die ‘Weekly World News’ zum Kultblatt vieler Studenten avancierte, die sie als Satire lasen, bestand der Kern der Käufer aus einfachen Arbeitern, die wirklich an Außerirdische, Geister und Dämonen glauben wollten.”

5. “Fernsehteam entschuldigt sich bei Osnabrücker Zooaffen Buschi”
(noz.de, Cornelia Laufer)
“Galileo Big Pictures” erklärt einen Orang-Utan aus dem Zoo Osnabrück für tot und entschuldigt sich darauf mit einer Autogrammkarte. “Ein Recherchefehler hatte übrigens das Missverständnis verursacht: Im Stuttgarter Zoo Wilhelma war im Frühjahr ein Orang-Utan verstorben – und der hieß auch Buschi.”

6. Interview mit Antje Schendel
(swr.de, Audio, Petra Zundel, Audio, 26:48 Minuten)
Das ehemalige Model Antje Schendel ist nun Tatortreinigerin. Sie räumt auf, wenn die Leichen weg und die Spuren gesichert sind, zum Beispiel nach dem Amoklauf von Winnenden.