Archiv für Mai 16th, 2011

dpa  

Schluss, Aus, Dr. House?

In der vergangenen Woche veröffentlichte die Nachrichtenagentur dpa eine Meldung, die sie offenbar selbst nicht glaubte. Schon die Überschrift klang zweifelnd:

Hugh Laurie steigt angeblich bei “Dr. House” aus

London (dpa) – Hauptdarsteller Hugh Laurie (50) will angeblich aus der amerikanischen Krankenhausserie “Dr. House” aussteigen. Wie der “Daily Mirror” im Internet meldet, soll Schluss ein, wenn die letzte Episode der achten Staffel im Sommer abgedreht sein wird. Laurie verriet einem englischen Radiosender, warum er diese Entscheidung gefällt hat: Er möchte wieder mehr Zeit für seine Familie zu Hause in England haben. (…)

Klickt man auf den Link, den die Nachrichtenagentur ihren Kunden freundlicherweise als Service mitliefert, stellt man fest, dass die Quelle für den “Daily Mirror” keineswegs ein “englischer Radiosender” ist, sondern die “Radio Times”, eine britische Programmzeitschrift.

Das ist schon mal peinlich, aber das grundsätzliche Problem ist viel größer: Warum verlässt sich die vermeintlich seriöse deutsche Nachrichtenagentur auf ein britisches Boulevardblatt, dem sie selbst nicht traut, anstatt kurz in der Originalquelle nachzusehen, was Hugh Laurie wirklich gesagt hat?

Schon in der Überschrift des insgesamt dreiseitigen Artikels in der “Radio Times” wird die Behauptung von “Daily Mirror” (und dpa) deutlich relativiert. Von einer bereits gefallenen Entscheidung kann dort keine Rede sein. Dort heißt es nur:

Hugh Laurie’s days as the world’s highest paid actor in a TV drama may be numbered.

Im Artikel selbst steht:

The family are used to the transatlantic routine, even if it might be coming to an end — after filming this summer for the forthcoming eight series, “the end of that season, right now, looks like the end of the show”.

Is that Laurie’s choice? “Well, that’s as far as they’ve got me for,” he replies carefully, referring, presumably, to the limits of his contract.

Mit anderen Worten: Laurie sagt bloß, dass sein aktueller Vertrag als Darsteller des “Dr. House” nur bis zum Ende der nächsten Staffel läuft, für die die Dreharbeiten im Sommer beginnen. Danach könnte Schluss sein. Es ist aber weder von einem bereits gefallenen Entschluss die Rede, danach aufzuhören, noch davon, dass die Trennung von seiner Familie der Grund dafür ist.

Die dpa-Ente fand großen Anklang bei deutschen Medien. Sie schaffte es unter anderem in die “B.Z.” (die lustigerweise zwei Tage zuvor unter Berufung auf den vermeintlichen “Branchendienst” quotenmeter.de schon dasselbe gemeldet hatte), in die “Welt”, den “Tagesspiegel”, die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” und — mit Tagen Verspätung, aber nicht weniger falsch — heute in die “Süddeutsche Zeitung” und auf “Spiegel Online”.

(via fernsehlexikon.de)

Nachtrag, 17. Mai. dpa hat heute eine berichtigte Fassung der Meldung herausgegeben:

Lauries Tage als “Dr. House” könnten gezählt sein

London (dpa) – Der britische Schauspieler Hugh Laurie (51) hat in einem Interview angedeutet, dass seine Zeit als Hauptdarsteller in der US-Krankenhausserie “Dr. House” zu Ende gehen könnte. Das werde möglicherweise nach der achten Staffel sein, die diesen Sommer abgedreht werden soll, schreibt der “Daily Mirror”. Die britische Boulevardzeitung beruft sich dabei auf das Magazin “Radio Times”. Laurie sagte der BBC-Programmzeitschrift: “Es sieht im Moment so aus, als würde das Ende der Staffel das Ende der Show bedeuten.” Vorsichtig schränkte er ein: “Nun, nur bis dahin haben sie mich engagiert.” (…)

Die Agentur teilt Ihren Kunden darüber hinaus mit, dass es sich um eine Berichtigung handelt:

Die Meldung dpa 0744 vom 10. 5. wurde neu gefasst und mit Zitaten aus der Originalquelle versehen, um deutlich zu machen, was Laurie genau zu einem möglichen Ende seiner Tätigkeit als “Dr. House” sagte. Außerdem wurde geändert: das Magazin “Radio Times” rpt das Magazin “Radio Times” – statt einem englischen Radiosender. Alter: 51 rpt 51 – nicht 50.

Bild  

Gute Nachbarn, böse Nachbarn

Nachdem sich “Bild” die letzten Wochen über große Mühe gegeben hatte, Lena Meyer-Landrut als eingebildete Zicke darzustellen, ist die Sängerin seit Samstag wieder “unsere Lena”. Und die ist beim Eurovision Song Contest am Wochenende Zehnte geworden.

Es ist für “Bild” nachgerade unvorstellbar, dass bei einem Gesangswettbewerb Geschmäcker und kulturelle Gemeinsamkeiten eine Rolle im Abstimmverhalten spielen könnten. Deshalb muss eine andere Erklärung her:

In diesem Wahl-Krimi steckte ALLES drin! Vor allem viel Nachbarschaftshilfe …

Nur 20 von 42 Ländern gaben Lena überhaupt Punkte. Von allen anderen gab‘s NULL.

Wie in jedem Jahr, in dem es für Deutschland nicht zum Sieg reicht, wittert “Bild” ein “Stimmen-Geschacher”:

Immer verrückter (und schlimmer) wird aber die Punkte-Schieberei bei den Balkan-Staaten und den ehemaligen Sowjetrepubliken.

Beispiel Georgien: Litauen gibt 10 Punkte – und bekommt 12 Punkte aus Georgien zurück. An die Ukraine verteilt Georgien 10 Punkte – und sackt 12 Punkte ein. Eine Hand wäscht die andere …

Georgien und Litauen sind jetzt ein eher schlechtes Beispiel, da die beiden Länder weder geographisch noch kulturell viel gemein haben — bis auf die Tatsache vielleicht, dass beide Länder bis vor 20 Jahren zwangsweise zur Sowjetunion gehörten.

Aber apropos “eine Hand wäscht die andere”:

Unsere Höchstwertung: Zehn! Kaum zu glauben: von Österreich.

… wofür Österreich 12 Punkte aus Deutschland “zurück bekam”, wie “Bild” sich ausdrücken würde.

Aber Nachbarschaftshilfe ist offenbar eh nichts Schlimmes, wenn sie einem selbst nützt:

Damit sind die Österreicher unsere besten Grand-Prix-Freunde geworden. Die BILD-Statistik beweist: In den letzten zehn Jahren gaben sie uns im Schnitt 4,8 Punkte – mehr als alle anderen europäischen Länder.

DANKE, ÖSTERREICH!

In den vergangenen zehn Jahren ist Österreich sechs Mal beim Grand Prix angetreten, wodurch es deutlich einfacher ist, einen höheren Durchschnittswert zu erreichen, als Länder wie Großbritannien oder Frankreich, die in den vergangenen zehn Jahren zehn Mal Punkte vergeben haben. Noch dazu hat Österreich dieses Jahr und 2004 zehn Punkte an Deutschland gegeben — beide Male traten mit Lena und Max Mutzke Kandidaten an, die durch Stefan Raabs Sendungen populär wurden, die auch in Österreich im Fernsehen laufen.

Alle deutschen Nachbarländer im Wettbewerb haben Lena Punkte gegeben: Niederlande (7), Dänemark (8), Österreich (10), Polen (4), Schweiz (8), Frankreich (3) und Belgien (5). Aber auch im vermeintlichen Ostblock kam Lena so schlecht nicht an: Fast ein Drittel ihrer Punkte kamen aus Slowenien (7), Kroatien (1), Weißrussland (8), Litauen (2), Bosnien und Herzegowina (3) und Lettland (8).

Der Vollständigkeit halber die restlichen Punkte für Deutschland: Italien (6), Norwegen (5), Island (6), Schweden (6), Türkei (3), Griechenland (4), Spanien (3).

Mit Dank auch an Hans E.

Bild  

Ups, verpisst

Als Bastian Schweinsteiger vor knapp einem Monat bei einer Pressekonferenz aus der Haut fuhr und einen Journalisten von “Sport Bild” beschimpfte, da war “Bild” empört (BILDblog berichtete):

Schweini rastet aus - Bayern-Star beleidigt Reporter als Pisser und wehrt sich gegen Chefchen-Kritik

Es gab auch klare Vorstellungen von den Konsequenzen:

BILD MEINT: ER MUSS SICH ENTSCHULDIGEN!

In einem Kommentar in “Bild am Sonntag” hieß es:

Für viele Kinder ist er ein Idol. Aber verhält er sich auch vorbildlich? Leider nein. Der Pöbel-Auftritt ist der Beweis.

Sicher darf sich Schweini gegen Kritiker wehren. Ob er schon “Chef” oder nur “Chefchen” ist, ist Ansichtssache. Wer andere als “Pisser” beleidigt, ist auf jeden Fall eines: ein Schweinchen.

Und wie reagiert “Bild” heute auf eine Disziplinlosigkeit des Wolfsburger Spielers Diego? Ungefähr so wie ein beleidigter junger Mann Mitte 20, der seinen Zorn nur noch mithilfe von Schimpfwörtern artikulieren kann:
Verpisser Diego WIE BESTRAFT MAN SO EIN KOLLEGEN-SCHWEIN?

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

Bernd Ziesemer, Internet-Fexe, Kai Pahl

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ich bin dieser Gegenkandidat”
(faz.net, Claudius Seidl)
Claudius Seidl tritt bei der Wahl zum ZDF-Intendanten gegen Thomas Bellut an. Er will “alles, was es auch umsonst gäbe, also ohne Gebührenzwang bei den kommerziellen Sendern”, aus dem Programm nehmen: “die Champions League, der zeitgeschichtliche Zweiteiler mit Veronica Ferres (Bettina Zimmermann, Christine Neubauer), die Nachmittagssoaps, die Kochshows, die Arztserien, die sogenannten TV-Movies, Rosamunde Pilcher, Inga Lindström. (…) Plötzlich wird Platz sein im Programm, Platz für die wunderbaren Sachen, welche das ZDF bislang in seine Neben-, Sparten- und Digitalkanäle verbannt hat (…)”

2. “Mit der ‘Bild’ ins Abklingbecken der Eitelkeiten”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz fasst zusammen, was “Bild” den “peinlichsten Medien-Skandal des Jahres” nennt. “Jedenfalls darf man dann doch wenigstens in sich reinschmunzeln, wenn mal wieder behauptet wird, die Blogosphäre sei irgendwo so irre selbstreferentiell. Die großen Qualitätsmedien haben jedenfalls in dieser Woche mehr über eine missratene interne Preisverleihung berichtet als über Fukushima.”

3. “Viel gepflegte Heuchelei”
(epd.de, Ellen Nebel)
Ex-“Handelsblatt”-Chefredakteur Bernd Ziesemer im Interview: “Es gibt da viel gepflegte Heuchelei in unsere Branche. Weil Chefredakteure viele Dinge mitkriegen, über die sie nie reden. Mich erinnert das immer an den Grundsatz der italienischen Mafia. Der lautet: Die, die reden, wissen nicht und die, die wissen, reden nicht.”

4. “German Journalistic Complacency, Volume XXVIII”
(andrewhammel.typepad.com, englisch)
“Occasionally, I survey German coverage of the death penalty in America, mostly for professional purposes. What strikes me again and again is how utterly casual standards of fact-checking are — at least when it comes to popular assumptions of the German bourgeois elite about American society.”

5. “Hier spricht das Allesaussersport-HQ”
(allesaussersport.de, Kai Pahl)
Sportblogger Kai Pahl dokumentiert, wie er arbeitet: “Gerade im US-Sport ist ohne Notizen nichts zu machen. Bei über 330 College Basketball- und über 120 College Football-Teams, von denen man einige nur 2-3x pro Saison sieht, geht es nicht anders.”

6. “Medienschelten oder: Der Kampf um die Deutungshoheit”
(dradio.de, Sabine Pamperrien)
Sabine Pamperrien denkt in einem langen Essay über die Medienkritik nach. Sie erkennt dabei einen “Herrschaftsanspruch der Internet-Fexe”, Stefan Niggemeier wird als “professioneller Journalistenjäger” eingestuft, das “Journalisten-Bashing” sei generell in Mode gekommen. Wiederum gilt: “Medienschelten machten sich schon immer gut.”