Im vergangenen Dezember schrieben wir:
Man soll mit sowas ja keine Späße machen, aber stellen wir uns für einen Moment mal vor, der Fahrer von Angela Merkels Dienstwagen setzt das Automobil in den Straßengraben. Er war allein unterwegs, um die Kanzlerin abzuholen, und ihm ist nichts schlimmes passiert.
Würden die Zeitungen am nächsten Tag groß über diese, für Merkel gefährliche Situation berichten? Es ist nicht auszuschließen.
Gut: Es hat ein anderes Transportmittel erwischt und es ist letztlich noch weniger passiert, aber die Medien berichten tatsächlich.
Irre, oder? Nur “wenige Stunden”, nachdem Angela Merkel einen Hubschrauber verlassen hat, ist dieser “beinahe abgestürzt”.
Doch die “Bild am Sonntag” ist mit ihrer Feststellung, Merkel sei “nur knapp einem Beinahe-Absturz ihres Polizeihubschraubers entgangen” noch vergleichsweise zurückhaltend unterwegs.
Bild.de klingt da schon etwas aufgeregter:
Oder gleich noch eine Stufe irrer:
Der gleiche Burkhard Uhlenbroich, der im Print noch einigermaßen entspannt war, verkündet hier plötzlich:
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist am Mittwochabend bei einer Wahlkampfveranstaltung nur knapp einem Absturz ihres Hubschraubers entgangen.
Und weil “Bild am Sonntag” die Story vorab an die Agenturen gegeben hatte, taten die das Ihre, um den Wahnsinn zu steigern.
AFP scheint sich selbst nicht ganz sicher gewesen zu sein, was jetzt genau passiert ist:
“BamS”: Merkel entkommt knapp Beinahe-Absturz ihres Hubschraubers – Polizei geht nicht von Sabotageakt aus
Berlin, 20. März (AFP) – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am Mittwochabend bei einer Wahlkampfveranstaltung nur knapp einem Beinahe-Absturz ihres Polizeihubschraubers entgangen. Nach Informationen der “Bild am Sonntag” (BamS) hatte der Hubschrauber sie nach einem mehrstündigen Flug zunächst in Offenburg abgesetzt. Beim Weiterflug nach Oberschleißheim setzten laut “BamS” zeitgleich beide Antriebsturbinen des Superpuma 332 aus. Der Helikopter sackte aus einer Höhe von 1600 Metern ab. Der Crew gelang es erst wenige hundert Meter über dem Erdboden, die Turbinen wieder zu starten und einen Absturz zu verhindern.
dpa ist da schon klarer, gibt sich in der Überschrift aber auch missverständlich:
“Bild am Sonntag”: Merkels Hubschrauber fast abgestürzt
Berlin (dpa) – Ein Polizeihubschrauber von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist laut “Bild am Sonntag” nur knapp einem Absturz entgangen. Nur wenige Stunden nachdem die CDU-Vorsitzende den Helikopter am Mittwochabend verlassen habe, seien die Turbinen ausgefallen und der Helikopter um rund 1000 Meter abgesackt, berichtet das Blatt. Der Besatzung sei es erst wenige hundert Meter über dem Erdboden gelungen, die Turbinen wieder zu starten.
Reuters zerstört die in der Überschrift erzeugte Spannung dann gleich mit dem ersten Satz:
Merkels Hubschrauber wäre am Mittwoch beinahe abgestürzt
Berlin, 20. Mär (Reuters) – Ein Hubschrauber von Angela Merkel ist am Mittwoch nur wenige Stunden nach einem Flug mit der Kanzlerin beinahe abgestürzt. In rund 1600 Metern Höhe hätten beide Antriebsturbinen der Maschine ausgesetzt, erklärte am Sonntag eine Sprecherin der Bundespolizei, die damit einen Bericht der “Bild am Sonntag” bestätigte.
Auftritt deutsche Online-Medien!
“Spiegel Online” ging zunächst in die Vollen:
Das war den Redakteuren im Nachhinein dann wohl doch ein bisschen peinlich. Sie änderten Überschrift und Vorspann, entfernten das Foto von Merkel und setzen einen Hinweis unter den Artikel:
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels entstand der Eindruck, Merkel habe zum Zeitpunkt des Beinahe-Unglücks noch in dem Helikopter gesessen. Dies war nicht der Fall. Wir entschuldigen uns für die Unklarheit.
sueddeutsche.de hat seine Überschrift inzwischen von “Kanzlerin entgeht knapp Hubschrauber-Absturz” in “Merkels Hubschrauber beinahe abgestürzt” geändert, verkündet im ersten Satz aber immer noch:
Und auch “Focus Online” bemüht sich um Aufregung:
Vermutlich haben ganz viele deutsche Journalisten gestern auch “nur knapp” den Lotto-Jackpot nicht geknackt: Tippschein nicht abgegeben oder so.
Mit Dank an Andreas L., Daniel B., Carsten Z., Dennis S., Matthias Sch. und Horst M.
Nachtrag, 21. März: Zahlreiche Leser haben uns auf das Prinzip der Autorotation hingewiesen, die es ermöglicht, einen Hubschrauber auch bei ausgefallenem Antrieb sicher zu landen. Die ganze Situation war also offenbar noch unspektakulärer.