Archiv für Januar 20th, 2011

Wir sind Schwuchtel-Skandal!

Außenstehende verbinden mit der Stadt Köln – neben Rhein und Klüngel – vor allem die katholische Kirche (Dom), kalendarisch verordneten Frohsinn (Karneval) und den Westdeutschen Rundfunk (WDR). Diese drei Zutaten reichen oft schon, um schöne Geschichten zu erzählen.

So wie diese hier: Die satirische Karnevalsveranstaltung “Stunksitzung”, die traditionell ein schlechtes Verhältnis zur katholischen Kirche pflegt, hat in diesem Jahr einen Sketch im Programm, in dem der Kabarettist Bruno Schmitz als Bischof Walter Mixa verkleidet zu einer Weinprobe lädt.

Was Schmitz/Mixa dabei erzählt, hat “Bild”-Reporter Michael Bischoff (hihi) so missfallen, dass er daraus ausgiebig zitieren musste:

Er bezeichnet Papst Benedikt als “das Frettchen des Herrn, dumm wie eine Rolle Oblaten, umgeben von servilen Höflingen.”

Und weiter: “Aber der Höhepunkt war der Weltjugendtag (2005/Anm.der Redaktion) hier in Köln: Benedikt und Joachim, der zum-Lachen-in-den-Keller-geht-Meisner, ließen sich wie zwei frischvermählte Schwuchteln über den Rhein schippern. Ich bin ja der letzte, der etwas gegen Homosexualität hat, aber doch nicht mit so alten Knochen. Da haben wir in der Katholischen Kirche ganz andere Möglichkeiten. Ich sag nur – Priesterseminar…”

Seitdem bemüht sich “Bild”, die Geschichte in Köln zum “Skandal” zu machen — mit durchaus unangenehmen Folgen für die Kabarettisten, wie der “Express” berichtet.

Heute nun meinte “Bild”, einen Erfolg vermelden zu können:

Nach BILD-Bericht: WDR schmeißt Schwuchtel-Stunker aus der Sendung

Die Zeitung schreibt sich auf die Fahnen, die “bitterböse Verunglimpfung des Heiligen Vaters und des Kardinals als Schwuchteln”, die inzwischen mehrere Tausend Zuschauer im Kölner E-Werk gesehen haben, “öffentlich gemacht” zu haben, und berichtet:

Aber jetzt reagiert der WDR: Die Szene der Stunksitzung fliegt schon vor der Aufzeichnung aus dem Programm!

“Das geht bei uns so auf keinen Fall über den Sender!”, erklärte WDR-Sprecherin Kristina Bausch gestern. Den Schwuchtel-Stunk gibt’s also im TV weder in der 90-Minuten-Fassung am 3. März (22 Uhr), noch in der Langversion zwei Tage später (0.30 bis 3.30 Uhr). Auch nicht im Hörfunk auf WDR 5.

Auch das Kölner Domradio und die Katholische Nachrichten Agentur (kna), die der katholischen Kirche fast so nahe stehen wie “Bild”, vermeldeten, der WDR werde auf eine Ausstrahlung der “Papst-Verspottung” verzichten.

Doch die Website koeln.de erklärte heute Mittag, was der WDR uns auf Anfrage noch einmal bestätigte: Eine Entscheidung über eine mögliche Nicht-Ausstrahlung der Szenen werde erst nach der Aufzeichnung am 11. und 12. Februar gefällt.

Zwar sei es sehr wahrscheinlich, dass der Sketch in seiner jetzigen Form nicht gesendet werde (deswegen die Aussage “Das geht bei uns so auf keinen Fall über den Sender!”), aber es sei ja möglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass das Ensemble der Stunksitzung den Sketch selbst noch überarbeite.

Die kna ruderte am Nachmittag zurück und verkündete am Nachmittag in einer zweiten Meldung eine Selbstverständlichkeit:

Der WDR will eine umstrittene Passage aus der Kölner “Stunksitzung”, in der Papst Benedikt XVI. und Kardinal Joachim Meisner verunglimpft werden, vor Ausstrahlung im Fernsehen überprüfen.

Die WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff erklärte dazu:

Unsere Redakteurinnen und Redakteure schauen sich die Version der Stunker, die bei den Aufzeichnungsterminen am 11. und 12. Februar gespielt wird, ganz genau an. Erst danach entscheiden wir: Sollten Teile davon unseren Programmgrundsätzen widersprechen, werden wir sie
selbstverständlich nicht senden.

Der WDR legt außerdem Wert darauf, schon vor dem empörten Bericht der “Bild”-Zeitung (die die Verunglimpfung religiöser Gefühle in anderen Fällen auch schon mal “mutig” findet), gewusst zu haben, was ihn bei der diesjährigen Stunksitzung erwartet: Redakteure seien bereits Anfang Januar bei einer Aufführung gewesen.

Mit Dank an Flo.

Bild  

Hier werden Schlagzeilen geboren

Die Fans jubeln: Dortmund feiert seine Meister schon

So berichtet “Bild” heute groß in der Ruhrgebietsausgabe über ein Transparent auf dem Dortmunder Borsigplatz. Dass die Zeitung im ersten Satz behauptet, der BVB sei “souveräner Spitzenreiter mit 13 Punkten Vorsprung”, obwohl er nur 12 Punkte vor Hannover 96 liegt, ist dabei eher nebensächlich.

Denn es geht um das Banner selbst, über das “Bild” schreibt:

Na, da schau hin! Dortmund feiert schon seine Meister.

Am Borsigplatz, der Geburtsstätte des Traditionsklubs, leuchtet inzwischen weithin sichtbar dieses riesige, schwarzgelbe Jubel-Banner: Borsigplatz – Hier werden Meister geboren.

“Inzwischen” ist dabei eine gute Wortwahl, aber irgendwie fehlt da ein “wieder”. Mit dem Banner gratulierte der Gewerbeverein Borsiglatz dem BVB nämlich zum 100. Geburtstag, es hing schon im Herbst 2009 am Borsigplatz und war entsprechend auf die vergangenen Meisterschaften gemünzt. Im Sommer 2010 wurde das Transparent dann abgenommen und Anfang Dezember anlässlich der Herbstmeisterschaft “als Gag” wieder aufgehängt, wie uns der Gewerbeverein erklärte, der seit der Veröffentlichung auf Bild.de mit Anfragen von Journalisten überhäuft wird.

“Bild” hätte also schon vor sechs Wochen aufschreiben können, dass “in der Stadt die Euphorie” wachse. Oder vor einem Jahr. Nur hätte es da nicht so schön gepasst.

Mit Dank an Daniel, Dirk, Nora T. und Stephan U.

Kachelmann, Mandela, Giffords

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Im Namen der Öffentlichkeit”
(dradio.de, Brigitte Baetz)
Brigitte Baetz fasst nochmals die bisherigen Entwicklungen im Prozess gegen Jörg Kachelmann zusammen, befasst sich mit der parteiischen Berichterstattung vieler Medien und erinnert daran, wie Zeuginnen in den Medien zu sehen waren: “Alle drei Frauen gestylt wie Fotomodelle, versehen mit Exklusivverträgen über jeweils mehrere Tausend Euro. Ihre Aussagen vor Gericht machten sie dagegen unter Ausschluss der Öffentlichkeit – um ihr Privatleben zu schützen.”

2. “Wie das ‘Dschungelcamp’ hoffähig wurde”
(ndr.de, Tina Schober, Video, 5:44 Minuten)
“Was hier gesendet wird, hat mit Fernsehen nichts mehr zu tun”, sagte die damalige Bundesministerin Renate Künast 2004 über die RTL-Sendung “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!”. Inzwischen sind die Proteste dagegen fast verstummt.

3. “18.000 Euro ‘Kopfgeld’ für Promi-Fotos”
(meedia.de, ax)
“Verdiene Geld als Leser-Paparazzo!”, fordert viply.de ihre Leser auf. Die “Website für Hollywood-News” (hgm press) verspricht: “Für Deine Bilder beteiligen wir Dich am gesamten mit ihnen erzielten Gewinn und speisen Dich nicht einfach mit 100 oder 500 Euro ab!”

4. “Nelson Mandela und das Todesgerücht”
(badische-zeitung.de, Johannes Dieterich)
“Alle paar Wochen meldet irgendein Organ, dass der inzwischen 92-jährige Vater der Regenbogennation verstorben sei – und Ehefrau Grace, Ex-Frau Winnie, Tochter Zindzi oder Enkel Mandla haben das Gerücht dann wieder aus der Welt zu schaffen.” Dabei sei jedes Mal Eile geboten, “denn in internationalen Rundfunkanstalten wird bei solchen Gelegenheiten gleich Großalarm geschlagen und eine Mega-Maschinerie angeworfen”.

5. “How NPR’s Giffords Mistake Hurt The Families”
(npr.org/blogs/ombudsman, Alicia Shepard, englisch)
Alicia Shepard beschreibt, was die falsche Vermeldung des Tods von Gabrielle Giffords ausgelöst hat. “Simon, who first believed NPR’s report, also faced the emotional task of telling his two young daughters, who know Giffords well, that the congresswoman was dead, and later explaining that she wasn’t.”

6. “Ein kategorischer Imperativ und sieben Strategien für freie Journalisten”
(carta.info, Bernhard Pörksen)
Bernhard Pörksen stellt freien Journalisten sieben Strategien bereit. Ebenfalls lesenswert: “A manifesto for the simple scribe – my 25 commandments for journalists” (guardian.co.uk, Tim Radford, englisch).